Assjah |
-Dark Reunion- ================================================================================ „Du
willst wieder zurück zu den Feldern, Namtar?“ Die tiefe, kehlige Stimme
durchschnitt die Stille wie ein Aufschrei, obgleich es nur ein vages Flüstern
war. Namtar wandte seinen Blick von der Ebene, die er in den letzten Minuten
betrachtet hatte, ohne wirklich etwas zu sehen. Zu tief war er in seine
Gedankenwelt verstrickt gewesen, zudem kannte er diesen Ausblick zu gut. „Ja,
es wird Zeit.“ Sein ehemaliger Meister, Yama, sah in die Ferne, doch auch
er schien abgelenkt zu sein. Er nickte nur schweigend und schließlich fuhr
er sich mit den behandschuhten Fingern über die Stirn und streifte sich die
Haar zurück, welches ihm jedoch schlagartig zurück ins Gesicht fiel. Er
ignorierte diesen Umstand und wandte sich dann Namtar zu, der ihn schweigend
beobachtet hatte. Der lange Umhang raschelte und schwang leicht bei der
Bewegung mit, glitt über den dunklen Marmorboden und blähte sich bei einem
Windstoß kurz auf. Yama war größer als Namtar, breitschultriger und kräftiger.
Dieser Eindruck wurde durch die Kleidung noch verstärkt. Das dunkle Gewand
war wie eine zweite Haut auf Yamas Körper zugeschnitten, lag eng an und
betonte seine Muskeln noch zusätzlich. Der Wams war gegürtet und die
schwarze Schnalle war mit Onyxen und dunklen Edelsteinen besetzt. Der Stoff
war mit feinen silbrigen Mustern und Symbolen durchwebt, die wie ein
Zauberbann auf dem Dämon lagen und die schwere Hose war aus feinem geprägtem
Leder, ebenso die hohen Stiefel. Nur wenig Schmuck zierte Yama, lediglich
eine Kette mit einem verschlungenem Anhänger, ein Ring und ein Stab, den er
stets bei sich trug und der an seiner Hüfte baumelte. „Du
weißt, dass du hier immer willkommen bist.“, begann Yama und der Hauch
eines Lächelns huschte über seine schmalen Lippen, während seine Augen
unter einem Anflug von Trauer aufflammten. „Ich
weiß…“, entgegnete Namtar und schloss die Augen. Er wirkte müde und
nur zu gerne hätte er dieses Angebot angenommen, doch noch hatte er sich
nicht aufgegeben. Er war nur kurz hierher zurückgekehrt und auch nur auf
Yamas ausdrücklichen Befehl hin. Er mochte Yama, das stand außer Frage,
doch er konnte nicht in diesem Palast sein. Er war ein Einzelgänger
geworden, seine Freunde von damals interessierten ihn nicht oder hatten ihn
vergessen. Es war ihm egal geworden, und obgleich er nie hierher zurückkehren
wollte, konnte er sich einem direkten Befehl des Herrschers von Styx nicht
entziehen und war zum Schattenpalast aufgebrochen. Das war jetzt fast eine
Woche her und es wurde Zeit, dass er zurückkehrte. Die Angst, vielleicht zu
spät zu kommen oder ihn verpasst zu haben, war in den letzten Stunden
unerträglich geworden und so hatte er Yama um Erlaubnis gebeten, wieder
nach Hause reisen zu dürfen. Nur mit Widerwille war sein Mentor seiner
Bitte nachgekommen und jetzt war die Zeit des Abschiedes da. „Wird
es wieder Jahrzehnte dauern, bis wir uns wieder treffen?“ „Ich
weiß es nicht, Yama.“ Diese formlose Anrede entschlüpfte Namtars Lippen
unkontrolliert und für eine Sekunde verfluchte er sich selbst für diese
Dummheit. Doch Yama schien ihn nicht zu strafen, er lächelte ihn nur warm
an und legte ihm dann eine Hand auf die Schulter. „Ich
hoffe sehr, dass ich dich bald wiedersehen kann. Es war sehr angenehm mit
dir zu sprechen und ich danke dir, dass du Asak ins Gewissen geredet
hast.“ Namtar erinnerte sich lebhaft an den jungen Dämon, der ihm vor
einigen Tagen zum ersten mal begegnet war. Ein Heißsporn, sehr
temperamentvoll und offen, vielleicht ein wenig zu dickköpfig und blauäugig,
wenn es um seine Mission ging, doch Namtar hatte ihn sofort ins Herz
geschlossen. Zum Teil erinnerte ihn dieser junge Mann sehr an sich selbst,
wie er noch vor vielen Jahrhunderten war, dennoch konnte ihn diese Tatsache
nicht davon abbringen Asak sein Schicksal klarzumachen und zu betonen, dass
es nicht positiv ausgehen konnte. Schmerzhaft klomm in Namtar die Erinnerung
daran auf, was ihm vor vielen Jahren passiert war, als er dieselbe Aufgabe
hatte, wie Asak in dieser Zeit. „Deine Haare sind schon wieder kürzer.“,
riss ihn Yama aus seinen Gedanken und er spürte die sanfte Berührung in
seinem Nacken, als sein Meister nachdenklich die Haarsträhnen durch die
Finger gleiten ließ. „Warum lässt du sie dir nicht wieder wachsen?“ „Ich
muss jetzt gehen.“ Mit einer unwirschen Bewegung wandte sich Namtar um und
brachte einige Meter Abstand zwischen sie. Er wusste, es war ein Fehler
gewesen hierher zu kommen und länger als nötig bei Yama zu verweilen. Zu
deutlich lasteten die Erinnerungen an die Vergangenheit an diesem Ort und er
musste seine aufsteigenden Zorn hinunterschlucken und bedachte Yama nur mit
einem gequälten Blick. „Lebt Wohl, Meister.“, brachte er stockend
hervor, verneigte sich dann und verließ, schneller als notwendig gewesen wäre,
den großen Saal. Erst
als er den Palast hinter sich gelassen hatte und auf einem der großen
Reittiere saß atmete er tief durch und ohrfeigte sich gedanklich für seine
überhastete, fast panikartige Flucht. Nachdenklich strich er dem Tiruk
durch das zottige Fell und kraulte es hinter den kleinen versteckten Ohren.
Ein zufriedenes Grunzen erklang und der mächtige Kopf wandte sich seinem
Reiter zu. Namtar konnte die kleinen Augen unter dem grauen Fell nur
erahnen, doch er spürte den intelligenten Blick. Die spitze Schnauze öffnete
sich kurz und ließ ein weiteres undeutbares Geräusch entfliehen, dann
setzte die Kreatur ihren Weg fort. Der massive Körper wurde von zwei kräftigen
Beinen getragen und der lange Schwanz pendelte bei jedem Schritt mit und
sorgte für Gleichgewicht. Die langen dürren Arme waren angezogen und
schienen für die Fortbewegung nicht gebraucht zu werden. Der aufrechte Gang
wirkte unelegant, doch Namtar mochte es auf den gewaltigen Tieren zu reiten.
Sie waren die einzige Gesellschaft die er hatte und besonders Kuja, sein
Reittier war ihm ans Herz gewachsen. In einer fließenden Bewegung neigte er
sich zu Kujas rechtem Ohr und flüsterte etwas in dieses. Sofort begann der
Tiruk schneller zu laufen und mit einer Geschicklichkeit, die man dem
massigen Körper nicht zugetraut hätte, schlüpfte das Tier durch die
schwarzen Bäume und wich Steinen und Geröll aus. Die Landschaft war kahl
und trocken, die warme Luft und die beständige Dunkelheit waren der Grund für
die kargen Pflanzen, die hier wuchsen. Trotz allem ließen sie auch üppige
Wälder hinter sich, mit seltsam verwachsenen Bäumen und Sträuchern, die
wie eine undurchdringliche Wand keinen Reisenden passieren lassen wollten,
es sei denn man kannte die Schlupfwinkel und Trampelpfade. Die kantigen,
surreal wirkenden Pflanzen waren zumeist dunkel, die Blätter dick und mit
einer dicken Wachsschicht überzogen. Hier und da sah er auch einen Mahin-
Baum, eine starke knorrige Pflanze mit großen schwarzen Blüten, die einen
süßen schweren Duft verströmten und Namtar für eine kurze Zeit die Sinne
raubten. Tödlich konnte dieser Duft sein, doch zum Glück waren die Blüten
noch nicht gänzlich geöffnet, doch das taube Gefühl beherrschte ihn für
einige Minuten, nachdem sie den Baum hinter sich gelassen hatten. Es
mochte Stunden her sein, seitdem sie den Palast Yamas verlassen hatten und
endlich erreichten sie ein kreisrundes steinernes Monument, was teilweise in
den Boden eingelassen war. Mit einem Durchmesser von fast zwanzig Metern,
zogen sich kleine und große Ringe um den verlassenen Platz, den man durch
ein steinernes Tor betreten konnte. Namtar ritt hindurch und gelangte
problemfrei auf den umrahmten Sandplatz. Zwischen den einzelnen Steinringen
zogen sich Symbole und Zeichen, die in einem matt schwarzen Licht
schimmerten. Als sie die Mitte erreichten, flüsterte er erneut wenige Worte
in Kujas Ohren und sofort stoppte dieser und ließ Namtar absteigen. Es war
nicht das erste Mal, dass er einen Cylohin benutzte. Cylohins waren vom
Prinzip her Dimensionstore zwischen den einzelnen Ebenen und Ländern, in
die die Unterwelt augeteilt war. Diese Transporttore ermöglichten die Reise
zu nahezu jedem beliebigen Ort, so dass es nicht notwenidg war von einem
Cylohin zum anderen zu reisen. Insofern man erwünscht war oder die
Erlaubnis hatte, konnte man direkt in jedes Haus oder jeden Palast
teleportieren. Musternd
unterzog er seine Umgebung einer genauen Beobachtung. Er war, als er in Styx
ankam direkt im Hof des Palastes aufgetaucht und besah sich nun diesen
Cylohin genauer. Es machte nicht den Eindruck als sei in letzter Zeit
genutzt worden und nachdenklich verließ er doch noch einmal das Zentrum und
ging die niedrige Mauer entlang, ließ seine Augen über die schwarzen
Zeichen wandern und kontrollierte ihre Beschaffenheit genau. Er hatte schon
einmal feststellen müssen, dass falsche Zeichen, fehlerhafte Transporte
bedeuten konnten und man, schnell anstatt in seinem Haus anzukommen, einen
unliebsamen Aufenthalt in einem fremden Gebäude auf sich nehmen musste,
wenn man überhaupt in einer zivilisierten Gegend aufschlug. Nachdem er sich
vergewissert hatte, dass alle Linien in Ordnung waren ging er langsam zurück
und erinnerte sich urplötzlich an ein Gespräch, welches er vor vielen
Jahren schon aus dem Gedächtnis verbannt hatte. „Cylohins?
