Assjah |
-Total Silence- ================================================================================ Die
absolute Stille, das ewige Nichts und die vollkommene Dunkelheit waren meine
Begleiter geworden. Ich erinnerte mich kaum noch daran, wie ich überhaupt
in diese ausweglose Situation gekommen bin, aber ich hatte schon vor einiger
Zeit einsehen müssen, dass es nicht nur ein Traum war, aus dem ich hätte
aufwachen können, sondern Wirklichkeit. Ich bin in meinen persönlichen
Alptraum gefallen und zu allem Überfluss auch noch freiwillig. Meine
Gedanken sind mir geblieben, die Fähigkeit mir wieder und wieder diese eine
Frage zu stellen. Warum? Warum bin ich hier? Warum habe ich das gemacht? Was
hatte ich mir eigentlich dabei erhofft, mit Chris den Platz zu tauschen. War
es Respekt gewesen, oder vielleicht sogar ein wenig Liebe, ein Lächeln oder
ein nettes Wort? Ich wusste es gar nicht mehr, konnte mich kaum noch an das
erinnern was geschehen war. Natürlich nagte es so langsam an meinem
Verstand und meiner Vernunft, ebenso wie dieser Ort es tat. Es war nichts um
mich herum, ein unendliche Dunkelheit hüllte mich nicht nur körperlich
ein, ich spürte, wie sie mehr und mehr nach meiner Seele griff. Es war wie
eine eisige Umklammerung, die ich bisher nur abschütteln konnte, wenn ich
mich in Grübeleien stürzte. Ich wollte nicht verrückt werden, nicht hier.
Aufgeben kam für mich nicht in Frage, wobei ich mir eingestehen musste,
dass ich die Leute immer besser verstand, die den Freitod als letzten Ausweg
suchten. Ich musste zugeben, auch ich stand manchmal kurz davor, mir ein
Messer zu wünschen, was durch meine Pulsadern glitt wie durch warme Butter.
Seit wann regten sich solche destruktiven Gedanken in mir? War ich nicht
immer derjenige gewesen, der die Meinung vertrat, es gab immer einen Ausweg,
immer ein Licht am Ende des Tunnels? So langsam zweifelte ich an mir selbst
oder es das hier war ein sehr, sehr langer Tunnel. Ich
schüttelte die Gedanken ab und regte mich leicht. Augenblicklich bohrte
sich einer der spitzen Steine in meinen Rücken und leise keuchte ich auf.
Sofort verstummte ich und sah mich um. Hatten Sie mich gehört? Ich betete
zu allen Göttern, dass ich unentdeckt blieb und kauerte mich tiefer in die
kleine Nische, die nun seit einiger Zeit mein Versteck geworden war. Ich war
mir nicht einmal sicher, wie viel Zeit vergangen war. Waren es Stunden oder
Tage? Vielleicht waren schon Wochen oder gar Monate vorbeigezogen, ohne,
dass ich es wahr gommen hatte. Mein Zeitgefühl hatte sich seit meiner
Ankunft vollkommen verflüchtigt, es war einfach verschwunden und hatte mich
im Stich gelassen. Aber das war nicht das Einzigste. Ich sah nichts, hatte
das Gefühl blind zu sein und konnte weder riechen noch schmecken. Es war
als hatte jemand einen Schalter gedrückt und einfach einen Teil meiner
Sinne abgestellt, sie ausgemacht, wie eine Nachttischlampe. Ich fühlte nur
eines, unendlichen Schmerz, das Einzige, was man mir scheinbar zugestanden
hatte. Ich spürte jedes Ziehen meiner Muskeln, jede Verkrampfung meiner
Gliedmaßen und meine Beine und Gelenke schmerzten, als wäre ich Tage lang
nur gelaufen. So falsch, war dieser Gedanke gar nicht, musste ich mir
eingestehen. Ich floh ja vor diesen Kreaturen, wie ich sie nannte, diesen
namenlosen Monstern, die mich verfolgten, mich durch diese staubige Einöde
jagten und nur ein Ziel hatten: Mich zu fangen, mich anschließend zu quälen
und mir Worte zuzuflüstern, die meine Ohren nicht hörten, jedoch meine
Seele wahrnahm und das vergrößerte den Effekt, tötete mich jedes Mal von
innen heraus. Doch sie beendeten nie, was sie begonnen hatten, sie ließen
mich gehen, gaben mir Vorsprung und jagten mich erneut. Es war ihr Vergnügen
und mein Alptraum. Ich war nicht schnell genug, also versteckte ich mich, so
wie ich es jetzt tat. Bei meiner letzten Flucht war ich gestolpert, gestürzt
und hatte mir die Beine schmerzhaft aufgeschlagen. Ich hatte eine Höhle
ertastet und noch bevor ich wusste, wo sie sich befand, kletterte ich hinein
und versuchte unsichtbar für sie zu bleiben, so wie sie es für mich waren. Um
mich abzulenken dachte ich wieder über ihn nach. Er, der für meine jetzige
Situation teilweise mit verantwortlich war- Florian oder Clay. Allein die
Tatsache, dass er jetzt anders hieß verwirrte mich immer mehr, von den
eigentlichen Hintergründen einmal abgesehen. Überraschenderweise hatte ich
mich sehr leicht an den Namen Clay gewöhnt, schon als ich ihn das erste Mal
hörte. Er war nicht mehr Florian, sein wahrer Name hatte sich tief in mein
Gedächtnis gebrannt. Ich wollte nur ein einziges Mal in meinen kurzen Leben
im Mittelpunkt seines Lebens stehen. Nicht dass mir dieses Privileg nicht
oft genug zu Teil wurde, im Gegenteil. Ich stand immer dann im Zentrum, wenn
wir uns in den Haaren lagen. Ich musste zugeben, dass wir sehr oft stritten,
es war zu einer Gewohnheit geworden, obwohl wir Freunde waren. Ich liebte es
ihn zu reizen, wollte seine Aufmerksamkeit erregen und ihn aus seiner kalten
starren Hülle befreien, die ihn manchmal zu umgeben schien; die über sein
wahres Ich hinwegtäuschte wie eine billige Kopie. Diese Sonderstellung die
ich in seinem Leben einnahm genoss ich sehr, immerhin kannte ich ihn besser,
als ihm lieb war. Ich wusste zu gut, welchen Hebel ich ziehen musste, um
eine Reaktion von ihm zu erhalten, was ich äußern musste, um mir seiner
vollständigen Aufmerksamkeit gewiss zu sein. Nur ein einziges Mal, wollte
ich dies erreichen, ohne ihn mit Worten anzugreifen oder zu beleidigen. Ich
wollte helfen, seinen Wunsch zu erfüllen, egal was es für mich bedeutete.
Mein Wunsch war es, ihm sein Glück und sein Lächeln wieder zugeben und
auch wenn sich das vielleicht kitschig anhörte. Die Hoffnung blieb in mir
haften, ihm zu seinem Glück verholfen zu haben und mir endlich einem Teil
seiner Liebe gewiss zu sein. Die Liebe… das ausgerechnet das seine
Achilles- Verse war, hätte ich nie für möglich gehalten. Seine Art und
seine Erscheinung brachten mich doch tatsächlich Anfangs zu der Annahme, er
würde nichts davon halten, sie genauso verachten wie die Menschen um sich
herum. Aber ich hatte mich geirrt, das hatte ich sehr schnell feststellen müssen
und es wurde zum Hauptthema unserer Streitigkeiten. Ich war zu unbeständig,
trieb wie ein Blatt im Wind umher und niemals dachte ich daran mich fest zu
binden, wobei ihm die wahren Gründe für mein Verhalten verborgen blieben. Ich
umklammerte müde meine Arme und schloss schmunzelnd meine Augen. Ich
verfiel immer in diesen Zustand, wenn ich über uns und unsere Vergangenheit
nachdachte. Unser erstes Kennenlernen war eine ungewöhnliche Angelegenheit
gewesen. Florian war ein Jahr in den Staaten und kam nach Deutschland zu
seinen Großeltern, die ich, wenn ich mich recht entsinne, nie zu Gesicht
bekam. Ich hatte eine Klasse übersprungen, denn obgleich ich zu der Sorte
Mensch gehörte, die eher Ärger und Unfrieden stifteten, war ich
hochintelligent. Das sagten meine Eltern und meine Lehrer. Doch selbst als
ich hochgestuft wurde und ich somit in eine Klasse mit ihm kam, langweilte
ich mich oft über den Stoff, der behandelt wurde. Ich war sechzehn, er
schon acht- fast neunzehn. Ob er an das Schicksal glaubte? Ich tat es, tue
es selbst jetzt noch… vielleicht mehr als er es mir zugestehen wollte,
denn an jenem Tag verfiel ich ihm augenblicklich. Sein strenges Gesicht, wie
aus Stein gemeißelt, seine kalten grauen Augen stur auf eine Person
gerichtet und obgleich diese grauen Iriden halb von den schulterlangen
schwarzen Haaren verdeckt waren, sah ich das kurze Aufblitzen in diesen. Es
war wie ein Anflug von Erkennen und mein Blick folgte seinem, musterte den
schmalen rothaarigen Jungen, der mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck zu
uns hinüber blickte. Ich stand neben Florian, ging ihm gerade einmal bis
zur Schulter, doch auch wenn ich so groß wie ein Riese gewesen wäre,
bezweifle ich, dass er mich wahrgenommen hätte. Florian Clayman, so wurde
er der Klasse vorgestellt und seither habe ich diesen Namen nicht vergessen
können. Ich hatte keine Schwierigkeiten, Anschluss in der Klasse zu finden,
wer ignoriert schon den Klassenclown, wenn er Späße und Scherze macht?
Doch besonders interessierte mich seine Freundschaft. Ich wollte ihn kennen
lernen, doch seine kalten Augen wiesen mich jedes Mal zurück. Ich hatte
keine Chance gehabt ihn auf direktem Weg zu erreichen, also wählte ich die
Freundschaft zu Chris, dem Jungen, den er die ganze Zeit beobachtet und
angestarrt hatte. Er gab sich nur mit ihm ab, suchte seine Nähe und
Freundschaft und schließlich gewährte ihm der stille Junge Zugang, so wie
er ihn mir gestattete. Ich
musste zugeben, es war schon fast lächerlich wie eifersüchtig ich auf jede
kleine Geste war, die er Chris schenkte. Ich mochte meinen neu gewonnenen,
rothaarigen Schulkamerad, er wurde mit der Zeit mehr zu einem Freund, als
mir lieb war und ich wollte ihn nicht hintergehen und betrügen, und ihn nur
als Mittel zum Zweck nutzen, um an Florian heran zu kommen. Wir
drei wurden Freunde, wobei ich immer das, wie mir schien berechtigte, Gefühl
hatte, ich stelle eher ein notwendiges Übel dar, etwas was Florian in Kauf
nahm, um mit Chris befreundet zu sein. Ich hatte es all die Zeit ignoriert,
hatte mich und meine Gefühle versteckt, um dieses zarte Band zwischen mir
und Florian nicht zu zerstören. Ich hegte wirklich die Hoffnung, er würde
mich irgendwann akzeptieren und zurücklieben, doch all das zerplatzte wie
eine Seifenblase, als er mir in betrunkenem Zustand etwas anvertraute. Er
erzählte von seiner großen Liebe, einer Frau, so zart und rein als wäre
sie ein Engel. Er berichtete von ihren schwarzen langen Haaren und ihren
sanften Augen, der gebräunten zarten Haut und dem zerbrechlichen schlanken
Körper, der hier gefangen war, wie ich es es damals gewesen bin. Als ich
sie bei unserem ‚Austausch’ für den Bruchteil einer Sekunde sah, habe
ich verstanden, was er empfand, warum er sie liebte. Nach diesem Geständnis
war mir alles egal, mein Traum mit ihm zusammen zu sein, war zerstört und
ich wollte dieses Gefühl einfach nur abtöten, ihm entfliehen und lieber
Hass und Abscheu in seinen Augen funkeln sehen, als Zuneigung und
Freundschaft. Ich begann verschiedene Mädchen zu verführen, verstand es
ausgezeichnet darin, mir jede Woche eine neue Freundin zuzulegen und es war
mir gleich, wer es war. Es
gelang mir nicht, meine Gefühle zu töten, doch seine Abscheu und sein Hass
waren mir sicher gewesen; jedes Mal, wenn wir uns stritten und er mir an den
Kopf warf, wie widerlich und verwerflich das sei, was ich tue. „Du weißt
nicht was Liebe ist!“ Doch… das wusste ich, besser als er es sich
vorstellen konnte und immer, wenn er diese Worte an mich richtete, hatte ich
ihn stumm angeschrieen, dass es nicht so war, dass ich durchaus wusste, was
Gefühle und Liebe bedeuteten. Vielleicht hatte ich wirklich alles falsch
gemacht, doch ich war sechzehn… was wusste ich schon von richtig oder
falsch? Seufzend
öffnete ich die Augen, konnte aber keinen Unterschied zu meinem vorherigen
Zustand feststellen. Finsternis und wieder keimte in mir die Frage auf, wie
viel Zeit vergangen war. Vielleicht war ich schon achtzehn, hatte schon
ein Jahr hier verbracht ohne es zu wissen. Möglicherweise war schon soviel
Zeit vergangen, dass mich jeder meiner Freunde vergessen hatte, meine
Familie mich nicht mehr suchte und ich sogar schon ein Grabstein auf dem
Friedhof erhalten hatte. Ein sowohl erschreckender, als auch belustigender
Gedanke. Vielleicht war es soweit und ich verlor endgültig den Verstand. Ein
Geräusch über mir ließ mich zusammenzucken und aus meinen Gedanken
fahren. Ich hatte zu lange in dieser Nische verweilt und nachgedacht, mich
in sinnlosen Erinnerungen und Träumen vergraben und nicht auf meine
Umgebung geachtet. Nur diese Kreaturen konnte ich hören, wenn sie näher
kamen. Meine, von mir gehasste, Fähigkeiten nur Sie zu hören, um meine
Angst und Panik zu steigern. Solche Laute zu hören, das war grausamer, als
die vollkommene Stille, denn ich wusste, dass sie in meiner Nähe waren und
es nur noch eine Frage der Zeit war bis sie mich fanden. Langsam und mit
wackeligen Beinen stand ich auf. Meine Muskeln waren aufs Äußerste
gespannt, jederzeit war ich bereit, davon zu stürzen und um mein Leben zu
rennen. Ein seltsamer Gedanke… um mein Leben rennen. Da
war es wieder, dieses Knacken und es kam näher. Angestrengt suchten meine
Augen die Dunkelheit ab, in der Hoffnung doch etwas wahrzunehmen, eine
Bewegung, einen Schatten, ganz gleich was, solang es mir nur einen Hinweis
gab, wohin ich fliehen konnte. Manchmal glaubte ich Schemen und Umrisse zu
sehen, die Landschaft erkennen zu können, doch schon kurz darauf war das
Bild verschwunden und nichts als Schwärze blieb zurück und tötete immer
mehr meiner Gedanken und Gefühle. Ich tastete mich unsicher am Stein
entlang, meine rauen spröden Finger glitten über die kalte Härte und
fuhren an Spitzen und scharfkantigen Ecken entlang. Sollte ich jetzt
loslaufen oder mich doch verbergen? Meinen nackten unterdessen
blutverkrusteten Füße scharrten unsicher über den Boden. Mein Herz pumpte
in doppelter Geschwindigkeit Blut durch meinen Körper und langsam hatte ich
Angst, gerade das unregelmäßige Schlagen meines Herzens könnte mich
verraten. Unnatürlich laut hörte sich das Wummern an und Blut rauschte in
meinen Ohren, machte mich schwindelig und zwang mich dazu, mich wieder zu
setzen. Mein Körper hatte mir die Entscheidung abgenommen, ich würde nicht
fliehen, sondern hier bleiben, warten und hoffen. Erschöpft verkroch ich
mich wieder in der Nische, umschlang meine aufgeschlagenen Knie mit meinen
Armen und begann mich selbst vor und zurück zu wiegen um mich zu beruhigen. Ich
bemerkte kaum, wie ich mit meinen Gedanken wieder abschweifte, mein Umfeld
ausschaltete und mich komplett in meine Vergangenheit flüchtete. Für einen
kurzen Moment brauchte ich eine Pause, wollte nicht darüber nachdenken, wo
ich mich befand und was in nächster Zeit geschehen würde. Geistig fiel ich
in einen meiner Träume, zurück in meine Vergangenheit, die mich immer
wieder einholte. „Könnt
ihr mir sagen, wo ich Chris finden kann?“ Eine seltsam klare und
befreiende Stimme holte mich aus meiner Diskussion mit Florian und ich sah
überrascht auf. Ein junger Mann, jedenfalls ging ich aufgrund seiner
Erscheinung davon aus, stand ein nur wenige Meter von uns entfernt und lächelte
freundlich. Er hatte lange, leicht gewellte, blonde Haare und klare blaue
Augen, von denen ich das Gefühl hatte, sie konnten bis auf den Grund meiner
Seele blicken. Ein freundliches Lächeln auf den Lippen und die zarten
Gesichtszüge ließen in mir erneut die Frage aufkommen, ob es sich nicht
doch um ein Wesen weiblicher Natur handelte. Noch bevor ich mir überhaupt
Gedanken darüber machen konnte, dass ich eigentlich mit einer mir
vollkommen fremden Person redete, hörte ich mich antworten: „Natürlich,
das ist ein Freund von uns. Chris Wagert, oder? Er ist krank und wir wollen
ihn gerade besuchen. Möchten Sie uns begleiten?“ Florian sah mich
entsetzt an und ich kann behaupten, dass ich nicht minder überrascht war.
