Assjah

-Dark Reunion-

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Die dunklen Nebelschleier, die sich seit den frühen Morgenstunden über der kahlen Ebenen ausgebreitet hatten, schienen auch während des gesamten Nachmittags nicht weichen zu wollen. Die dunstige Luft kletterte bei den steigenden Temperaturen höher, und obgleich sich der Nebel hätte auflösen müssen, blieb er beständig über dem trockenen Boden in einigen Metern Höhe hängen. Der Blick weiter gen Osten gerichtet ließen eine schwache Bergkette erahnen und einen Wald, der sich dunkel von den grauen Felsen abhob und zwischen der Steppe und dem zerklüfteten Steinmassiv lag. Der warme Wind fuhr sanft durch die schulterlangen, schwarzen, leicht gewellten Haare und spielte mit den Strähnen, die sich aus dem lockeren Zopf gelöst hatten. Das bleiche Gesicht wirkte fast transparent und als die dunklen, violettfarbenen Augen sich öffneten, strahlten sie für einen Augenblick Ruhe und Gelassenheit aus, doch sofort verschwand dieser Eindruck und machte den harten, unverkennbar abgestumpftem Blick Platz. Das Gesicht hatte weiche Züge, war ebenmäßig und wies eine markante lange, leicht gebogene Nase auf und den Zügen eine eigenwillige Schönheit verlieh. Die schmalen Lippen öffneten sich leicht, als er gierig die Luft einsog und sie zischend wieder ausstieß. Obwohl sein Blick immer noch auf die Landschaft gerichtet, die hier vom Ostbalkon des Schattenpalastes unverkennbar langweilig war, bemerkte er die Bewegung hinter sich und den leichten Lufthauch, als jemand an seine Seite trat. Aus den Augenwinkeln musterte er die großgewachsene Gestalt, das Profil, was im Schatten verborgen lag und so die herrischen Gesichtszüge noch ein wenig stärker hervorhob.

„Du willst wieder zurück zu den Feldern, Namtar?“ Die tiefe, kehlige Stimme durchschnitt die Stille wie ein Aufschrei, obgleich es nur ein vages Flüstern war. Namtar wandte seinen Blick von der Ebene, die er in den letzten Minuten betrachtet hatte, ohne wirklich etwas zu sehen. Zu tief war er in seine Gedankenwelt verstrickt gewesen, zudem kannte er diesen Ausblick zu gut.

„Ja, es wird Zeit.“ Sein ehemaliger Meister, Yama, sah in die Ferne, doch auch er schien abgelenkt zu sein. Er nickte nur schweigend und schließlich fuhr er sich mit den behandschuhten Fingern über die Stirn und streifte sich die Haar zurück, welches ihm jedoch schlagartig zurück ins Gesicht fiel. Er ignorierte diesen Umstand und wandte sich dann Namtar zu, der ihn schweigend beobachtet hatte. Der lange Umhang raschelte und schwang leicht bei der Bewegung mit, glitt über den dunklen Marmorboden und blähte sich bei einem Windstoß kurz auf. Yama war größer als Namtar, breitschultriger und kräftiger. Dieser Eindruck wurde durch die Kleidung noch verstärkt. Das dunkle Gewand war wie eine zweite Haut auf Yamas Körper zugeschnitten, lag eng an und betonte seine Muskeln noch zusätzlich. Der Wams war gegürtet und die schwarze Schnalle war mit Onyxen und dunklen Edelsteinen besetzt. Der Stoff war mit feinen silbrigen Mustern und Symbolen durchwebt, die wie ein Zauberbann auf dem Dämon lagen und die schwere Hose war aus feinem geprägtem Leder, ebenso die hohen Stiefel. Nur wenig Schmuck zierte Yama, lediglich eine Kette mit einem verschlungenem Anhänger, ein Ring und ein Stab, den er stets bei sich trug und der an seiner Hüfte baumelte.

„Du weißt, dass du hier immer willkommen bist.“, begann Yama und der Hauch eines Lächelns huschte über seine schmalen Lippen, während seine Augen unter einem Anflug von Trauer aufflammten.

„Ich weiß…“, entgegnete Namtar und schloss die Augen. Er wirkte müde und nur zu gerne hätte er dieses Angebot angenommen, doch noch hatte er sich nicht aufgegeben. Er war nur kurz hierher zurückgekehrt und auch nur auf Yamas ausdrücklichen Befehl hin. Er mochte Yama, das stand außer Frage, doch er konnte nicht in diesem Palast sein. Er war ein Einzelgänger geworden, seine Freunde von damals interessierten ihn nicht oder hatten ihn vergessen. Es war ihm egal geworden, und obgleich er nie hierher zurückkehren wollte, konnte er sich einem direkten Befehl des Herrschers von Styx nicht entziehen und war zum Schattenpalast aufgebrochen. Das war jetzt fast eine Woche her und es wurde Zeit, dass er zurückkehrte. Die Angst, vielleicht zu spät zu kommen oder ihn verpasst zu haben, war in den letzten Stunden unerträglich geworden und so hatte er Yama um Erlaubnis gebeten, wieder nach Hause reisen zu dürfen. Nur mit Widerwille war sein Mentor seiner Bitte nachgekommen und jetzt war die Zeit des Abschiedes da.

„Wird es wieder Jahrzehnte dauern, bis wir uns wieder treffen?“

„Ich weiß es nicht, Yama.“ Diese formlose Anrede entschlüpfte Namtars Lippen unkontrolliert und für eine Sekunde verfluchte er sich selbst für diese Dummheit. Doch Yama schien ihn nicht zu strafen, er lächelte ihn nur warm an und legte ihm dann eine Hand auf die Schulter.

„Ich hoffe sehr, dass ich dich bald wiedersehen kann. Es war sehr angenehm mit dir zu sprechen und ich danke dir, dass du Asak ins Gewissen geredet hast.“ Namtar erinnerte sich lebhaft an den jungen Dämon, der ihm vor einigen Tagen zum ersten mal begegnet war. Ein Heißsporn, sehr temperamentvoll und offen, vielleicht ein wenig zu dickköpfig und blauäugig, wenn es um seine Mission ging, doch Namtar hatte ihn sofort ins Herz geschlossen. Zum Teil erinnerte ihn dieser junge Mann sehr an sich selbst, wie er noch vor vielen Jahrhunderten war, dennoch konnte ihn diese Tatsache nicht davon abbringen Asak sein Schicksal klarzumachen und zu betonen, dass es nicht positiv ausgehen konnte. Schmerzhaft klomm in Namtar die Erinnerung daran auf, was ihm vor vielen Jahren passiert war, als er dieselbe Aufgabe hatte, wie Asak in dieser Zeit. „Deine Haare sind schon wieder kürzer.“, riss ihn Yama aus seinen Gedanken und er spürte die sanfte Berührung in seinem Nacken, als sein Meister nachdenklich die Haarsträhnen durch die Finger gleiten ließ. „Warum lässt du sie dir nicht wieder wachsen?“

„Ich muss jetzt gehen.“ Mit einer unwirschen Bewegung wandte sich Namtar um und brachte einige Meter Abstand zwischen sie. Er wusste, es war ein Fehler gewesen hierher zu kommen und länger als nötig bei Yama zu verweilen. Zu deutlich lasteten die Erinnerungen an die Vergangenheit an diesem Ort und er musste seine aufsteigenden Zorn hinunterschlucken und bedachte Yama nur mit einem gequälten Blick. „Lebt Wohl, Meister.“, brachte er stockend hervor, verneigte sich dann und verließ, schneller als notwendig gewesen wäre, den großen Saal.

 

Erst als er den Palast hinter sich gelassen hatte und auf einem der großen Reittiere saß atmete er tief durch und ohrfeigte sich gedanklich für seine überhastete, fast panikartige Flucht. Nachdenklich strich er dem Tiruk durch das zottige Fell und kraulte es hinter den kleinen versteckten Ohren. Ein zufriedenes Grunzen erklang und der mächtige Kopf wandte sich seinem Reiter zu. Namtar konnte die kleinen Augen unter dem grauen Fell nur erahnen, doch er spürte den intelligenten Blick. Die spitze Schnauze öffnete sich kurz und ließ ein weiteres undeutbares Geräusch entfliehen, dann setzte die Kreatur ihren Weg fort. Der massive Körper wurde von zwei kräftigen Beinen getragen und der lange Schwanz pendelte bei jedem Schritt mit und sorgte für Gleichgewicht. Die langen dürren Arme waren angezogen und schienen für die Fortbewegung nicht gebraucht zu werden. Der aufrechte Gang wirkte unelegant, doch Namtar mochte es auf den gewaltigen Tieren zu reiten. Sie waren die einzige Gesellschaft die er hatte und besonders Kuja, sein Reittier war ihm ans Herz gewachsen. In einer fließenden Bewegung neigte er sich zu Kujas rechtem Ohr und flüsterte etwas in dieses. Sofort begann der Tiruk schneller zu laufen und mit einer Geschicklichkeit, die man dem massigen Körper nicht zugetraut hätte, schlüpfte das Tier durch die schwarzen Bäume und wich Steinen und Geröll aus. Die Landschaft war kahl und trocken, die warme Luft und die beständige Dunkelheit waren der Grund für die kargen Pflanzen, die hier wuchsen. Trotz allem ließen sie auch üppige Wälder hinter sich, mit seltsam verwachsenen Bäumen und Sträuchern, die wie eine undurchdringliche Wand keinen Reisenden passieren lassen wollten, es sei denn man kannte die Schlupfwinkel und Trampelpfade. Die kantigen, surreal wirkenden Pflanzen waren zumeist dunkel, die Blätter dick und mit einer dicken Wachsschicht überzogen. Hier und da sah er auch einen Mahin- Baum, eine starke knorrige Pflanze mit großen schwarzen Blüten, die einen süßen schweren Duft verströmten und Namtar für eine kurze Zeit die Sinne raubten. Tödlich konnte dieser Duft sein, doch zum Glück waren die Blüten noch nicht gänzlich geöffnet, doch das taube Gefühl beherrschte ihn für einige Minuten, nachdem sie den Baum hinter sich gelassen hatten.

Es mochte Stunden her sein, seitdem sie den Palast Yamas verlassen hatten und endlich erreichten sie ein kreisrundes steinernes Monument, was teilweise in den Boden eingelassen war. Mit einem Durchmesser von fast zwanzig Metern, zogen sich kleine und große Ringe um den verlassenen Platz, den man durch ein steinernes Tor betreten konnte. Namtar ritt hindurch und gelangte problemfrei auf den umrahmten Sandplatz. Zwischen den einzelnen Steinringen zogen sich Symbole und Zeichen, die in einem matt schwarzen Licht schimmerten. Als sie die Mitte erreichten, flüsterte er erneut wenige Worte in Kujas Ohren und sofort stoppte dieser und ließ Namtar absteigen. Es war nicht das erste Mal, dass er einen Cylohin benutzte. Cylohins waren vom Prinzip her Dimensionstore zwischen den einzelnen Ebenen und Ländern, in die die Unterwelt augeteilt war. Diese Transporttore ermöglichten die Reise zu nahezu jedem beliebigen Ort, so dass es nicht notwenidg war von einem Cylohin zum anderen zu reisen. Insofern man erwünscht war oder die Erlaubnis hatte, konnte man direkt in jedes Haus oder jeden Palast teleportieren.