Das klingt sehr interessant. Sie scheinen unseren Transportkreisen ähnlich
zu sein.“ Jeremias saß bequem auf dem Boden, der mit weichen Tierfellen
ausgelegt war und hatte bis eben aufmerksam Namtars Erzählungen von Styx
und der Unterwelt zugehört, die so anders schien als seine Heimat. Die
Vorstellungen eines Landes, gänzlich in Dunkelheit getaucht und so warm,
wie ein heißer Sommertag, waren für den blonden jungen Mann mit den großen
blauen Augen unvorstellbar. Wie ein kleiner Junge, begierig darauf mehr zu
erfahren, schwieg er nun wieder und schenkte dem Dämon einen
entschuldigenden Blick. Seine Augen funkelten vor Neugierde und ließen sein
zierliches weißes Gesicht so hell erstrahlen, dass Namtar das Gefühl
hatte, die Sonne blende ihn. „Ihr
habt also auch Dimensionstore?“, fragte Namtar, anstelle seine Erzählungen
fortzuführen und schien nun ebenfalls daran interessiert mehr darüber zu
erfahren. „So
was in der Art. Bei uns nennen sich diese Tore ‚Gaintonik’ und sind eher
die Türen in Häusern und Gebäuden. Nur mit diesen Lichtkreisen kann man
zwischen den Räumen wechseln. Sie sind allerdings nicht so groß und auch
nur als dünnen Linien in den Boden eingelassen. Aber das restliche Prinzip
ist genauso.“, erklärte er nun seinem Partner und unterstrich seine Erzählungen
mit einigen Handgesten. Schließlich atmete er tief durch, beruhigte sich
und lächelte Namtar offen an. Von einer Sekunde zur nächsten war aus
Jeremias wieder der ruhige sanftmütige Engel geworden, den Namtar so sehr
liebte - sein Seelenpartner. Die hellen lockigen Haare vielen dem Engel ins
Gesicht, umrahmten die Augen auf eine faszinierende Art und Weise und Namtar
verfiel zu schnell diesen liebevollen tiefen Blicken. „Erzähl weiter.“,
forderte ihn Jeremias auf, als er die Musterung seines Partners spürte. „Weißt
du, wie schön du eigentlich bist?“, murmelte Namtar leise und zog den überraschten
Engel zu sich. Die feingliedrigen Finger strichen über Jeremias’ Rücken,
streichelten dort vorsichtig über die Wirbelsäule und schließlich wieder
nach oben, um ihn im Nacken zu kraulen. Jeremias entspannte sich, schloss
zufrieden die Augen und kuschelte sich an den Dämon. Sofort breitete sich
eine angenehme Stille aus und beide genossen einfach nur die Gegenwart des
Anderen, ließen ihre Gedanken weit abschweifen und erst der leichte Wind,
der durch das alte Gemäuer wehte, ließ Namtar aufblicken und den dunklen
Himmel absuchen. Es war bisher friedlich, doch die Luft
frischte auf und kündigte Regen an. Diese Nacht würde stürmisch
werden, dachte sich der Dämon still, doch er unterbrach seine sanften
Streicheleinheiten nicht. Zu sehr genoss er diese traute Zweisamkeit, wusste
er doch selbst zu gut, dass dieser Augenblick so flüchtig war, wie ein
Wimpernschlag… Mit
einer hektischen Bewegung schüttelte Namtar die Gedanken ab und schloss für
wenige Momente die Augen. Sein Vorsatz nicht zu sehr an dieser alten, schon
längst vergangen Zeit zu hängen und in Erinnerungen zu schwelgen, war mit
einem Schlag zunichte gemacht worden und diese Tatsache machte ihn wütend
und zornig auf sich selbst. „Ich
bin ein Narr.“, murmelte er und strich über Kujas Kopf, der ihn
nachdenklich und besorgt beobachtete. „Es ist alles in Ordnung.“,
antwortete Namtar auf die stumme Frage seines Begleiters hin und schloss nun
erneut die Augen. „Gehen wir nach Hause, Kuja.“ Augenblicklich flammten
die Symbole dunkel auf und feiner schwarzer Nebel stob nach oben, begann zu
wirbeln und senkte sich schließlich über dem Steinkreis, schloss die
beiden ein und Namtar spürte den leichten, bekannten Ruck, der seinen Körper
durchlief. Für eine Sekunde verschwand der Boden unter seinen Füßen, er
schwebte im leeren Raum und der Anflug eines eisig kalten Windes traf sein
Gesicht. Doch schon in der nächsten Sekunde war der Lufthauch verflogen und
ließ ein flaues Gefühl in seinem Magen zurück. Namtar
atmete tief ein und sofort breitete sich ein feines Lächeln auf seinem
Gesicht aus. Er war wieder daheim, konnte den zarten, kaum wahrnehmbaren
Geruch der Blüten der Schattenbäume riechen, die er so liebte. Tief
einatmend öffnete er die Augen und ließ den Blick über ein weitläufiges
Feld wandern, welches sich bis zum Horizont erstreckte. Knochige Bäume,
zumeist mehrere Meter, hoch sprossen aus dem Boden und ihre weit verästelten
Zweige und Blätter ließen nur selten ein Stück des Himmels erkennen und
nur vage konnte man die graue Farbe erahnen. Große farbige Blüten übersäten
die Zweige und Äste, die ein dunkelbraune Färbung hatten. Trotz des
vermeintlich bunten Blätterdachs wirkte alles wie von einem schwarzen
Schleier überzogen, der die Farben förmlich aufzusaugen schien. Namtar
betrachtete nachdenklich die Blüten seufzte ergeben auf und strich Kuja über
die zottelige Mähne. Er überlegte kurz, blähte die Wangen auf und zog
sinnierend die Augenbrauen zusammen, bevor er sich an Kuja wandte und flüsterte.
„Ich war wohl unkonzentriert. Aber wenigstens sind wir nicht allzu weit
von zu Hause entfernt.“ Ein leichtes Schnauben war die Antwort und sie
machten sich auf den Weg. Namtar beschloss sich die Beine zu vertreten und
ging neben dem Tiruk zwischen den Bäumen entlang. Die knochigen alten
Wurzeln ragten zu zwei Dritteln aus dem Boden und ein undurchdringliches,
ineinander verwobenes Netzwerk säumte den Weg. Erst nach zwei Metern Höhe
begann der Stamm, der leicht gebogen war und ging schließlich wieder in ein
verworrenes Astwerk über. Die Bäume standen nicht zufällig auf der weiten
Fläche, sondern ließen Gänge, um zwischen ihnen hindurch zu gehen. Die
mattschimmernden Blüten strömten einen leichten aromatischen Duft aus, der
entfernt an den Geruch von Lilien erinnerte. Jeweils neun Blütenblätter
bildeten eine Blume und jede einzelne hatte ein geheimnisvolles Schimmern
und Glänzen. Bei genauerer Betrachtung konnte man die schwachen schwarzen
Lichtkugeln sehen, die das Zentrum der Blüten bildeten. Namtar
ließ schnell die jungen Bäume hinter sich und gelangte in einen Teil des
Waldes der dunkler und stickiger war. Die Blüten waren hier schwarz, wiesen
keine Farben mehr auf und auch ihr Duft war verschwunden. Auch sah er hier
ab und zu eine Gestalt zwischen den Bäumen hin und her huschen, emsig ihrer
Arbeit nachgehen und den Dämon nicht näher betrachtend und ignorierend.
Namtar war dies nur Recht. Er arbeitete hier nicht, war kein Teil der Wächter,
deren Aufgabe die Pflege der Schattenbäume war. Diese äußerst
unscheinbaren Wesen waren nicht wirklich gesprächig, kümmerten sich um die
Wurzeln, Äste und Blüten der Bäume. Namtar wusste unterdessen, dass jeder
Wächter eine bestimmte Baumgruppe betreute, die zumeist aus ungefähr dreißig
Pflanzen bestand. Kuja
trottete treu hinter ihm her und beachtete die Bäume nicht weiter. Die
Umgebung und das Aussehen der Pflanzen veränderte sich erneut und schließlich
waren keine Blüten mehr an den Ästen zu finden, sondern schwarze eierförmige
Kugeln, die auch dunklem Licht bestanden. Die Eier waren etwas größer als
Namtars Kopf und obwohl sie ein kohlenähnliches Licht ausstrahlten,
schimmerten sie manchmal in den Farben auf, die die Blüten zu Beginn
hatten. „Es
ist bald wieder soweit.“, hörte er eine Stimme hinter sich und fuhr
erschrocken herum. Namtar hatte die junge Frau, die nun vor ihm stand weder
gehört, noch gespürt. Er war zu sehr in seine Gedankenwelt verstrickt
gewesen um ihre Gegenwart wahrzunehmen. „Hab ich dich erschreckt?“,
fragte sie verdutzt und hob eine Augenbraue. Sie hatte einen dunklen Teint,
große braune Augen und lange schwarze Haare, die ihr bis zur Hüfte fielen.
In der Hand trug sie eines der Schatteneier und im Korb, der neben ihr
herschwebte konnte der Dämon weitere entdecken. Ihre Kleidung war einfach,
eng anliegend und sehr knapp bemessen. Ihr langen Beine waren frei und sie
hatte gänzlich auf Schuhwerk verzichtet. Namtar wusste, dass es für sie
als Wächter der Bäume, so einfacher war auf diese zu klettern, um die Eier
zu pflücken und die Blumen zu pflegen. Eine anstrengende Aufgabe, die er
nie im Leben erfüllen wollte und so war er stets nur Beobachter, schritt
zwischen den Pflanzen entlang, sah den Wächtern zu oder lehnte sich an
einen der Bäume um dem leichten Ächzen und Knarren zu lauschen. Manchmal
hatte er das Gefühl die Wurzeln berichteten ihn von fernen Geschehnissen,
erzählten Geschichten oder sangen für ihn fremdklingende Lieder, doch
oftmals musste er feststellen, dass er einfach nur eingeschlafen war. „Shalik“,
sagte er nun und musterte sie kurz. „Ja,
wie schön, dass du mich noch erkennst.“ Sie ließ das Ei zu den anderen
schweben und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich freue mich auch dich
zu sehen. Du warst lange weg.“ „Ich
hatte zu tun.“, murmelte er und starrte die Eier an, die sie bisher
gesammelt hatte. „Es ist bald wieder soweit?“, fragte er leise und
Shalik nahm einen schwachen Hauch von Hoffnung war. Sie kannte Namtar schon
seit er hierher gekommen war. Er hielt sich oft wie ein ruheloser Geist in
ihrer Baumgruppe auf, wanderte zwischen den Schattenbäumen entlang und
schien nach etwas oder jemandem zu suchen. Sie empfand zu Beginn Mitleid,
doch nach einer Weile wich dieses Gefühl einer brennenden Neugier, die sie
nur schwer besiegen konnte. Namtar war zu schweigsam, ignorierte sie
manchmal und antwortete schon gar nicht auf die Fragen, was er suche und
warum er hier bleibe. Irgendwann hatte sie es stillschweigend akzeptiert,
duldete sogar die Anwesenheit bei den Bäumen, wenn sie nicht da war oder es
einfach zu spät wurde, um weiterzuarbeiten. Namtar schien hier zu leben,
obgleich er keine Hütte oder ein Haus besaß. Er verweilte bei den Bäumen,
schlief dort und ließ sich von den Blättern beschützen. Zunächst wollte
sie ihn nicht alleine bei ihren Schattenpflanzen lassen, doch als sie ihn
irgendwann schlafend zwischen den Wurzeln gesehen hatte, war sie sich
sicher, dass keine Gefahr von ihm ausging und überließ ihm manchmal die
Obhut ihrer Bäume. „Ja,
es werden wieder neue Dämonen schlüpfen. Die Zeit ihrer Geburt ist nah.“
Sie strich mütterlich über die luftige, nebelige Hülle und lächelte glücklich.