Wieso hatte ich einem Fremden so ein Angebot gemacht? Seine gesamte Aura
hatte mich dazu bewegt, ihm blind zu vertrauen, doch kaum hatte ich das
gesagt, mischte sich Florians kalte wütende Stimme ein: „Hören sie auf
uns nachzuspionieren! Ich habe sie vor einiger Zeit schon mal gesehen.“
Seine Hand ergriff grob meinen Oberarm und zerrte mich hinter sich her. Er
war wirklich wütend. Irrte ich mich oder habe ich in seinen Augen wieder
dieses Erkennen funkeln sehen, wie damals bei Chris. Er hatte diesen Mann
ebenso angesehen, wie Chris. Ich sah das sofort. Seine Augen bekamen immer
einen seltsamen Ausdruck und mich überkam stets das Gefühl, dass ihm
nichts verborgen blieb, dass er ähnlich wie der Fremde bis hinab in die
Seele eines Menschen blicken konnte, wenn er es wollte. „Was
fällt dir ein, einen Wildfremden mitnehmen zu wollen, Kimmy.“, herrschte
er mich an, kaum waren wir außer Hörweite. Der Mann verfolgte uns nicht,
wie ich sehen konnte, als ich zurückblickte. Wieso war Florian dann so
unruhig? Was machet ihm nur solche Angst? Er schaute oft zurück und, schien
Dinge zu bemerken, die mir verborgen bleiben. Ich kam mir wie ein Kind vor,
das in der Welt der Erwachsenen mitspielen wollte, aber die Regeln nicht
kannte, das Grundwissen nicht beherrschte. „Du
bist doch einfach nur seltsam! Leidest du unter Verfolgungswahn?“ Wir
stritten uns den gesamten Weg, bis wir bei Chris ankamen. Ich erinnerte mich
daran, als sei es erst gestern gewesen, dabei war das jetzt schon fast ein
dreiviertel Jahr her. Chris hatte seine Grippe fast überwunden und wirkte
schon wesentlich gesünder als die Tage zuvor. Wir besuchten ihn, sooft es
uns möglich war, ich kam fast täglich, um ihn aufzuheitern und ihm die
Hausaufgaben vorbei zu bringen. Er freute sich, wenn ich oder wir beide bei
ihm vorbei sahen, da er nur uns beide als Freunde hatte und daher selten
Besuche von anderen Leuten erhielt. Seine Eltern waren den ganzen Tag
arbeiten und kamen erst abends wieder. Er tat mir leid, so einsam und
verloren in diesem großen Haus. Ich selbst hatte viele Tiere, die mir, wenn
ich krank war, Gesellschaft leisteten, aber wenn ich genauer darüber
nachdachte, war Chris die gesamte Zeit allein. Ich hatte mir an diesem Tag
vorgenommen, ihn aufzumuntern und aufzubauen, seine sonst so trüben matten
Augen etwas zum Leuchten zu bringen. Das gelang mir auch. Ich brachte Chris
zum Lachen, und wir alberten doch tatsächlich eine ganze Weile miteinander,
sprachen über die Schule und einige Lehrer. Es war schön, ihn so glücklich
zu sehen und wir blieben, bis seine Eltern kamen. Chris’
grüne Augen funkeln manchmal, nur Florian wirkte die ganze Zeit über
abwesend, starrte zum Fenster hinüber, als fühlte er sich beobachtet. Er
war der Einzige, der damals meine Stimmung trübte. Ich hatte ihn zwar
darauf angesprochen, doch mir antwortete nur Schweigen und schließlich gab
ich es auf. Wenn
ich jetzt so daran zurückdachte, kam ich mir seltsam naiv und dumm vor
nicht auf die ganzen Zeichen um mich herum geachtet zu haben. Wie viele
Hinweise gab es auf die kommenden Ereignisse, wie viele kleine seltsame Vorfälle
geschahen und wie wenig bekam ich doch von alledem mit. Ich war nicht Teil
des großen Ganzen, war nur ein Normalsterblicher, der nichts mit dem großen
Unbekannten zu tun hatte. Chris umrankten plötzlich Geheimnisse und Mythen,
die ich nicht einmal jetzt begriffen habe, jetzt wo ich all das gesehen und
erlebt hatte. Dieser blonde Mann, mit dem alles angefangen hatte, der mit
seiner Frage nach Chris alles auslöste, stellte sich als Engel heraus.
Lionare war sein Name und er hatte zusammen mit Asak, einem schwarzhaarigen
Dämon, der wie das dunkle Ebenbild seines Partners zu sein schien, nach
Chris gesucht. Bis
heute, weiß ich nicht, was passiert war. Chris verschwand für einige
wenige Tage und tauchte dann erst wieder auf, nur um kurz darauf wieder
abzutauchen. Eine Aura umgab ihn, etwas lastete auf seinen Schultern, etwas
sehr Wichtiges und Florian schien es wieder zu wissen, erkannte, was
passierte, während ich im Dunkeln tappte und keine Erklärung erhielt. Plötzlich
und unerwartet packte mich etwas an den Haaren und zerrte mich aus der
Nische hervor, in der ich gekauert hatte. Entsetzt nach Luft schnappend,
keuchte ich auf und petzte die Augen zu. Wieder hatte ich nicht aufgepasst,
wieder hatten sie mich gefunden, nur um mich ein weiteres Mal zu brechen.
Ich zitterte am ganzen Körper und schrie auf, obwohl ich genau wusste, dass
kein Ton aus meiner ausgetrockneten Kehle kam. Ich wollte das nicht… nicht
mehr, nicht schon wieder. Geisterhafte Stimmen drangen an mein Ohr, gruben
die Worte einmal mehr tief in mein Bewusstsein. „Du
bist selbst Schuld.“, flüsterten sie mir zu. „Du
bist ganz allein. Keiner wird dich retten oder vermissen.“ „Jeder
hat dich verlassen.“ Wie
recht sie doch hatten, diese namenlosen Geschöpfe der Dunkelheit, die
einzig dafür da waren, mich zu quälen. Ich fragte mich immer wieder, wie
ein so zerbrechliches Wesen wie diese Frau es nur geschafft hatte, diese
Qualen hier zu überleben. Ja, all das hier war meine Schuld, all das hier
hatte ich als Weg für mich selbst gewählt, doch wirklich bereuen konnte
ich es nicht. Mein Geist löste sich von meinem Körper, ließ eine leere Hülle
zurück, der nichts mehr spüren oder hören konnte, keinen Schmerz, keine
Angst, keine Einsamkeit. Es war nichts mehr da, nichts, außer Florians
Gesicht, welches sich in mein Gedächtnis eingebrannt hatte. Ich erinnerte
mich genau, wie ich hierher kam, an den Augenblick, an dem ich ihn das
letzte Mal sah. Die
eigentliche Ursache für all diese Misere war jedoch Chris gewesen. Er
hatte sich verändert. Es war mir gleich aufgefallen, als er nach langer
Abwesenheit wieder dem Unterricht beiwohnte. Zwischendurch war er schon
einmal der Schule fern geblieben und obwohl ich ihn suchte, fand ich nicht
einmal den kleinsten Hinweis auf seinen Verbleib. Er wirkte glücklich und
befreit, die Last schien von seinen Schultern gefallen zu sein und das
fremde Mädchen - Shion - trug scheinbar eine Menge zu seinem jetzigen
Wohlbefinden bei. Ich wusste nicht, woher sie kam, sie war auf einmal da,
wie so Vieles plötzlich einfach da war. Das war wohl die Veränderung, die
sich langsam aber sicher ausbreitete und alles Vergangene mit sich nahm und
ersetzte. Chris stellte sie uns erst einige Tage später vor, davor erzählte
er uns lediglich in den Pausen von ihr. Wie ein Lichtstrahl wirkte sie, kaum
beschreibbar, unheimlich beruhigend und sanft. Shion vermittelte eine Ruhe,
die mir selbst kaum bekannt war, da in mir viel mehr das Gegenteil zu finden
war. „Das
ist Shion. Ich wollte sie euch endlich vorstellen.“, begann Chris glücklich
und ergriff ihre Hand. Wieder schoss eine Welle Eifersucht durch meinen Körper,
ohne dass ich es hätte verhindern können. Dieses Mal lag der Grund dieses
Neides woanders. Ich wollte auch gerne meine große Liebe bei mir wissen und
Shion war Chris’ Geliebte, das sah ich sofort. „Shion, das ist mein
Freund Kim Sander.“ Er deutete auf mich und lächelnd ergriff sie meine
Hand und drückte sie freundschaftlich. Sie strahlte eine ungewohnte Wärme
aus und duftete nach Erde. Ihr Alter konnte ich gar nicht schätzen, sie
wirkte vom Gesicht und Körper her, wie ein junges Mädchen, aber in ihren
Augen lag etwas, was sie um viele Jahre älter machte. Genau dieses Gefühl
hatte ich schon, als ich Clay tiefer in die Augen blickte. Sie war ungefähr
so groß wie ich und hatte ihre rotbraunen Haare geflochten. Ihre Augen
schimmerten in einem faszinierend tiefblauen Ton und ihr Gesicht war
androgyn, so dass ich eine Weile überlegen musste, ob sie wirklich eine
Frau war.
Ich schüttelte leicht den Kopf, ob des seltsamen Gedanken wegen. „Freut
mich.“, begann ich fröhlich lächelnd. „Ich bin Kimmy.“ Sie
entließ meine Hand in die Freiheit und wandte ihren Blick nun Florian zu,
der das Ganze mit düsterer Miene verfolgt hatte. Schweigend stand er da, rührte
sich nicht und wieder sah ich den Anflug von Erkennen in seinem Blick,
allerdings dieses Mal gepaart mit unsäglicher Wut und Hass. Ich hatte den
Eindruck seine grauen Augen verfinstern sich und ein Schatten legte sich über
sein Gesicht. Doch
auch Chris war überrascht, wie ich feststellen musste, sah nur verwirrt
zwischen seiner Freundin und Florian hin und her. Eine böse Vorahnung überfiel
mich, doch noch bevor ich etwas sagen konnte, erhob Florian das Wort. Seine
Stimme war tief und dunkel, eine vollkommen Andere, als ich es gewohnt war. „Du…
ausgerechnet du tauchst hier auf, jetzt wo ich fast mein Ziel erreicht
habe.“ Ich wich ungewollt zurück, doch er interessierte sich nicht für
mich, ebenso wenig, wie Chris oder Shion es in dem Moment taten. Ich war
wirklich nur das fünfte Rad am Wagen, oder? Mich überkam das Gefühl, dass
ich nicht hier sein sollte, dass ich all das weder hören noch sehen sollte,
doch ich wollte nicht weglaufen wie ein Feigling.. Ich wollte endlich
wissen, was überhaupt um mich herum passierte. Ich wurde schon bei den
Geheimnissen, die Chris umgaben nie richtig aufgeklärt. Florian schien zu
wissen was passiert war, ich spürte es, doch auf meine Fragen hatte er
immer geblockt, mich für verrückt erklärt und gesagt, ich bilde mir das
ein. „Clay!“,
war
das Einzige, was Shion herausbekam. Sie hatte ihn erkannt, hatte begriffen,
wer er war, was er war. Ich sah dasselbe Erkennen bei ihr, das gleiche
Funkeln, wie bei Clay. So hatte er Chris angesehen, und auch Lionare und
Asak, als wir sie das erste Mal trafen. Shions Gesicht sprach Bände. „Das
ist… unmöglich.“ „Schweig!“,
grollte er sie an und um uns herum verschwamm der Park, es wurde dunkel und
plötzlich tauchten die Schutzpatrone von Chris auf. Erst jetzt wusste ich
woran Shion mich erinnerte. Sie ähnelte Asak und Lionare, die wie ein Ying
Yang- Symbol auf mich wirkten. Wie ein Zwillingspärchen, das sich nur durch
Haar- und Augenfarbe voneinander unterschied, und den langen Haaren
wirkten sie auf mich ebenso androgyn wie Shion. Igrendwie hatte ich das Gefühl
nicht wirklich viel von der Wahrheit zu wissen. Asak zog meinen Freund zurück
und damit fort von Clay. Auch ich taumelte weg von ihm, obwohl mein Herz
doch eher zu ihm gehen wollte. Doch ich konnte meinen Körper nicht
kontrollieren und irgendwann spürte ich wie Lionare mich zurückriss und
hinter sich zog. „Bleib
ganz ruhig, Kim.“, flüsterte er mir zu und konzentrierte sich auf Clay.
Er zitterte, das spürte ich, ebenso wie ich die Angst der anderen
wahrnehmen konnte. „Keiner,
nicht einmal du, machst mir meine Arbeit kaputt!“ Clay hob seinen Blick
und richtete ihn auf Shion, die immer noch dastand und ihn ansah. Ich
erstarrte. So einen kalten Blick, soviel Hass in der Stimme hatte Clay mir
nie entgegen gebracht. Ich wusste nicht, dass mein Freund so tief verletzt
war, doch scheinbar wurde hier über Dinge gesprochen, die ich nicht
verstand. Dann, plötzlich ging ein Zucken durch seinen Körper und er bäumte
sich auf. Ein schwarzer Schatten legte sich über seine Haut, verbrannte sie
und färbte sie schwarz. Rote Symbole gruben tiefe Bahnen in sein nun
dunkles Fleisch. Sie schimmerten und leuchteten hell auf und wanderten
weiter zu seinem Gesicht, hinterließen tiefe Male, die letztendlich ein
symmetrisches Muster bildeten, welches seinen gesamten Körper wie ein
Tattoo überzog. Seine Augen verloren ihre Pupille, verschwanden in ein
tiefrotes Nichts, was fortan sein Gesicht zierte. Seine Haare wurden länger,
blichen aus, bis sie schneeweiß waren und ihm bis an die Knie fielen. Ich
hatte nie vorher etwas Schöneres und gleichzeitig Beängstigenderes
gesehen. „Ein
Dämon…“, keuchte Lionare vor mir und verkrampfte sich noch mehr,
blickte zu Asak, der Chris umfasst hielt. „Ein gefallener Dämon.“, fügte
er lauter hinzu, schüttelte aber zeitgleich den Kopf voller Unglaube.
„Aber das ist vollkommen unmöglich.“, hauchte er, wurde aber jäh von
Clay unterbrochen, der ihn wütend anfuhr. „Halt
den Mund, Engel!“ er betonte das letzte Wort mit soviel Abscheu, das
Lionare erschrocken zu Boden ging. Ich starrte ihn an. Engel? So etwas gab
es doch nicht. Allerdings musste ich mir eingestehen, dass solche Kreaturen,
wie Clay eine war, eigentlich auch nicht existieren sollten In meinem
Inneren überschlugen sich die Gedanken und Gefühle. Derjenige, den ich
liebte war kein Mensch, sondern ein Dämon und so unglaublich sich das anhörte,
ich hegte keinerlei Zweifel an dieser Aussage. Ich hatte mich in jemanden
verliebt, der sicherlich nichts auf Menschen hielt. Ein wenig Trauer schlich
sich in mein Herz und diese Erkenntnis schmerzte mehr, als ich zu Anfang
gedacht hatte. Sollte ich jetzt aufgeben, mich an den Gedanken zu klammern,
dass vielleicht doch alles gut werden würde? War mir das Ganze nicht
bereits vor etlichen Wochen aus den Händen geglitten, als ich mich mehr und
mehr von einem Mädchen zum anderen hangelte, wohlwissend, wie sehr Florian
das Ganze ärgerte. Aber er war nicht Florian- nicht mehr. Er war nun Clay,
so hatte Shion ihn genannt. Jeder wusste, was das bedeutete, Chris, das sah
ich an seinem Blick, diese beiden seltsamen Personen, die so plötzlich hier
auftauchten um Chris zu beschützen und Shion, die mehr und mehr erkannte,
dass Clay ihr Feind war. Für alle war es wie ein Schalter, der umgelegt
worden war, das berühmte Klicken, nur ich blieb davon verschont- leider.
Ich wusste nichts, hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging und es
verwirrte mich mehr und mehr. „Ihr
habt doch keine Ahnung.“ Clay trat auf uns zu, doch ich hatte den
Eindruck, als berührte er nicht einmal den Boden. Mit erhobenem Haupt
schritt er an Shion vorbei auf Asak und Chris zu. „Dich habe ich gesucht,
einzig und allein dich.“ Er deutete auf meinen rothaarigen Freund und
schlagartig wurde mir bewusst, was das Erkennen, das ich in den grauen Augen
sah, bedeutet hatte. „Deine Seele wird mir helfen.“ Asaks Augen weiteten
sich überrascht, als er zur Seite gestoßen wurde, und das obwohl Clay ihn
nicht einmal berührte. Es blieb mir verborgen, was genau passiert war, ich
sah Asak nur zurückfallen und hart gegen einen der nebelartigen Bäume
schlagen. Lionare dachte nicht mehr an mich und stürzte auf seinen Partner
zu, von Sorgen und Ängsten geplagt. Ich blieb allein zurück, vielleicht fünf
Schritte von Chris entfernt, doch mich nahm keiner mehr war. Chris stand wie
erstarrt vor Clay und sah ihn an. Shion hatte sich währenddessen aus ihrer
Starre gelöst und nun funkelten auch ihre Augen hasserfüllt auf. Sie
drehte sich zu den beiden und fixierte den Dämon, während dieser nur Augen
für Chris hatte. „Lass
ihn in Ruhe, Clay!“, rief sie, doch sie schaffte es nicht, seine volle
Aufmerksamkeit zu gewinnen. Seine Lippen formten stumme Worte, nicht verständlich
oder nachvollziehbar. Wie ein Zauberspruch murmelte er still vor sich hin,
hob schließlich die Hand und legte sie auf Chris Kopf ab, der kaum in der
Lage war, etwas zu tun. Er wirkte wie zu Eis gefroren und obwohl in seinen
Augen das Feuer brannte und der Drang zurück zu weichen, konnte er es
scheinbar nicht. Ich
wollte nicht so stehen bleiben und alles schweigend beobachten. Ich war kein
Zuschauer und ich konnte nicht einfach nur zusehen und nichts tun. Ich
mochte Chris und egal wie Clay jetzt aussah, ich liebte ihn, mehr als jemals
zuvor. Nie hatte er mich beachtet, doch nun würde er mich wahrnehmen müssen.