Musternd unterzog er seine Umgebung einer genauen Beobachtung. Er war, als er in Styx ankam direkt im Hof des Palastes aufgetaucht und besah sich nun diesen Cylohin genauer. Es machte nicht den Eindruck als sei in letzter Zeit genutzt worden und nachdenklich verließ er doch noch einmal das Zentrum und ging die niedrige Mauer entlang, ließ seine Augen über die schwarzen Zeichen wandern und kontrollierte ihre Beschaffenheit genau. Er hatte schon einmal feststellen müssen, dass falsche Zeichen, fehlerhafte Transporte bedeuten konnten und man, schnell anstatt in seinem Haus anzukommen, einen unliebsamen Aufenthalt in einem fremden Gebäude auf sich nehmen musste, wenn man überhaupt in einer zivilisierten Gegend aufschlug. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alle Linien in Ordnung waren ging er langsam zurück und erinnerte sich urplötzlich an ein Gespräch, welches er vor vielen Jahren schon aus dem Gedächtnis verbannt hatte.

 

„Cylohins? Das klingt sehr interessant. Sie scheinen unseren Transportkreisen ähnlich zu sein.“ Jeremias saß bequem auf dem Boden, der mit weichen Tierfellen ausgelegt war und hatte bis eben aufmerksam Namtars Erzählungen von Styx und der Unterwelt zugehört, die so anders schien als seine Heimat. Die Vorstellungen eines Landes, gänzlich in Dunkelheit getaucht und so warm, wie ein heißer Sommertag, waren für den blonden jungen Mann mit den großen blauen Augen unvorstellbar. Wie ein kleiner Junge, begierig darauf mehr zu erfahren, schwieg er nun wieder und schenkte dem Dämon einen entschuldigenden Blick. Seine Augen funkelten vor Neugierde und ließen sein zierliches weißes Gesicht so hell erstrahlen, dass Namtar das Gefühl hatte, die Sonne blende ihn.

„Ihr habt also auch Dimensionstore?“, fragte Namtar, anstelle seine Erzählungen fortzuführen und schien nun ebenfalls daran interessiert mehr darüber zu erfahren.

„So was in der Art. Bei uns nennen sich diese Tore ‚Gaintonik’ und sind eher die Türen in Häusern und Gebäuden. Nur mit diesen Lichtkreisen kann man zwischen den Räumen wechseln. Sie sind allerdings nicht so groß und auch nur als dünnen Linien in den Boden eingelassen. Aber das restliche Prinzip ist genauso.“, erklärte er nun seinem Partner und unterstrich seine Erzählungen mit einigen Handgesten. Schließlich atmete er tief durch, beruhigte sich und lächelte Namtar offen an. Von einer Sekunde zur nächsten war aus Jeremias wieder der ruhige sanftmütige Engel geworden, den Namtar so sehr liebte - sein Seelenpartner. Die hellen lockigen Haare vielen dem Engel ins Gesicht, umrahmten die Augen auf eine faszinierende Art und Weise und Namtar verfiel zu schnell diesen liebevollen tiefen Blicken. „Erzähl weiter.“, forderte ihn Jeremias auf, als er die Musterung seines Partners spürte.

„Weißt du, wie schön du eigentlich bist?“, murmelte Namtar leise und zog den überraschten Engel zu sich. Die feingliedrigen Finger strichen über Jeremias’ Rücken, streichelten dort vorsichtig über die Wirbelsäule und schließlich wieder nach oben, um ihn im Nacken zu kraulen. Jeremias entspannte sich, schloss zufrieden die Augen und kuschelte sich an den Dämon. Sofort breitete sich eine angenehme Stille aus und beide genossen einfach nur die Gegenwart des Anderen, ließen ihre Gedanken weit abschweifen und erst der leichte Wind, der durch das alte Gemäuer wehte, ließ Namtar aufblicken und den dunklen Himmel absuchen. Es war bisher friedlich, doch die Luft  frischte auf und kündigte Regen an. Diese Nacht würde stürmisch werden, dachte sich der Dämon still, doch er unterbrach seine sanften Streicheleinheiten nicht. Zu sehr genoss er diese traute Zweisamkeit, wusste er doch selbst zu gut, dass dieser Augenblick so flüchtig war, wie ein Wimpernschlag…

 

Mit einer hektischen Bewegung schüttelte Namtar die Gedanken ab und schloss für wenige Momente die Augen. Sein Vorsatz nicht zu sehr an dieser alten, schon längst vergangen Zeit zu hängen und in Erinnerungen zu schwelgen, war mit einem Schlag zunichte gemacht worden und diese Tatsache machte ihn wütend und zornig auf sich selbst.

„Ich bin ein Narr.“, murmelte er und strich über Kujas Kopf, der ihn nachdenklich und besorgt beobachtete. „Es ist alles in Ordnung.“, antwortete Namtar auf die stumme Frage seines Begleiters hin und schloss nun erneut die Augen. „Gehen wir nach Hause, Kuja.“ Augenblicklich flammten die Symbole dunkel auf und feiner schwarzer Nebel stob nach oben, begann zu wirbeln und senkte sich schließlich über dem Steinkreis, schloss die beiden ein und Namtar spürte den leichten, bekannten Ruck, der seinen Körper durchlief. Für eine Sekunde verschwand der Boden unter seinen Füßen, er schwebte im leeren Raum und der Anflug eines eisig kalten Windes traf sein Gesicht. Doch schon in der nächsten Sekunde war der Lufthauch verflogen und ließ ein flaues Gefühl in seinem Magen zurück.

Namtar atmete tief ein und sofort breitete sich ein feines Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er war wieder daheim, konnte den zarten, kaum wahrnehmbaren Geruch der Blüten der Schattenbäume riechen, die er so liebte. Tief einatmend öffnete er die Augen und ließ den Blick über ein weitläufiges Feld wandern, welches sich bis zum Horizont erstreckte. Knochige Bäume, zumeist mehrere Meter, hoch sprossen aus dem Boden und ihre weit verästelten Zweige und Blätter ließen nur selten ein Stück des Himmels erkennen und nur vage konnte man die graue Farbe erahnen. Große farbige Blüten übersäten die Zweige und Äste, die ein dunkelbraune Färbung hatten. Trotz des vermeintlich bunten Blätterdachs wirkte alles wie von einem schwarzen Schleier überzogen, der die Farben förmlich aufzusaugen schien. Namtar betrachtete nachdenklich die Blüten seufzte ergeben auf und strich Kuja über die zottelige Mähne. Er überlegte kurz, blähte die Wangen auf und zog sinnierend die Augenbrauen zusammen, bevor er sich an Kuja wandte und flüsterte. „Ich war wohl unkonzentriert. Aber wenigstens sind wir nicht allzu weit von zu Hause entfernt.“ Ein leichtes Schnauben war die Antwort und sie machten sich auf den Weg. Namtar beschloss sich die Beine zu vertreten und ging neben dem Tiruk zwischen den Bäumen entlang. Die knochigen alten Wurzeln ragten zu zwei Dritteln aus dem Boden und ein undurchdringliches, ineinander verwobenes Netzwerk säumte den Weg. Erst nach zwei Metern Höhe begann der Stamm, der leicht gebogen war und ging schließlich wieder in ein verworrenes Astwerk über. Die Bäume standen nicht zufällig auf der weiten Fläche, sondern ließen Gänge, um zwischen ihnen hindurch zu gehen. Die mattschimmernden Blüten strömten einen leichten aromatischen Duft aus, der entfernt an den Geruch von Lilien erinnerte. Jeweils neun Blütenblätter bildeten eine Blume und jede einzelne hatte ein geheimnisvolles Schimmern und Glänzen. Bei genauerer Betrachtung konnte man die schwachen schwarzen Lichtkugeln sehen, die das Zentrum der Blüten bildeten.

Namtar ließ schnell die jungen Bäume hinter sich und gelangte in einen Teil des Waldes der dunkler und stickiger war. Die Blüten waren hier schwarz, wiesen keine Farben mehr auf und auch ihr Duft war verschwunden. Auch sah er hier ab und zu eine Gestalt zwischen den Bäumen hin und her huschen, emsig ihrer Arbeit nachgehen und den Dämon nicht näher betrachtend und ignorierend. Namtar war dies nur Recht. Er arbeitete hier nicht, war kein Teil der Wächter, deren Aufgabe die Pflege der Schattenbäume war. Diese äußerst unscheinbaren Wesen waren nicht wirklich gesprächig, kümmerten sich um die Wurzeln, Äste und Blüten der Bäume. Namtar wusste unterdessen, dass jeder Wächter eine bestimmte Baumgruppe betreute, die zumeist aus ungefähr dreißig Pflanzen bestand.

Kuja trottete treu hinter ihm her und beachtete die Bäume nicht weiter. Die Umgebung und das Aussehen der Pflanzen veränderte sich erneut und schließlich waren keine Blüten mehr an den Ästen zu finden, sondern schwarze eierförmige Kugeln, die auch dunklem Licht bestanden. Die Eier waren etwas größer als Namtars Kopf und obwohl sie ein kohlenähnliches Licht ausstrahlten, schimmerten sie manchmal in den Farben auf, die die Blüten zu Beginn hatten.

„Es ist bald wieder soweit.“, hörte er eine Stimme hinter sich und fuhr erschrocken herum. Namtar hatte die junge Frau, die nun vor ihm stand weder gehört, noch gespürt. Er war zu sehr in seine Gedankenwelt verstrickt gewesen um ihre Gegenwart wahrzunehmen. „Hab ich dich erschreckt?“, fragte sie verdutzt und hob eine Augenbraue. Sie hatte einen dunklen Teint, große braune Augen und lange schwarze Haare, die ihr bis zur Hüfte fielen. In der Hand trug sie eines der Schatteneier und im Korb, der neben ihr herschwebte konnte der Dämon weitere entdecken. Ihre Kleidung war einfach, eng anliegend und sehr knapp bemessen. Ihr langen Beine waren frei und sie hatte gänzlich auf Schuhwerk verzichtet. Namtar wusste, dass es für sie als Wächter der Bäume, so einfacher war auf diese zu klettern, um die Eier zu pflücken und die Blumen zu pflegen. Eine anstrengende Aufgabe, die er nie im Leben erfüllen wollte und so war er stets nur Beobachter, schritt zwischen den Pflanzen entlang, sah den Wächtern zu oder lehnte sich an einen der Bäume um dem leichten Ächzen und Knarren zu lauschen. Manchmal hatte er das Gefühl die Wurzeln berichteten ihn von fernen Geschehnissen, erzählten Geschichten oder sangen für ihn fremdklingende Lieder, doch oftmals musste er feststellen, dass er einfach nur eingeschlafen war.