„Es werden noch mehr Eier, ich habe viel zu tun in nächster Zeit. Sie müssen
bald gerufen werden, um schlüpfen zu können, dann wird es hier wieder
ruhiger werden.“ Namtar nickte leicht und sah sich nun in genauer um.
Shalik hatte Recht, die Bäume waren voll mit Eiern die schimmerten und
flackerten, ein Zeichen dafür, dass bald die Geburt neuer Dämonen
bevorstand. Für ihn war das immer ein besonderes Erlebnis. Das kurze
Aufflammen von Hoffnung, der Wunsch, dass er dieses Mal nicht umsonst
gewartet hatte, klomm sehnsüchtig in seinen Augen auf, doch bisher war
alles umsonst gewesen. Er wartete auf eine Seele, doch in den letzten vier
Jahrhunderten geschah nichts. Die Bäume blühten in den Grundfarben,
alsbald wurden die Blüten schwarz und finster und schließlich formten sich
dunkle Schatten zu Eiern, die an den Bäumen gepflegt wurden, bis sie reif
waren. War es soweit brach die hektischste Zeit hier auf den Feldern an. Das
Pflücken und Sammeln der Eier, schließlich das Rufen der Dämonen und das
Schlüpfen. Diese sich ständig wiederholende Prozedur des Heranwachsens der
Eier dauerte stets mehrere Jahre. Nur alle neun Jahre schlüpften Dämonen
aus den nebeligen Schattenkugeln, die restliche Zeit musste Namtar warten
und sich damit begnügen zwischen den Bäumen zu wandeln, ihren Stimmen zu
lauschen und auf die nächste Geburt zu warten. „Ich hoffe für dich, es
ist endlich der Dämon dabei, auf den du wartest.“ Shaliks Stimme
durchbrach die Stille, die zwischen ihnen ausgebrochen war und Namtar
blickte auf. „Ja,
ich hoffe es.“ Er
verabschiedete sich kurz von ihr und ging dann weiter, wollte sie nicht unnötig
von der Arbeit abhalten. Er suchte sich einen versteckten Baum aus,
kletterte behände die Wurzeln nach oben und ließ sich in einer Kuhle
nieder, die wie dafür gemacht schien hier zu verweilen. Er war oft hier,
mochte diesen Baum, der etwas kleiner als die Übrigen war und ein wenig
unsymmetrisch zum Rest gewachsen war. Er hatte seinen eigenen Reiz und sein
Blick richtete sich nun auf die wenigen Schatteneier, die er trug. Shalik
sprach über diesen Baum nicht viel, sie kümmerte sich auch nicht weiter um
ihn, da er aus einem wilden Samen gewachsen war und nicht von ihr gepflanzt
wurde. Er brachte nicht viele Eier hervor, hatte keinen guten Wuchs und kam
gegen die mächtigen anderen Schattenpflanzen nicht an, die vielen Dämonen
das Leben schenkten. Doch dieser einsame Zwerg war eine Ausnahme und
vielleicht mochte Namtar ihn deswegen so sehr. Er spürte eine enge
Verbundenheit zu der Pflanze, die ihm im Wesen so ähnlich war- allein, zurückgezogen,
einsam. Müde betrachtete er das grün schimmernde Flackern, das ab und zu
über die Eier huschte. Er hatte in der Zeit bei Yama kaum geschlafen,
konnte in dieser bedrückenden Atmosphäre damals kein Auge zu tun. Jetzt wo
er das Gefühl hatte wieder daheim zu sein, spürte er den fehlenden Schlaf
und die Erschöpfung schlagartig. Er war verspannt, sehnte die Ruhe herbei
und noch bevor er wegdämmerte, nahm er das sanfte Rauschen der Zweige,
sowie das leiste Surren der Schatteneier wahr. „Schattenbäume
sind die Lichtbäume der Unterwelt. Bei uns gibt es strahlend helle Bäume,
die Lichteier tragen, aus denen dann die Engel schlüpfen.“ Jeremias
beobachtete Namtars Gesichtszüge und lächelte dann. „Ich wusste gar
nicht, dass sich der Himmel und die Unterwelt so ähnlich sind. Fast
dieselben Wesen und Kreaturen, Regeln und Gesetze, nur durch die Dunkelheit
bestimmt. Wie zwei Seiten derselben Medaille.“, schloss er seine
Feststellung ab und legte seine Arme nachdenklich auf Namtars Brust, ehe er
seinen Kopf auf die gefalteten Hände bettete. Der Dämon ließ seine Finger
nun durch die Haare des Engels wandern und zog ihn vorsichtig so sich, um
schließlich seine Stirn küssen zu können. „Ja…
viele Gemeinsamkeiten.“, hauchte er beiläufig und schmiegte sich in die
weichen Haare, sog tief den feinen Duft von Sonne ein und schloss zufrieden
die Augenlider. Er war selten so glücklich und entspannt und zog den warmen
Körper, der auf ihm lag höher zu sich, um Jeremias’ Lippen endlich küssen
zu können. Nur zu gerne erwiderte dieser den Kuss, tastete mit seiner
rechten Hand nach der seinen Partners und verschränkte schließlich seine
Finger mit denen Namtars. Sie vergaßen schnell alles um sich herum,
konzentrierten sich nur aufeinander und wurden bald darauf intensiver und
fordernder. Namtar schnappte spielerisch nach der Lippe des Engels und
nutzte sofort die Gelegenheit, als Jeremias leicht den Mund öffnete. Eine
Weile rangen sie miteinander, schließlich ließen sie atemlos voneinander
ab. In Jeremias’ Augen stand ein unbändiges Verlangen, doch auch Namtars
Blick flammte auf und seine violetten Augen wurden noch eine Spur dunkler,
als sich seine Augen um den Rücken seines Geliebten schlossen und er den
Engel erneut küsste. Keuchend löste sich Namtar wieder von ihm und raunte
ihm ins Ohr: „Das
wird unsere einzige Zusammenkunft sein. Schon morgen werden wir…“ Er
stockte, als Jeremias ihm die schmalen Finger über die bebenden Lippen
schob und den Kopf schüttelte. „Sprich
nicht jetzt davon! Ich möchte nicht daran denken, was in ein paar Stunden
sein wird. Lass es mich einfach vergessen…“ Er war leicht rot um die
Nase, als er das geflüstert hatte, doch schon Sekunden später neigte er
sich wieder zu Namtar und küsste ihn leidenschaftlich. Eine leichte
Nervosität stieg bei Jeremias auf, doch sie verflog schnell, als der Dämon
vorsichtig seinen Hals zu küssen begann und sich schließlich über ihn
rollte. Jeremias hatte noch nie ein solch brennendes Verlangen gespürt,
noch nie hatte er sich zu einem Wesen so tief verbunden gefühlt, wie zu
diesem. Seine Ängste an den morgigen Tag drängte er zurück in die
hinterste Ecke seiner Gedanken, sie erloschen, als Namtar sich tiefer schob
und seine kühlen Hände unter sein Hemd fuhren. Namtar ertastete vorsichtig
die warme Haut seines Geliebten und diese Berührung entlockte dem Engel ein
leichtes Keuchen. Begierig mehr zu hören, strich er das Hemd höher,
tastete über den flachen Bauch und bemerkte, dass Jeremias an den Seiten
kitzlig war, als dieser kurz zusammenzuckte und sich leicht unter ihm wand. „Nicht
kitzeln.“, murmelte Jeremias und vergrub seine Hände in den samtig
schwarzen Schopf, um mit den Strähnen zu spielen und sie durcheinander zu
bringen. Er liebte diese langen nachtschwarzen Haare, die wie ein Mantel um
Namtars Körper fielen, solange er sie offen trug. Überraschend
aufschreiend, bäumte sich der Engel auf und genoss die sanften Berührungen.
Namtars Lippen wanderten über seinen Hals und hatten begonnen seine Brust
zu verwöhnen. Nur kurz löste er sich von dem erregten Körper um ihm endgültig
die störende Kleidung über den Kopf zu ziehen. Anschließend betrachtete
Namtar den zierlichen Körper eingehend, bemerkte das leichte Erschaudern,
als ein kühler Lufthauch über die Haut des Engels strich und spürte
schließlich Jeremias’ fragenden Blick. Liebevoll fuhr Namtar die Konturen
des Gesichtes seines Geliebten nach. Wie ein Spiegelbild seiner selbst
wirkte der Engel, die langen blonden Haare zerzaust und durcheinander, der
schwere Atem der durch seinen leicht geöffneten Mund drang und die Augen
vor Lust verschleiert. Der Dämon neigte sich wieder zu ihm, strich ihm über
die Wange und küsste ihn schüchtern, während seine Hände sofort über
seine Brust und seinen Bauch fuhren. Er spürte die Berührung und das
Kratzen der Hände seines Partners im Nacken, die danach seinen Rücken
hinabwanderten, unter sein Hemd fuhren und es ihm schließlich von den
Schultern streiften. Sie schmiegten sich aneinander, genossen das Gefühl
einander nahe zu sein und vergaßen für eine Augenblick die Begierde in
ihren Leibern. Wie im Fieber wand sich Jeremias schließlich unter ihm und
drängte sich mit fordernden Bewegungen an seinen Partner, entlockte ihm
dadurch ebenfalls ein lautes Aufstöhnen, bevor sich ihre Lippen erneut
trafen. Namtars Hand fuhr über den flachen Bauch nun tiefer, stoppte an der
geschnürten Hose und machte sich mit geschickten Fingern daran die Schnüre
zu lösen, während Jeremias die Augen schloss und sich den Berührungen
hingab. Seine Hände krallten sich in die Felle auf der sie sich
ausgebreitet hatten und willig hob er seine Hüfte an, um es dem Dämon
leichter zu machen ihn zu entkleiden. Nur mühsam gelang es diesem die Schnüre
zu lösen und als er endlich die Hose abstreifte und seine Hände über den
Po wandern ließ, löste er den Kuss und atmete er zufrieden auf. Flink
entkleidete er Jeremias komplett, küsste ihn dann wieder verlangend, bevor
er tiefer wanderte und seinen Hals hinab knabberte, die Schlüsselbeine mit
den Fingern nachfuhr und sich tiefer schob. Ein Beben ging durch den
willigen Körper unter ihm und Jeremias stöhnte kehlig auf, als er die kühle
Hand zwischen seinen Beinen spürte, die vorsichtig begann ihn zu
streicheln. Stockend räkelte er sich, schloss die Augen und presste die
Lippen zusammen, während er die Küsse und Berührungen genoss. Namtar sank
tiefer, küsste über den sich hebenden und senkenden Bauch und die Hüften
entlang. Seine Hände wanderten nach oben, strichen über seine Brust und
begannen die Brustwarzen zu streicheln und zu verwöhnen. Die keuchende
Stimme bewies ihm deutlich, dass es seinem Partner gefiel und schließlich
überwand er den letzten Abstand und senkte seinen Kopf zwischen Jeremias’
Beine. Laut aufstöhnend bog sich der Engel durch und reckte sich ihm
entgegen, schob seine zitternden Hände in die schwarzen Haare, die nun über
seinen Körper fluteten und ihn kitzelten und zusätzlich reizten.
