Hoppla!“ Annatar schob schnell den Deckel wieder auf den Topf und sah sich suchend nach einem schweren Stein oder einem langen Löffel um.Schon spürte er die erste Erschütterung und das Gefäß hüpfte fast von der Feuerstelle. Wie konnte ihm nur schon wieder ein Fehler unterlaufen? Dabei war der Zauber so einfach gewesen.
„Annatar?“, erklang eine dunkle, leicht rauchige Stimme von der Tür her. „Was machst du in meiner Küche?“ Oma Nugg stand unter der niedrigen Tür, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie musterte ihn argwöhnisch. Annatar schluckte. Ihm blieb aber auch nichts erspart. Noch bevor er antworten konnte, rumpelte es erneut und er musste sich mit beiden Händen auf den Topfdeckel stützen.
„Ach nichts…“, erwiderte er und versuchte sich an einem Lächeln.
„So sieht das aber nicht aus.“ Sie trat auf ihn zu und sah ihn auffordernd an. „Geh mal ein Stück zur Seite und lass mich sehen.“
Noch bevor sie Annatar vom Herd wegdrängen konnte, erklang eine gedämpfte Stimme aus dem Topf: „Freunde, wir werden hier gefangen gehalten! Es wird Zeit sich zu wehren; Zeit für eine Revolution!“ Begeisterte Aufschreie waren die Antwort. Oma Nugg nahm entschieden den Deckel ab und starrte auf eine bunte Woge aus Reiskörnern, die im Milchbad schwammen. Sofort schienen sich die Reiskörner Annatar und Nugg zuzuwenden, obwohl sie keine Gesichter hatten. „Wir verlangen die sofortige Befreiung! Wir haben eine Vanilleschote als Geisel!“
Oma Nugg seufzte. „Was hast du nur wieder angestellt?“
„Ich dachte, deine Reistorte wäre noch viel toller, wenn sie bunt wäre, also habe ich versucht die Reiskörner zu färben“, erwiderte er scheu und sah dann zu Boden.
„Na das ist dir ja zumindest gelungen…“, seufzte Nugg. „Und nebenbei hast du aus meinem Milchreis eine Armee gemacht. Hast du versucht deine Freunde mit einer farbigen Milchreistorte zu beeindrucken?“ Wie auf Kommando erklang das Lachen eines Mädchens aus Annatars Zimmer. Annatar wurde noch kleiner. Mit hochrotem Kopf schielte er zu Nugg, brachte jedoch keinen Ton mehr heraus. „In Ordnung – du gehst zu deinen Freunden – ich versuche hier alles zu richten!“
„Aber…“
„Kein aber! Du hast genug angestellt. In ein paar Stunden rufe ich euch, dann könnt ihr die Torte essen.“

Die Stunden vergingen zäh wie Sirup und Annatar hatte kaum Freude daran mit seinen Freunden zu spielen. Immer wieder versuchte er Gesprächsfetzen aus der Küche zu erhaschen, doch mehr als ein Flüstern drang nicht durch seine geschlossene Zimmertür. Als Nugg endlich nach ihnen rief, stürmte er noch vor allen anderen Richtung Kaminzimmer.
Was er sah, verschlug ihm den Atem. Eine bunte Blume aus Reis thronte auf dem Tisch. Als die Kinder in den Raum kamen öffneten sich auf magische Weise die Blütenblätter. Aus ihrem Kelch tropften bunte Zuckerperlen auf drei farbige Milchreistorten, die ebenfalls einen Platz auf dem Tisch gefunden hatten. Ein Aufschrei ging durch die Kinderschar, dann stürzten sie auf die Blume zu. Annatar sah zu Nugg, die ihm zuzwinkerte. Er lief zu ihr und umarmte sie fest.
„Na, wie findest du meine neue Reistortenkreation. Ich nenne sie Milchreisrose, aber sie ist nicht zum Verzehr geeignet.“ Sie grinste und deutete zu den lebenden Reiskörnern, die leise flüsterten:
„Haltet die Formation! Bleibt in der Reihe!“
„Sie werden mir ab sofort in der Küche helfen. Von daher kommt mir dein verpatzter Zauber ganz gelegen.“ Sie strich ihm durch die langen, dunklen Haare und schob ihn dann Richtung Tisch. „Und jetzt bedient euch. Die drei Torten sind nur für euch und wehe ihr lasst einen Krümel übrig!“
„Danke, Nugg“, rief Annatar auf und stürzte sich auf ein blaues Stück Milchreistorte, das mit purpurnen Zuckerperlen verziert war.

~Ende~


(c) 2011 Juliane Seidel