„Shalik“, sagte er nun und musterte sie kurz.

„Ja, wie schön, dass du mich noch erkennst.“ Sie ließ das Ei zu den anderen schweben und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich freue mich auch dich zu sehen. Du warst lange weg.“

„Ich hatte zu tun.“, murmelte er und starrte die Eier an, die sie bisher gesammelt hatte. „Es ist bald wieder soweit?“, fragte er leise und Shalik nahm einen schwachen Hauch von Hoffnung war. Sie kannte Namtar schon seit er hierher gekommen war. Er hielt sich oft wie ein ruheloser Geist in ihrer Baumgruppe auf, wanderte zwischen den Schattenbäumen entlang und schien nach etwas oder jemandem zu suchen. Sie empfand zu Beginn Mitleid, doch nach einer Weile wich dieses Gefühl einer brennenden Neugier, die sie nur schwer besiegen konnte. Namtar war zu schweigsam, ignorierte sie manchmal und antwortete schon gar nicht auf die Fragen, was er suche und warum er hier bleibe. Irgendwann hatte sie es stillschweigend akzeptiert, duldete sogar die Anwesenheit bei den Bäumen, wenn sie nicht da war oder es einfach zu spät wurde, um weiterzuarbeiten. Namtar schien hier zu leben, obgleich er keine Hütte oder ein Haus besaß. Er verweilte bei den Bäumen, schlief dort und ließ sich von den Blättern beschützen. Zunächst wollte sie ihn nicht alleine bei ihren Schattenpflanzen lassen, doch als sie ihn irgendwann schlafend zwischen den Wurzeln gesehen hatte, war sie sich sicher, dass keine Gefahr von ihm ausging und überließ ihm manchmal die Obhut ihrer Bäume.

„Ja, es werden wieder neue Dämonen schlüpfen. Die Zeit ihrer Geburt ist nah.“ Sie strich mütterlich über die luftige, nebelige Hülle und lächelte glücklich. „Es werden noch mehr Eier, ich habe viel zu tun in nächster Zeit. Sie müssen bald gerufen werden, um schlüpfen zu können, dann wird es hier wieder ruhiger werden.“ Namtar nickte leicht und sah sich nun in genauer um. Shalik hatte Recht, die Bäume waren voll mit Eiern die schimmerten und flackerten, ein Zeichen dafür, dass bald die Geburt neuer Dämonen bevorstand. Für ihn war das immer ein besonderes Erlebnis. Das kurze Aufflammen von Hoffnung, der Wunsch, dass er dieses Mal nicht umsonst gewartet hatte, klomm sehnsüchtig in seinen Augen auf, doch bisher war alles umsonst gewesen. Er wartete auf eine Seele, doch in den letzten vier Jahrhunderten geschah nichts. Die Bäume blühten in den Grundfarben, alsbald wurden die Blüten schwarz und finster und schließlich formten sich dunkle Schatten zu Eiern, die an den Bäumen gepflegt wurden, bis sie reif waren. War es soweit brach die hektischste Zeit hier auf den Feldern an. Das Pflücken und Sammeln der Eier, schließlich das Rufen der Dämonen und das Schlüpfen. Diese sich ständig wiederholende Prozedur des Heranwachsens der Eier dauerte stets mehrere Jahre. Nur alle neun Jahre schlüpften Dämonen aus den nebeligen Schattenkugeln, die restliche Zeit musste Namtar warten und sich damit begnügen zwischen den Bäumen zu wandeln, ihren Stimmen zu lauschen und auf die nächste Geburt zu warten. „Ich hoffe für dich, es ist endlich der Dämon dabei, auf den du wartest.“ Shaliks Stimme durchbrach die Stille, die zwischen ihnen ausgebrochen war und Namtar blickte auf.

„Ja, ich hoffe es.“

Er verabschiedete sich kurz von ihr und ging dann weiter, wollte sie nicht unnötig von der Arbeit abhalten. Er suchte sich einen versteckten Baum aus, kletterte behände die Wurzeln nach oben und ließ sich in einer Kuhle nieder, die wie dafür gemacht schien hier zu verweilen. Er war oft hier, mochte diesen Baum, der etwas kleiner als die Übrigen war und ein wenig unsymmetrisch zum Rest gewachsen war. Er hatte seinen eigenen Reiz und sein Blick richtete sich nun auf die wenigen Schatteneier, die er trug. Shalik sprach über diesen Baum nicht viel, sie kümmerte sich auch nicht weiter um ihn, da er aus einem wilden Samen gewachsen war und nicht von ihr gepflanzt wurde. Er brachte nicht viele Eier hervor, hatte keinen guten Wuchs und kam gegen die mächtigen anderen Schattenpflanzen nicht an, die vielen Dämonen das Leben schenkten. Doch dieser einsame Zwerg war eine Ausnahme und vielleicht mochte Namtar ihn deswegen so sehr. Er spürte eine enge Verbundenheit zu der Pflanze, die ihm im Wesen so ähnlich war- allein, zurückgezogen, einsam. Müde betrachtete er das grün schimmernde Flackern, das ab und zu über die Eier huschte. Er hatte in der Zeit bei Yama kaum geschlafen, konnte in dieser bedrückenden Atmosphäre damals kein Auge zu tun. Jetzt wo er das Gefühl hatte wieder daheim zu sein, spürte er den fehlenden Schlaf und die Erschöpfung schlagartig. Er war verspannt, sehnte die Ruhe herbei und noch bevor er wegdämmerte, nahm er das sanfte Rauschen der Zweige, sowie das leiste Surren der Schatteneier wahr.

 

„Schattenbäume sind die Lichtbäume der Unterwelt. Bei uns gibt es strahlend helle Bäume, die Lichteier tragen, aus denen dann die Engel schlüpfen.“ Jeremias beobachtete Namtars Gesichtszüge und lächelte dann. „Ich wusste gar nicht, dass sich der Himmel und die Unterwelt so ähnlich sind. Fast dieselben Wesen und Kreaturen, Regeln und Gesetze, nur durch die Dunkelheit bestimmt. Wie zwei Seiten derselben Medaille.“, schloss er seine Feststellung ab und legte seine Arme nachdenklich auf Namtars Brust, ehe er seinen Kopf auf die gefalteten Hände bettete. Der Dämon ließ seine Finger nun durch die Haare des Engels wandern und zog ihn vorsichtig so sich, um schließlich seine Stirn küssen zu können.

„Ja… viele Gemeinsamkeiten.“, hauchte er beiläufig und schmiegte sich in die weichen Haare, sog tief den feinen Duft von Sonne ein und schloss zufrieden die Augenlider. Er war selten so glücklich und entspannt und zog den warmen Körper, der auf ihm lag höher zu sich, um Jeremias’ Lippen endlich küssen zu können. Nur zu gerne erwiderte dieser den Kuss, tastete mit seiner rechten Hand nach der seinen Partners und verschränkte schließlich seine Finger mit denen Namtars. Sie vergaßen schnell alles um sich herum, konzentrierten sich nur aufeinander und wurden bald darauf intensiver und fordernder. Namtar schnappte spielerisch nach der Lippe des Engels und nutzte sofort die Gelegenheit, als Jeremias leicht den Mund öffnete. Eine Weile rangen sie miteinander, schließlich ließen sie atemlos voneinander ab. In Jeremias’ Augen stand ein unbändiges Verlangen, doch auch Namtars Blick flammte auf und seine violetten Augen wurden noch eine Spur dunkler, als sich seine Augen um den Rücken seines Geliebten schlossen und er den Engel erneut küsste. Keuchend löste sich Namtar wieder von ihm und raunte ihm ins Ohr:

„Das wird unsere einzige Zusammenkunft sein. Schon morgen werden wir…“ Er stockte, als Jeremias ihm die schmalen Finger über die bebenden Lippen schob und den Kopf schüttelte.

„Sprich nicht jetzt davon! Ich möchte nicht daran denken, was in ein paar Stunden sein wird. Lass es mich einfach vergessen…“ Er war leicht rot um die Nase, als er das geflüstert hatte, doch schon Sekunden später neigte er sich wieder zu Namtar und küsste ihn leidenschaftlich. Eine leichte Nervosität stieg bei Jeremias auf, doch sie verflog schnell, als der Dämon vorsichtig seinen Hals zu küssen begann und sich schließlich über ihn rollte. Jeremias hatte noch nie ein solch brennendes Verlangen gespürt, noch nie hatte er sich zu einem Wesen so tief verbunden gefühlt, wie zu diesem. Seine Ängste an den morgigen Tag drängte er zurück in die hinterste Ecke seiner Gedanken, sie erloschen, als Namtar sich tiefer schob und seine kühlen Hände unter sein Hemd fuhren. Namtar ertastete vorsichtig die warme Haut seines Geliebten und diese Berührung entlockte dem Engel ein leichtes Keuchen. Begierig mehr zu hören, strich er das Hemd höher, tastete über den flachen Bauch und bemerkte, dass Jeremias an den Seiten kitzlig war, als dieser kurz zusammenzuckte und sich leicht unter ihm wand.