Bereitwillig öffnete er seine Beine mehr, genoss die zunächst
federleichten Berührungen Namtars, der jedoch schon bald gieriger und
leidenschaftlicher wurde, mit den Händen das Becken des Engels anhob und
begann an ihm zu saugen. Fahrig tastete Jeremias nach einer der Hände, die
unaufhörlich über seine Brust strichen, hielt sie fest und umschloss sie
sanft. Stöhnend bog er sich durch, spürte ein scharfes Kribbeln durch
seinen Körper wandern und bäumte sich leicht auf. Jeremias wusste, dass
die fordernden Lippen ihm zwar Lust schenken konnten, doch er wollte Namtar
nicht auf diese Art du Weise. Er löste die Hand, die sich in die weichen
Felle geklammert hatte und tastete stöhnend nach Namtars Kopf um ihn von
sich weg, nach oben zu seinem Gesicht zu ziehen. Mit einem fragenden Blick
ließ der Dämon von ihm ab und blickte seinem Geliebten verlangend in die
Augen. Die violette Färbung seiner Pupillen war nun vollkommen schwarz und
während der Engel ihn zu sich zog um ihn zu küssen, öffnete Namtar
zitternd seine eigene Hose, schob sie ein Stück hinab und ließ sich nun
zwischen den Beine seines Partners nieder. Ihre Lippen berührten sich
erneut und sie begannen einen leidenschaftlichen Kampf auszufechten, als
sich Namtar höher schob, Jeremias Beine leicht anhob und schließlich mit
einem Aufstöhnen in Jeremias drang. Keuchend
und sich gegenseitig wiegend lagen sie Stunden
später auf der Decke. Nur langsam ließen die Schauer nach, die
durch ihre Körper wanderten und Minuten später verebbte das Kribbeln, das
sie so oft in dieser Nacht beherrscht hatte. Der Wind kühlte ihre erhitzte
Haut und erst nachdem Namtar seinen Atem wieder unter Kontrolle hat, zog er
sich zurück und legte sich neben den Engel, der bereits dabei war wegzudämmern. „Was
denkst du in dieser Sekunde?“ Die schläfrige Stimme Jeremias’ klang
seltsam fremd in seinen Ohren, doch er lächelte nur und strich ihm durch
die Haare. „Ich
bin glücklich und habe mich noch nie so befreit gefühlt.“, gab der Dämon
die ehrliche Antwort und schmunzelte versonnen, beobachtete die Nacht, die
nun langsam dem Tag weichen musste, der sich bereits durch ein blasses grau
am Horizont ankündigte. „Ich liebe dich, Jeremias.“ Versonnen löste er
seine linke Hand, die bis dahin beständig über die entblößte Haut
gestreichelt hatte und betrachtete seine Handinnenfläche. Das verschlungene
Symbol, das wie ein Mal in die Haut eingeritzt war, leuchtete in einem
starken hellen Rot. Nie zuvor hatte es so geleuchtet, da war Namtar sich
sicher. Ein leises Glucksen ließ ihn seinen Blick zu dem Engel richten, der
seine rechte Hand hob und sich sein Zeichen betrachtete. Ebenfalls prupurnes
Licht schimmerte ihm entgegen und malte seine Wangen noch rosiger, als sie
bereits waren. Schließlich streckte er seine Hand Namtar entgegen und lächelte
glücklich: „Ich
liebe dich auch, wie du siehst.“ Der zufriedene Ausdruck geriet kurz ins
Wanken als er sich bewusst wurde, dass der Tag anbrach. „Namtar, darf ich
dich um einen Gefallen bitten?“ „Sicher,
wenn es mir möglich ist, erfülle ich ihn dir auch.“ Dem Dämon war nicht
entgangen, dass Jeremias ernster und ruhiger geworden war, seine Fröhlichkeit
einer gewissen Unruhe und Angst Platz gemacht hatte und als sich dieser
aufrichtete, folgten ihm Namtars Augen wie selbstverständlich. „Ich
möchte, dass du mir etwas versprichst.“ Ein
beständiges Surren ließ Namtar aus seinen Träumen fahren und sich
hektisch umsehen. Es war schon spät, er spürte, dass die meisten Wächter
die Felder verlassen hatten und er allein zwischen den Bäumen war, die ihm
nun zuflüsterten und ihre Geschichten erzählen wollten. Der Dämon fuhr
sich stockend durch die Haare und löste nun endgültig den lockeren Zopf,
der diese zusammengefasst hatte. Die Strähnen fielen ihm weich über die
Schulter und er erfasste eine der Spitzen und der unpassende Gedanke, dass
er sie sich wieder schneiden müsste, kam ihm in den Sinn. Müde blinzelnd
erinnerte er sich an seinen Traum und atmete hörbar aus. Wie lange hatte er
diesen Illusion nicht mehr gehabt? Jahrelang hatte er ihn erfolgreich verdrängen
können, doch nun trat er mit geballter Kraft den Rücktritt an, traf ihn
wie eine Bombe und verwirrte ihn auf eine Art, wie ihn seid Jahrhunderten
nichts mehr irritiert hatte. Solche Träume kamen nie einfach so, alles
hatte eine Bedeutung, das wusste er nur zu genau, doch noch war sein Geist
zu durcheinander um seine Gedanken zu ordnen und die richtigen Schlüsse zu
ziehen. Er räkelte sich etwas, setzte sich bequemer hin und stellte fest,
dass der Traum nicht wirklich spurlos an ihm vorbei gegangen war, was ihm
auf der einen Seite peinlich war, auf der anderen jedoch fühlte er sich
durchaus befreit und in gewisser Hinsicht auch erleichtert. Er
wusste nicht weshalb, doch urplötzlich ruckte sein Kopf nach oben und
starrte zu einem der Äste. Seine Augen weiteten sich, halb vor Überraschung,
halb vor Entsetzen, als er eines der wenigen Eier gut einen Meter entfernt
über ihm schweben sehen konnte. Die dunkle Schattenkugel flimmerte beständig,
das Grün flackerte immer stärker auf und sofort wusste Namtar, dass diesem
Ei ein Dämon entschlüpfen wollte, es jedoch nicht konnte. Der Ruf fehlte,
die Stimme, die einem Neugeborenen den Weg wies und ihm erst den Eintritt in
diese Welt ermöglichte. Shalik musste es übersehen haben, obwohl er diesen
Gedanken sofort wieder verwarf. Er war sich sicher, dass sie niemals eines
der Eier übersehen oder absichtlich zurück gelassen hätte. Aber wie war
das dann möglich? Er richtete sich stockend auf und überlegte kurz. Shalik
zu holen war unmöglich, es würde zu lange dauern, die junge Frau ausfindig
zu machen und hierher zu führen; dennoch konnte er nicht tatenlos zusehen,
wie dieses Ei vielleicht zerbrach, weil es dem Druck nicht mehr standhielt.
Vorsichtig streckte er seine Hand aus und berührte die nebelige Hülle. Er
hatte nie zuvor ein Schattenei berührt, zuviel Respekt hatte er vor den Wächtern
und ihrer Arbeit gehabt. Zunächst fühlte es sich weich und irreal an, als
würde man eine Wolke berühren doch ohne eine leiseste Vorwarnung
durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz. Gepeinigt kniff er die Augen zu und
unterdrückte mühsam einen Aufschrei. Erinnerungen
und Gedanken prasselten auf ihn ein und ein wohl bekanntes, verloren
geglaubtes Gefühl bäumte sich in ihm auf und drohte ihn innerlich zu reißen.
Er riss die Augen auf, starrte auf dieses flackernde blendende
Schattenspiel, welches grüne Muster auf seine blassen, eingefallenen Wange
zeichnete und schlagartig wurde ihm bewusst, was passierte. Die unerwartete
Erkenntnis und das Wissen schlug über ihm zusammen und ohne dass er etwas
dagegen tun konnte, fühlte er sich von den Armen der Ohnmacht umfangen und
fortgetragen. In
einem dämmrigen Licht ragte die Brücke zwischen den Bäumen hervor, die so
seltsam und skurril wirkten, dass sie nur vage an die Waldriesen erinnerten,
die in der Menschenwelt wuchsen. Jeremias lief mit jedem Schritt langsamer,
seine Beine schienen aus Blei zu sein, je näher er der hölzernen, überdachten
Brücke kam, die aus hellem Holz geschnitzt zu sein schien. Namtar sah die
Brücke anders, nicht hölzern und stabil, sondern wie einen kleinen
schmalen Steg aus Eisen, die langen Träger ragten wie knochige Finger in
die Luft und verschwanden zwischen den roten Wolken. Dieses heilige Gebilde
hatte er bisher nur ein einziges Mal betreten. Er wusste, dass die Brücke
jedem anders erschien, sie andere Formen annahm, je nachdem was sich die
Besucher vorzustellen vermochten. Ein wackeliger Steg, eine gewaltige
steinerne Brücke, Monumente aus Glas und Kristall- die Erzählungen hielten
sich in Phantasie und Kreativität nicht zurück und er empfand es beinahe
als langweilig und ernüchternd nur einen Steg zu sehen, während andere von
glitzernden beeindruckenden Kristallbauten berichteten, Figuren und
Gestalten, die sich bewegten und im matten Licht tanzten. Sein Blick fiel
auf den Engel, der scheinbar ruhelos neben ihm her ging und sich immer
wieder nervös umsah. Namtar selbst war angespannt und bis aufs äußerste
gereizt, nur überspielte er dies mit einer vorgetäuschten Ruhe, die ihn
kalt erschienen ließ. Die Botschaft die sie vor drei Tagen erhalten hatten,
war klar und unmissverständlich gewesen und die gemeinsame Nacht, die sie
erlebt hatten schien zugleich auch die Letzte gewesen zu sein. Dem Dämon
schnürte es den Hals zu und nur mühsam gelang es ihm die Wut, die in ihm
aufflammte herunterzuschlucken. Er wollte Jeremias beschützen, nicht ängstigen
und er nahm sich vor, mit ihm zusammen heil aus dieser Sache zu kommen. Sie
erreichten die Brücke als Erste. Unheilvoll wirkte sie in dem Licht und der
aufsteigende Nebel ließ sie am Horizont verschwinden, verschluckte das
Bauwerk, welches die Menschenwelt mit den höheren Ebenen verband. Nur hier
war es möglich, dass sich Dämonen und Engel begegnen könnten, nur hier
trafen alle Welten aufeinander, verbunden durch die Brücke, die über die
Seelen nach dem Tod entschied. Sie beobachteten das Schauspiel des Nebels
eine Weile, der sich gegen das Licht aufbäumte, jedoch immer wieder
unterlag und in die Schlucht zurückgedrängt wurde, bis er von neuem Kräfte
sammelte, das Licht zu besiegen. Sie standen nah beieinander, hielten sich
verkrampft an den Händen fest, als Jeremias murmelte: „Sie
kommen, ich kann das Licht spüren.“ „…
und ich die Dunkelheit.“, ergänzte Namtar den Satz und verengte die
Augen. Über die Brücke kamen sie mit ruhigen sicheren Schritten. Namtar
konnte Yama schon von weitem erkennen- die herrische Gestalt, das stolze
Gesicht. Zusammen mit drei weiteren Dämonen schritt er näher, der Blick
auf seinen Schützling gerichtet, der diesen mit starren Augen erwiderte.