Er würde nicht leugnen können, dass ich da war. Mit
wenigen Schritten war ich bei ihm und umfasste mutig den Arm, der auf
Chris’ Kopf lag. „Hör auf, Florian oder Clay, wer auch immer du
bist.“ Er hielt tatsächlich inne und wandte seinen Blick zu mir. Er
schien für den Bruchteil einer Sekunde überrascht zu sein, doch dann
breitete sich ein gehässiges Grinsen auf seinen Lippen aus. „Du
bist auch noch hier?“ Er lachte höhnisch auf und ließ tatsächlich von
Chris ab. „Wer hätte das gedacht, Mensch!“ Seine Stimme klang so kalt
und er betrachtete mich, als sei ich ein niederes Insekt unter seinen Füßen.
Sein Blick wanderte zu meiner Hand, die krampfartig seinen Arm festhielt,
dann flammten seine Augen zornig auf und noch bevor ich reagieren kann,
schleudert er mich zurück, so dass ich mehrere Meter entfernt hart auf dem
Boden aufschlug. Er fauchte mich an, dass ich ihn nie mehr berühren soll. „Ich
hasse solche nervenden, abscheulichen Kreaturen wie dich.“ Diese Worte
trafen mich härter als alles anderer vorher. Er
hasste mich… Er
fand mich abscheulich… Tränen
stiegen mir in die Augen und ich wandte den Blick ab, blieb liegen und spürte
nur noch einen überwältigenden Schmerz, der mich zu zerreißen drohte.
Clay hatte sich längst wieder Chris zugewandt, doch dieses Mal hörte ich
Shions Stimme. Sie musste sich dem Dämonen in den Weg gestellt haben. „Lass
ihn zufrieden und verschwinde!“ „Glaubst
du etwa wirklich du kannst mich besiegen?“ Er lachte wieder höhnisch auf
und als ich mich leicht dem Geschehen zuwandte, sah ich wirklich Shion vor
meinem Freund stehen, umgeben von einem hellen, weißen Licht. Wirklich überraschen
konnte mich dieser Anblick nun nicht mehr. Es war an der Zeit an all das
hier wirklich zu glauben, Engel und Dämonen als real existente Wesen zu
akzeptieren und meine Augen nicht mehr vor der neuen Realität zu verschließen.
Das gelang mir auch nicht in dem folgenden Kampf, der nun zwischen Shion und
Clay ausbrach. Wie schnell ich mich doch an seinen neuen Namen gewöhnt
hatte. Clay erwies sich als nahezu übermächtiger Gegner und obgleich Shion
mit jeder Minute stärker und geschickter wurde, konnte sie kaum gegen
diesen überlegenden Gegenspieler bestehen. Ich beobachtete den Kampf genau,
ebenso wie Chris, der sich nun gar nicht mehr rühren konnte und unfähig
war, irgendetwas zu unternehmen. Lionare und Asak wichen eher zurück,
scheinbar war es für die beiden unmöglich einzugreifen oder vielleicht
auch nicht gestattet. Dieser Kampf betraf nur Clay und Shion, niemanden
sonst. Sie alle waren Zuschauer, so wie ich. Der
Kampf dauerte lange und lief wie ein Film an mir vorbei, ohne dass ich
dessen Inhalt auffassen konnte. Ich vermochte es nicht zu verstehen, was und
warum es passierte. Weshalb hassten sich die beiden so sehr, dass sie sich
bis auf’s Blut bekämpften. Und obgleich ich sah was passierte, jeden
Schlagabtausch optisch erfassen konnte, erreichten diese Informationen nicht
mein Gehirn, ich vergaß jede Aktion der erbitternden Feinde sobald sie
geschlagen war. Letztendlich
ging Clay als Sieger hervor. Er tötete Shion nicht, aber er beraubte sie
scheinbar der Fähigkeit sich zu bewegen, sperrte sie in einen Raum ein, den
sie nicht verlassen konnte. Sein schwarzes Schwert durch ihre rechte Hand
getrieben hielt er sie am Boden fest, und all ihre Bemühungen sich zu
befreien, schlugen fehl, verschlimmerten ihre Situation nur noch. „Zurück
zu dir.“ Mit sicherem Schritt ging er auf Chris zu und blieb wieder vor
ihm stehen. Keiner stellte sich ihm in den Weg, Asak und Lionare versuchten
es zwar, doch sie prallten an einer unsichtbaren Barriere ab. Chris konnte
sich immer noch nicht rühren, aber er weinte. Ich sah ihn zum ersten Mal
weinen. Stumme Tränen der Angst und Verzweiflung gruben sich durch die gerötete
Haut seiner Wangen. Tatenlos musste er mit zusehen, wie Clay ihm fast das
Liebste nahm und sie nun auf solche Art und Weise gefangen hielt. Ich sah
seinen verkrampften Körper, der sich die ganze Zeit hindurch befreien und
losreißen wollte, doch er schaffte es nicht. Clay hielt ihn gefangen,
genauso wie er die anderen verzaubert hatte. „Chris!“
Asaks Stimme lenkte meine Aufmerksamkeit zu seinen beiden Beschützern, die
ihm helfen wollten, doch nicht konnten. Sie prallten an einer unsichtbaren
Wand ab und taumelten zurück. „Ihr
bleibt schön wo ihr seid.“, entgegnete Clay und schenkte ihnen nur kurz
seine Aufmerksamkeit. Dann schnellte sein Kopf zu Chris, packte ihn brutal
am Kinn und riss seinen Kopf zu sich. „Du wirst sie mir zurückholen!“,
murmelte er und seine Hand krallte sich erneut in die roten Haare meines
Freundes. Erschrocken schrie dieser auf, doch das interessierte ihn nicht.
„Deine Macht, wird das Tor öffnen und sie zurück holen.“ Clay war wie
besessen, murmelte nun Silben, die ich wieder nicht verstand und wurde
schließlich immer lauter. Wie
gebannt starrte ich auf die beiden, die eigentlich meine Freunde waren.
Chris’ Körper zuckte und wand sich qualvoll unter dem Griff Clays und
letztendlich umschloss beide ein helles Licht, stob hinauf zum Himmel und
teilte diesen optisch in zwei dunkle Hälften, die von einem breiten hellen
Band aus Licht durchbrochen waren. Ich sah kurz darauf nichts mehr, das Licht
wurde immer heller und ich hörte Clays Stimme, wie das grollende Donnern
eines Gewitters. „Du
tauschst den Platz mit ihr!“ „Nein…lass
mich los“, kam es schwach von Chris und er versuchte sich gegen den Dämon
zu wehren. Er atmete schwer, sein Körper bebte vor Schmerzen und er hatte
die Augen fest zusammen gekniffen. „Doch,
das Tor hast du geöffnet, bring mir nun Ashnan zurück!“ Ich
stand schwankend auf.
Und in dem Moment begriff ich, was er eigentlich vor
hatte, mit einem Schlag war mir klar, weswegen Clay so kämpfte und was für
ein Ziel er verfolgte. Er wollte sie zurück, die Frau von der er mir erzählte.
Dieser Name fiel in unserem Gespräch, ich hatte ihn nie vergessen können.
Diese zwei Silben, die er nannte waren es auch, die mich aus meiner
Bewegungslosigkeit und Starre herausholten und mich wieder klar denken und
handeln ließen. Ich hatte nie eine Chance ihn für mich zu gewinnen, sein
Gesicht zeigte dies nur zu deutlich. Aber ich wollte, dass er glücklich
war, dass er sie wiedersehen konnte. Wie lange waren sie wohl getrennt?
Jahrhunderte? Jahrtausende? Doch dabei Chris opfern und weh zu tun… das
konnte und wollte ich nicht zulassen. Chris war mehr als ein Freund, er war
ein Vertrauter für mich. Bisher hatte ich nie etwas für meine beiden
Freunde tun können, immer war ich zu schwach oder einfach zu unwissend und
zudem nur der überflüssige Junge, der nie richtig dazugehören konnte,
weil ich immer das Anhängsel war. Ashnan war dort oben zwischen den beiden
Hälften des Himmels und wartete darauf, befreit zu werden. Das würde Clay
glücklich machen. Shion war hier und würde dasselbe für Chris tun. Sie würden
nicht mehr alleine sein und ich, der ich nun mehr als deutlich spürte, wie
überflüssig ich war, wollte ihnen das ermöglichen. Ich würde nie Clays
Liebe für mich gewinnen, nie auch nur ein Stückchen Platz in seinem Herzen
ergattern, doch ich würde dieses Mal dafür sorgen, dass er mich nicht
vergessen würde. Chris würde frei sein, Clay glücklich, mehr wollte ich
nicht. Wie
von selbst trugen mich meine Beine zu den beiden, Chris’ Stimme war
bereits erstorben und nur seine Lippen waren zu einem stummen Schrei
verzogen, Clay konzentrierte sich auf seinen Zauber, wie es schien. Und
dann… Meine
Augen öffnend sah ich mich um, nur um festzustellen, dass ich immer noch in
der Dunkelheit saß. Die Kreaturen waren verschwunden und ich war froh nicht
sehen zu müssen, was passiert war. Ich blieb einfach liegen und starrte in
die ewige Schwärze hinaus. Weinen konnte ich schon seit einer Weile nicht
mehr, meine Tränen waren versiegt und nicht einmal Trauer blieb in meinem
Herzen zurück. Ja…
damals als Chris mit Ashnan den Platz tauschen sollte, bin ich dazwischen
gegangen. Das helle Licht, was beide umgab, ignorierte ich geflissentlich
und nahm nun unweigerlich Chris’ Platz ein. Ich hab ihn gewaltsam zurückgerissen,
weggestoßen und Clay fest umarmt. Das Licht umgab nun mich, und Clay, der
gerade seinen Zauber beendet hatte, starrte mich nur entsetzt an. Ich fühlte,
wie mich etwas wegreißen würde, mich von ihm und allen anderen trennen würde
und ich fasste einen letzten Entschluss. Nur einmal wollte ich seine Lippen
spüren, nur einmal seinen Kuss genießen. Ich dachte nicht darüber nach,
wie er reagieren würde, oder was andere denken würden, ich reckte mich
einfach zu dem Dämon, der nun noch größer war und berührte seine Lippen
zitternd mit meinen. Er reagierte nicht auf mich, war viel zu überrascht
und zum ersten Mal in all den Jahren, seit wir uns kannten, habe ich ihn
sprachlos erlebt. Er ließ den Kuss zu ohne mich von sich zu stoßen oder
sich abzuwenden. Und dann geschah etwas, was ich nie für möglich gehalten
hatte. In seinen Augen klomm für wenige Sekunden Erkennen auf, als er
meinen Blick erwiderte. Es war ein entsetztes Erkennen, doch bevor ich es
genauer identifizieren konnte, spürte ich einen Ruck durch meinen Körper
gehen und ich wurde von ihm weggerissen. „KIM!“ Ich
glaubte meinen Namen zu hören, doch im nächsten Moment fühlte ich mich
von der Dunkelheit gepackt, von schwarzen nebeligen Händen hinaufgezogen
und in diesen helle Spalt gezerrt. An meine Stelle trat diese Frau, die nun
meinen Kuss fortsetzte, sich jedoch augenblicklich von ihm löste und mir
mit geweiteten Augen nachsah. Dann war alles dunkel… Ich
hatte mich für sie geopfert, damit Clay glücklich sein konnte. Das war es
doch, was ich erreichen wollte, oder? Er war doch glücklich mit ihr oder?
So lange waren sie getrennt und ohne einander. Ich würde das hier schaffen,
durchhalten, auch wenn ich mir sicher war, dass dies hier mein Schicksal für
die Ewigkeit war. Ashnan hatte es doch auch überstanden und sie war so
lange in dieser Dunkelheit gefangen. Ich
rollte mich zusammen wie ein Igel, versuchte wie so oft mich so klein wie möglich
zu machen. Egal wie sehr ich mir einredete, dass ich stark genug war, all
die Qualen durchzustehen, ich war es nicht. Ich belog mich die ganze Zeit
hindurch selbst. Ich wollte einfach verschwinden, mich auflösen, mir war
egal was, nur wollte ich nicht mehr sein. Ich
wünschte mir, ich könnte richtig sterben… Ich
schlief ein, etwas, was mir nur selten passierte. Meistens hatte ich zu große
Angst davor, vollkommen ungeschützt auf dem Präsentierteller dazuliegen,
doch dieses Mal empfing ich die selige Ruhe mit offenen Armen. Eigentlich
war es nicht notwendig zu schlafen. Ich war weder müde noch hungrig, solche
Dinge zählten hier nicht, aber es war das Einzige, was mir von meinem
vorherigen Leben geblieben war, die Fähigkeit zu schlafen und zu träumen.
In meine Träume war die Dunkelheit noch nicht vorgedrungen. Ich
träumte von uns beiden. Was hätte sein können, wäre nicht soviel
passiert. Es waren Wunschträume, das wusste ich selbst, aber es war das
Einzige, was mich nicht komplett wahnsinnig werden ließ. Ich fühlte mich
wie Prometheus, von Zeus an einen Felsen angekettet, um tagtäglich meine
Leber den Adler zum Fraß preiszugeben. So fühlte ich mich während der
Jagd der Kreaturen. Ich wünschte ich könnte nur noch schlafen, dann wäre
alles gut… Ich
spürte irgendwann ein Ziehen an meiner Schulter, ein Rütteln und mir wurde
schlagartig bewusst, dass Sie wieder da waren. Sie rissen mich sogar aus
meinen Träumen, gönnten mir nicht einmal diese Welt des Friedens, die ich
mir erschaffen hatte. „Kimmy!“,
hörte ich meinen Namen, war mir aber fast sicher, dass es noch Fetzen
meines Traumes waren, die versuchten mich wieder in die tiefe Umarmung des
Schlafes zu ziehen. Ich entzog mich der Berührung und rollte mich weiter
zusammen. „Kim.“
Diese Stimme kannte ich nicht… sie war eindeutig weiblich und mir
vollkommen fremd, doch gleichzeitig hatte ich das Gefühl sie zu kennen. Wie
warmer Balsam drang diese Stimme in mein Bewusstsein und beruhigte mich. Ich
wusste, dass es dieses Mal nicht die Kreaturen waren, die mich angriffen,
oder sie spielten ein neuen quälenden Streich mit mir. „Du
musst ihn hier weg bringen!“, sagte die Frauenstimme eindringlich. „Aber
was ist mit dir.“, entgegnete eine mir bekannte Stimme und ich hob müde
den Blick, drehte mich zu den beiden Sprechenden und erstarrte
augenblicklich. Es musste ein böser Traum sein oder ein Spiel, welches mich
nun endgültig in den Wahnsinn treiben sollte. Clay
kniete vor mir, die Hand auf meine Schulter gelegt und sah mich eindringlich
an. Die Dunkelheit war verschwunden, hatte Platz für mattes Licht gemacht,
was es mir dennoch kaum ermöglichte die beiden klar zu erkennen. Alles
schien mit einem grauen Schleier überzogen zu sein. Doch ich traute ihnen
nicht… ich wollte diesem Trugbild keinen Glauben schenken. Ruckartig und
keuchend schlug ich die Hand weg und wich vor ihnen zurück, kroch im
staubigen Dreck und konnte ein starkes Zittern meines Körpers nicht mehr
unterdrücken. Ich wollte schreien, doch nichts als ein Ächzen drang über
meine Lippen und meine Brust hob und senkte sich unterdessen unter immer
heftigeren Atemzügen. „Kim.“
Clay sah mich geschockt an. War das nur der Schreck oder sah ich wirklich
Besorgnis in seinen sonst so kühlen Augen aufflackern. „Er
muss sofort hier weg! Er ist schon fast zerbrochen.“ Die Frau erhob sich
und trat langsam zu mir. Ihr Blick war auf mich gerichtet und diese sanften
Augen beruhigten mich und nahmen mir von einem Moment zum anderen die Angst.
Mit einem leichten Lächeln kniete sie sich vor mich und umarmte mich, ich
jedoch konnte mich nicht rühren, war wie eine Puppe in ihren Armen. „Ich
danke dir…“, flüsterte sie leise nahe meines Ohres. „Ich konnte ihn
noch einmal sehen und auch wenn es nur für eine kurze Zeit war, war ich
sehr glücklich.“ Sie strich mir durch die schmutzigen Haare und sah mich
traurig an. „Aber du gehörst hier nicht her,… es ist Buße, die ich tun
muss, nicht du. Schon viel zu lange bist du hier.“ Ich
schloss die Augen. Ich hatte keine Kraft mehr, jetzt wo ich wusste, dass
alles vorbei war. Ihre Stimme hatte es gesagt und ich ergriff diese
ausgestreckte Hand, klammerte mich an den letzten Funken Hoffnung, den ich
in dieser Einöde hatte. „Ich
bitte dich, kümmere dich gut um Clay. Ich werde immer bei euch sein, gleich
was passiert.“ Sie beugte sich zu mir und küsste meine Stirn. Eine mir
bis dahin unbekannte Wärme breitete sich in mir aus und ich war für wenige
Sekunden absolut zufrieden und glücklich. Dann fielen mir die Augen zu und
ich fühlte wie mich endgültig der beruhigende Schlaf umfing. Licht
und angenehme Wärme umflutete mich, als ich erwachte. Der helle
Sonnenschein war am Anfang so grell, dass ich das Gefühl hatte zu
erblinden, als ich die Augen ruckartig öffnete. Ein brennender Schmerz
zuckte durch meinen Kopf und ich unterdrückte nur mühsam ein gequältes
Aufstöhnen. Ich war dieses Licht nicht mehr gewohnt, stellte ich fest, als
ich mich unter der Decke zusammenrollte. Decke? Verwirrt öffnete ich halb
die Augen und blinzelte die rote kuschelige Decke an, die nun ein Stück von
meinem Rücken gerutscht war. Die Sonnenstrahlen kitzelten meine blasse Haut
und wärmten meinen Rücken. Da
sich meine Augen langsam an das Licht gewöhnten, setzte ich mich auf und
sah mich scheu um. Ich traute dem Ganzen hier nicht. War ich noch am
Schlafen und träumte nur oder war ich vollkommen dem Wahnsinn verfallen?