„Nicht kitzeln.“, murmelte Jeremias und vergrub seine Hände in den samtig schwarzen Schopf, um mit den Strähnen zu spielen und sie durcheinander zu bringen. Er liebte diese langen nachtschwarzen Haare, die wie ein Mantel um Namtars Körper fielen, solange er sie offen trug. Überraschend aufschreiend, bäumte sich der Engel auf und genoss die sanften Berührungen. Namtars Lippen wanderten über seinen Hals und hatten begonnen seine Brust zu verwöhnen. Nur kurz löste er sich von dem erregten Körper um ihm endgültig die störende Kleidung über den Kopf zu ziehen. Anschließend betrachtete Namtar den zierlichen Körper eingehend, bemerkte das leichte Erschaudern, als ein kühler Lufthauch über die Haut des Engels strich und spürte schließlich Jeremias’ fragenden Blick. Liebevoll fuhr Namtar die Konturen des Gesichtes seines Geliebten nach. Wie ein Spiegelbild seiner selbst wirkte der Engel, die langen blonden Haare zerzaust und durcheinander, der schwere Atem der durch seinen leicht geöffneten Mund drang und die Augen vor Lust verschleiert. Der Dämon neigte sich wieder zu ihm, strich ihm über die Wange und küsste ihn schüchtern, während seine Hände sofort über seine Brust und seinen Bauch fuhren. Er spürte die Berührung und das Kratzen der Hände seines Partners im Nacken, die danach seinen Rücken hinabwanderten, unter sein Hemd fuhren und es ihm schließlich von den Schultern streiften. Sie schmiegten sich aneinander, genossen das Gefühl einander nahe zu sein und vergaßen für eine Augenblick die Begierde in ihren Leibern. Wie im Fieber wand sich Jeremias schließlich unter ihm und drängte sich mit fordernden Bewegungen an seinen Partner, entlockte ihm dadurch ebenfalls ein lautes Aufstöhnen, bevor sich ihre Lippen erneut trafen. Namtars Hand fuhr über den flachen Bauch nun tiefer, stoppte an der geschnürten Hose und machte sich mit geschickten Fingern daran die Schnüre zu lösen, während Jeremias die Augen schloss und sich den Berührungen hingab. Seine Hände krallten sich in die Felle auf der sie sich ausgebreitet hatten und willig hob er seine Hüfte an, um es dem Dämon leichter zu machen ihn zu entkleiden. Nur mühsam gelang es diesem die Schnüre zu lösen und als er endlich die Hose abstreifte und seine Hände über den Po wandern ließ, löste er den Kuss und atmete er zufrieden auf. Flink entkleidete er Jeremias komplett, küsste ihn dann wieder verlangend, bevor er tiefer wanderte und seinen Hals hinab knabberte, die Schlüsselbeine mit den Fingern nachfuhr und sich tiefer schob. Ein Beben ging durch den willigen Körper unter ihm und Jeremias stöhnte kehlig auf, als er die kühle Hand zwischen seinen Beinen spürte, die vorsichtig begann ihn zu streicheln. Stockend räkelte er sich, schloss die Augen und presste die Lippen zusammen, während er die Küsse und Berührungen genoss. Namtar sank tiefer, küsste über den sich hebenden und senkenden Bauch und die Hüften entlang. Seine Hände wanderten nach oben, strichen über seine Brust und begannen die Brustwarzen zu streicheln und zu verwöhnen. Die keuchende Stimme bewies ihm deutlich, dass es seinem Partner gefiel und schließlich überwand er den letzten Abstand und senkte seinen Kopf zwischen Jeremias’ Beine. Laut aufstöhnend bog sich der Engel durch und reckte sich ihm entgegen, schob seine zitternden Hände in die schwarzen Haare, die nun über seinen Körper fluteten und ihn kitzelten und zusätzlich reizten. Bereitwillig öffnete er seine Beine mehr, genoss die zunächst federleichten Berührungen Namtars, der jedoch schon bald gieriger und leidenschaftlicher wurde, mit den Händen das Becken des Engels anhob und begann an ihm zu saugen. Fahrig tastete Jeremias nach einer der Hände, die unaufhörlich über seine Brust strichen, hielt sie fest und umschloss sie sanft. Stöhnend bog er sich durch, spürte ein scharfes Kribbeln durch seinen Körper wandern und bäumte sich leicht auf. Jeremias wusste, dass die fordernden Lippen ihm zwar Lust schenken konnten, doch er wollte Namtar nicht auf diese Art du Weise. Er löste die Hand, die sich in die weichen Felle geklammert hatte und tastete stöhnend nach Namtars Kopf um ihn von sich weg, nach oben zu seinem Gesicht zu ziehen. Mit einem fragenden Blick ließ der Dämon von ihm ab und blickte seinem Geliebten verlangend in die Augen. Die violette Färbung seiner Pupillen war nun vollkommen schwarz und während der Engel ihn zu sich zog um ihn zu küssen, öffnete Namtar zitternd seine eigene Hose, schob sie ein Stück hinab und ließ sich nun zwischen den Beine seines Partners nieder. Ihre Lippen berührten sich erneut und sie begannen einen leidenschaftlichen Kampf auszufechten, als sich Namtar höher schob, Jeremias Beine leicht anhob und schließlich mit einem Aufstöhnen in Jeremias drang.

 

Keuchend und sich gegenseitig wiegend lagen sie Stunden  später auf der Decke. Nur langsam ließen die Schauer nach, die durch ihre Körper wanderten und Minuten später verebbte das Kribbeln, das sie so oft in dieser Nacht beherrscht hatte. Der Wind kühlte ihre erhitzte Haut und erst nachdem Namtar seinen Atem wieder unter Kontrolle hat, zog er sich zurück und legte sich neben den Engel, der bereits dabei war wegzudämmern.

„Was denkst du in dieser Sekunde?“ Die schläfrige Stimme Jeremias’ klang seltsam fremd in seinen Ohren, doch er lächelte nur und strich ihm durch die Haare.

„Ich bin glücklich und habe mich noch nie so befreit gefühlt.“, gab der Dämon die ehrliche Antwort und schmunzelte versonnen, beobachtete die Nacht, die nun langsam dem Tag weichen musste, der sich bereits durch ein blasses grau am Horizont ankündigte. „Ich liebe dich, Jeremias.“ Versonnen löste er seine linke Hand, die bis dahin beständig über die entblößte Haut gestreichelt hatte und betrachtete seine Handinnenfläche. Das verschlungene Symbol, das wie ein Mal in die Haut eingeritzt war, leuchtete in einem starken hellen Rot. Nie zuvor hatte es so geleuchtet, da war Namtar sich sicher. Ein leises Glucksen ließ ihn seinen Blick zu dem Engel richten, der seine rechte Hand hob und sich sein Zeichen betrachtete. Ebenfalls prupurnes Licht schimmerte ihm entgegen und malte seine Wangen noch rosiger, als sie bereits waren. Schließlich streckte er seine Hand Namtar entgegen und lächelte glücklich:

„Ich liebe dich auch, wie du siehst.“ Der zufriedene Ausdruck geriet kurz ins Wanken als er sich bewusst wurde, dass der Tag anbrach. „Namtar, darf ich dich um einen Gefallen bitten?“

„Sicher, wenn es mir möglich ist, erfülle ich ihn dir auch.“ Dem Dämon war nicht entgangen, dass Jeremias ernster und ruhiger geworden war, seine Fröhlichkeit einer gewissen Unruhe und Angst Platz gemacht hatte und als sich dieser aufrichtete, folgten ihm Namtars Augen wie selbstverständlich.

„Ich möchte, dass du mir etwas versprichst.“

 

Ein beständiges Surren ließ Namtar aus seinen Träumen fahren und sich hektisch umsehen. Es war schon spät, er spürte, dass die meisten Wächter die Felder verlassen hatten und er allein zwischen den Bäumen war, die ihm nun zuflüsterten und ihre Geschichten erzählen wollten. Der Dämon fuhr sich stockend durch die Haare und löste nun endgültig den lockeren Zopf, der diese zusammengefasst hatte. Die Strähnen fielen ihm weich über die Schulter und er erfasste eine der Spitzen und der unpassende Gedanke, dass er sie sich wieder schneiden müsste, kam ihm in den Sinn. Müde blinzelnd erinnerte er sich an seinen Traum und atmete hörbar aus. Wie lange hatte er diesen Illusion nicht mehr gehabt? Jahrelang hatte er ihn erfolgreich verdrängen können, doch nun trat er mit geballter Kraft den Rücktritt an, traf ihn wie eine Bombe und verwirrte ihn auf eine Art, wie ihn seid Jahrhunderten nichts mehr irritiert hatte. Solche Träume kamen nie einfach so, alles hatte eine Bedeutung, das wusste er nur zu genau, doch noch war sein Geist zu durcheinander um seine Gedanken zu ordnen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Er räkelte sich etwas, setzte sich bequemer hin und stellte fest, dass der Traum nicht wirklich spurlos an ihm vorbei gegangen war, was ihm auf der einen Seite peinlich war, auf der anderen jedoch fühlte er sich durchaus befreit und in gewisser Hinsicht auch erleichtert.

Er wusste nicht weshalb, doch urplötzlich ruckte sein Kopf nach oben und starrte zu einem der Äste. Seine Augen weiteten sich, halb vor Überraschung, halb vor Entsetzen, als er eines der wenigen Eier gut einen Meter entfernt über ihm schweben sehen konnte. Die dunkle Schattenkugel flimmerte beständig, das Grün flackerte immer stärker auf und sofort wusste Namtar, dass diesem Ei ein Dämon entschlüpfen wollte, es jedoch nicht konnte. Der Ruf fehlte, die Stimme, die einem Neugeborenen den Weg wies und ihm erst den Eintritt in diese Welt ermöglichte. Shalik musste es übersehen haben, obwohl er diesen Gedanken sofort wieder verwarf. Er war sich sicher, dass sie niemals eines der Eier übersehen oder absichtlich zurück gelassen hätte. Aber wie war das dann möglich? Er richtete sich stockend auf und überlegte kurz. Shalik zu holen war unmöglich, es würde zu lange dauern, die junge Frau ausfindig zu machen und hierher zu führen; dennoch konnte er nicht tatenlos zusehen, wie dieses Ei vielleicht zerbrach, weil es dem Druck nicht mehr standhielt. Vorsichtig streckte er seine Hand aus und berührte die nebelige Hülle. Er hatte nie zuvor ein Schattenei berührt, zuviel Respekt hatte er vor den Wächtern und ihrer Arbeit gehabt. Zunächst fühlte es sich weich und irreal an, als würde man eine Wolke berühren doch ohne eine leiseste Vorwarnung durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz. Gepeinigt kniff er die Augen zu und unterdrückte mühsam einen Aufschrei.

Erinnerungen und Gedanken prasselten auf ihn ein und ein wohl bekanntes, verloren geglaubtes Gefühl bäumte sich in ihm auf und drohte ihn innerlich zu reißen. Er riss die Augen auf, starrte auf dieses flackernde blendende Schattenspiel, welches grüne Muster auf seine blassen, eingefallenen Wange zeichnete und schlagartig wurde ihm bewusst, was passierte. Die unerwartete Erkenntnis und das Wissen schlug über ihm zusammen und ohne dass er etwas dagegen tun konnte, fühlte er sich von den Armen der Ohnmacht umfangen und fortgetragen.