Ein bedauernder Schimmer und ein leichtes Flehen war in den dunklen Augen
Yamas auszumachen. Es behagte ihm überhaupt nicht hierher zu kommen, wusste
er doch zu gut, warum Namtar den Engel liebte und worin all das enden würde. Hinter
ihnen, tauchten die lichten Wesen des Himmels auf, Engel, die gekommen waren
um Jeremias mit sich zu nehmen und ihn von seinen Partner zu trennen.
Jeremias wusste zu gut, dass er, sollte ihnen das gelingen, Namtar nie mehr
wiedersehen würde. Raphael, sein Lehrer schritt voran, ihm folgten
ebenfalls drei Diener und betrachteten Jeremias zweifelnd und voller
Missgunst. Nachdem
die Delegationen aus Himmel und Unterwelt den Platz vor der Brücke
erreichten, sahen sie sich nur eine Weile schweigend an. Namtar hatte seinen
Arm um Jeremias gelegt und konnte sich nicht recht entscheiden, ob er nun
den Engeln oder Yama einen vernichtenden Blick schenken sollte. Er sah
zornig vor sich hin und seine violetten Augen glommen nun fast purpurfarben
auf. Yama
warf Raphael einen kurz Blick zu, der dem Dämon kaum merklich zunickte.
Scheinbar kannten sich die beiden und schließlich durchbrach Yama als
erster die Stille: „Ich
bitte euch beide uns zu begleiten. Es gibt keinen Grund sich zu bekämpfen,
wie sind nur hier, um euch unversehrt in eure Welten zurückzubringen.“ Er
betrachtete das Paar, welches sich fast verzweifelt aneinander klammerte und
sich nicht bewegte. Er wusste, dass es dazu kommen würde, kannte seinen Schüler
zu gut und er verdrängte eine traurige Erinnerung, die dieser Situation so
ähnlich war. Wie viel Seelenverwandte hatte er schon trennen müssen? Kein
früherer Seelenverwandte hatte es alleine ausgehalten und tötete sich kurz
nachdem Yama sie zurückgeholt hatte, um wiedergeboren zu werden. Seine
Angst, dass sich Namtar etwas antun könnte, wuchs ins Unermessliche. Die
Ereignisse wiederholten sich wie ein Möbiusband, er hatte fast das Gefühl
eine junge Dämonin und ihre Seelenpartnerin zu sehen, die vor mehreren
Jahrhunderten in dergleichen Situation waren. Er verfluchte das Schicksal,
welches diese beiden Seelen miteinander verband, einem stillen Zwang sich
stets ineinander zu verlieben, obgleich es eines der höchsten Verbote war.
Sein musternder Blick fiel auf den Engel, dessen blonde Haare nun rötlich
schimmerten und wie Gold in dem blassen Licht wirkten. Er war Namtar wie aus
dem Gesicht geschnitten, glich einem lichten Spiegelbild seines Schülers. „Was,
wenn wir uns weigern mitzugehen?“, erklang nun Namtars gereizte Stimme.
Yama erkannte auf einen Blick, wie angespannt dieser war, seine Gestik glich
einer lauernden Katze die zum Sprung ansetze. Er schien auf alles gefasst zu
sein, bereit zu kämpfen. „Du
weißt, dass wir euch dann gewaltsam trennen müssen, Namtar.“, sprach
Yama die Worte aus und versuchte soviel Kälte und Härte in seine Stimme zu
bringen wie ihm möglich war. Wenn er doch wenigstens freiwillig mitkäme.
Doch Namtar schüttelte, wie nicht anders zu erwarten, den Kopf. „Nein,
ich werde bei ihm bleiben, keiner trennt uns.“ „Jeremias,
komm freiwillig her. Du weißt was für Strafen darauf stehen mit einem Dämon
zusammen zu sein. Ihr könnt nicht beieinander bleiben, das sollte dir klar
sein.“ Raphael mischte sich nun in das Gespräch ein, ohne auf Yama zu
achten. Er hatte auch einen Schüler und Jeremias war sein Problem. Der großgewachsene
Engel hatte rotblonde glatte Haare, die in mehreren Schlaufen
zusammengefasst und nach oben gesteckt waren. Er trug aufwendige Kleidung,
bestickt mit Mustern und Symbolen und trug Schmuck, den Jeremias nie an ihm
gesehen hatte. Raphael hielt nicht viel von auffälliger, protziger
Kleidung, doch dieses Mal schien er sich zurecht gemacht zu haben, als
gleiche das Zurückbringen eines störrischen Engels einer Prozession. „Nein.“
Jeremias schüttelte den Kopf. „Es tut mir Leid, Meister, aber ich kann
nicht mehr zurück in den Himmel.“ Er senkte betreten den Kopf und schloss
die Augen. „Ich möchte bei Namtar bleiben.“ Wie zur Untermauerung
seines letzten Satzes drehte er den verdutzten Namtar zu sich und drückte
ihm einen feurigen Kuss auf, welcher sofort erwidert wurde. Der Dämon, der
gerade dabei gewesen war Yama zu erklären, dass Jeremias seine ewige Liebe
sein würde, stoppte abrupt seine Ausführungen und schloss die Augen. Er
genoss es Jeremias zu küssen und für wenige Sekunden vergaßen sie ihre
Probleme und Sorgen und sahen nur noch sich. Ein Seufzen, gefolgt von einem
angewiderten Schnauben holte sie zurück in die Wirklichkeit. Yama sah die
beiden mit einem seltsam befremdlichen Blick an, während Raphael
verzweifelt den Kopf schüttelte. „So
wird das nichts.“, murmelte der Anführer der Engel und er schloss die
Augen. Er dachte über eine andere Lösung nach, sinnierte vor sich hin und
in diesen wenigen Sekunden passierte alles auf einmal. Noch bevor Raphael
die nächsten Worte im Kopf geordnet hatte, sprang ein junger Engel mit
funkelnden Augen hinter Raphael hervor und betrachtete die beiden voller
Abscheu. „Wenn
du nicht wärst!“, schrie er wie von Sinnen und noch bevor Raphael ihn
daran hindern oder Namtar reagieren konnte, erhellte ein grelles Licht die
Wiese. Namtar schloss gepeinigt die Augen und wandte den Kopf ab, als ein hämmernder,
betäubender Schmerz durch seinen Kopf zuckte und ihn in seinen Bewegungen lähmte.
Der Dämon war ein solches blendendes weißes Licht nicht gewohnt, allein
der Funken konnte ihn fast besinnungslos machen. So sah er weder den
magischen Lichtblitz, noch spürte er die Gefahr die auf ihn zuraste.
Vollkommen desorientiert, spürte er nur plötzlich einen groben, rauen
Schlag in seiner rechten Seite und taumelnd verlor er das Gleichgewicht, stürzte
zu Boden und wenige Sekunden später explodierte ein brennender Schmerz in
seinen Eingeweiden. Keuchend und mit zusammengekniffenen Augen konzentrierte
und sammelte er sich und öffnete er dann seine Augen, als das Licht
verschwunden war. Mit einem entsetzen Aufstöhnen bemerkte er die Wunde an
seinem Unterleib, spürte das schwarze Blut über seine Beine fließen und
in dem braunen Boden versickern. Suchend sah er sich nach seinem Partner um
und als er ihn schließlich etwas weiter entfernt auf dem Boden liegen sah,
machte sein Herz einen entsetzen Sprung. Seine Gedanken wirbelten
durcheinander und ließen ein taubes Gefühl in ihm zurück. Er wollte
schreien, doch als er die trockenen Lippen öffnete, drang nur ein Krächzen
hervor, was schnell erstarb. Namtar richtete sich halb auf und ging
schwankend auf Jeremias zu. Sein Magen schmerzte und er hinterließ eine
breite Blutspur, als er sich neben Jeremias kniete und ihn in die Arme nahm.
Die klaffende Wunde, aus der unaufhörlich das silbrige Blut des Engels
floss, war identisch mit seiner eigenen. Tränen stiegen in Namtars Augen,
benetzten seine bleichen Wangen, als ein Zittern durch den Körper fuhr und
er ein Aufschluchzen nicht unterdrücken konnte. „JEREMIAS!“
Der Schrei hallte laut über die Ebene, trug den Namen des Engels weit fort
und keuchend schnappte Namtar nach Luft. Angst und Panik machten sich in ihm
breit. „Warum hast du mich weggestoßen, du Idiot!“, brachte er über
die bebenden Lippen und presste sie wieder aufeinander. „Du
wärst...“, begann sich nun Jeremias zu regen, „… sonst sofort…
gestorben. Das Licht hätte dich… getötet.“ Starr,
mit entsetzt geweiteten Augen blickte er zu dem Engel in seinen Armen, der
merklich schwächer wurde. Nahezu parallel spürte er seine eigene Kraft aus
ihm hinausströmen, doch es störte ihn nicht. Wenn das sein Schicksal war,
dann würde er zusammen mit dem Engel sterben, dachte Namtar und schloss müde
die Augen. Nur fern nahm er den Disput zwischen Raphael und Hamiel wahr, der
diesen Lichtzauber heraufbeschworen und ihn gegen Namtar gewirkt hatte. Es
interessierte ihn nicht, er wollte weder Yama bei sich haben, noch
Gerechtigkeit für den feigen magischen Angriff eines Engels. Er wollte
einzig und allein bei seinem Partner bleiben, gleich wenn sie beide sterben
würden. Doch
der Engel regte sich plötzlich wieder, hob eine Hand und strich Namtar
durch die schwarzen Haare. Du
hast mir… ein Versprechen gegeben.“, begann er stockend. Hustend und
nach Luft ringend sah er seinen Partner eindringlich an und Namtar erwiderte
mit einer Mischung aus Entsetzen und Panik den flehenden Blick Jeremias’. „Das
kannst du nicht ernst meinen.“, begann er leise und schüttelte den Kopf.