Ich betrachtete meine Hände und stellte fest, dass sie eingebunden waren,
ebenso wie einige andere Stellen meines Körpers. Jemand hatte mich
verarztet, also konnte ich doch nicht mehr dort sein, oder? Nun
ließ ich meinen Blick schweifen. Ich lag auf einem weichen Bett, es war
vielleicht nicht sonderlich groß, dafür aber bequem. Die Sonne schien
durch die zugezogenen Vorhänge, die vom Wind etwas zur Seite geweht wurden
und nun einen hellen Streifen auf dem Teppichboden zeichneten. Ich
beobachtete kurz das Lichtspiel und wand meinen Blick vom Fenster ab.
Unterhalb des Fensters stand ein Schreibtisch, aufgeräumt und einige Bücher
stapelten sich dort, neben einigen losen Blättern. Davor befand sich ein
schwarzer Schreibtischstuhl aus Leder. Ich konnte einen Schrank entdecken,
ein kleines Sofa, welches im Zentrum des Raumes stand und einen niedrigen
Tisch. Die Tür auf der anderen Seite war nur angelehnt, doch scheinbar war
niemand da, ich hörte weder Stimmen noch sonstige Geräusche. Direkt
neben mir auf dem Nachttisch lagen einige Früchte und eine Flasche Wasser
stand neben einem bereits gefüllten Glas, das mir mit einem Schlag bewusst
machte, dass ich unsäglichen Durst hatte. Mit zitternden Händen griff ich
so hektisch nach dem Glas, dass ich es fast umstieß. Schwankend führte ich
es zu meinem Mund, ignorierte dabei vollkommen, dass ich einen Teil des
Wassers auf den Teppich beförderte und trank in gierigen Schlucken. Doch
meine Kehle schrie nach mehr Flüssigkeit und ohne zu zögern ergriff ich
die Flasche, die neben dem Glas stand, drehte sie auf und trank sie in einem
Zuge fast vollkommen leer. Danach war mir zwar schlecht, aber der brennende
Durst war besiegt und müde ließ ich die Flasche sinken. Ich
fühlte mich kräftiger und belebter, allerdings nicht stark genug, um nun
die Wohnung zu erkunden. Ich rückte mich auf dem Bett etwas zurecht und
stellte die Flasche zurück auf den Nachttisch. Was
war passiert? Ich erinnerte mich noch daran, wie ich vor den Kreaturen floh,
an die Einsamkeit und Kälte, die Dunkelheit und Schwärze. Doch nun war ich
frei? Ich spürte diese Gewissheit und wusste, dass ich es mir nicht nur
einbildete. Jemand hatte mich zurück geholt- Clay war gekommen, zusammen
mit dieser Frau. Sie hatte mir etwas ins Ohr geflüstert und sich bei mir
bedankt. Aber das war doch unmöglich! Wieso sollte er… „Du
bist wach?“ Diese plötzlichen Worte erschreckten mich so sehr, dass ich
einen Aufschrei von mir gab und mich unter die Decke flüchtete. Mein Herz
pochte schmerzhaft in meiner Brust und als ich zur Tür sah, erblickte ich
Clay. Er war in seiner mir bekannten menschlichen Form und hatte sich nicht
verändert. Er war noch genauso schön, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
Seine Haare waren zu einem Zopf zusammengefasst, seine grauen Augen wirkten
erleichtert und erschrocken zugleich, was wohl an meiner Reaktion lag. Er
trug eine schwarze Jeanshose und ein weißes Hemd, welches allerdings offen
war. Langsam und vorsichtig trat er zu mir, blieb schließlich vor mir
stehen und betrachtete mich auf eine seltsam ruhige Art. „Wie geht es
dir?“, fragte er schließlich, nachdem er die stumme Musterung
abgeschlossen hatte. Aus
irgendeinem Grund schwieg ich. Wollte oder konnte ich nicht antworten? Ich
hatte keine Angst, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also sprach
ich kein Wort. Ich legte nur leicht den Kopf schief, eine Eigenart, die ich
schon immer hatte. Diese Reaktion zumindest erleichterte ihn und er atmete
etwas auf. Ich konnte seine Gedanken förmlich vor meinen Augen tanzen
sehen. Wie erleichtert und glücklich er war, dass ich überhaupt noch
reagierte. „Du
hast sehr lange geschlafen. Ich dachte schon, du wachst gar nicht mehr
auf.“, murmelte er und setzte sich vorsichtig auf den kleinen Stuhl, der
neben dem Bett stand. „Fieber hattest du, sehr hohes sogar. Chris war oft
hier, um sich nach dir zu erkundigen, dieses Mädchen auch.“ Sein Blick
verfinsterte sich kurzzeitig und ich sah, wie er um seine Fassung kämpfte.
Ich erinnerte mich an den Kampf zwischen den beiden, eine sehr blutige
Schlacht war das gewesen. „Erinnerst
du dich noch, was passiert ist?“ Er
wartete und schließlich gab ich ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass ich
ihm zuhörte und somit auch seine Frage beantwortete. Er wurde blass und
fuhr sich fahrig mit seiner Hand durch die schwarzen Haare. Hatte er
gehofft, ich hätte all das vergessen? Er schwieg und hielt den Kopf
gesenkt, wagte es nicht mir in die Augen zu sehen. Hatte er Angst vor mir
oder fürchtete er sich eher davor, mich zu verletzen? Ich
wollte ihm sagen, dass er keine Angst haben musste, dass alles in Ordnung
mit mir war, doch entsprach das wirklich die Wahrheit? Konnte ich in Ordnung
sein, nachdem das passierte? Vieles konnte ich nicht einmal erklären, viele
Sachen die geschahen, hinterließen nur ein Gefühl des Unwissens. Ich
glaubte, er erkannte meine Fragen, gleich wenn ich sie nicht stellte. Er
lehnte sich zurück und begann langsam und stockend zu erzählen. „Weißt
du, vor vielen, vielen Jahrtausenden gab es einmal einen Dämon, der sich
unsterblich in einen Menschen verliebte. Dieser Dämon gehörte zu einem der
Höchsten seiner Art und eigentlich war es ihm verboten auf der Erde zu
wandeln. Doch er schlug die Regeln und Verbote in den Wind und schlich sich
irgendwann auf die Erde.“ Er schloss die Augen und in seinem Gesicht
spiegelte sich Trauer wieder. „Clay, so hieß er damals, verliebte sich in
eine Frau, so rein und unschuldig, wie frisch gefallener Schnee. Dämonen
verlieben sich nur einmal in ihrem Dasein wirklich, wenn sie einmal ihre
Liebe gefunden haben, sind sie ihr auf ewig treu.“ Diese
Worte versetzten einen kleinen Stich in mein Herz, doch ich schwieg und
lauschte weiter seiner Geschichte, die ohne Zweifel seine eigene war. Ich würde
mehr über ihn erfahren, ihn vielleicht verstehen lernen; gleich wenn es
bedeutete, nie mit ihm zusammen sein zu können. „Der
Dämon und die Frau trafen sich heimlich immer wieder und sie schworen sich,
sich nie zu trennen. Sollte sie sterben, so wollte er ihre Seele fangen und
zu sich holen, auf dass sie für immer bei ihm bleiben konnte.“ Er
öffnete die Augen und ich erschrak zutiefst. Nie habe ich Tränen in ihnen
schimmern sehen. „Doch
ihre Liebe stand unter keinem guten Stern. Der Dämon wurde verraten, und
die beiden Liebenden getrennt, jetzt und für alle Ewigkeit, sollten sie
ohne den anderen ihr Dasein fristen. Clay sollte als gefallener Dämon auf
die Erde verbannt werden und seine Geliebte auf ewig zwischen Leben und Tod
auf den Feldern des Nichts wandeln, ohne die Möglichkeit zu haben,
wiedergeboren zu werden. Nie sollten sie sich wieder begegnen…“ Schließlich
und nachdem er mir einen langen tiefen Blick schenkte, wandte er sich ab und
vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Ein Beben ging durch seinen Körper,
der nichts mehr mit dem starken mächtigen Dämon gemein hatte. Er wirkte
mit einem Mal so zerbrechlich auf mich, dass ich überfordert war. „Nie
sollten sie sich wieder begegnen, doch dann….“ Er
machte eine Pause und eine unangenehme Stille breitete sich aus. Ich ließ
ihm die Zeit, die er brauchte, um sich zu fangen und zu beruhigen, legte ihm
aber noch meine Hand auf die Schulter. Überrascht, ob meiner für ihn
seltsamen Reaktion, fuhr er auf und sah mich an. Seine Augen waren gerötet
und ich spürte das Zittern. „Warum
hast du das getan?“, fragte er mich plötzlich, ohne seinen vorherigen
Satz weiter zu führen. „Wieso hast du so etwas Dummes getan?“ Clay schüttelte
den Kopf und ich überlegte mir, was ich antworten sollte. „Für
dich.“, murmelte ich schließlich leise. Meine Stimme klang rau und war
kaum zu verstehen. „Wie
bitte?“, fragte er und sah mich an. Ich bezweifelte, dass er meine Worte
überhört hatte, dennoch wiederholte ich sie nochmals. „Für
dich… ich wollte doch…“ „Für
mich?“, fuhr er mir dazwischen und wirkte nun wütend und verärgert, als
hätte ich eine Narretei begangen und seine Pflicht sei es mich wie ein Kind
auszuschimpfen. Betreten senkte ich den Kopf und zog meine Hand von seiner
Schulter. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass er meine Hand
fing und festhielt. „Jetzt sieh mich schon an, wenn ich mit dir rede. Hast
du Angst vor mir?“ Ich
schüttelte leicht den Kopf, allerdings musste ich nicht ganz so überzeugend
gewirkt haben, wie ich es beabsichtigt hatte. „Ich
tu dir nichts… ich will nur Antworten auf meine Fragen.“, sagte er, nur
wesentlich sanfter und freundlicher als vorher. „Was hältst du von
mir?“ Diese Frage passte ganz und gar nicht zu seinen vorherigen Worten.
Sie war in den Raum geworfen und ich überlegte, ob nicht auch Clay nervös
war. Eine
lange Zeit schwiegen wir beide und ich traute mich nicht den Blick zu heben
und ihn anzusehen. In mir tobte ein Sturm der Gefühle, mein Herz schrie
danach endlich die Wahrheit kundzutun und ihm alles zu gestehen, doch mein
Verstand riet mir davon ab. Ich war hin und her gerissen und trotzdem
breitete sich langsam ein wohlig warmes Kribbeln in mir aus. Schmetterlinge
im Bauch, so nannte man das, wenn ich mich recht entsann. Meine Hand
kribbelte dort, wo er mich berührte und ich spürte, dass ich rot wurde.
Ich war so schwach und müde, aber das passierte mir immer noch, gerade
jetzt wo Clay mir so nahe war. „Wieso
antwortest du mir nicht? Willst du nicht mehr mit mir reden?“ Ein wenig
Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit und er ließ meine Hand nun los,
die kraftlos auf die Bettdecke sank. „Früher hab ich dich nie vom reden
abhalten können.“ Er zog sich weiter zurück, das konnte ich mit meiner
gesenkten Haltung erkennen. Ich wollte doch reden, wollte ihm alles sagen
und offenbaren, doch mein Körper verweigerte mir seine Dienste und so blieb
ich weiterhin stumm. Auch Clay schwieg nun, hing seinen eigenen Gedanken
nach und als ich aufsah, spürte ich seine grauen Augen, die sich in meine
brannten. Sein durchdringender Blick, seine prüfende Haltung, er las in
meinen Augen, versuchte zu erkennen was in mir vorging, doch ich ließ ihm
kaum die Möglichkeit dazu, senkte wieder Kopf und starrte auf meine Hände. Seufzend
gab er auf und erhob sich. „Ich mache dir eine Tasse Tee.“, gab er von
sich und verließ enttäuscht den Raum. Ich sah ihm hinterher, teilweise
traurig, teilweise fröhlich, da er mir etwas zu trinken machen wollte, mich
zum ersten Mal mit dieser Aufmerksamkeit bedachte. War es nicht seltsam sich
über so etwas zu freuen? Doch warum habe ich nichts gesagt, als er mit mir
gesprochen hatte. Ich wollte ihm soviel erzählen, alles, was mir passiert
war und wie ein Felsbrocken auf meiner Seele lastete. Langsam
wurde die Sonne auf meinem Rücken unangenehm. Heiß schien sie unterdessen
durch das Fenster auf den Boden und nun auch auf den größten Teil des
Bettes. Es war noch früh am Morgen, aber der Juni brachte die heißen Tage
des Jahres mit sich. Es war doch Juni, oder? Ich rückte zur Bettkante und
schwang meine Beine auf den weichen Teppich, testete vorsichtig, ob ich
aufstehen und gehen konnte. Meine Füße waren ebenfalls verbunden und
schmerzten auch ein wenig, als ich mein Gewicht mehr nach vorne verlagerte.
Etwas unsicher richtete ich mich schließlich auf. Meine Beine fühlten sich
an als wären sie aus Pudding. Langsam und wankend trat ich zum Fenster hinüber.
Das lief auch ganz gut, nur fühlte ich mich wirklich müde, als ich mich am
Schreibtisch festhielt und einen Blick auf den Kalender warf, der dort
stand. Das Kalenderblatt zeigte zumindest an, dass es noch Juni war, aber
sicher konnte ich mir deswegen nicht sein. Vielleicht hatte er einfach nur
vergessen das Blatt abzureißen. Ich
wusste also immer noch nicht, wie viel Zeit vergangen war und wie lange ich
dort verharrte. Ich tapste unsicher weiter zum Fenster und sah nach draußen.
Die Sonne blendete mich und ein scharfer Schmerz zog durch meinen Kopf, ließ
aber schnell nach und nur ein dumpfes Gefühl blieb zurück. Scheinbar gewöhnten
sich meine Augen langsam wieder an das Tageslicht. Clays
Wohnung lag im Dachgeschoss, nahe der Williges Schule Mainz, das wusste ich,
nur hier war ich noch nie gewesen. Er hatte mir nie gestattet ihn zu
besuchen. Nun stand ich am Fenster und überblickte die Stadt, die nun in
Sonnenlicht gehüllt dalag. Ich sah die Schule, sah das emsige Treiben und
die Schüler, die eilig auf das große Gebäude zuliefen. Es waren also noch
keine Ferien, oder waren sie vielleicht schon wieder vorbei? Eine
meiner Hände krampfte sich unbemerkt in den Vorhang und schließlich
nachdem ich eine lange Zeit nur die Stadt betrachtet hatte, wollte ich das
Zimmer wieder in Schatten tauchen. Es war zu warm, die Hitze schmerzte
unangenehm auf meiner blassen, ausgetrockneten Haut. Doch plötzlich gaben
meine Beine nach und ich stürzte nach vorne. Ich versuchte mich am Vorhang
festzuhalten, doch das bremste meinen Sturz nicht, sondern sorgte nur dafür,
dass ich die Gardine aus der Verankerung riss. Mit einem erschrockenen
Aufschrei ging ich zu Boden und schlug mir schmerzhaft meinen Ellenbogen am
Schreibtisch an. Nur
wenige Sekunden später, stand Clay in der Tür, wohl durch das Poltern und
meinen Aufschrei von seiner bisherigen Arbeit abgelenkt. Erschrocken stürzte
er zu mir und kniete sich neben mich. „Was machst du denn?“, fragte er
besorgt und stützte mich fürsorglich, um mir beim Aufstehen zu helfen.
Ohne, dass ich es wollte, zuckte ich zusammen und fuhr zurück. Sofort hielt
er inne und seine Hände schwebten nur wenige Zentimeter von mir entfernt.
Traurig ließ er sie sinken und murmelte eine Entschuldigung. „Es
tut mir sehr leid…“, begann er, schwieg dann aber wieder und wartete,
bis ich mich beruhigt hatte. Warum hatte ich nur so plötzlich Angst
bekommen? Er wollte mir doch nur helfen. Wesentlich behutsamer und
vorsichtiger streckte er nun seine Hand nach mir aus, berührte mich aber
nicht. „Darf ich?“, fragte er leise und dieses Mal gab ich ihm mit einem
Nicken meine Zustimmung. Sanft
und behutsam griff er unter meine Arme und versuchte erst mir beim Aufstehen
zu helfen, jedoch gehorchten mir unterdessen meine Beine überhaupt nicht
mehr. Als er das ebenfalls bemerkte, schob er mich nur ein Stückchen zurück,
um eine Hand unter meine Kniekehlen zu schieben und die andere auf meinen Rücken
zu legen. Vorsichtig wurde ich hochgehoben und zum Bett getragen. Mein
Herzschlag beschleunigte sich erneut. Wieder dieses warme Gefühl und dieses
Kribbeln. Er setzte mich auf der Matratze ab und während er langsam meinen
Rücken hoch und hinunter strich schüttelte er mein Kissen auf. „Geht’s
wieder?“, fragte er mich unvermittelt, als ich wieder im Bett lag. „Du
solltest dich schonen und nicht aufstehen. Lionare hat dich zwar geheilt,
aber du musst erst wieder zu Kräften kommen.“ Er setzte sich wieder neben
mich und schien ein wenig mit sich zu hadern. „Welcher
Tag ist heute?“, fragte ich schließlich all meinen Mut zusammennehmend. Er
sah mich überrascht und doch erleichtert an. „Der 24. Juni…“,
antwortete er mir ruhig und geduldig. „Welches
Jahr?“, fuhr ich nun mit etwas kräftiger Stimme fort. Die Fähigkeit zu
sprechen war zu mir zurückgekehrt und endlich konnte ich wieder mit ihm
kommunizieren. „Kim,
es sind nur drei Tage vergangen… vor drei Tagen ist das passiert. Du bist
seitdem bei mir und hast die letzten 48 Stunden geschlafen.“ Er sah mich
ernst an und irgendwie muss mein Gesicht wohl Bände gesprochen haben.