 

In einem dämmrigen Licht ragte die Brücke zwischen den Bäumen hervor, die so seltsam und skurril wirkten, dass sie nur vage an die Waldriesen erinnerten, die in der Menschenwelt wuchsen. Jeremias lief mit jedem Schritt langsamer, seine Beine schienen aus Blei zu sein, je näher er der hölzernen, überdachten Brücke kam, die aus hellem Holz geschnitzt zu sein schien. Namtar sah die Brücke anders, nicht hölzern und stabil, sondern wie einen kleinen schmalen Steg aus Eisen, die langen Träger ragten wie knochige Finger in die Luft und verschwanden zwischen den roten Wolken. Dieses heilige Gebilde hatte er bisher nur ein einziges Mal betreten. Er wusste, dass die Brücke jedem anders erschien, sie andere Formen annahm, je nachdem was sich die Besucher vorzustellen vermochten. Ein wackeliger Steg, eine gewaltige steinerne Brücke, Monumente aus Glas und Kristall- die Erzählungen hielten sich in Phantasie und Kreativität nicht zurück und er empfand es beinahe als langweilig und ernüchternd nur einen Steg zu sehen, während andere von glitzernden beeindruckenden Kristallbauten berichteten, Figuren und Gestalten, die sich bewegten und im matten Licht tanzten. Sein Blick fiel auf den Engel, der scheinbar ruhelos neben ihm her ging und sich immer wieder nervös umsah. Namtar selbst war angespannt und bis aufs äußerste gereizt, nur überspielte er dies mit einer vorgetäuschten Ruhe, die ihn kalt erschienen ließ. Die Botschaft die sie vor drei Tagen erhalten hatten, war klar und unmissverständlich gewesen und die gemeinsame Nacht, die sie erlebt hatten schien zugleich auch die Letzte gewesen zu sein. Dem Dämon schnürte es den Hals zu und nur mühsam gelang es ihm die Wut, die in ihm aufflammte herunterzuschlucken. Er wollte Jeremias beschützen, nicht ängstigen und er nahm sich vor, mit ihm zusammen heil aus dieser Sache zu kommen.

Sie erreichten die Brücke als Erste. Unheilvoll wirkte sie in dem Licht und der aufsteigende Nebel ließ sie am Horizont verschwinden, verschluckte das Bauwerk, welches die Menschenwelt mit den höheren Ebenen verband. Nur hier war es möglich, dass sich Dämonen und Engel begegnen könnten, nur hier trafen alle Welten aufeinander, verbunden durch die Brücke, die über die Seelen nach dem Tod entschied. Sie beobachteten das Schauspiel des Nebels eine Weile, der sich gegen das Licht aufbäumte, jedoch immer wieder unterlag und in die Schlucht zurückgedrängt wurde, bis er von neuem Kräfte sammelte, das Licht zu besiegen. Sie standen nah beieinander, hielten sich verkrampft an den Händen fest, als Jeremias murmelte:

„Sie kommen, ich kann das Licht spüren.“

„… und ich die Dunkelheit.“, ergänzte Namtar den Satz und verengte die Augen. Über die Brücke kamen sie mit ruhigen sicheren Schritten. Namtar konnte Yama schon von weitem erkennen- die herrische Gestalt, das stolze Gesicht. Zusammen mit drei weiteren Dämonen schritt er näher, der Blick auf seinen Schützling gerichtet, der diesen mit starren Augen erwiderte. Ein bedauernder Schimmer und ein leichtes Flehen war in den dunklen Augen Yamas auszumachen. Es behagte ihm überhaupt nicht hierher zu kommen, wusste er doch zu gut, warum Namtar den Engel liebte und worin all das enden würde.

Hinter ihnen, tauchten die lichten Wesen des Himmels auf, Engel, die gekommen waren um Jeremias mit sich zu nehmen und ihn von seinen Partner zu trennen. Jeremias wusste zu gut, dass er, sollte ihnen das gelingen, Namtar nie mehr wiedersehen würde. Raphael, sein Lehrer schritt voran, ihm folgten ebenfalls drei Diener und betrachteten Jeremias zweifelnd und voller Missgunst.

Nachdem die Delegationen aus Himmel und Unterwelt den Platz vor der Brücke erreichten, sahen sie sich nur eine Weile schweigend an. Namtar hatte seinen Arm um Jeremias gelegt und konnte sich nicht recht entscheiden, ob er nun den Engeln oder Yama einen vernichtenden Blick schenken sollte. Er sah zornig vor sich hin und seine violetten Augen glommen nun fast purpurfarben auf.

Yama warf Raphael einen kurz Blick zu, der dem Dämon kaum merklich zunickte. Scheinbar kannten sich die beiden und schließlich durchbrach Yama als erster die Stille:

„Ich bitte euch beide uns zu begleiten. Es gibt keinen Grund sich zu bekämpfen, wie sind nur hier, um euch unversehrt in eure Welten zurückzubringen.“ Er betrachtete das Paar, welches sich fast verzweifelt aneinander klammerte und sich nicht bewegte. Er wusste, dass es dazu kommen würde, kannte seinen Schüler zu gut und er verdrängte eine traurige Erinnerung, die dieser Situation so ähnlich war. Wie viel Seelenverwandte hatte er schon trennen müssen? Kein früherer Seelenverwandte hatte es alleine ausgehalten und tötete sich kurz nachdem Yama sie zurückgeholt hatte, um wiedergeboren zu werden. Seine Angst, dass sich Namtar etwas antun könnte, wuchs ins Unermessliche. Die Ereignisse wiederholten sich wie ein Möbiusband, er hatte fast das Gefühl eine junge Dämonin und ihre Seelenpartnerin zu sehen, die vor mehreren Jahrhunderten in dergleichen Situation waren. Er verfluchte das Schicksal, welches diese beiden Seelen miteinander verband, einem stillen Zwang sich stets ineinander zu verlieben, obgleich es eines der höchsten Verbote war. Sein musternder Blick fiel auf den Engel, dessen blonde Haare nun rötlich schimmerten und wie Gold in dem blassen Licht wirkten. Er war Namtar wie aus dem Gesicht geschnitten, glich einem lichten Spiegelbild seines Schülers.

„Was, wenn wir uns weigern mitzugehen?“, erklang nun Namtars gereizte Stimme. Yama erkannte auf einen Blick, wie angespannt dieser war, seine Gestik glich einer lauernden Katze die zum Sprung ansetze. Er schien auf alles gefasst zu sein, bereit zu kämpfen.

„Du weißt, dass wir euch dann gewaltsam trennen müssen, Namtar.“, sprach Yama die Worte aus und versuchte soviel Kälte und Härte in seine Stimme zu bringen wie ihm möglich war. Wenn er doch wenigstens freiwillig mitkäme. Doch Namtar schüttelte, wie nicht anders zu erwarten, den Kopf.

„Nein, ich werde bei ihm bleiben, keiner trennt uns.“

„Jeremias, komm freiwillig her. Du weißt was für Strafen darauf stehen mit einem Dämon zusammen zu sein. Ihr könnt nicht beieinander bleiben, das sollte dir klar sein.“ Raphael mischte sich nun in das Gespräch ein, ohne auf Yama zu achten. Er hatte auch einen Schüler und Jeremias war sein Problem. Der großgewachsene Engel hatte rotblonde glatte Haare, die in mehreren Schlaufen zusammengefasst und nach oben gesteckt waren. Er trug aufwendige Kleidung, bestickt mit Mustern und Symbolen und trug Schmuck, den Jeremias nie an ihm gesehen hatte. Raphael hielt nicht viel von auffälliger, protziger Kleidung, doch dieses Mal schien er sich zurecht gemacht zu haben, als gleiche das Zurückbringen eines störrischen Engels einer Prozession.

„Nein.“ Jeremias schüttelte den Kopf. „Es tut mir Leid, Meister, aber ich kann nicht mehr zurück in den Himmel.“ Er senkte betreten den Kopf und schloss die Augen. „Ich möchte bei Namtar bleiben.“ Wie zur Untermauerung seines letzten Satzes drehte er den verdutzten Namtar zu sich und drückte ihm einen feurigen Kuss auf, welcher sofort erwidert wurde. Der Dämon, der gerade dabei gewesen war Yama zu erklären, dass Jeremias seine ewige Liebe sein würde, stoppte abrupt seine Ausführungen und schloss die Augen. Er genoss es Jeremias zu küssen und für wenige Sekunden vergaßen sie ihre Probleme und Sorgen und sahen nur noch sich. Ein Seufzen, gefolgt von einem angewiderten Schnauben holte sie zurück in die Wirklichkeit. Yama sah die beiden mit einem seltsam befremdlichen Blick an, während Raphael verzweifelt den Kopf schüttelte.

„So wird das nichts.“, murmelte der Anführer der Engel und er schloss die Augen. Er dachte über eine andere Lösung nach, sinnierte vor sich hin und in diesen wenigen Sekunden passierte alles auf einmal. Noch bevor Raphael die nächsten Worte im Kopf geordnet hatte, sprang ein junger Engel mit funkelnden Augen hinter Raphael hervor und betrachtete die beiden voller Abscheu.

„Wenn du nicht wärst!“, schrie er wie von Sinnen und noch bevor Raphael ihn daran hindern oder Namtar reagieren konnte, erhellte ein grelles Licht die Wiese. Namtar schloss gepeinigt die Augen und wandte den Kopf ab, als ein hämmernder, betäubender Schmerz durch seinen Kopf zuckte und ihn in seinen Bewegungen lähmte. Der Dämon war ein solches blendendes weißes Licht nicht gewohnt, allein der Funken konnte ihn fast besinnungslos machen. So sah er weder den magischen Lichtblitz, noch spürte er die Gefahr die auf ihn zuraste. Vollkommen desorientiert, spürte er nur plötzlich einen groben, rauen Schlag in seiner rechten Seite und taumelnd verlor er das Gleichgewicht, stürzte zu Boden und wenige Sekunden später explodierte ein brennender Schmerz in seinen Eingeweiden. Keuchend und mit zusammengekniffenen Augen konzentrierte und sammelte er sich und öffnete er dann seine Augen, als das Licht verschwunden war. Mit einem entsetzen Aufstöhnen bemerkte er die Wunde an seinem Unterleib, spürte das schwarze Blut über seine Beine fließen und in dem braunen Boden versickern. Suchend sah er sich nach seinem Partner um und als er ihn schließlich etwas weiter entfernt auf dem Boden liegen sah, machte sein Herz einen entsetzen Sprung. Seine Gedanken wirbelten durcheinander und ließen ein taubes Gefühl in ihm zurück. Er wollte schreien, doch als er die trockenen Lippen öffnete, drang nur ein Krächzen hervor, was schnell erstarb. Namtar richtete sich halb auf und ging schwankend auf Jeremias zu. Sein Magen schmerzte und er hinterließ eine breite Blutspur, als er sich neben Jeremias kniete und ihn in die Arme nahm. Die klaffende Wunde, aus der unaufhörlich das silbrige Blut des Engels floss, war identisch mit seiner eigenen. Tränen stiegen in Namtars Augen, benetzten seine bleichen Wangen, als ein Zittern durch den Körper fuhr und er ein Aufschluchzen nicht unterdrücken konnte.

„JEREMIAS!“ Der Schrei hallte laut über die Ebene, trug den Namen des Engels weit fort und keuchend schnappte Namtar nach Luft. Angst und Panik machten sich in ihm breit. „Warum hast du mich weggestoßen, du Idiot!“, brachte er über die bebenden Lippen und presste sie wieder aufeinander.