„Bitte, tu mir das nicht an, verlange nicht von mir, das zu tun.“ Ein
Flehen lag in der zittrigen Stimme und die Augen suchten scheu nach den
blauen seines Partners, doch er las nur die stumme Bitte in diesen… Mit
brennenden Augen und einem schmerzenden Herzen, das schwer und unregelmäßig
schlug, erwachte Namtar und tastete benommen nach seinen Schläfen. Der Kopf
tat ihm und er fühlte sich schlapp und müde, als er sich leicht
aufrichtete. Seine Hände glitten durch seine Haare, bevor er überrascht in
seinen Bewegungen stockte und an sich herabblickte. Hatte er bisher stets
dafür gesorgt, dass die Strähnen nicht länger als bis zur Schulter
ragten, flossen sie nun bis weit über seinen Rücken herab und hatten sich
mit den Wurzeln und Ästen der Bäume verwoben. Schlagartig spürte er die
vertraute Macht in sich aufleuchten, die er jedes Mal verloren hatte, als er
sich die Haare schnitt. Sie war zurückgekehrt und Namtar brauchte eine
Weile um die Realität von seinem Traum zu unterscheiden. Er fuhr sich über
das Gesicht und versuchte die Tränen fortzuwischen, die jedoch
augenblicklich zurückkehrten und obwohl er versuchte es zu unterdrücken,
brach ein Schluchzen aus ihm heraus. Wie lange hatte er nicht mehr davon
geträumt oder gar deswegen geweint? Weit und tief in die hinterste Kammer
seiner Seele hatte er diesen Tag verbannt und versuchte vergeblich das zu
vergessen, was ihn damals nahezu gänzlich zerbrochen hatte. Die klare
Stimme Jeremias rauschte durch seinen Kopf, er war unfähig sie abzustellen
oder zu ignorieren. „Du
hast mir ein Versprechen gegeben.“ Natürlich
hatte er sich an dieses Versprechen gehalten, hatte den letzten Wunsch
seines Partners erfüllt und war am Leben geblieben, während Jeremias in
seinen Armen starb. Er hob die Hand, befreite sie von dem schwarzen
Handschuh und betrachtete das schwarze blasse Symbol auf seiner Innenfläche.
Es war damals erloschen, und er hatte es versteckt, hatte sich geweitert
sich es anzusehen, doch nun, da er sich an diesen Tag erinnerte, überwand
er seine Angst und begutachtete den feinen Schwung des Zeichens. Das letzte
Mal, als er es betrachtet hatte, war es von einem roten Lichtschein umgeben.
Er erinnerte sich daran, wie er das Blut seines Partners trank, um den Fluch
von sich zu nehmen, seine Seele von der Verwandtschaft des Engels zu
befreien und somit zu überleben. Bis dahin teilten sie alles, Schmerz,
Leid, Glück und Freude, doch mit einem Mal war das alles verschwunden. Er
hatte einen Teil seiner selbst damals verloren, als er dem Wunsch
Jeremias’ folgte und sich entgültig von seinem Partner lossagte, während
der Engel ihn mit seinen letzten Kräften heilte. Namtar erinnerte sich an
die letzten Worte, die ihm versicherten, dass der Engel wiederkehren, ihn
suchen und finden würde und nahm Namtar das Versprechen ab, ewig zu warten.
Doch der Dämon spürte dass seine Kräfte und seine Geduld zur Neige
gingen, wusste, dass es keine Hoffnung mehr gab unter all den Seelen, die es
in den Welten gab, Jeremias wieder zu finden. Er konnte als Mensch geboren
worden oder vielleicht als Engel in den Himmel gekommen sein. Vielleicht
hatte er die Unterwelt weit entfernt dieser Felder über die Brücke
betreten und schlüpfte nicht aus einem der Eier, gab es schließlich zwei
Wege um ein Dämon zu werden. Doch Namtar hatte sich, seinem Instinkt
folgend, nur hier aufgehalten, als hätten ihm die Bäume zugeflüstert,
dass Jeremias hier geboren werden und nicht über die Brücke kommen würde.
Namtar wusste unterdessen nicht einmal mehr genau, warum er so verzweifelt
an diesen Bäumen hing, sich ein jedes Mal wünschte, dass Jeremias schlüpfte,
sobald die Zeit der Geburt da war. Doch die Jahre vergingen und in all
dieser Zeit war er nie aufgetaucht. Vielleicht hatte Namtar ihn nicht
erkannt, hat vergessen, welche Aura diese Seele umgab und jedes Mal schalt
er sich einen Dummkopf, wenn er daran dachte. Doch die Zweifel blieben,
zehrten an seinen Kräften und er hatte das Gefühl nun, da die Erinnerungen
stärker zurückkamen, als die letzten Male, unter der unbändigen Last
seines Gewissens zusammenzubrechen. Er
wollte sich abwenden, sich in dem Wurzelwerk verkriechen und einfach nur
sich selbst überlassen bleiben, als ihn ein warmes, bekanntes Gefühl
durchflutete und er mit tränenverschleierten Augen aufblickte. Das Ei,
welches er vollkommen verdrängt und vergessen hatte, schwebte direkt vor
ihm in der klaren Luft. Es war nun fast gänzlich grün und in kurzen Abständen
flackerte es schwarz auf. Namtar erkannte, dass es schon fast zu spät war,
der ungeborene Dämon sterben würde, wenn er nichts tat und noch bevor er
darüber nachdachte, begann er seine linke Hand auszustrecken und seine nun
nackten Finger strichen sanft über die Hülle, die nun fast materialisiert
war. Er spürte das leichte Pulsieren, einen warmen sanften Druck und das Ei
ließ sich auf seiner Hand nieder. Das behagliche Gefühl kehrte
augenblicklich zurück und ihn durchzuckte die Erkenntnis erneut wie ein
Blick. Konnte das wirklich die Seele sein, auf die er so lange gewartete
hatte? Eine Weile starrte er die Kugel an, schloss die Augen und flüsterte leise, ermutigende
Worte, konnte sich allerdings selbst nicht beruhigen und mit jedem Pulsieren
und Aufflackern, festigte sich seine Vermutung und er war sich sicher ihn
endlich wiedergefunden zu haben. „Jeremias.“,
wisperte er dem Ei entgegen und schloss seine Arme um die Schattenkugel,
wiegte es und die langen Haare umschlossen die zerbrechliche Hülle, wie
einen Mantel. „Hörst du mich?“ Das Pulsieren und stärker werdende
Leuchten war ihm Antwort genug. „Ich habe immer auf dich gewartet und ich
hoffe mein Ruf wird ausreichen, um dich Schlüpfen zu lassen.“ Er strich
liebevoll die Form nach, ertastete die unebene Fläche, die mit Rissen überzogen
war und begann dann leise zu singen, formulierte die Worte, die notwendig
waren, um einen Dämonen zu rufen. Seine Aufgabe war es nie gewesen das Lied
zu singen, um einem ungeborenen Dämonen den Weg zu weisen, doch er hatte
einmal beobachten können, wie die Wächter sie weitergaben und hatte sogar
die Lieder über die Felder klingen gehört, als die Dämonen aus den Eiern
gerufen wurden. Er prägte sich damals die Worte ein und vergaß sie nie
wieder, und in dieser Sekunde war dankbar dafür, sie gehört und nicht
vergessen zu haben. Obgleich seine Stimme heiser und rau war, sang er etwas
unbeholfen und unkonzentriert das Lied. Er versprach sich teilweise und
seine Stimme geriet ins Stolpern da er zu nervös und ungeduldig war. Zunächst
tat sich gar nichts, das Ei pulsierte nur weiter, flatterte aufgeregt wie
ein kleiner Vogel in seinen Armen und leuchtete in einer dunklen grünen
Farbe. Doch Namtar gab nicht auf, wiederholte die Lieder, sang sie immer
lauter und klarer und legte all sein Gefühl und seine Macht in die
einzelnen Worte, die nun wie Beschwörungen klangen. Er war dankbar darum,
dass seine Magie zurückgekehrt war, dass seine Haare wieder gewachsen waren
und er dadurch in der Lage war, nicht nur zu singen, sondern auch die
Energie aufzubringen, die er benötigte, um die Worte nicht nur
wiederzugeben, sondern sie zu einem Zauberbann umwandeln zu können. Seine
Stimme erklang fast eine Stunde und er drängte seinen Selbstzweifel und
seine Unruhe immer wieder zurück, wollte nicht aufgeben, auch als seine
Stimme immer schwächer wurde. Zu lange hatte er gewartet, um nun an dieser
kleinen Hürde zu scheitern und er wollte unter keinen Umständen Jeremias
wieder verlieren. Sein innigster Wunsch wurde lauter und schließlich, als
er fast keine Stimme mehr hatte, leuchtete das Ei dumpf auf und Namtar spürte,
wie die Schale zerbrach und sich mit einem dumpfen Zischen auflöste. Der
schwarzer Rauch umhüllte den Dämon
sofort und ließ ihn gepeinigt aufhusten. Er kniff die Augen zusammen,
wandte sich ab und wurde von einem plötzlichen Gewicht tief in die Mulde
zwischen die Wurzeln gedrückt. Seine Arme umschlangen automatisch einen
fremden Körper, zogen ihn zu sich und spürte dabei kalten Knochen, die aus
den Schulterblättern des neugeborenen Dämons gewachsen waren. Er keuchte
kurz auf, während er den Rauch wegfächelte, dann sah er in seinen Armen
einen nackten jungen Mann liegen. Die langen lockigen rotschwarzen Haare
fielen chaotisch über seine Schultern und die Wurzeln der Schattenbäume,
der schmale Rücken hob und senkte sich regelmäßig und die schwarzen
Knochen seiner Flügel schimmerten wie Obsidian, waren von der Basis bis in
die Spitze nahezu fünf Meter lang. Das dunkle Licht, was die Flügel
komplettierte und nutzbar machte, fehlte jedoch. Vorsichtig drehte Namtar
das Gesicht zu sich, bettete ihn sicherer in seinen Armen, nur um dann eine
Hand zu lösen und die wirren Locken aus der Stirn des Mannes zu streichen.