„Die Zeiten vergehen unterschiedlich schnell. Während hier Minuten
vergehen, sind auf den Feldern des Nichts Tage oder Wochen vergangen. Dort
hat nichts eine Bedeutung, auch Zeit nicht. Deswegen hat es so lange
gedauert, bis wir zu dir kamen.“ „Lange…“,
murmelte ich nur und schloss die Augen. „Ja,
und das tut mir leid.“ „Ich
wollte, dass du glücklich bist.“, begann ich schließlich der Stille
entgegen zu wirken, die sich seit den letzten Minuten stetig ausgebreitet
hatte. Das Ticken der Uhr war unnatürlich laut geworden und hämmerte ohne
Gnade in regelmäßigen Abständen auf meine Gedanken ein. Er hob den Kopf
und sah mich fragend an. „Ich wollte, dass du Ashnan wiedersiehst und
endlich wieder lachen kannst. Deine große Liebe…“ Den letzten Satz
hatte ich nur geflüstert, doch selbst das schien er gehört zu haben. Doch
er sagte nichts, wollte mich dieses Mal nicht unterbrechen und wartete
geduldig, dass ich fortfuhr. Ich musste eine ganze Weile meine Gedanken
ordnen. „Du hast mir mal von ihr erzählt.“, begann ich und bemerkte
seinen entsetzten Gesichtsausdruck. Ich lächelte leicht und sprach dann
weiter. „Du warst betrunken und es ist schon eine Weile her. Du sagtest
mir, dass du eine einzige große Liebe hättest, die du suchen würdest,
dabei hattest du sie schon längst gefunden, konntest nur nicht bei ihr
sein. Du wolltest sie eigentlich befreien.“ Wie
versteinert starrte er mich an und schien eine Weile zu brauchen, um das
alles zu verarbeiten. „Du
wolltest… dass ich glücklich bin.“ Ich
nickte leicht. „Ja, ich wollte dir helfen. Als ich sah, was du mit Chris
gemacht hast, was alles passierte und was du sagtest, ich…“ Sollte ich
das jetzt wirklich aussprechen? Sollte ich ihm wirklich sagen, was ich fühlte
und dachte, wohlwissend, dass nur der Gedanke an eine einzige Person sein
Herz beherrschen würde. „Du…“,
murmelte er und sah mich forschend an. „Ich…
ich wollte einfach Chris nicht… verlieren.“, stotterte ich. „Ich
meine, er hat jemanden gefunden, den er liebt, mit dem er glücklich sein
kann. Du hast jemanden, den du liebst und mit dem du zusammen sein
wolltest.“ Ich hatte es nicht gesagt, wieder
meine wahren Gedanken und Gefühle versteckt. Ob ich jemals über
meinen Schatten springen würde? Wahrscheinlich müsste er mit mir gemeinsam
diesen Schritt machen. „Und
was ist mit dir? Was ist mit deinen Gefühlen?“, flüsterte er und
rutschte ein wenig näher. „Sag es mir endlich, Kim. Ich möchte es
endlich von dir hören, nicht nur vermuten oder ahnen, sondern es sicher
wissen.“ „Ich
liebe dich.“, sagte ich nun ohne weiter darüber nachzudenken. „Schon
seit… seit wir uns zum ersten Mal begegneten.“ Ich blickte betreten zur
Decke, in die sich meine Finger verkrallt hatten. Nun hatte ich es gesagt,
hatte die Worte ausgesprochen, die sich seit letztem Jahr in mir immer
wieder und wieder gesammelt hatten, wenn ich ihn sah. Ich war schwul, das
habe ich schon damals erkennen müssen, doch wusste ich es gut zu verbergen.
Ich liebte einen Jungen und das seit ich sechzehn Jahre alt war. Nun war ich
siebzehn, er nicht nur drei Jahre älter als ich, sondern wahrscheinlich
viele Jahrtausende. Obwohl
er mit so einer Antwort gerechnet hatte – da war ich mir sicher – blieb
er ruhig und sagte nichts dazu. Ich wünschte, ich hätte den Mut ihm jetzt
in die Augen zu sehen und in ihnen zu lesen, um zu wissen, was er von meinem
Geständnis hielt, doch ich hatte Angst vor dem Ergebnis. Würde er mich
jetzt hassen und verachten? Oder sich sogar darüber lustig machen? Als
hätte er meinen Gedanken erahnt, sagte er: „Was denkst du, was ich jetzt
mache? Dich auslachen oder hassen?“ er wirkte ein wenig enttäuscht.
„Gerade du solltest wissen, dass ich das nie tun würde. Liebe ist etwas
sehr Ernstes, egal auf welche Art und Weise sie sich äußert. Ich würde
mich nie darüber lustig machen!“ „Entschuldige.“
Es war mehr ein Reflex gewesen, etwas, was ich immer sagte, wenn mir jemand
solch einen Vorwurf machte. „Du
musst dich nicht entschuldigen, wofür denn? Ich habe so etwas geahnt, die
ganze Zeit. Ich wollte es nur von dir hören. Dachtest du ich bin so blind
und bemerke nicht, was in dir vorgeht? Ich bin dein Freund und ich kenne
dich unterdessen gut genug. Wie oft hab ich dir wegen deiner Mädchengeschichten
und Affären Vorträge gehalten, dabei wusstest du nur zu gut, was Liebe
war.“ Er atmete tief ein und verengte die Augen, etwas was er immer tat,
wenn er nachdachte oder nach einer Lösung suchte. „Warum hast du es mir
nur nie gesagt?“, murmelte er schließlich und lehnte sich nach vorn.
Seine Hände umgriffen seine Knie, stützen seinen Oberkörper auf diesen ab
und er schob sich mir entgegen. „Ich hätte dich doch nicht ausgelacht.“ „Aber
du hast mir gesagt, dass du mich hasst und verabscheust.“, sprudelt es aus
mir heraus. „Vor ein paar Tagen hast du mir noch gesagt wie abscheulich du
mich findest.“ So unwirklich sich dieses ‚vor ein paar Tagen’ für
mich anhörte, es war ja erst vor einer halben Woche passiert. Tränen
stiegen mir in die Augen und ohne dass ich es wollte, rannen sie meine
Wangen hinab und tropften auf die Bettecke. „Ich hätte doch nie eine
Chance gehabt, das hast du klar und deutlich gemacht an jenem Abend, als du
mir von ihr erzählt hattest.“ Ein Schluchzen unterbrach mich und machte
es mir unmöglich Weiteres zu sagen. Schniefend und mit zusammengekniffenen
Augen saß ich auf dem Bett und hatte das Gefühl mich mehr und mehr zu
verlieren. Ich
spürte seinen Blick, der auf meinen bebenden Schultern ruhte und kurz
darauf seine Hände, die mich umklammerten und an sich zogen. Im ersten
Moment wehrte ich mich gegen ihn, wollte ihn von mir stoßen, etwas erwidern, doch ich blieb stumm und tat gar nichts. Nun konnte ich mich
nicht mehr zurückhalten, umschlang weinend seinen Hals und krallte mich an
seinem Hemd fest. Immer wieder schluchzte ich auf, durchnässte sein Hemd
und klammerte mich wie ein Ertrinkender an ihn. Er hielt mich einfach nur
und wiegte mich sanft vor und zurück. „Du
bist so ein Dummkopf, weißt du das.“, flüsterte er sanft und seine
Finger fuhren durch meine Haare. „Du hast nie daran gedacht, mich selbst
zu fragen, was ich denke.“ „Aber…“,
begann ich, doch er legte einen Finger über meine Lippen, deutete mir an zu
schweigen. „Es
stimmt, ich liebe Ashnan auch jetzt noch, doch ich habe mich langsam damit
abgefunden, sie nicht mehr erreichen oder zu mir holen zu können. Ich will
ihr den ewigen Frieden schenken und Asak und Lionare wollen mir dabei
helfen, sie endlich zu befreien und ihre Seele in die höheren Welten ziehen
zu lassen.“ Ich sah ihn fragend an, verstand nicht so ganz den Rest des
Satzes. „Höhere Welten, das sind der Himmel und die Unterwelt.“, erklärte
Clay mir und lächelte sanft. „Die Unterwelt ist kein böser Ort, das was
ihr Hölle nennt, sind die Felder des Nichts; das all die Albträume eines
Menschen vereint und dir zeigt, was du am meisten fürchtest.“ „Ein
Albtraum?“ „Ja,
dein schlimmster, die schrecklichsten Gedanken spiegeln sich dort wieder und
ist damit für jeden etwas anderes. Du fürchtest dich vor dem Nichts, vor
der Angst selbst. Das war dein Albtraum. Einsamkeit, Unwissenheit und
Dunkelheit.“ Ich
klammerte mich fester an ihn, nachdem er das gesagt hatte. Die Furcht kehrte
für einige Sekunden zurück, doch ich kämpfte gegen diese an und verbannte
sie im hintersten Winkel meines Herzens. „Es
tut mir so leid, dass dir das passiert ist.“ „Aber
Chris hättest du dorthin verbannt.“ Plötzlich und unvermittelt war mir
dieser Gedanke gekommen. Chris hätte er einfach so verbannt, in eine Welt
der Angst und Albträume. Ich sah ihn nun mit funkelnden Augen an. „Er wäre…“ „Ihm
wäre gar nichts passiert.“, fiel er mir ins Wort und umgreift meine
Schultern mit beiden Händen. „Er ist anders als du in der Lage mit so
etwas fertig zu werden und sich zu schützen. Er ist immerhin nicht nur
irgendein Mensch.“ „Aber
ich bin irgendein Mensch, wie?“, fauchte ich ihn ungehalten an und unterdrückte
meine aufkeimenden Tränen. „Nein,
das hast du falsch verstanden. Musst du immer alles so negativ auffassen und
auf dich beziehen?“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Na ja, immerhin
hast du deine Streitsucht wieder.“, murmelte er dann leise, was ihm einen
entrüsteten Blick von mir einbrachte. „Chris ist etwas, was das Medium
genannt wird. Ein Wesen, was das Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkelheit
herstellt und somit all das hier zusammenhält. Er hat es geschafft, ist über
sich hinausgewachsen und ich bin mir sicher, er hätte problemfrei die
Felder des Nichts überstanden.“ Er wandte sich von mir ab und murmelte:
„Denke ich zumindest.“ „Du
warst dir also nicht sicher.“, hakte ich unnachgiebig nach. „Nicht
hundertprozentig…“, gab er schließlich zu. „Was erwartest du von mir?
Mir war alles egal, ich wollte nur meine Geliebte befreien, egal, wen ich
opfern musste. Shion stand im Weg, wie immer, also musste ich sie besiegen,
um mein Ziel zu erreichen. „Du
kanntest sie, nicht wahr? Ich habe dieses Erkennen in deinen Augen
gesehen.“ „Erkennen?“ Lächelnd
nickte ich und flüsterte: „Auch schon als du Chris das erste Mal gesehen
hast, haben deine Augen diesen kurzen Schimmer angenommen.“ „So
genau beobachtest du mich?“ Ich spürte, dass ich rot wurde und senkte den
Blick. „Erkennen also… ja ich habe sie wieder erkannt. Wie du weißt,
bin ich sehr alt, älter als diese Geschichte andauert. Ich hatte früh von
Chris und dem Medium erfahren und schon oftmals versucht Ashnan zurückzuholen.
Denkst du es war der erste Versuch dieser Art?“ Verblüfft sah ich zu ihm
und er schmunzelte leicht, ob meines verwirrten Gesichtausdrucks. „Nicht?“ „Ich
habe sehr oft versucht die Seele Chris’ dorthin zu bannen, aber immer
tauchte diese verfluchte Seele von Shion auf und hinderte mich daran. Wir
sind schon ewig Rivalen, wenn es um das Medium geht. Sie beschützt ihn und
hilft ihm seine Entscheidung zu treffen.“ „Also
hättest du ihn doch…“ „Ist
es nicht langsam ermüdend, immer wieder einen Streit anzufangen?“ „Darum
geht es doch gar nicht.“, antwortete ich ihm. „Es geht um’s
Prinzip!“ Ich war wütend und enttäuscht. Warum wusste ich selbst nicht
genau, aber in Anbetracht der Tatsache, dass er Chris, einen Freund, so
hintergangen hätte, konnte ich einfach nicht anders als sauer auf ihn zu
sein. „Ich
bin ein Dämon, klingelt’s?“, meinte er lakonisch dazu und grinste dann
gespielt böse. „Ich
weiß… Clay.“ Es war das erste Mal dass ich seinen richtigen Namen
aussprach und ich stellte fest, dass mir der Name gut gefiel. Er selbst sah
mich überrascht an und fing dann an zu grinsen. „Daran
erinnerst du dich noch ganz genau, wie?“ „Du
machst dich über mich lustig.“, entgegnete ich barsch, spürte aber die
Hitze auf meinen Wangen. „Du
bist ein hoffnungsloser Fall.“ Ich schwieg zu diesem Kommentar und schloss
die Augen. Ich spürte seinen Blick auf meinem zierlichen Körper ruhen.
Schließlich bemerkte ich einen Luftzug und hörte das Rascheln von
Kleidung. Er war aufgestanden und strich mir nur kurz durch die Haare.
„Ruh dich noch ein wenig aus, später solltest du dringend duschen gehen,
wenn du etwas gegessen hast. Ich hab dich zwar gewaschen…“ Weiter
kam er nicht, denn ruckartig setzte ich mich auf und starrte ihn aus großen
Augen an. „Du… du hast mich… ge-… gewaschen?“ Ich stotterte nur
vor mich hin und mein Gesicht musste in dem Moment jeder Tomate Konkurrenz
gemacht haben. Er hatte mich nackt gesehen und mich berührt. Allein die
Vorstellung dessen erregte mich in gewisser Hinsicht. Schnell verwarf ich
diese Gedanken. Er musterte mich mit hochgezogener Augenbraue und neigte
sich dann grinsend zu meinem Ohr. „Sicher,…
nur frage ich mich, an was du gerade gedacht hast.“ „An
nichts.“, gab ich leise von mir und glaubte noch röter zu werden. Würde
ich jetzt einen Spiegel vor mir sehen, würde ich definitiv so rot sein, wie
die feuerroten Strähnen meines Haares. „Sieht
mir nicht danach aus.“, entgegnete er nur und stand dann auf, um das
Zimmer zu verlassen. Er unterließ es, weitere Fragen zu stellen, wofür ich
ihm in der Sekunde dankbar war. Nach
kurzer Zeit war ich wieder allein mit mir selbst und meinen Gedanken.
Einiges hatte sich geklärt, aber viele offene Punkte waren noch allgegenwärtig.
Ich verdrängte die Grübeleien an die rationalen Erklärungen der
Ereignisse und schob meine persönlichen Gefühle und meine Situation in den
Vordergrund. Ich hatte ihm doch tatsächlich meine Liebe gestanden. Doch
wirklich darauf reagiert hat er nicht. Es war, als hätte er es einfach übergangen,
gar nicht wahrgenommen, als seien es nur ein paar unbedeutende Worte.
Irgendwie schmerzte mich diese Erkenntnis. Ich wusste ja, dass er mich nicht
liebte, aber so ehrlich wie ich zu ihm war, so ehrlich hätte er auch zu mir
sein können. Die Abfuhr zu hören, war etwas anderes als sie zu erahnen. Seufzend
ließ ich mich zurück in die Kissen sinken und drehte mich auf die Seite.
Er hatte mich getröstet, als ich weinte. Dabei hatte ich angenommen nicht
mehr die Fähigkeit zu besitzen Tränen vergießen zu können. Doch wieder
war ich einem Irrtum erlegen, denn ich hatte lange und unaufhörlich diese
salzige Flüssigkeit vergossen. Sie waren zurückgekehrt, doch dieses Mal
war ich damit nicht alleine gewesen. Ich
spürte wieder, wie die Feuchtigkeit über meine Wangen rann, dieses Mal
nicht aufgrund der Erinnerung und des Schmerzes, sondern weil ich diese
Unwissenheit hier nicht aushielt. Bedeutete ich ihm so wenig, dass er nicht
einmal jetzt ehrlich zu mir sein konnte. Es schmerzte zu wissen, dass ich
nicht ernst genommen wurde, gleich was ich sagte. Ich
vergrub mein Kopf in das Kissen und rollte mich wieder zusammen. Ich wollte
im Moment nichts sehen und nichts hören. Es war mir auch egal, dass die
Sonne immer wärmer auf meinen Rücken fiel. Unbemerkt driftete ich ab und
schlief ein, ohne mich wirklich zu beruhigen. Ich fiel in den nächsten
Albtraum, der mich heimsuchte. Es
war bereits abends als ich aufwachte. So recht konnte ich mich nicht mehr an
meine Träume erinnern, aber es war nichts Angenehmes, das spürte ich. Ich
war verschwitzt, meine struppigen Haare klebten an meiner Stirn und ich hörte
das Rauschen meines Blutes in den Ohren. Mein Herz schlug schnell und ich
beruhigte mich erst, als ich eine Weile lang auf den Teppich starrte und
anfing die Muster mit den Augen zu verfolgen. Ich fühlte mich nicht
wirklich wacher und munterer als zuvor und irgendwie kam es mir so vor, als
wäre das hier ein Traum und ich saß in Wirklichkeit immer noch alleine in
der Dunkelheit, gehetzt von diesen fremden Wesen. Mir fehlte der Sinn für
das hier und jetzt, ich hatte Probleme damit, zu erkennen, was Traum und was
Realität war. Nachdenklich
sah ich mich im Zimmer um, nur um festzustellen, dass ich immer noch allein
war. Clay musste entweder nicht da sein, oder er verweilte in einem anderen
Zimmer. Vorsichtig
setzte ich erneut meine verbundenen Füße auf den Boden und stand auf. Es
ging besser als zuvor, der Schwindel war dieses Mal nicht vorhanden und
schlecht fühlte ich mich auch nicht. Ich trug ein Hemd? War mir das beim
ersten Mal nicht aufgefallen, oder hatte Clay es mir erst später angezogen?