„Du wärst...“, begann sich nun Jeremias zu regen, „… sonst sofort… gestorben. Das Licht hätte dich… getötet.“

Starr, mit entsetzt geweiteten Augen blickte er zu dem Engel in seinen Armen, der merklich schwächer wurde. Nahezu parallel spürte er seine eigene Kraft aus ihm hinausströmen, doch es störte ihn nicht. Wenn das sein Schicksal war, dann würde er zusammen mit dem Engel sterben, dachte Namtar und schloss müde die Augen. Nur fern nahm er den Disput zwischen Raphael und Hamiel wahr, der diesen Lichtzauber heraufbeschworen und ihn gegen Namtar gewirkt hatte. Es interessierte ihn nicht, er wollte weder Yama bei sich haben, noch Gerechtigkeit für den feigen magischen Angriff eines Engels. Er wollte einzig und allein bei seinem Partner bleiben, gleich wenn sie beide sterben würden.

Doch der Engel regte sich plötzlich wieder, hob eine Hand und strich Namtar durch die schwarzen Haare.

Du hast mir… ein Versprechen gegeben.“, begann er stockend. Hustend und nach Luft ringend sah er seinen Partner eindringlich an und Namtar erwiderte mit einer Mischung aus Entsetzen und Panik den flehenden Blick Jeremias’.

„Das kannst du nicht ernst meinen.“, begann er leise und schüttelte den Kopf. „Bitte, tu mir das nicht an, verlange nicht von mir, das zu tun.“ Ein Flehen lag in der zittrigen Stimme und die Augen suchten scheu nach den blauen seines Partners, doch er las nur die stumme Bitte in diesen…

 

Mit brennenden Augen und einem schmerzenden Herzen, das schwer und unregelmäßig schlug, erwachte Namtar und tastete benommen nach seinen Schläfen. Der Kopf tat ihm und er fühlte sich schlapp und müde, als er sich leicht aufrichtete. Seine Hände glitten durch seine Haare, bevor er überrascht in seinen Bewegungen stockte und an sich herabblickte. Hatte er bisher stets dafür gesorgt, dass die Strähnen nicht länger als bis zur Schulter ragten, flossen sie nun bis weit über seinen Rücken herab und hatten sich mit den Wurzeln und Ästen der Bäume verwoben. Schlagartig spürte er die vertraute Macht in sich aufleuchten, die er jedes Mal verloren hatte, als er sich die Haare schnitt. Sie war zurückgekehrt und Namtar brauchte eine Weile um die Realität von seinem Traum zu unterscheiden. Er fuhr sich über das Gesicht und versuchte die Tränen fortzuwischen, die jedoch augenblicklich zurückkehrten und obwohl er versuchte es zu unterdrücken, brach ein Schluchzen aus ihm heraus. Wie lange hatte er nicht mehr davon geträumt oder gar deswegen geweint? Weit und tief in die hinterste Kammer seiner Seele hatte er diesen Tag verbannt und versuchte vergeblich das zu vergessen, was ihn damals nahezu gänzlich zerbrochen hatte. Die klare Stimme Jeremias rauschte durch seinen Kopf, er war unfähig sie abzustellen oder zu ignorieren.

„Du hast mir ein Versprechen gegeben.“

Natürlich hatte er sich an dieses Versprechen gehalten, hatte den letzten Wunsch seines Partners erfüllt und war am Leben geblieben, während Jeremias in seinen Armen starb. Er hob die Hand, befreite sie von dem schwarzen Handschuh und betrachtete das schwarze blasse Symbol auf seiner Innenfläche. Es war damals erloschen, und er hatte es versteckt, hatte sich geweitert sich es anzusehen, doch nun, da er sich an diesen Tag erinnerte, überwand er seine Angst und begutachtete den feinen Schwung des Zeichens. Das letzte Mal, als er es betrachtet hatte, war es von einem roten Lichtschein umgeben. Er erinnerte sich daran, wie er das Blut seines Partners trank, um den Fluch von sich zu nehmen, seine Seele von der Verwandtschaft des Engels zu befreien und somit zu überleben. Bis dahin teilten sie alles, Schmerz, Leid, Glück und Freude, doch mit einem Mal war das alles verschwunden. Er hatte einen Teil seiner selbst damals verloren, als er dem Wunsch Jeremias’ folgte und sich entgültig von seinem Partner lossagte, während der Engel ihn mit seinen letzten Kräften heilte. Namtar erinnerte sich an die letzten Worte, die ihm versicherten, dass der Engel wiederkehren, ihn suchen und finden würde und nahm Namtar das Versprechen ab, ewig zu warten. Doch der Dämon spürte dass seine Kräfte und seine Geduld zur Neige gingen, wusste, dass es keine Hoffnung mehr gab unter all den Seelen, die es in den Welten gab, Jeremias wieder zu finden. Er konnte als Mensch geboren worden oder vielleicht als Engel in den Himmel gekommen sein. Vielleicht hatte er die Unterwelt weit entfernt dieser Felder über die Brücke betreten und schlüpfte nicht aus einem der Eier, gab es schließlich zwei Wege um ein Dämon zu werden. Doch Namtar hatte sich, seinem Instinkt folgend, nur hier aufgehalten, als hätten ihm die Bäume zugeflüstert, dass Jeremias hier geboren werden und nicht über die Brücke kommen würde. Namtar wusste unterdessen nicht einmal mehr genau, warum er so verzweifelt an diesen Bäumen hing, sich ein jedes Mal wünschte, dass Jeremias schlüpfte, sobald die Zeit der Geburt da war. Doch die Jahre vergingen und in all dieser Zeit war er nie aufgetaucht. Vielleicht hatte Namtar ihn nicht erkannt, hat vergessen, welche Aura diese Seele umgab und jedes Mal schalt er sich einen Dummkopf, wenn er daran dachte. Doch die Zweifel blieben, zehrten an seinen Kräften und er hatte das Gefühl nun, da die Erinnerungen stärker zurückkamen, als die letzten Male, unter der unbändigen Last seines Gewissens zusammenzubrechen.

Er wollte sich abwenden, sich in dem Wurzelwerk verkriechen und einfach nur sich selbst überlassen bleiben, als ihn ein warmes, bekanntes Gefühl durchflutete und er mit tränenverschleierten Augen aufblickte. Das Ei, welches er vollkommen verdrängt und vergessen hatte, schwebte direkt vor ihm in der klaren Luft. Es war nun fast gänzlich grün und in kurzen Abständen flackerte es schwarz auf. Namtar erkannte, dass es schon fast zu spät war, der ungeborene Dämon sterben würde, wenn er nichts tat und noch bevor er darüber nachdachte, begann er seine linke Hand auszustrecken und seine nun nackten Finger strichen sanft über die Hülle, die nun fast materialisiert war. Er spürte das leichte Pulsieren, einen warmen sanften Druck und das Ei ließ sich auf seiner Hand nieder. Das behagliche Gefühl kehrte augenblicklich zurück und ihn durchzuckte die Erkenntnis erneut wie ein Blick. Konnte das wirklich die Seele sein, auf die er so lange gewartete hatte? Eine Weile starrte er die Kugel  an, schloss die Augen und flüsterte leise, ermutigende Worte, konnte sich allerdings selbst nicht beruhigen und mit jedem Pulsieren und Aufflackern, festigte sich seine Vermutung und er war sich sicher ihn endlich wiedergefunden zu haben.

„Jeremias.“, wisperte er dem Ei entgegen und schloss seine Arme um die Schattenkugel, wiegte es und die langen Haare umschlossen die zerbrechliche Hülle, wie einen Mantel. „Hörst du mich?“ Das Pulsieren und stärker werdende Leuchten war ihm Antwort genug. „Ich habe immer auf dich gewartet und ich hoffe mein Ruf wird ausreichen, um dich Schlüpfen zu lassen.“ Er strich liebevoll die Form nach, ertastete die unebene Fläche, die mit Rissen überzogen war und begann dann leise zu singen, formulierte die Worte, die notwendig waren, um einen Dämonen zu rufen. Seine Aufgabe war es nie gewesen das Lied zu singen, um einem ungeborenen Dämonen den Weg zu weisen, doch er hatte einmal beobachten können, wie die Wächter sie weitergaben und hatte sogar die Lieder über die Felder klingen gehört, als die Dämonen aus den Eiern gerufen wurden. Er prägte sich damals die Worte ein und vergaß sie nie wieder, und in dieser Sekunde war dankbar dafür, sie gehört und nicht vergessen zu haben. Obgleich seine Stimme heiser und rau war, sang er etwas unbeholfen und unkonzentriert das Lied. Er versprach sich teilweise und seine Stimme geriet ins Stolpern da er zu nervös und ungeduldig war.

Zunächst tat sich gar nichts, das Ei pulsierte nur weiter, flatterte aufgeregt wie ein kleiner Vogel in seinen Armen und leuchtete in einer dunklen grünen Farbe. Doch Namtar gab nicht auf, wiederholte die Lieder, sang sie immer lauter und klarer und legte all sein Gefühl und seine Macht in die einzelnen Worte, die nun wie Beschwörungen klangen. Er war dankbar darum, dass seine Magie zurückgekehrt war, dass seine Haare wieder gewachsen waren und er dadurch in der Lage war, nicht nur zu singen, sondern auch die Energie aufzubringen, die er benötigte, um die Worte nicht nur wiederzugeben, sondern sie zu einem Zauberbann umwandeln zu können. Seine Stimme erklang fast eine Stunde und er drängte seinen Selbstzweifel und seine Unruhe immer wieder zurück, wollte nicht aufgeben, auch als seine Stimme immer schwächer wurde. Zu lange hatte er gewartet, um nun an dieser kleinen Hürde zu scheitern und er wollte unter keinen Umständen Jeremias wieder verlieren. Sein innigster Wunsch wurde lauter und schließlich, als er fast keine Stimme mehr hatte, leuchtete das Ei dumpf auf und Namtar spürte, wie die Schale zerbrach und sich mit einem dumpfen Zischen auflöste. Der schwarzer Rauch  umhüllte den Dämon sofort und ließ ihn gepeinigt aufhusten. Er kniff die Augen zusammen, wandte sich ab und wurde von einem plötzlichen Gewicht tief in die Mulde zwischen die Wurzeln gedrückt. Seine Arme umschlangen automatisch einen fremden Körper, zogen ihn zu sich und spürte dabei kalten Knochen, die aus den Schulterblättern des neugeborenen Dämons gewachsen waren. Er keuchte kurz auf, während er den Rauch wegfächelte, dann sah er in seinen Armen einen nackten jungen Mann liegen. Die langen lockigen rotschwarzen Haare fielen chaotisch über seine Schultern und die Wurzeln der Schattenbäume, der schmale Rücken hob und senkte sich regelmäßig und die schwarzen Knochen seiner Flügel schimmerten wie Obsidian, waren von der Basis bis in die Spitze nahezu fünf Meter lang. Das dunkle Licht, was die Flügel komplettierte und nutzbar machte, fehlte jedoch. Vorsichtig drehte Namtar das Gesicht zu sich, bettete ihn sicherer in seinen Armen, nur um dann eine Hand zu lösen und die wirren Locken aus der Stirn des Mannes zu streichen. Lange betrachtete er die zierlichen, kindlichen Züge des Dämons, die kleine niedliche Nase, die langen Wimpern, die Schatten auf die Wangen warfen, die hohe Stirn und das kurze Kinn. Der Körper war elfengleich gebaut, schmal und zerbrechlich und in einer hektischen Umarmung presste Namtar den Jungen an sich und ließ seine Stirn auf die Brust des Dämons sinken. Heiße Tränen strömten über seine Wangen, doch dieses Mal war es kein Schmerz, der Besitz von ihm ergriff, sondern ein Glücksgefühl, was er nicht beschreiben konnte. Sein Herz schlug schnell und schmerzhaft in seiner Brust, während er den entblößten Körper wiegte.