Lange betrachtete er die zierlichen, kindlichen Züge des Dämons, die
kleine niedliche Nase, die langen Wimpern, die Schatten auf die Wangen
warfen, die hohe Stirn und das kurze Kinn. Der Körper war elfengleich
gebaut, schmal und zerbrechlich und in einer hektischen Umarmung presste
Namtar den Jungen an sich und ließ seine Stirn auf die Brust des Dämons
sinken. Heiße Tränen strömten über seine Wangen, doch dieses Mal war es
kein Schmerz, der Besitz von ihm ergriff, sondern ein Glücksgefühl, was er
nicht beschreiben konnte. Sein Herz schlug schnell und schmerzhaft in seiner
Brust, während er den entblößten Körper wiegte. Als
sich der Junge zu regen begann, hob Namtar den Kopf und blickte in dieselben
blauen Augen, die ihn vor Jahrhunderten angesehen hatten. Er war sich nicht
sicher, ob ihn der Junge erkannte, doch in den blauen Augen funkelte kurz
etwas auf und eine Ruhe und ein Wissen strahlten ihm entgegen, das Namtar
verzauberte und berührte. „Du
bist es…“, murmelte er heiser und strich dem Dämon durch die Haare.
„Du hast dein Versprechen gehalten.“ Unfähig sein Glück anders auszudrücken
beugte sich Namtar über den Jungen und küsste ihn zunächst federleicht,
dann jedoch vertiefte er den Kuss und sein Zunge tastete sich weiter
zwischen die Lippen des anderen hindurch. Überrascht und verwirrt zugleich
erwiderte dieser die zärtliche Berührung und kuschelte sich gegen den
Fremden, den er noch nicht genau einordnen konnte. Er hatte das Gefühl eine
Ewigkeit geschlafen zu haben und nur langsam klärte sich der Nebel seines
Verstandes und gab die Erinnerungen preis, die in ihm verschlossen war. „Wer
bist du?“, wurde Namtar gefragt und die Stimme wirkte scheu, zerbrechlich
wie eine Seifenblase, unsicher und rein, da sie noch nie benutzt worden war.
Sie war bei weitem nicht die Stimme, die er gekannt hatte, doch der Dämon lächelte
nur, antwortete zunächst nicht auf die Fragen, weder die gestellten, noch
die unausgesprochenen. „Wo bin ich?“ „Ich
bin Namtar und du bist bei mir auf den Feldern der Schattenbäume, aus deren
Eiern du soeben geschlüpft bist.“, sagte Namtar ruhig. Sicher er war froh
die geliebte Seele wiedergefunden zu haben, dennoch musste er zugeben, dass
er nicht genau wusste, was er mit einem neugeborenen Dämon machen sollte.
Er hatte bisher nie Einblicke dahingehend erhalten, was mit den frisch
geschlüpften Wesen passierte. „Namtar.“,
murmelte der Junge leise und schloss erschöpft die Augen. „Du kommst mir
vertraut vor.“ Müdigkeit stieg erneut in ihm auf und er konnte sich nicht
erklären, weshalb er sich schon wieder die Dunkelheit seiner Träume
suchte, hatte er doch bis vor wenigen Minuten geschlafen und war gerade erst
zu sich gekommen. „Was
mache ich denn jetzt mit dir?“ Namtar wirkte ratlos, als er den jungen
Mann schützend mit seinen Armen umschlang und sich umsah. „Gib
ihm einen Namen.“, erklang eine Stimme von unten zu ihm empor, die er
sofort Shalik zuordnete. Er blickte überrascht zum Fuß des Baumes und sah
sie dort schwer atmend, an einer Wurzel gelehnt, stehen. Sie trug Decken und
Kleidung mit sich, hatte sich scheinbar auch um Wasser gekümmert und maß
ihn nun mit starren, ernsten Blicken. „Ein seltsames Gefühl hat mich
hierher zurück getrieben und scheinbar habe ich mich nicht geirrt. Wie
konnte das nur passieren?“ Sie begann mit dem Aufstieg und kletterte
geschickt wie eine Katze an den Wurzeln entlang, bis sie neben ihm kniete
und den jungen Dämon in Namtars Armen betrachtete. „Ich habe alle reifen
Eier heute gepflückt und sie fortgebracht, damit sie schlüpfen können.
Ich habe noch nie eines vergessen.“ „Vielleicht
wollte er nicht von dir fortgebracht werden.“, wisperte Namtar, der
bemerkte, dass der Dämon eingeschlafen war und sich seine Brust in ruhigen
Atemzügen hob und senkte. Sie sah ihn mit funkelnden Augen an und wirkte
gereizt, als sie das Gesicht verzog und eine Decke über den schlafenden Körper
ausbreitete. „Bringen
wir ihn erst mal nach unten. Ich schaue mir dann seine Flügel an und du
musst ihm einen Namen geben, da du ihn gerufen hast.“ Sie schüttelte ungläubig
den Kopf und musterte erneut Namtar. „Was eigentlich vollkommen unmöglich
ist.“ Für sie erschien es unglaublich, dass dieser Dämon das Lied
gesungen hatte, um einen Neugeborenen den Weg zu weisen und ihn zu sich zu
holen. Das war bisher nie passiert, dessen war sich Shalik sicher. Elegant
und mit einem Satz sprang sie von den hohen Wurzeln, dreht sich halb und
landete federnd auf dem weichen Boden. „Reich ihn mir, und dann komm’ da
runter.“ Namtar
tat wie ihm befohlen, ließ den leichten Körper nach unten gleiten, wo er
sofort von Shalik in Empfang genommen und auf dem warmen Boden gebettet
wurde. Dann stieg er selbst hinab, nachdem er seine Haare von den Zweigen
und Wurzeln gelöst hatte. „Was
ist mit deinen Haaren passiert? Hattest du mir nicht gesagt, du wolltest sie
dir nie wieder wachsen lassen?“ Namtar zuckte mit den Schultern und
seufzte leise, als er sich zu dem Jungen hinabbeugte. „Ich
weiß es nicht, sie sind auf einmal von selbst so lang geworden, während
ich geschlafen habe.“ „Das
war gut so, sonst hättest du den Dämon nicht aus seinem Ei rufen können.
Wie soll er denn jetzt heißen?“ Shalik begann die Flügel auseinander zu
falten und strich die kühlen schwarzen Knochen entlang, untersuchte sie
geflissentlich auf Verletzungen oder Brüche, stellte jedoch zufrieden fest,
dass alles in Ordnung war. „Schöne, starke Flügel.“, murmelte sie sich
selbst zu und tastete nun auch die Flügelbasis an der Schulter ab. „Jeremias.“ Sie
unterbrach ihre Untersuchung und sah Namtar an, der ihren Blick fest
erwiderte. Für wenige Augenblicke wusste sie nicht, was sie daraufhin
entgegnen sollte. „Das
geht nicht, du kannst ihm nicht einen solchen Namen geben.“ „Wieso?“,
fragte Namtar und schien fest entschlossen, nicht von seinem Entschluss zu
weichen. „Das
ist ein Name für einen Engel, aber nicht für einen Dämon.“ Namtar wurde
von ihr einer scharfen Musterung unterzogen. „Das erinnert mich an diese
Geschichte, die du mir erzählt hast als du betrunken warst.“ Shalik
erinnerte sich zu gut daran, da ihr Namtar an diesem tag zum ersten und
letzten Mal erzählte wer er war und was er hier tat. Ihre Augen weiteten
sich überrascht und ein Hauch Erkenntnis malte sich in ihren Blick. „Das
ist doch nicht etwa...“ Sie stockte, sah zu dem Dämon herab, der nun in
einen tiefen, ruhigen, traumlosen Schlaf gefallen war und richtete ihren
Blick dann wieder auf Namtar. „Doch,
ich weiß es, ich spüre es. Nach so vielen Jahrhunderten ist er zu mir zurückgekehrt
und zwar nur zu mir.“, begann er, lächelte versonnen und glücklich, während
sein Blick weicher und wärmer wurde. „Er ist auf meinen Ruf hin geschlüpft.“ „Das
kann doch nicht sein. Das ist absolut unmöglich.“ Sie schlug die Decke
weiter zurück und besah sich den zierlichen Körper, der nahezu unversehrt
war. Mit einem erstickten Keuchen hielt sie inne hob die zierliche schmale
Hand hoch, betrachtete sich die Innenfläche genauer, schluckte schwer und
drehte sie Namtar zu. Der neigte sich zu ihr und entdeckte eine Narbe, die
dem Zeichen nicht unähnlich war, das Seelenverwandte trugen. Namtar unterdrückte
den Drang es mit dem seinem eigenen zu vergleichen. „Er trägt das Zeichen
eines Seelenverwandten.“, stellte Shalik zitternd fest und ließ die Hand
des jungen Mannes sinken. „Aber kein Seelenverwandter schlüpft aus Eiern,
sie kommen alle über die Brücke als Menschenseelen zu uns.“ „Er
ist auch kein Seelenverwandter. Vor vielen Jahrhunderten ist er einer
gewesen, in seinem früheren Leben und diese Narbe ist mir Beweis genug dafür,
dass ich Jeremias wiedergefunden habe.“ Namtars Gesicht zierte nun ein
breites Grinsen und er lachte sogar kurz krächzend auf, ehe er hustend
darauf verzichtete sich weiter darüber zu amüsieren. „Das Zeichen ist
auf seiner rechten Hand.“ Nun umfasste er die Hand und strich über die
Narbe auf der Innenfläche. „Nur Engel tragen das Symbol auf der rechten
Seite, bei uns Dämonen ist es immer auf der linken Handinnenfläche zu
finden.“ Wie zum Beweis hielt er ihr die seine hin und ließ Shalik das
Zeichen, was er bisher unter einem Handschuh verborgen hatte betrachten. Schweigend
und verunsichert starrte sie das blasse Symbol an und nickte schließlich.
„Sein Name wird Jeremias sein, egal ob es der eines Engels ist oder nicht.