Schlagartig wurde ich wieder rot, als ich daran dachte, dass er mich auch
schon gewaschen hatte. Ich brauchte eine Dusche und zwar eine kalte, um
wieder zu Sinnen zu kommen. Da meine momentane Lust Clay zu begegnen und mit
ihm zu reden auf einem nie geahnten Tiefpunkt angekommen war, entschloss ich
mich dazu, das Bad selbst zu suchen. Immerhin wollte ich seine Hilfe zum jetzigen
Zeitpunkt nicht wirklich in Anspruch nehmen. Leise
trat ich zur Tür, öffnete sie und spähte hinaus in den Flur. Er lag im
Dunklen und war schmal. Fünf Türen zweigten davon ab, ich befand mich
gegenüber der Eingangstür. Schuhe standen dort, eine kleine Garderobe hing
an der Wand zu meiner rechten und eine Fußmatte lag direkt vor dem
Holzeingang auf dem Parkettboden. Ich ließ meinen Blick nach links wandern.
Unter einer Tür schimmerte Licht hervor und Musik war zu hören. Das musste
das Wohnzimmer sein. Also waren die beiden anderen Türen die Küche und das
Bad. Ich grinste leicht und wollte mich gerade durch den Flur auf die Türen
zu bewegen, als mich eine amüsierte Stimme aus den Gedanken riss und
zusammen fahren ließ: „Du
schleichst umher, wie ein Einbrecher.“ Clay tauchte aus dem Dunkel eines
Raumes auf, den ich als Küche identifizierte, da er eine Packung Kekse in
der Hand hielt. Mochten Dämonen Süßigkeiten? Diesen irrsinnigen und
unpassenden Gedankengang beiseite schiebend, sah ich ihn an wie ein
ertapptes Kind und musste wohl besonders dämlich gewirkt haben. Er fing nämlich
plötzlich an zu lachen. Wütend funkelte ich ihn an. Er hatte mich schon
wieder aus dem Konzept gebracht. „Hör
auf zu lachen!“, fauchte ich meinen Freund an. „Aber
dein Gesicht eben!“, prustete er und dachte nicht im Traum daran aufzuhören.
„Wo wolltest du denn hin..?“ „Zum
Bad“, erwiderte ich trocken und blinzelte kurz als er das Licht des Flures
anmachte. „Das
ist dort.“ Er deutete mit seiner rechten Hand auf die Tür neben sich und
grinste nun selig vor sich hin. „Das
weiß ich selbst!“, erwiderte ich, da es ja keine weitere Auswahlmöglichkeit
mehr gab, die sich als Bad entpuppen würden. „Schön,
dann komm…“ Er verschwand kurz in der Küche, um die Kekspackung
abzulegen, tauchte aber nur Sekunden später wieder auf und trat zum
Badezimmer. Ich sah ihn verwirrt an. „Ich helfe dir erst mal deine Verbände
abzunehmen, oder willst du das selbst machen?“ Er betrachtete mich amüsiert.
„Keine Sorge, ich schau dir schon nichts weg, zudem hast du nichts, was
ich nicht schon einmal gesehen habe.“ „Ach,
halt doch den Mund, Florian!“ Wütend stapfte ich auf die Tür zu und
ignorierte dabei völlig, dass mir davon die Beine, insbesondere die Füße
wehtaten. „Auf
einmal nicht mehr Clay?“, fragte er und hielt mich am Arm fest, als ich an
ihm vorbei gehen wollte. „Nenn mich bei meinem richtigen Namen, wenn du
ihn schon weißt. Außerdem…“, er sah mir in die Augen, „… tust du
dir selbst weh, wenn so verkrampft durch die Gegend läufst. Sei etwas
ruhiger und entspannter. Hier passiert dir nichts. Ich beschütze dich.“ „Du
beschützt mich?“ Ich musste zugeben, diese Worte kamen überraschend für
mich. Ich hätte nicht gedacht, dass er so etwas jemals sagen würde. „Ja.“,
erwiderte er und in seinen Augen sah ich dass es nicht einfach nur leere
Worte waren, sondern ernst gemeint zu sein schienen. „Und jetzt komm.“
Er zog mich sanft aber bestimmt in das große Badezimmer. Es war in hellen
Grautönen gehalten, die Fließen schimmerten in einem zarten
perlmutfarbenen Ton, teilweise mit dunkleren anthrazitgrauen Fließen
durchwoben, die Muster an die Wände malten. Die Garnitur hatte denselben
Farbton und musste zugeben, dass sie mir mehr und mehr gefiel. Sie erinnerte
mich an Clays Augen, die mich musterten und amüsiert funkelten. Er
dirigierte mich zu einem kleinen Hocker, auf den ich mich setzte und auf
seine Aufforderung hin das Hemd auszog. Vorsichtig begann er meine Verbände
zu lösen und sich abzuwickeln. Er ließ sich Zeit, selbst meine
aufsteigende Nervosität hetzte ihn nicht und irgendwann wurde ich doch so
unruhig, dass ich begann auf dem Hocker hin und her zu rutschen. „Kannst
du nicht einmal stillhalten?“ Er hielt kurz in seiner Bewegung inne und
sah mich strafend an. „Tut
mir leid.“, murmelte ich. „Du
bist ein hoffnungsloser Fall.“ Endlich
war er fertig, legte die Bandagen und das Verbandmaterial zur Seite, doch
anstatt mich loszulassen, begann er über meine Haut zu streichen. Ich
erstarrte abrupt und wandte den Kopf ab, nur um in einen Spiegel zu blicken,
und so genau sehen zu müssen, was er tat. Er tastete meine Körper ab und
untersuchte ihn. Wieder hatte ich dieses Kribbeln im Bauch und die Röte
schoss mir ins Gesicht. Jedes Mal wenn seine Finger sanft über meine Haut
fuhren und mich nur zaghaft berührten, hatte ich das Gefühl, er würde
eine brennende Spur auf meinem Körper hinterlassen. Mein Herzschlag
beschleunigte sich um ein vielfaches und hielt er mich zuvor schon für nervös,
so war ich nun aufgebracht und in gewissem Maße erregt. Beschämt ließ ich
die Untersuchung über mich ergehen und senkte den Blick. Meine Gedanken
spielten verrückt und ich dachte wirklich für einen Moment daran mich
umzudrehen und ihn zu küssen. „Ich
bin fertig.“, sagte er schließlich leise und trat einen Schritt zurück.
„Lionare hat wirklich gute Arbeit geleistet. Du hast kaum noch
Verletzungen, die Restlichen werden bald verheilt sein.“ „Danke.“,
murmelte ich nur leise und betete innerlich, dass er nun endlich gehen und
mich allein lassen würde. Ich traute mich nicht aufzusehen, oder ihn nur
durch den Spiegel zu beobachten. „Brauchst
du noch Hilfe? Ansonsten lasse ich dich allein. Ich lege dir Kleidung von
mir vor die Badtür. Frische Handtücher sind in dem Schrank dort.“ Irrte
ich mich, oder war er jetzt selbst ein wenig verlegen. Seine Stimme wirkte
anders und ein wenig nervös, etwas was ich zumindest bei ihm überhaupt
nicht gewohnt war. Schließlich schüttelte ich den Kopf. „Danke,
ich komm’ schon klar.“ Ich
vernahm nur ein Seufzen, dann wandte er sich ab und verließ das Zimmer.
Etwas enttäuscht hob ich den Blick und sah in den Spiegel. Gerade fiel die
Tür ins Schloss und ich war allein. Was hatte ich eigentlich erwartet. Dass
er trotzdem hier bei mir blieb und vielleicht sogar meine Gefühle
erwiderte? Wobei es schon unfair gewesen wäre zu bleiben und mir immer noch
Hoffnung zu geben. Seufzend stand ich auf und betrachtete mein Konterfei.
Meine braunen leblosen Augen starrten zurück. Ich sah furchtbar aus, das
musste ich mir eingestehen. Meine Haut war aschfahl und bleich, wirkte fast
schon durchsichtig, meine Wangen waren ein wenig eingefallen und mein zartes
Gesicht wirkte durch den Bluterguss in den Modefarben Blau-Grün um mein
rechtes Auge seltsam entstellt. Ich wusste gar nicht mehr, wie es zu diesem
gekommen war, aber eigentlich müssten noch mehr davon existieren. Meine
braunen Haare, die mit roten und blonden Strähnen durchzogen waren, hingen
matt und fettig in mein Gesicht. Ich schaute hinab zu meinem ausgemergelten
Körper, der noch dünner geworden war. Meine Hände tasteten die Hämatome
ab, doch mehr als blaue Flecken konnte ich nicht finden, hier und da einige
Kratzer, aber schlimmere Verletzungen musste Lionare geheilt haben. Ich
atmete hörbar aus und entledigte mich schließlich auch meines letzten
Kleidungsstücks. Die Shorts glitt mit einem Rascheln auf den gefließten
Boden und nun sah ich auch, dass die Berührungen Clays nicht spurlos an mir
vorbeigegangen waren. Beinahe schon panisch starrte ich an mir herab
zwischen meine Beine. Konnte es eigentlich noch schlimmer werden? Diese
Frage beantwortete ich mir im nächsten Moment selbst, als meine Hand gegen
meinen Willen über meinen Bauch strich und schließlich in meinem Schoß
versank. Mein Gewissen schrie mir zu wieder zur Vernunft zu kommen, doch in
dem Fall hatte sich mein Körper verselbstständigt und meine Hand umschloss
mit einem Mal mein erregtes Glied. Keuchend stöhnte ich auf und klammerte
mich mit der anderen Hand an das Waschbecken. Meine Gedanken drehten sich
nun nur noch um eine Person- Clay. Er erschien vor meinen geschlossenen
Augen und unweigerlich streichelte ich mich fordernder und schneller. Meine
eigene Stimme quittierte mir diese Handlung sofort und ein etwas lauteres Stöhnen
entwich meinen Lippen. Mühsam presste ich danach den Mund zu und grub meine
Zähne so stark in die Unterlippe, dass sie fast blutete. Er sollte nicht hören,
was ich tat, ansonsten hätte ich ihm gar nicht mehr in die Augen blicken können.
Schließlich kam ich mit einem heiseren Aufschrei und keuchte dabei seinen
Namen, doch es war nicht erlösend oder befreiend, sondern hinterließ eher
ein dumpfes Gefühl der Einsamkeit. „Verflucht…“
Ich sank kauernd zu Boden, ignorierte für’s erste die weißen Flecken auf
den Fließen und umschlang meine Knie mit den Armen. Nun fühlte ich mich
noch schäbiger und schmutziger als zuvor. Nichts von dem, was ich getan
hatte war in irgendeiner Art und Weise richtig befriedigend gewesen. Tränen
stiegen mir in die Augen, als ich hektisch nach einem Stück Toilettenpapier
griff und zunächst meine Finger säuberte und anschließend den Boden. Als
ich aus der Dusche trat hatte ich mich einigermaßen beruhigt. Meine Augen
waren rot geweint und obwohl ich mich mehr als gründlich gereinigt hatte, fühlte
ich mich immer noch schmutzig. Ich hatte bisher noch nie so ein schlechtes
Gewissen gehabt, weil ich mich selbst befriedigte. Aber bisher wusste Clay
nichts von meinen Gefühlen und zudem war ich sonst immer in meinem eigenen
Zimmer gewesen. Ich tastete nach Handtüchern, erinnerte mich aber wieder
daran, dass Clay keine für mich bereitgelegt hatte, sondern nur sagte, wo
ich sie finden würde. Tropfend verließ ich die Dusche, kramte mir zwei
dunkle Handtücher aus dem Schrank und wickelte mir sogleich eines um die Hüfte.
Wieder trat ich vor den Spiegel und starrte mich nun schon fast angeekelt
an. Ich sah in der Tat noch schlimmer aus als vorher. Das war auch der
Grund, weswegen ich mir sehr viel Zeit ließ um mich fertig zu machen. Die
Kleidung fand ich wie angegeben vor der Tür. Eine dunkle Hose, die ich mir
auch hätte anziehen können, ohne sie zu öffnen und ein langes T-Shirt.
Zum Glück lag ein Gürtel dabei, so dass ich kurz darauf fertig angezogen
wieder vor dem Spiegel stand und mehrmals tief durchatmete. Meine
Augen waren nicht mehr rot, beruhigt hatte ich mich auch und nachdem ich mir
die Haare gekämmt hatte, sah ich zumindest halbwegs annehmbar aus. Ich
mochte vielleicht anderthalb Stunden im Bad gewesen sein, als ich wieder in
den Flur trat. Das Licht brannte immer noch und ich hörte etliche Stimmen,
die aus dem Wohnzimmer kamen. Scheinbar hatte Clay Besuch, zumindest klang
es danach, als seien einige Leute gekommen. Ein Blick zum Eingang bestätigte
mir diese Annahme und leise trat ich zur Wohnzimmertür. Ich wollte gerade
klopfen, als ich Chris’ ruhige Stimme vernahm: „Du
willst dich ihm gegenüber so verhalten, wie sonst auch? Immerhin hat er
ganz schön was durchmachen müssen und das nur wegen dir.“ „Dabei
wissen wir noch nicht einmal was dort genau geschehen ist, wir spekulieren
ja nur darüber.“, mischte sich eine klare Stimme mit in das Gespräch,
wenn ich mich nicht sehr irrte war das Lionare. Sprachen sie über mich? „Du
weißt doch ganz genau, was er für dich empfindet.“, fuhr Chris fort,
ohne auf Lionares Einwurf zu achten. Ich konnte nichts anderes tun als zuhören
und abwarten, was sie noch erzählen würden. „Ich
weiß es. Er hat es mir selbst gesagt.“ Clays tiefe Stimme würde ich
unter tausenden wieder erkennen. Stille schien einzukehren, denn nun drang
kein Ton mehr aus dem Zimmer. Schließlich erbarmte sich Clay einiger
weiterer Worte. „Denkst du etwa, ich hätte das nicht selbst mitbekommen,
Chris? Was meinst du warum ich ihn so behandelt habe am Anfang. Ich dachte
er würde aufgeben, aber mir scheint, dass wohl viel mehr das Gegenteil
eingetreten ist. Ich bin nun einmal ein Dämon und die lieben nur einmal, so
Leid es mir tut.“ Da
war sie, meine Antwort! Die Antwort auf meine ungestellte Frage vor einigen
Stunden, die Clay mir schuldig blieb. Nun wusste ich es und es auf diese Art
und Weise zu erfahren war nicht gerade mein Wunsch gewesen. Wenigstens
einmal hätte er ehrlich zu mir sein können, und es mir ins Gesicht sagen können.
Nach
und nach sickerten diese Worte zu meinem Bewusstsein durch, manifestierten
sich und ließen nur noch eine Option offen: Flucht. Ohne weiter darüber
nachzudenken lief ich zur Wohnungstür. Ich wollte einfach nur weg von hier.
Der Gedanke noch länger hier zu bleiben lähmte mich fast und ließ mich
stolpern. Ich fing mich gerade noch und zog mir Chris’ Schuhe an, die zwar
ein wenig zu groß waren, aber besser als barfuss durch die Mainzer
Innenstadt zu laufen. Ich
öffnete die Tür, stürzte hinaus und dachte nicht einmal daran sie wieder
zu schließen. Als wäre der Teufel hinter mir her, hastete ich die Treppen
hinab, und stieß die Tür zur Straße auf. Kühle klare Luft schlug mir
entgegen, es musste bis vor kurzem geregnet haben, ich roch das Ozon und spürte
Wasser in den Schuhen, als ich in die erste Pfütze sprang. Doch das
hinderte mich nicht daran noch schneller zu laufen, immer stur Richtung
Innenstadt. Mir war egal, wie ich aussah, ich wollte nur noch so weit wie möglich
weg von Clay und den anderen, die ich nicht mal wirklich kannte. „Das
sind doch alles Freaks!“, keuchte ich leise und sprach seit einer Ewigkeit
wieder mit mir selbst. „Ich wette Clay wollte mich gar nicht zurückholen.“
Tränen stiegen mir bei dem Gedanken in die Augen. Hatte ich nicht schon
genug geweint in letzter Zeit? Ich
stoppte erst, als ich fast die Innenstadt durchquert hatte und in der Nähe
des Kinos ‚Residence’ zum stehen kam. Keuchend ließ ich mich auf eine
Treppe sinken und kauerte mich zusammen. Ich war so ein Idiot, aber so
langsam hatte sogar ich verstanden, dass diese Liebe nie ein positives Ende
nehmen würde. So schwer es mir fiel, es wurde Zeit loszulassen und endlich
aufzugeben. Nur noch heute Abend würde ich trauern und meinen Tränen
freien Lauf lassen, aber ich nahm mir fest vor, dass sich ab morgen alles ändern
würde. Ich würde nicht mehr weinen oder in Selbstmitleid zerfließen. Ich
würde nach vorne blicken und all das, was geschehen war hinter mir lassen. ~~~~ Das
penetrante Klingeln an der Wohnungstür weckte mich und müde öffnete ich
meine Augen. Ich brauchte eine Weile, bis ich registrierte, wo ich mich
befand. Ich lag daheim in meinem Bett, die weiche Decke um mich geschlungen.