Als sich der Junge zu regen begann, hob Namtar den Kopf und blickte in dieselben blauen Augen, die ihn vor Jahrhunderten angesehen hatten. Er war sich nicht sicher, ob ihn der Junge erkannte, doch in den blauen Augen funkelte kurz etwas auf und eine Ruhe und ein Wissen strahlten ihm entgegen, das Namtar verzauberte und berührte.

„Du bist es…“, murmelte er heiser und strich dem Dämon durch die Haare. „Du hast dein Versprechen gehalten.“ Unfähig sein Glück anders auszudrücken beugte sich Namtar über den Jungen und küsste ihn zunächst federleicht, dann jedoch vertiefte er den Kuss und sein Zunge tastete sich weiter zwischen die Lippen des anderen hindurch. Überrascht und verwirrt zugleich erwiderte dieser die zärtliche Berührung und kuschelte sich gegen den Fremden, den er noch nicht genau einordnen konnte. Er hatte das Gefühl eine Ewigkeit geschlafen zu haben und nur langsam klärte sich der Nebel seines Verstandes und gab die Erinnerungen preis, die in ihm verschlossen war.

„Wer bist du?“, wurde Namtar gefragt und die Stimme wirkte scheu, zerbrechlich wie eine Seifenblase, unsicher und rein, da sie noch nie benutzt worden war. Sie war bei weitem nicht die Stimme, die er gekannt hatte, doch der Dämon lächelte nur, antwortete zunächst nicht auf die Fragen, weder die gestellten, noch die unausgesprochenen. „Wo bin ich?“

„Ich bin Namtar und du bist bei mir auf den Feldern der Schattenbäume, aus deren Eiern du soeben geschlüpft bist.“, sagte Namtar ruhig. Sicher er war froh die geliebte Seele wiedergefunden zu haben, dennoch musste er zugeben, dass er nicht genau wusste, was er mit einem neugeborenen Dämon machen sollte. Er hatte bisher nie Einblicke dahingehend erhalten, was mit den frisch geschlüpften Wesen passierte.

„Namtar.“, murmelte der Junge leise und schloss erschöpft die Augen. „Du kommst mir vertraut vor.“ Müdigkeit stieg erneut in ihm auf und er konnte sich nicht erklären, weshalb er sich schon wieder die Dunkelheit seiner Träume suchte, hatte er doch bis vor wenigen Minuten geschlafen und war gerade erst zu sich gekommen.

„Was mache ich denn jetzt mit dir?“ Namtar wirkte ratlos, als er den jungen Mann schützend mit seinen Armen umschlang und sich umsah.

„Gib ihm einen Namen.“, erklang eine Stimme von unten zu ihm empor, die er sofort Shalik zuordnete. Er blickte überrascht zum Fuß des Baumes und sah sie dort schwer atmend, an einer Wurzel gelehnt, stehen. Sie trug Decken und Kleidung mit sich, hatte sich scheinbar auch um Wasser gekümmert und maß ihn nun mit starren, ernsten Blicken. „Ein seltsames Gefühl hat mich hierher zurück getrieben und scheinbar habe ich mich nicht geirrt. Wie konnte das nur passieren?“ Sie begann mit dem Aufstieg und kletterte geschickt wie eine Katze an den Wurzeln entlang, bis sie neben ihm kniete und den jungen Dämon in Namtars Armen betrachtete. „Ich habe alle reifen Eier heute gepflückt und sie fortgebracht, damit sie schlüpfen können. Ich habe noch nie eines vergessen.“

„Vielleicht wollte er nicht von dir fortgebracht werden.“, wisperte Namtar, der bemerkte, dass der Dämon eingeschlafen war und sich seine Brust in ruhigen Atemzügen hob und senkte. Sie sah ihn mit funkelnden Augen an und wirkte gereizt, als sie das Gesicht verzog und eine Decke über den schlafenden Körper ausbreitete.

„Bringen wir ihn erst mal nach unten. Ich schaue mir dann seine Flügel an und du musst ihm einen Namen geben, da du ihn gerufen hast.“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf und musterte erneut Namtar. „Was eigentlich vollkommen unmöglich ist.“ Für sie erschien es unglaublich, dass dieser Dämon das Lied gesungen hatte, um einen Neugeborenen den Weg zu weisen und ihn zu sich zu holen. Das war bisher nie passiert, dessen war sich Shalik sicher. Elegant und mit einem Satz sprang sie von den hohen Wurzeln, dreht sich halb und landete federnd auf dem weichen Boden. „Reich ihn mir, und dann komm’ da runter.“

Namtar tat wie ihm befohlen, ließ den leichten Körper nach unten gleiten, wo er sofort von Shalik in Empfang genommen und auf dem warmen Boden gebettet wurde. Dann stieg er selbst hinab, nachdem er seine Haare von den Zweigen und Wurzeln gelöst hatte.

„Was ist mit deinen Haaren passiert? Hattest du mir nicht gesagt, du wolltest sie dir nie wieder wachsen lassen?“ Namtar zuckte mit den Schultern und seufzte leise, als er sich zu dem Jungen hinabbeugte.

„Ich weiß es nicht, sie sind auf einmal von selbst so lang geworden, während ich geschlafen habe.“

„Das war gut so, sonst hättest du den Dämon nicht aus seinem Ei rufen können. Wie soll er denn jetzt heißen?“ Shalik begann die Flügel auseinander zu falten und strich die kühlen schwarzen Knochen entlang, untersuchte sie geflissentlich auf Verletzungen oder Brüche, stellte jedoch zufrieden fest, dass alles in Ordnung war. „Schöne, starke Flügel.“, murmelte sie sich selbst zu und tastete nun auch die Flügelbasis an der Schulter ab.

„Jeremias.“

Sie unterbrach ihre Untersuchung und sah Namtar an, der ihren Blick fest erwiderte. Für wenige Augenblicke wusste sie nicht, was sie daraufhin entgegnen sollte.

„Das geht nicht, du kannst ihm nicht einen solchen Namen geben.“

„Wieso?“, fragte Namtar und schien fest entschlossen, nicht von seinem Entschluss zu weichen.

„Das ist ein Name für einen Engel, aber nicht für einen Dämon.“ Namtar wurde von ihr einer scharfen Musterung unterzogen. „Das erinnert mich an diese Geschichte, die du mir erzählt hast als du betrunken warst.“ Shalik erinnerte sich zu gut daran, da ihr Namtar an diesem tag zum ersten und letzten Mal erzählte wer er war und was er hier tat. Ihre Augen weiteten sich überrascht und ein Hauch Erkenntnis malte sich in ihren Blick. „Das ist doch nicht etwa...“ Sie stockte, sah zu dem Dämon herab, der nun in einen tiefen, ruhigen, traumlosen Schlaf gefallen war und richtete ihren Blick dann wieder auf Namtar.

„Doch, ich weiß es, ich spüre es. Nach so vielen Jahrhunderten ist er zu mir zurückgekehrt und zwar nur zu mir.“, begann er, lächelte versonnen und glücklich, während sein Blick weicher und wärmer wurde. „Er ist auf meinen Ruf hin geschlüpft.“

„Das kann doch nicht sein. Das ist absolut unmöglich.“ Sie schlug die Decke weiter zurück und besah sich den zierlichen Körper, der nahezu unversehrt war. Mit einem erstickten Keuchen hielt sie inne hob die zierliche schmale Hand hoch, betrachtete sich die Innenfläche genauer, schluckte schwer und drehte sie Namtar zu. Der neigte sich zu ihr und entdeckte eine Narbe, die dem Zeichen nicht unähnlich war, das Seelenverwandte trugen. Namtar unterdrückte den Drang es mit dem seinem eigenen zu vergleichen. „Er trägt das Zeichen eines Seelenverwandten.“, stellte Shalik zitternd fest und ließ die Hand des jungen Mannes sinken. „Aber kein Seelenverwandter schlüpft aus Eiern, sie kommen alle über die Brücke als Menschenseelen zu uns.“

„Er ist auch kein Seelenverwandter. Vor vielen Jahrhunderten ist er einer gewesen, in seinem früheren Leben und diese Narbe ist mir Beweis genug dafür, dass ich Jeremias wiedergefunden habe.“ Namtars Gesicht zierte nun ein breites Grinsen und er lachte sogar kurz krächzend auf, ehe er hustend darauf verzichtete sich weiter darüber zu amüsieren. „Das Zeichen ist auf seiner rechten Hand.“ Nun umfasste er die Hand und strich über die Narbe auf der Innenfläche. „Nur Engel tragen das Symbol auf der rechten Seite, bei uns Dämonen ist es immer auf der linken Handinnenfläche zu finden.“ Wie zum Beweis hielt er ihr die seine hin und ließ Shalik das Zeichen, was er bisher unter einem Handschuh verborgen hatte betrachten.

Schweigend und verunsichert starrte sie das blasse Symbol an und nickte schließlich. „Sein Name wird Jeremias sein, egal ob es der eines Engels ist oder nicht. Es ist ein guter und starker Name, der ihn beschützen wird und vielleicht erinnert er sich irgendwann einmal an mich.“ Er schien einen Entschluss gefasst zu haben, da er den Dämon plötzlich wieder bedeckte, seine Flügel zusammen klappte und ihn schließlich hochhob.

„Wo willst du mit ihm hin?“

„Zu Yama, ich brauche seinen Rat, was ich jetzt tun soll.“ Er pfiff kurz, lauschte dann und nahm schließlich die vertrauten stapfenden Geräusche von Kuja wahr, der irgendwo in der Nähe gewesen sein musste.