Es ist ein guter und starker Name, der ihn beschützen wird und vielleicht
erinnert er sich irgendwann einmal an mich.“ Er schien einen Entschluss
gefasst zu haben, da er den Dämon plötzlich wieder bedeckte, seine Flügel
zusammen klappte und ihn schließlich hochhob. „Wo
willst du mit ihm hin?“ „Zu
Yama, ich brauche seinen Rat, was ich jetzt tun soll.“ Er pfiff kurz,
lauschte dann und nahm schließlich die vertrauten stapfenden Geräusche von
Kuja wahr, der irgendwo in der Nähe gewesen sein musste. „Du
kannst unmöglich einen Neugeborenen mitnehmen, das kann ich nicht
erlauben.“ Shalik wirkte mit einem mal hysterisch und verunsichert. Ihre
Augen glitten nervös und panisch über die Gestalt Namtars und die des
schlafenden Jungen. „Das wird böse Folgen für dich haben. Bringen wir
ihn lieber zum Rat und...“ „Und
was tun sie dann mit ihm? Ich will ihn nicht noch einmal verlieren!“
Gereizt senkte er die Stimme und fuhr dann leiser und ruhiger fort. „Nein,
ich lasse ihn nicht noch einmal gehen, dafür habe ich zu viele Jahrhunderte
hier auf ihn gewartet, geglaubt dass er sein Versprechen hält und er ist
wirklich wieder zu mir zurück gekommen.“ „Aber,
das kann ich doch unmöglich zulassen.“, wimmerte sie nun und schlug die
Augen nieder. Angst kroch in ihr auf und sie suchte fieberhaft nach anderen
Argumenten, um Namtar von seiner Entscheidung abzubringen. „Bitte,
lass mich gehen oder begleite mich. Yama wird etwas einfallen, ein
Schlupfloch in den Gesetzen finden, um mein Handeln zu legalisieren. Er wird
mich nicht zurückweisen, wo ich zum ersten Mal freiwillig zu ihm zurückkehren
werde.“ Shalik konnte mit dem letzten Satz nichts anfangen, verstand
nicht, was Namtar meinte, doch schließlich nickte sie. „Du
liebst ihn, nicht war?“ Die Frau wusste die Antwort bereits, als sie in
das Gesicht des Dämonen blickte und nickte dann leicht. „Dann geh zu
deinem Meister. Ich kann dieses Feld nicht verlassen und werde hier
bleiben.“ Sie wandte sich ab und trat einige Schritte zu dem Baum zurück,
legte ihre Hände an die Wurzeln und strich zärtlich über diese. Namtar
musterte sie verdutzt und für einige Sekunden fehlten ihm die Worte. Stumm
betrachtete er ihren Rücken und schrak zusammen, als sie ihn schließlich
anfuhr: „Nun verschwinde endlich, du Narr! Je länger du zögerst umso
schwerer wird es für dich zum Cylohin zu gelangen.“ „Aber
was ist mit dir?“ „Was
soll schon sein?“ Ihre ruhige Ausstrahlung, ängstigte Namtar ein wenig
und er war sich nicht sicher, ob es klug war, sie zurück zu lassen. Was
wenn ihr etwas passierte, nachdem er einen Dämonen entführt hatte und sie
ihn freiwillig ziehen ließ. Kuja taucht neben ihm auf, grunzte leise und
stupste ihn mit seiner gigantischen Schnauze an, doch Namtar reagierte
nicht, legte nur mechanisch Jeremias auf den Rücken des Tiruks und trat
dann zu Shalik, die merklich erbebte, als sie die leisen Schritte hörte. „Hab
ich dir nicht gesagt, du sollst verschwinden?“, fauchte sie ihn an, drehte
sich entschlossen um und wollte gerade etwas sagen, als sie keuchend inne
hielt und zurückwich. Namtar hatte sich hinter ihr aufgebaut, den Arm
ausgestreckt und nur zu deutlich nahm sie die Magie war, die er formulierte,
erkannte den Zauber, der sich in seiner Hand konzentrierte und die Gestalt
eines schwarzen nebeligen Vogels annahm. Kurz mit den Flügeln schlagend,
richtete sich das Schattentier auf, blieb allerdings auf seiner Hand sitzen. „Tut
mir leid, Shalik.“, murmelte er leise und schleuderte dann den Zauber mit
einer raschen Bewegung direkt auf sie. Taumelnd wollte sie ausweichen, dem
plötzlichem und unerwartetem Angriff entgehen, doch ihre Beine waren nicht
schnell genug und noch während sie zur Seite hechten wollte, traf sie der
Vogel frontal und drang in ihren Körper. Schwarze Blitze zuckten auf und
mit einem spitzen Aufschrei brach sie zusammen und fiel zu Boden. Schnell,
um sich zu vergewissern, dass sie noch lebte, trat er zu ihr, berührte sie
jedoch nicht und lauschte angestrengt. Als er den ersten leise Atemzug
wahrnahm, fiel die Anspannung von ihm ab und Erleichterung machte sich
breit. Er wusste, dass er sie nicht ernstlich verletzt hatte, doch so konnte
wohl niemand behaupten, sie hätte ihn ohne Wiederstand gehen lassen. Mit
einer ruppigen Bewegung wandte er sich ab, trat zu Kuja und saß hinter dem
Jungen auf. Sofort erhob sich der Tiruk auf seine Hinterbeine, schien auf
einen Befehl seitens Namtars zu warten, der sich sofort zu den kleinen Ohren
beugte und flüsterte: „Tak.“ Kuja ritt sofort los und nach einem
weiteren Wort begann er schneller zu werden und glitt wie ein Schatten
zwischen den Bäumen hindurch. Er wusste wohin er gehen musste, kannte den
Weg, den sein Reiter einschlagen würde und Namtar hatte nun Zeit sich ein
wenig um Jeremias zu kümmern. Die Flügel waren störend, doch er
ignorierte die Stiche, die diese zerbrechlichen Knochen auf seine Beine ausübten.
Er ritt einfach weiter, schenkte der vorbeiziehenden Landschaft keine
Beachtung, sondern war darauf konzentriert, festzustellen ob es Verfolger
gab. Shaliks Schrei würde nicht ungehört verhallt sein, eine innere Stimme
sagte ihm, dass sein Angriff nicht unbemerkt bleiben würde und er so
schnell wie möglich zum Dimensionstor gelangen musste, wenn er unversehrt
zu Yama gelangen wollte. Zum
ersten Mal seit Jahren schien das Glück auf seiner Seite zu sein. Er hörte
zwar die Wächter, nahm auch den hämmernden Alarm war und die panischen
Rufe, die aus weiter Entfernung zwischen den Schattenbäumen zu ihm drangen,
doch er erreichte ohne Probleme den Cylohin, stoppte den Tiruk erst in der
Mitte und konzentrierte sich sofort auf die Reise zu Yamas Schloss. Er
unterließ es die Zeichen zu prüfen und ob der Kreis intakt war, rief sich
nur den Raum Yamas in Erinnerung, hielt an dem Bild, welches sich in seinem
Kopf manifestiert hatte, fest und sogleich stoben die schwarzen Nebel auf,
umschlossen sie und rissen sie mit sich. Ein heftiger Ruck lief durch seinen
Körper und er presste den schlafenden Jeremias fester an sich, ignorierte
die beißenden Stiche der Flügel und landete schließlich hart auf dem
Boden, als er von Kuja stürzte. Er hatte vielleicht doch etwas zu überstürzt
den Transport vorgenommen, stellte er benommen fest, als er sich auf dem
schwarzen Marmorboden räkelte und schließlich aufstand. Er sah sich um, überblickte
den großen Saal, die riesigen Fenster, die zum Balkon hinausführten und
die Gestalt, die sich mit schnellen weit ausladenden Schritten auf sie zu
bewegte.“ „Namtar!“
Yamas Stimme war schneidend und Zorn drang an Namtars Ohren, der sich kurz
zu Jeremias blickte, welcher auf dem Boden lag und schließlich seinem
Meister entgegen sah. „Was machst du hier und dann noch in diesem Aufzug.
Du hättest dich ernsthaft verletzen können mit deinem, wohl sehr überstürzten,
Teleport.“ Er blieb direkt vor ihm stehen, doch wirkte nicht so wütend,
wie es Namtar angenommen hatte, vielmehr hatte sich Sorge in die Augen Yamas
geschlichen. Mit Absicht ignorierte er den Dämon, der mit weit
ausgebreiteten Flügeln vor seinen Füßen lag und musterte Namtar
eindringlich. Er seufzte, rieb sich die Schläfen und schüttelte leicht den
Kopf. „Ich
brauche eure Hilfe.“ „Du
wirst dich sofort auf dein Zimmer begeben und dort bleiben.“, herrschte
ihn der großgewachsene Mann an, als spreche er mit einem ungezogenen Kind.
Er machte eine fahrige Handbewegung und deutete auf den Tiruk. „Und bring
den hinunter in den Stall, ein Tier in meinem Empfangssaal.“ Ein Schnauben
war zu hören und Namtar wusste nicht, ob es von Yama oder Kuja stammte. „Aber,
was wird mit...“, begann Namtar eingeschüchtert und Wut kroch in ihm
hoch. „Ich
sehe niemanden.“, schnitt ihm Yama das Wort ab und wandte seinem Schüler
den Rücken zu. „Ich habe weder gesehen, dass du jemanden mitgebracht
hast, noch kann ich etwas dazu sagen.“ Er atmete hörbar aus und murmelte
etwas vor sich hin, was sich wie ‚dummer Junge’ anhörte. „Du bist
allein hergekommen und zwar auf meinen ausdrücklichen Befehl hin, da du
eine wichtige Angelegenheit mit mir zu klären hast.“, fuhr Yama fort und
trat zum Fenster zurück. „Ich habe dich gerufen, weil es da noch etwas
wegen deiner Aufgabe zu klären gibt, in die ich dich morgen unterweisen
werde.“ „Aufgabe?“
Namtar war sichtlich überrascht doch langsam verstand er was Yama sagen
wollte und erkannte, dass sein alter Meister ihm half und ihm nicht in den Rücken
fiel. „Du
wirst einen neuen Dämonen ausbilden, der kurz vor dir hier angekommen
ist.“ Er deutete über seinen Rücken grob in Jeremias’ Richtung. „Ich
werde dir die Meisterprüfung abnehmen, danach kannst du Schüler annehmen
und unterrichten. Der Dämon, von dem ich sprach wird dein Erster sein, um
den du dich gut kümmern wirst, verstanden? Ein Versagen dulde ich nicht!“
Er blieb stehen, blickte Namtar jedoch nicht an, sondern hielt seinen Blick
stur auf die Wand gegenüber gerichtet. „Das
wird auch nicht passieren! Ich beschütze ihn mit meinem Leben und
unterrichte ihn, wie ihr es befohlen habt.“ Er tat etwas, was er seid
Jahrhunderten nicht mehr gemacht hatte und obgleich Yama es nicht sehen
konnte, verneigte er sich tief. „Danke.“ „Geh
und kümmere dich um alles weitere. Ich vertraue dir Jeremias an.“ Ohne
auf eine Antwort zu warten, trat die stattliche Gestalt wieder zwischen den
Vorhängen entlang nach draußen auf den Balkon und verschwand aus Namtars
Blickfeld. Es überraschte ihn nicht, dass Yama den Namen des Dämons
kannte, hatte er ihm doch oft von dem Engel berichtet. Er trat zu Jeremias,
neigte sich zu ihm und strich ihm durch die Haare. Mit einem Lächeln hob er
ihn vom Boden, drückte ihn an sich und verließ den Empfangssaal. Er würde
dieses Mal Jeremias beschützen und nicht wieder verlieren, das schwor er im
Stillen seinem Meister und sich selbst, als er den langen, mit dunklen
Feuern erhellten Gang zu seinem Zimmer entlang ging. -FIN-
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(c) Juliane Seidel, 2007 |