Es war schon wieder morgen, fast schon Mittag, als ich auf die Uhr sah und
feststellte, dass es elf Uhr vormittags war. Ein Rascheln neben mir ließ
mich zu meinem Hamster sehen, der sich gerade die Backen voll gestopft hatte
und zurück in sein Häuschen trabte. Ich war erst früh am morgen nach
Hause gekommen, nachdem ich einfach nur Stunden um Stunden auf der Treppe
gesessen und nachgedacht hatte. Nachdem ich endlich die Wohnung mit dem
Notschlüssel betreten hatte, den meine Eltern unter dem Vorleger
deponierten, ließ ich mich nur auf’s Bett fallen, um zu schlafen. Einzig
und allein die Schuhe und die Hose zog ich aus, ich war einfach zu müde, um
mich richtig bettfertig zu machen. Ich musste sofort eingeschlafen sein,
jedenfalls sah es ganz danach aus. Meine Eltern waren glücklicherweise für
ein paar Tage in einen Kurzurlaub gefahren. Ihr einundzwanzigster
Hochzeitstag, wenn ich mich recht entsann. Ich
stand auf, als das Klingeln durch ein Hämmern an der Tür ersetzt wurde. So
wie ich war, verließ ich mein Zimmer, lief durch den Flur und öffnete
schließlich die Wohnungstür. Noch bevor ich richtig registrieren konnte,
wer diesen Krach veranstaltete, schoss eine kräftige Hand hervor und packte
mich am Kragen des T-Shirts. Erschrocken schrie ich auf und starrte
fassungslos in diese grauen Augen, die nun von einem wütenden Funkeln
beherrscht wurden. Mit einem Ruck drängte er mich zurück in die Wohnung
und warf die Tür zu. „Worauf?“
Ich sprach mal wieder schneller, als mir lieb war, wusste ich doch ganz
genau, was er wollte. „Worauf?“,
wiederholte er meine Frage um ein Vielfaches lauter. „Darauf, dass du mir
eine Erklärung für dein Verschwinden gibst.“ Er fuhr sich durch die
Haare. Sein Zopf war zerzaust, ein Teil der Haare hatte sich aus dem Gummi
geflüchtet und hing ihm wirr ins Gesicht. Er trug noch die gleichen Sachen
wie gestern Abend, scheinbar hatte er mich wirklich die ganze Nacht gesucht.
Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. Er tastete seine Jacke ab, zog
schließlich ein Handy hervor und begann eine Nummer zu wählen. Schließlich
trat er einen Schritt zurück und lauschte angespannt, bis jemand abhob. „Hast
du ihn gefunden?“, hörte ich Chris, der so aufgebracht und laut war, dass
ich ihn sogar aus der Entfernung noch problemfrei verstehen konnte. „Ja…
hab ich!“, antwortete Clay und sah böse zu mir. Betreten senkte ich den
Blick und starrte den Boden an. Chris schien sich zu beruhigen, jedenfalls
verstand ich jetzt nichts mehr von dem Gespräch, nur Clays Antworten konnte
ich hören. „Ja, es geht ihm gut.“ Er nickte leicht und ich hatte das
Gefühl, er verkniff sich das Wörtchen ‚noch’ in diesem Zusammenhang.
„Ja, ich rede mit ihm… nein, herkommen müsst ihr nicht.“ Wieder eine
Pause und so langsam wurde ich nervös. „Wir treffen uns in drei Stunden
bei mir. Zunächst will ich mit Kim reden.“ Er legte auf ohne auf Chris’
Antwort zu warten, dann wandte er seine vollständige Aufmerksamkeit wieder
mir zu. „Ich warte immer noch…“ „Nun…
ich…“, begann ich stotternd, schwieg dann aber. Sollte ich ihm ernstlich
sagen, dass ich gelauscht hatte. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Er
hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah mich durchdringend und
ungeduldig an. „Ich hab euer Gespräch gestern gehört.“, murmelte ich
schließlich. „Wie?“
Nun war er doch überrascht. Er sah sich kurz um, schnappte dann meinen Arm
und zog mich mit sich ins Wohnzimmer. Er kannte sich hier unterdessen gut
aus, war er doch recht oft zu Besuch gewesen. Unaufgefordert setzte er sich
auf die Couch und zog mich direkt neben sich. „Was für ein Gespräch
genau meinst du?“, fragte er nun wieder etwas ruhiger. „Na
eben den Teil über mich!“ „Wir
haben sehr viel und sehr ausführlich über dich gesprochen. Kannst du
‚diesen Teil’ nicht vielleicht etwas eingrenzen. Das würde es mir
erleichtern.“ Was
sollte ich jetzt sagen? Wortwörtlich wiederholen, was er an dem Abend von
sich gegeben hatte? Nur einen winzigen Teil hatte ich scheinbar gehört,
kaum mehr als ein Dutzend Sätze. „Ihr habt über meine… meine…“ Ich
stockte und sah zur Seite. „… über meine Gefühle zu dir gesprochen.“
Ich flüsterte diese Worte nur und anschließend trat Stille ein. „So
ist das also?“, entgegnete Clay und ich nickte nur. „Sicher, dass du
alles gehört hast?“ „Natürlich,
du hast gesagt, du bist ein Dämon und der verliebt sich ja nur einmal.“,
brachte ich nun etwas lauter hervor und sah ihn wieder an. Unwillentlich
hatte ich nun genau gesagt, was ich belauscht hatte. „Das
hast du also gehört.“, kam prompt die Antwort und Clay schloss müde die
Augen. „Du
hättest es mir doch auch so sagen können, schon Stunden zuvor.“, platzte
es nun aus mir heraus. „Ich wollte eine Antwort, so wie du darauf gedrängt
hast, dass ich dir sage, dass ich mich verliebt habe. Aber mich hast du
einfach stehen lassen, immer wieder. Dabei wusstest du es ganz genau,
wusstest, was ich über dich denke.“ Ich fing an wild mit den Händen zu
gestikulieren. „Du bist so ein Mistkerl, weißt du das! Ich liebe dich,
doch das ist dir vollkommen…“ Weiter
kam ich mit meinen Flüchen und Verwünschungen nicht, Clay hatte mich
gepackt zu sich gezogen und küsste mich nun wild und leidenschaftlich. Im
ersten Moment war ich zu verwirrt, um darauf zu reagieren und starrte ihn
nur in die silberfarbenen Augen, die mich auffordernd anfunkelten. Ich spürte
seine Zunge, die gierig über meine Lippen glitt und als ich sie ein wenig
öffnete, sich in meinen Mund zwang. Ich klammerte mich an ihn, erwiderte
den Kuss so gut ich konnte und schob ihn mit einem Mal ruckartig von mir.
„Was soll das?“, fauchte ich ihn nun wütend und ein wenig atemlos an.
„Was für ein krankes Spiel spielst du hier? Willst du noch mehr auf
meinen Gefühlen rumtrampeln?“ Irgendwie verstand ich momentan gar nichts
mehr. Was hatte ich innerhalb dieses Handlungsbogens verpasst oder hatte er
etwas von sich gegeben und ich hatte es überhört? Musste man eine Frau
sein, um das, was hier passierte zu verstehen? Irgendetwas fehlte mir in
meinem Leben, ich vermisste die Untertitel in meinem Chaos der Gefühle oder
ein weibliches Wesen, die mit einem Wörterbuch neben mir stand und es mir
erklärte. „Nein.“,
sagte er nur mit fester Stimme. „Ich wollte einfach nur dass du mal für
eine Sekunde die Klappe hältst und mich ausreden lässt. Du hast nicht
einmal die Hälfte des Gespräches mitbekommen. Dir war es ja lieber gewesen
abzuhauen.“ „Wie
war…“ Er hielt mir nun den Mund zu und ignorierte mein wütendes
Schnaufen. „Das
Gespräch ging noch weiter und entweder du hältst die Klappe und ich erzähle
es dir, oder ich gehe einfach und du kannst dich hier weiterhin verkriechen.
Was ist nun?“ Ich nickte nur und ließ die Arme sinken, um ihm zu
verstehen zu geben, dass ich jetzt still sein würde. Er ließ sofort los,
blieb aber nah bei mir sitzen. „Es
mag sein, ich bin ein Dämon… und ich habe sicherlich nicht wirklich den günstigsten
Weg gewählt, um Ashnan zu befreien, aber ich habe aus dem gelernt, was
passiert ist. Ich habe mich Jahrhunderte lang daran festgeklammert, dass ich
nur eine Seele, egal welche mit ihrer dort tauschen müsste. Wer das war,
war mir egal gewesen, es hätte jeder sein können.“ Er atmete hörbar aus
und lehnte sich zurück. „Ich brauchte Chris um das Tor zu öffnen, da er
als Einziger in alle Ebenen reisen kann und ich brauchte ihn um die Seele
meiner Geliebten zurück zu holen. Wie in einem Möbiusband spielte sich
dieses Szenario die letzten Jahrhunderte wieder und wieder ab. Ich fand das
Medium, wartete geduldig, bis es seine Aufgabe erfüllt hatte und versuchte
das Tor zu öffnen. Jedes mal tauchte diese Seele auf, die an ihn gebunden
war- Shion heißt sie jetzt- und verhinderte dies. Doch vor drei Tagen
funktionierte alles nach meinem Plan, bis du dich dazwischen gestellt hast
und statt Chris in diese Welt gerissen wurdest.“ „Worauf
willst du eigentlich hinaus?“, unterbrach ich ihn mitten in seiner Erzählung.
Ich war nervös und unruhig geworden. Er
stöhnte genervt auf und rieb sich mit der Hand die Stirn. „Von wem ging
deiner Meinung nach der Wunsch aus, dich zurückzuholen?“ „Ashnan“,
entgegnete ich sofort. „Hm…“,
murmelte er nur und schwieg dann eine ganze Weile. „Liege
ich damit falsch?“, fragte ich schließlich, als er mir nicht antworten
wollte. „Um
ehrlich zu sein, ja.“ „Chris?“,
fuhr ich fort und sah, wie sich sein Blick ein wenig verdunkelt. „Asak und
Lionare?“ Ich wusste es zwar schon, doch es war dieses Mal wieder mein
Wunsch, dass er mir selbst die Antwort geben sollte. Es glich der Situation
gestern in seinem Schlafzimmer, auch wenn die Frage eine andere gewesen war,
wo er schwieg und mich im Regen stehen ließ. „Ich…
ich wollte dich zurückholen!“, sagte er schließlich erbost und wandte
den Kopf ab. Er verschränkte die Arme vor der Brust und zum ersten Mal seit
ich ihn kannte, hatte ich das Gefühl in einem Gespräch die Oberhand zu
haben. Sie war unmerklich zu mir geglitten und nun wusste ich nicht wie ich
damit umgehen sollte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ein dicker Kloß
hatte sich dort gebildet, der sich nicht so einfach verdrängen ließ. „Du?“,
fragte ich nur und meine Verwunderung musste mir ins Gesicht geschrieben
sein. „Ja,
ich… denkst du ich hätte dich einfach dort gelassen und vergessen.“ „Wenn
ich ehrlich sein soll, ja.“ Diese Worte schmerzten sowohl ihn als auch
mich. Ich sah es an seinem traurigen Blick und ich spürte einen kleinen
Stich in meinem Herzen. „Tja…
was soll ich dazu sagen?“ „Weißt
du… dass du mich damit sehr glücklich machst.“ Zum ersten Mal zeichnete
sich ein ehrliches Lächeln auf meinen Lippen ab. „Ich hätte diese Worte
nie aus deinem Mund erwartet. Danke.“ Er
sah zu mir, schien momentan mit der Situation komplett überfordert zu sein.
Es war nicht mehr so einfach zwischen uns, wie noch vor ein paar Tagen. Wir
hatten uns ab und zu gestritten und zusammen gelacht. Wir traten gemeinsam
auf, spielten unsere Musik und feierten als Freunde jeden noch so kleinen
Erfolg. Doch jetzt war etwas anders. Er war anders, ich hatte mich ebenfalls
verändert. Es war wie ein Keil, der zwischen uns getrieben wurde und
gleichzeitig war eine andere Barriere verschwunden. Eine neue Situation, auf
die wir uns beide erst einmal einstellen mussten. Er war ein Dämon, nichts
menschliches, verraten und verstoßen, ich war ein nichts ahnender Mensch,
der über Nacht erwachsen wurde. Ich wollte ihn richtig kennen und verstehen
lernen und mich selbst wieder akzeptieren können. Ob nun mit ihm an meiner
Seite oder nicht. Meine Ängste waren verschwunden, als ich ihm diese Frage
stellte, die mich am meisten bewegte. „Was
empfindest du für mich?“ Nun war er nervös, nicht ich. Ich war innerlich
auf alles vorbereitet, solang es nicht komplette Ablehnung sein würde. „Wenn
ich ehrlich bin, weiß ich es nicht genau.“, begann er. „Ich bin schon
sehr, sehr lange hier, lebe unter den Menschen und hatte viel Zeit sie zu
beobachten. Früher habe ich sie gehasst. Ashnan war zwar ein Mensch, aber
doch war sie anders. Das ist jetzt so lange her, ich habe sie mehr und mehr
vergessen, gedanklich zumindest, gleich wie sehr ich sie liebte, ich habe
mir schon vor Jahrhunderten eingestanden, dass ich nie wieder die Zeit zurückholen
kann, die ich mit ihr verbrachte habe.“ Er machte eine Pause und sein
Gesicht wirkte ausdruckslos, während er sprach. „Ich habe mir immer
wieder eingeredet, dass alles gut werden würde, wenn ich nur Ashnan befreit
hätte und sie bei mir wäre, aber… es war alles eine Lüge. Ich war
einfach zu blind um endgültig aufzugeben. Die Zeit ist vorbei, endete bevor
sie begann und trennte uns. Doch nach all den Jahrtausenden änderte sich
mein Verlangen und meine Wünsche immer mehr, ohne dass ich es begriff.“ Ich
beobachtete ihn nur weiterhin, nahm mir vor ihn dieses Mal nicht zu
unterbrechen. Nur einmal würde ich meine Klappe halten und ihm nicht ins
Wort fallen. „Vielleicht
wollte ich auch nicht aufgeben… und das werde ich auch nicht, nur muss ich
einen anderen Weg finden ihr zu helfen. Ich möchte sie dieses Mal endgültig
erlösen. Sie würde nicht zulassen, dass eine andere Seele ihretwegen für
immer auf den Feldern des Nichts wandeln müsste. Sie hätte sich das
niemals vergeben.“ Er schlug die Hände vor’s Gesicht und krampfte seine
langen schmalen Finger in seine Haare. „Und ich mir auch nicht.“,
murmelte er leise und sah zu mir. Seine Augen waren klar und er schien eine
Entscheidung getroffen zu haben. „Ich muss gestehen, dass ich ziemlich
geschockt war, als du verschwunden bist und Ashnan an deiner Stelle in
meinen Armen lag. Ich hätte nie gedacht, dass mir das soviel ausmachen würde,
wenn du mit ihr tauschen würdest. Eigentlich…“, er stockte, richtete
sich dann auf und nickte schließlich als würde er sich damit selbst Mut
zusprechen. „Eigentlich wollte ich sofort losstürmen und dich zurückholen,
aber Ashnan hielt mich zurück. Sie meinte so würde ich dich nicht finden.
Wir haben eine ganze Weile geredet, Chris und Shion wollten auch helfen…
alle haben geholfen, dich zurück zu holen. Obwohl wir Feinde waren, haben
wir zusammen gearbeitet.“ „Und
jetzt?“, fragte ich schließlich und nahm mir eines der Kissen um mich
daran festzuhalten. Es ruhend auf meinen Bauch legend, umklammerte ich es
und sah Clay nachdenklich an. „Bereust du es, mich zurückgeholt zu haben? „Nein!“,
rief er so laut, dass ich zusammenzuckte. „Nein… natürlich nicht.“,
gab er dann flüsternd von sich. „Ich bin froh, dass du wieder hier bist,
obgleich ich wirklich geschockt war, als wir dich so zugerichtet gefunden
haben. Ich dachte mein Herz bleibt stehen!“ „Dann
hast du mich zurückgebracht?“ Er
nickte stumm und ich brauchte eine Weile, um das Gesagte zu verarbeiten. Er
wollte mich zurückholen, obwohl er Ashnan liebte. Wieso, das ergab keinen
Sinn. Empfand er doch etwas für mich und das waren die verqueren Versuche
eines Dämons, es mir begreiflich zu machen. Ich sah auf meine Füße und
legte den Kopf auf das Kissen. „Du
hast mich gerettet, obwohl du deine Geliebte wieder gefunden hast? Das
verstehe ich nicht.“ „Was
verstehst du daran nicht... sie wäre nie glücklich geworden, mit dem
Wissen, jemanden so dem Leid überlassen zu haben.“ „Und
das fällt dir erst jetzt ein?“, fragte ich verblüfft, spürte aber, dass
wir uns wieder heiß redeten. „Ja,
ich bin auch nicht perfekt. Das Leben als Mensch hat mich weich gemacht. Ich
erkenne mich ja selbst nicht wieder.“ „Das
hört sich an, als wäre es eine Krankheit ein Mensch zu sein.“ „Für
mich ist es das ja auch.“, murmelte er und funkelte mich zum Teil erbost,
zum Teil auch amüsiert an. „Ach
ja, tut mir leid, ich bin auch einer. Ich bin kein Freak wie ihr, der mit
bunten Kugeln rumschießen und wilde Stunts hinlegen kann.“ Gespielt
beleidigt wandte ich den Kopf ab und sah in die andere Richtung. „Bunte
Kugeln?“, fragte er und war für einen Moment sprachlos. Ich drehte mich
grinsend zu ihm und streckte ihm die Zunge heraus. „Du bist mehr Freak als
du dir vorstellen kannst. Aber ehrlich gesagt, mag ich dich so wie du bist.