„Du kannst unmöglich einen Neugeborenen mitnehmen, das kann ich nicht erlauben.“ Shalik wirkte mit einem mal hysterisch und verunsichert. Ihre Augen glitten nervös und panisch über die Gestalt Namtars und die des schlafenden Jungen. „Das wird böse Folgen für dich haben. Bringen wir ihn lieber zum Rat und...“

„Und was tun sie dann mit ihm? Ich will ihn nicht noch einmal verlieren!“ Gereizt senkte er die Stimme und fuhr dann leiser und ruhiger fort. „Nein, ich lasse ihn nicht noch einmal gehen, dafür habe ich zu viele Jahrhunderte hier auf ihn gewartet, geglaubt dass er sein Versprechen hält und er ist wirklich wieder zu mir zurück gekommen.“

„Aber, das kann ich doch unmöglich zulassen.“, wimmerte sie nun und schlug die Augen nieder. Angst kroch in ihr auf und sie suchte fieberhaft nach anderen Argumenten, um Namtar von seiner Entscheidung abzubringen.

„Bitte, lass mich gehen oder begleite mich. Yama wird etwas einfallen, ein Schlupfloch in den Gesetzen finden, um mein Handeln zu legalisieren. Er wird mich nicht zurückweisen, wo ich zum ersten Mal freiwillig zu ihm zurückkehren werde.“ Shalik konnte mit dem letzten Satz nichts anfangen, verstand nicht, was Namtar meinte, doch schließlich nickte sie.

„Du liebst ihn, nicht war?“ Die Frau wusste die Antwort bereits, als sie in das Gesicht des Dämonen blickte und nickte dann leicht. „Dann geh zu deinem Meister. Ich kann dieses Feld nicht verlassen und werde hier bleiben.“ Sie wandte sich ab und trat einige Schritte zu dem Baum zurück, legte ihre Hände an die Wurzeln und strich zärtlich über diese. Namtar musterte sie verdutzt und für einige Sekunden fehlten ihm die Worte. Stumm betrachtete er ihren Rücken und schrak zusammen, als sie ihn schließlich anfuhr: „Nun verschwinde endlich, du Narr! Je länger du zögerst umso schwerer wird es für dich zum Cylohin zu gelangen.“

„Aber was ist mit dir?“

„Was soll schon sein?“ Ihre ruhige Ausstrahlung, ängstigte Namtar ein wenig und er war sich nicht sicher, ob es klug war, sie zurück zu lassen. Was wenn ihr etwas passierte, nachdem er einen Dämonen entführt hatte und sie ihn freiwillig ziehen ließ. Kuja taucht neben ihm auf, grunzte leise und stupste ihn mit seiner gigantischen Schnauze an, doch Namtar reagierte nicht, legte nur mechanisch Jeremias auf den Rücken des Tiruks und trat dann zu Shalik, die merklich erbebte, als sie die leisen Schritte hörte.

„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst verschwinden?“, fauchte sie ihn an, drehte sich entschlossen um und wollte gerade etwas sagen, als sie keuchend inne hielt und zurückwich. Namtar hatte sich hinter ihr aufgebaut, den Arm ausgestreckt und nur zu deutlich nahm sie die Magie war, die er formulierte, erkannte den Zauber, der sich in seiner Hand konzentrierte und die Gestalt eines schwarzen nebeligen Vogels annahm. Kurz mit den Flügeln schlagend, richtete sich das Schattentier auf, blieb allerdings auf seiner Hand sitzen.

„Tut mir leid, Shalik.“, murmelte er leise und schleuderte dann den Zauber mit einer raschen Bewegung direkt auf sie. Taumelnd wollte sie ausweichen, dem plötzlichem und unerwartetem Angriff entgehen, doch ihre Beine waren nicht schnell genug und noch während sie zur Seite hechten wollte, traf sie der Vogel frontal und drang in ihren Körper. Schwarze Blitze zuckten auf und mit einem spitzen Aufschrei brach sie zusammen und fiel zu Boden. Schnell, um sich zu vergewissern, dass sie noch lebte, trat er zu ihr, berührte sie jedoch nicht und lauschte angestrengt. Als er den ersten leise Atemzug wahrnahm, fiel die Anspannung von ihm ab und Erleichterung machte sich breit. Er wusste, dass er sie nicht ernstlich verletzt hatte, doch so konnte wohl niemand behaupten, sie hätte ihn ohne Wiederstand gehen lassen. Mit einer ruppigen Bewegung wandte er sich ab, trat zu Kuja und saß hinter dem Jungen auf. Sofort erhob sich der Tiruk auf seine Hinterbeine, schien auf einen Befehl seitens Namtars zu warten, der sich sofort zu den kleinen Ohren beugte und flüsterte: „Tak.“ Kuja ritt sofort los und nach einem weiteren Wort begann er schneller zu werden und glitt wie ein Schatten zwischen den Bäumen hindurch. Er wusste wohin er gehen musste, kannte den Weg, den sein Reiter einschlagen würde und Namtar hatte nun Zeit sich ein wenig um Jeremias zu kümmern. Die Flügel waren störend, doch er ignorierte die Stiche, die diese zerbrechlichen Knochen auf seine Beine ausübten. Er ritt einfach weiter, schenkte der vorbeiziehenden Landschaft keine Beachtung, sondern war darauf konzentriert, festzustellen ob es Verfolger gab. Shaliks Schrei würde nicht ungehört verhallt sein, eine innere Stimme sagte ihm, dass sein Angriff nicht unbemerkt bleiben würde und er so schnell wie möglich zum Dimensionstor gelangen musste, wenn er unversehrt zu Yama gelangen wollte.

Zum ersten Mal seit Jahren schien das Glück auf seiner Seite zu sein. Er hörte zwar die Wächter, nahm auch den hämmernden Alarm war und die panischen Rufe, die aus weiter Entfernung zwischen den Schattenbäumen zu ihm drangen, doch er erreichte ohne Probleme den Cylohin, stoppte den Tiruk erst in der Mitte und konzentrierte sich sofort auf die Reise zu Yamas Schloss. Er unterließ es die Zeichen zu prüfen und ob der Kreis intakt war, rief sich nur den Raum Yamas in Erinnerung, hielt an dem Bild, welches sich in seinem Kopf manifestiert hatte, fest und sogleich stoben die schwarzen Nebel auf, umschlossen sie und rissen sie mit sich. Ein heftiger Ruck lief durch seinen Körper und er presste den schlafenden Jeremias fester an sich, ignorierte die beißenden Stiche der Flügel und landete schließlich hart auf dem Boden, als er von Kuja stürzte. Er hatte vielleicht doch etwas zu überstürzt den Transport vorgenommen, stellte er benommen fest, als er sich auf dem schwarzen Marmorboden räkelte und schließlich aufstand. Er sah sich um, überblickte den großen Saal, die riesigen Fenster, die zum Balkon hinausführten und die Gestalt, die sich mit schnellen weit ausladenden Schritten auf sie zu bewegte.“

„Namtar!“ Yamas Stimme war schneidend und Zorn drang an Namtars Ohren, der sich kurz zu Jeremias blickte, welcher auf dem Boden lag und schließlich seinem Meister entgegen sah. „Was machst du hier und dann noch in diesem Aufzug. Du hättest dich ernsthaft verletzen können mit deinem, wohl sehr überstürzten, Teleport.“ Er blieb direkt vor ihm stehen, doch wirkte nicht so wütend, wie es Namtar angenommen hatte, vielmehr hatte sich Sorge in die Augen Yamas geschlichen. Mit Absicht ignorierte er den Dämon, der mit weit ausgebreiteten Flügeln vor seinen Füßen lag und musterte Namtar eindringlich. Er seufzte, rieb sich die Schläfen und schüttelte leicht den Kopf.

„Ich brauche eure Hilfe.“

„Du wirst dich sofort auf dein Zimmer begeben und dort bleiben.“, herrschte ihn der großgewachsene Mann an, als spreche er mit einem ungezogenen Kind. Er machte eine fahrige Handbewegung und deutete auf den Tiruk. „Und bring den hinunter in den Stall, ein Tier in meinem Empfangssaal.“ Ein Schnauben war zu hören und Namtar wusste nicht, ob es von Yama oder Kuja stammte.

„Aber, was wird mit...“, begann Namtar eingeschüchtert und Wut kroch in ihm hoch.

„Ich sehe niemanden.“, schnitt ihm Yama das Wort ab und wandte seinem Schüler den Rücken zu. „Ich habe weder gesehen, dass du jemanden mitgebracht hast, noch kann ich etwas dazu sagen.“ Er atmete hörbar aus und murmelte etwas vor sich hin, was sich wie ‚dummer Junge’ anhörte. „Du bist allein hergekommen und zwar auf meinen ausdrücklichen Befehl hin, da du eine wichtige Angelegenheit mit mir zu klären hast.“, fuhr Yama fort und trat zum Fenster zurück. „Ich habe dich gerufen, weil es da noch etwas wegen deiner Aufgabe zu klären gibt, in die ich dich morgen unterweisen werde.“

„Aufgabe?“ Namtar war sichtlich überrascht doch langsam verstand er was Yama sagen wollte und erkannte, dass sein alter Meister ihm half und ihm nicht in den Rücken fiel.

„Du wirst einen neuen Dämonen ausbilden, der kurz vor dir hier angekommen ist.“ Er deutete über seinen Rücken grob in Jeremias’ Richtung. „Ich werde dir die Meisterprüfung abnehmen, danach kannst du Schüler annehmen und unterrichten. Der Dämon, von dem ich sprach wird dein Erster sein, um den du dich gut kümmern wirst, verstanden? Ein Versagen dulde ich nicht!“ Er blieb stehen, blickte Namtar jedoch nicht an, sondern hielt seinen Blick stur auf die Wand gegenüber gerichtet.

„Das wird auch nicht passieren! Ich beschütze ihn mit meinem Leben und unterrichte ihn, wie ihr es befohlen habt.“ Er tat etwas, was er seid Jahrhunderten nicht mehr gemacht hatte und obgleich Yama es nicht sehen konnte, verneigte er sich tief. „Danke.“

„Geh und kümmere dich um alles weitere. Ich vertraue dir Jeremias an.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, trat die stattliche Gestalt wieder zwischen den Vorhängen entlang nach draußen auf den Balkon und verschwand aus Namtars Blickfeld. Es überraschte ihn nicht, dass Yama den Namen des Dämons kannte, hatte er ihm doch oft von dem Engel berichtet. Er trat zu Jeremias, neigte sich zu ihm und strich ihm durch die Haare. Mit einem Lächeln hob er ihn vom Boden, drückte ihn an sich und verließ den Empfangssaal. Er würde dieses Mal Jeremias beschützen und nicht wieder verlieren, das schwor er im Stillen seinem Meister und sich selbst, als er den langen, mit dunklen Feuern erhellten Gang zu seinem Zimmer entlang ging.

 

-FIN-

 

(c) Juliane Seidel, 2007