Und wenn du nicht mehr da wärst, würde mir jemand fehlen, mit dem ich mich
streiten kann.“ „Ich
stehe dem Herren gerne zur Verfügung!“ Eine leichte Verneigung
meinerseits ließ ihn ebenfalls lächeln und er antwortete mir: „Du
Chaot hast mein Leben ganz schön auf den Kopf gestellt, weißt du das?!“ „Gern
geschehen.“ Plötzlich
und unerwartet legte er eine Hand auf meine Schulter und zog mich mit
Schwung zu sich. Ich war viel zu überrascht, um zu reagieren und fiel so
direkt in seine Arme, die sich vorsichtig um mich schlossen. Woher kam nur
dieser plötzliche Sinneswandel? „Ich
weiß zwar nicht, ob ich dich so lieben kann, wie Ashnan, aber ich hab dich
sehr gerne, Kimmy. Ich kann dir vielleicht auch nicht hundertprozentig mein
Herz zu Füßen legen, wie ich es damals getan habe, aber ich möchte gerne
versuchen mit dir zusammen zu sein, insofern du akzeptierst, dass Ashnan
immer ein Teil von mir und meinen Gedanken sein wird. Vielleicht lerne ich
ja, dich an ihrer statt zu lieben.“ Er sah unsicher zu mir, konnte dieses
Mal nicht erahnen, wie ich reagieren würde. Ich war zugegeben etwas
skeptisch, ob er diese Worte wirklich gesagt hatte, und ob sie ernst gemeint
waren. „Warum
jetzt auf einmal dieser Stimmungswandel?“, fragte ich statt ihm eine
Antwort gegeben. Scheinbar überrumpelte ich ihn durchaus mit meinen Worten,
denn er sah mich nur aus großen Augen an. „Warum?“
Ich nickte und er überlegte. „Ich bin fast wahnsinnig geworden vor Sorge,
darum.“ „Als
ich gestern bei dir war, dachte ich eher, es sei dir egal.“, kommentierte
ich seine Behauptung und legte den Kopf schief. „Das
lag an etwas anderem… ich wusste nicht wie ich mit dir umgehen sollte.“
Er strich behutsam über meinen Rücken und eine Gänsehaut breitete sich
auf meinen Armen aus. „Du sagtest am Anfang gar nichts, also nahm ich an,
dass dir etwas Schlimmes widerfahren sei. Ich wollte dich nicht verletzen,
also dachte ich, ich lass dir Zeit, bis du von dir aus anfängst zu reden.
Danach hast du mich mit deinem Geständnis vollkommen überrumpelt. Sicher,
ich ahnte es ja schon, aber es ist etwas anderes, Dinge zu wissen, anstelle
sie zu hören. Mir war selbst nicht klar, was ich tun sollte, ich musste
erst einmal mit mir fertig werden.“ „Deswegen
deine Ablehnung?“, fragte ich frei heraus und kuschelte mich an ihn. „Ablehnung?
So ist das also rübergekommen?“ Das hörte sich jetzt wirklich
verzweifelt an. „Das tut mir leid.“ „Ist
schon in Ordnung, ich bin froh, dass du mir endlich gesagt hast, was du über
mich denkst.“ Ich machte eine Pause und holte tief Luft. „Zu deiner
Frage: Ja, ich komme damit klar, dass du immer noch an Ashnan denkst,
immerhin lieben Dämonen ja nur ein einziges Mal in ihrem Leben.
Aber,…“, fuhr ich fort und hob den Zeigefinger, „… glaub’ nicht,
dass ich so schnell aufgebe. Ich werde dich schon noch ganz für mich
gewinnen, das verspreche ich dir.“ „Du
bist aber sehr von dir selbst überzeugt.“, entgegnete Clay und blickte
mich schon wieder spöttisch grinsend an. „Natürlich!
Ich hab dich endlich an der Angel, denkst du da lass ich dich mir
wegschnappen? Du wirst schon sehen.“, nuschelte ich und schloss zufrieden
die Augen. „Außerdem sagte Ashnan zu mir, ich solle gut auf dich
aufpassen.“ „Auf
mich?“ Klang er vorher verwundert, so hörte er sich jetzt komplett fassungslos an. „Du solltest erst mal lernen, auf dich selbst Acht zu geben.“ Mir entfuhr nur ein leichtes
Grummeln, dann schloss ich die Augen. Seine Hand strich mir noch eine Weile
über den Rücken, bis sie schließlich zu meinem Gesicht wanderte und sich
auf meine Wange legte. Ich schielte zu ihm und näherte mich schließlich
wieder diesen verführerischen Lippen, von denen ich bisher nur zwei Mal
gekostet hatte. Er hinderte mich nicht daran, mich an ihm hochzuschieben und
kurz durch die Haare zu streichen, bevor ich meine Lippen auf seine legte.
Seine Hand legte sich in meinen Nacken und zog mich enger zu sich, während
Clay den Kuss vertiefte und leidenschaftlicher wurde. Nur zu gerne erwiderte
ich den Kuss, schloss die Augen und genoss seine Liebkosungen vollkommen. „Auf
mich musst du nicht aufpassen.“, murmelte ich keuchend zwischen zwei Küssen.
„So
wie du jetzt bist, gehe ich eher vom Gegenteil aus.“ Er grinste frech, als
er sich von mir löste und sich über die Lippen leckte. Sein Blick fiel auf
die Uhr und er seufzte auf. „Wir müssen zurück, die anderen warten
darauf, dich zu sehen.“ „Und
wenn ich keine Lust habe aufzustehen?“, fragte ich mit einem gemeinen
Unterton in der Stimme. „Ich könnte einfach auf dir liegen bleiben und
mich von dir verwöhnen lassen.“ „Damit
dir das Gleiche passiert wie gestern Nachmittag im Badezimmer?“ Wenn
Clay erreichen wollte, dass ich von ihm aufsprang, dann hatte er das
geschafft. Mit einem Satz stand ich neben der Couch, ich könnte schwören,
ich war so rot im Gesicht, dass jede Paprika neidisch geworden wäre. Er sah
mich im ersten Moment erstaunt an, und fing dann schallend an zu lachen. Ich
wurde noch röter, obwohl ich bezweifelte, dass das noch möglich war. „Du..
du hast… mich…?“ „…gehört?“,
vollendete er meinen Satz und nickte, immer noch vom Lachen überwältigt.
„Natürlich. Falls du dich erinnerst hab ich dir Sachen vor die Tür
gelegt.“ Er hielt sich die Hand vor den Bauch und lachte einfach weiter,
ungeachtet dessen, dass ich langsam eher wütend als beschämt war. „Hör
auf zu lachen!“, forderte ich daher. „Aber
dein Gesicht.“, entgegnete er und es dauert in der Tat eine ganze Weile,
bis er sich beruhigte. Er sah zu mir und lächelte mich anzüglich an.
„Wenn ich das mal sagen darf, du hast eine interessante Stimme dabei.“ „Hör
auf! Über so was spricht man nicht.“ „Wieso,
ist dir das so peinlich?“ Noch bevor ich etwas erwidern konnte, zog er
mich zu sich und küsste mich leidenschaftlich und ohne mir Zeit zu lassen,
auch nur einen Protestlaut von mir zu geben. Er war teilweise etwas zu hart,
aber das störte mich in der Sekunde kaum. Er war nun einmal ein Dämon,
wobei mir schlagartig eine Frage ins Bewusstsein kam und mich nicht mehr
losließ. Mühsam drängte ich ihn in zweifacher Hinsicht zurück und holte erst mal
tief Luft. „Bin
ich dir zu stürmisch?“, fragte er lakonisch. „Also
dafür, dass du dir nicht sicher bist… würde ich sagen, ja.“,
entgegnete ich. „Jetzt
mal ehrlich, ich bin seit über 7.000 Jahren auf der Erde… seither habe
ich selten mit einer Person Zeit verbracht oder bin intim mit einem Menschen
geworden.“ Aha…
du bist also… wie sagt man ‚underfucked’?“ Er starrte mich an, als hätte
ich eine bunte Schleife im Haar. „Liege ich da so falsch?“ „Nein..
nur wundert es mich grade, dass dir das andere vorhin peinlich war. Aber ja,
du hast recht, es ist eine Weile her, dass ich mal auf diese Art und Weise
Spaß hatte.“ Er stupste mich an und verzog seine Lippen erneut zu einem
lasziven Grinsen. „Oh
man, da hab ich mir ja was eingehandelt… einen notgeilen gefallenen Dämon?“
Ich stöhnte auf, allein bei dem Gedanken ‚gefallener Dämon’ machte mir
meine Vernunft einen Strich durch die Rechnung. „Wie geht das überhaupt?“ „Was,
notgeil sein?“ „Nein…
gefallener Dämon? So was gibt es doch nur unter den Engeln.“ Ich richtete
mich auf seiner Brust ein wenig auf und sah ihn fragend an. Das
interessierte mich jetzt wirklich, auch wenn es scheinbar nicht ganz seinen
Vorstellungen für den Nachmittag entsprach. Er atmete hörbar aus, lehnte
sich zurück und winkelte eines seiner Beine an, um es sich bequemer zu
machen. „Wie
das geht? Nun, das ist ganz einfach… ähnlich wie es bei Engeln geht.“,
begann er. „Aber
ich dachte…“ „Ja,
du dachtest… an etwas, was die Menschen in ihrer Religion festgelegt
haben. Gefallene Engel sind Dämonen, aber das stimmt nicht. Gefallene Engel
sind Menschen, die bis zum Ende der Zeit auf die Erde verbannt werden und
ihr Dasein unter den Menschen fristen müssen, unsterbliche Wesen im
Prinzip. Gefallene Dämonen sind das Gleiche, nur eben von der Seite der
Unterwelt her.“ Nur
ein bewunderndes Geräusch drang über meine Lippen. Er grinste breit und
wuschelte mir durch die Haare. „Ich muss zugeben, ich fand eure
Glaubensrichtungen und Formen immer sehr interessant, und teilweise, sagen
wir, fantasievoll.“ „Fantasievoll?“ „Ich
werde garantiert nicht den Nachmittag damit verbringen, dir das alles zu
erklären, dafür haben wir genug Zeit in den nächsten Wochen.“ Er
umfasste mein Kinn und zog mich fordernd zu sich. „Zudem, steht da noch
die Sache mit dem notgeil an, die du erwähnt hast.“ Noch bevor ich auch
nur einen weiteres Wort von mir geben konnte, küsste er mich hart und
gierig. Irgendwie hatte er sich ja doch schnell von seiner Geliebten
losgesagt, so wie er momentan um mich bemüht war. Die Frage, ob er es ernst
meinte und ob er nicht in Wirklichkeit nur an die Befriedigung seiner Gelüste
aus war, drängte sich mir förmlich auf. Ich wollte ihn nicht nur für so
was haben, ich wollte ihn ganz. Das ging mir dann doch alles zu schnell,
notgeil hin oder her. Ich wollte mir seiner Gefühle und Gedanken erst
sicher sein, bevor ich ihm gestattete mich näher zu berühren, nur wie
sollte ich das anstellen. Einen so alten Dämon überlistete man nicht
einfach so ohne größere Probleme. Vielleicht sollte ich mit Chris reden. „Was
ist?“, fragte er mich plötzlich als er sich von mir löste. „Wo hängst
du mit deinen Gedanken herum?“ Er erhob sich leicht, so dass auch ich mehr
oder minder von ihm herunter rutschte und sah mir forschend in die braunen
Augen. „Nichts
Besonderes…“, entgegnete ich und schwieg anschließend. Er sah mich
zweifelnd an, zuckte dann jedoch mit den Schultern und stand endgültig auf.
Er schien es sich zumindest für heute anders überlegt zu haben und erst
einmal zu seiner Wohnung zurückkehren zu wollen. Ich erhob mich ebenfalls,
streckte mich genüsslich und spürte förmlich seinen Blick der auf mir
lag. Definitiv zu schnell… ~~~~ Es
war bereits Abend, als wir bei Clays Wohnung ankamen. Er konnte die Finger
nicht von mir lassen, beließ es aber vorerst beim Küssen, wobei ich genau
spürte, dass er immer wilder und leidenschaftlicher wurde. Er musste sich
wirklich zurückhalten. Doch mir ging es mit der Zeit nicht anders. Ich bin
nun wirklich kein leicht erregbarer Mensch- nun okay, vielleicht doch ein
kleines bisschen- doch er schaffte es immer, mich fast komplett aus dem
Konzept zu bringen. Unterdessen war das erste Glücksgefühl über seine
Worte gewichen und hinterließ Skepsis und Verwirrung. Mehrere Jahrtausende
hatte er einen Menschen geliebt, die Frau, die nun wieder auf den Feldern
des Nichts verbannt war, und jetzt so plötzlich hatte er sich für mich
entschieden. Ich wusste bis dahin nicht, dass ich so misstrauisch sein
konnte, aber die kurze Zeit dort hatte mich vielleicht wirklich verändert. Er
schien nichts von meiner Unsicherheit zu spüren, sprach allerdings auch
nicht viel. Jeder hing seinen Gedanken nach und wir wurden ihnen erst
entrissen, als wir bei Clay ankamen und mir ein erleichterter Chris um den
Hals fiel und mich an sich drückte. Seine roten Haare waren nass, scheinbar
standen sie schon eine Weile hier im Regen und hatten auf unsere Rückkehr
gewartet. Er schob mich schließlich von sich, betrachtete mich dann kurz
nur um mich erneut fest zu umklammern. „Bin
ich froh, dass es dir gut geht.“, murmelte er und seine grünen Augen
hatten einen leicht feuchten Schimmer. Er sah auf mich herab und lächelte
schließlich. „Wieso bist du einfach weggelaufen? Wir wollten doch…“ „Können
wir das nicht oben besprechen?“, mischte sich Clay ein und schloss die Tür
zum Treppenhaus auf. Ich liebte dieses Haus- ein Altbau mit hohen Decken,
großen, und durch die riesigen Fenster, hellen Zimmern. Alles was die
Wohnung meiner Eltern nicht besaß. Neben
Clay erblickte ich auch Asak und Lionare, die im Hauseingang gestanden
hatten und Shion, das Mädchen, welches Chris uns vorgestellt hatte.
Wirklich eine seltsame Gruppe, wenn ich mich umsah. Engel, Dämonen und
gefallene Solche, ein Medium und ein Mädchen, was nicht ganz normal war.
Dabei meine ich natürlich normal im Sinne von menschlich, denn wer konnte
sich im Kampf schon mit einem Dämon wie Clay messen. Irgendwie war ich die
einzige Person hier, die wirklich nichts ‚Überdrehtes’ war. Ein
seltsames Gefühl, wenn ich ehrlich sein sollte. Ich kannte mit großer
Sicherheit nicht mal einen Bruchteil der Wahrheit. Aber wenn ich ehrlich
sein sollte, wollte ich für den Anfang auch gar nichts anderes wissen. Ich
musste erst einmal mit mir selbst und Clay ins Reine kommen, anschließend wäre
ich offen für weitere Informationen. Chris
ließ schließlich von mir ab und gemeinsam stiegen wir die Treppen hinauf
zu Clays Wohnung. Er ließ uns eintreten und sofort lotste er uns in das
Wohnzimmer weiter, ein großer rechteckiger Raum, in dessen hinterster Ecke
ein gemütliches Sofa stand und einige Sessel. Der niedrige Couchtisch war
größer als der andere in seinem Schlafzimmer und die Couch bot Platz für
mehrere Leute. Hinter dem Sofa und an der gesamten Wand entlang reihten sich
Bücherregale, die etliche Werke und Schriften enthielten, die wohl älter
waren, da die Umschläge abgegriffen wirkten. Hier stand kein Fernseher, nur
eine Anlage, ansonsten war dieser Raum war frei von jeglichen technischen
Geräten. Allerdings gab es auf der anderen Seite neben einer Essgruppe eine
Tür in ein weiteres Zimmer, welches man nur durch das Wohnzimmer erreichen
konnte. „Setzt
euch doch.“, sagte er und jeder nahm Platz, wobei ich mir mit Absicht
einen der Sessel angelte und mich darin niederließ. Er quittierte diese
Aktion mit gehobenen Augenbrauen und einem fragenden Blick, sagte aber nicht
dazu, sondern ließ sich auf der Lehne nieder. Gut, das war dann wohl das
berühmt berüchtigte Eigentor. „Um auf deine Frage zurückzukommen,
Chris, Kim geht es gut.“ „Hey,
ich kann für mich selbst sprechen.“, ereiferte ich mich sofort und
funkelte ihn an. Ich wandte mich ohne auf eine Antwort zu warten an Chris
und lächelte. „Danke, mir geht es gut. Ich war gestern nur etwas verwirrt
und brauchte ein wenig Zeit für mich. Es tut mir leid, dass ich euch nichts
gesagt habe.“ Betreten senkte ich den Kopf. „Schon
in Ordnung.“, erklang Lionares klare Stimme und er lächelte mich
aufmunternd an. „Du bist ja unversehrt wieder aufgetaucht.“ Ich
sah ihn lange an und grinste dann breit. „Du hast mich geheilt, oder?“
Ein Nicken bestätigte mir nur was ich schon wusste. „Vielen, vielen Dank.
Ich wollte mich schon die ganze Zeit dafür bedanken, aber irgendwie kam ich
nicht dazu.“ „Gern
geschehen. Nachdem Clay dich zurückholte, hat er mich… nun ja, auf sehr
dezente Art und Weise ‚gebeten’ dich zu heilen.“ Seine Stimme war voll
Ironie und Sarkasmus und er schenkte Clay einen undeutbaren, fast schon überheblichen
Blick. „Soso,
hat er das?“ Ich schielte zu dem Dämon, der neben mir saß und nichts zu
alledem sagte. „Egal,
was mich interessiert ist, warum du das gemacht hast!“ Asak mischte sich
mehr oder weniger taktvoll in das Gespräch ein. Seine Stimme war dunkler
und ein wenig rauer und sein Gesicht wirkte wütend und ungeduldig. „Du
bist so gefühlvoll wie ein Backstein.“, kam auch prompt der Kommentar von
Lionare, der ihn nur von der Seite her musterte. „Wieso, immer dieses
Gerede um den heißen Brei herum. Das ist nervend! Ihr wollt doch alle
wissen, warum er Chris zur Seite gestoßen hat.“ Er verschränkte die Arme
vor der Brust und machte für eine Sekunde den Eindruck eines kleinen
trotzigen Kindes auf mich. Dieser abrupte Wechsel des Themas ließ alle im
Raum für einige Sekunden schweigen. „Warum?“,
begann ich und überlegte gespielt angestrengt, fuhr mir mit der rechten
Hand am Kinn entlang und schloss die Augen. Neben mir hörte ich Clay
genervt aufseufzen, doch er hielt sich zurück. „Wenn ich ehrlich bin, weiß
ich das gar nicht so genau..!“ Verwirrte und fragende Blicke trafen mich.
„Nun ja, es passierte einfach so, ich wollte nicht das Chris etwas
geschieht und außerdem…“ Nun musste ich wirklich überlegen, wie ich
das Folgende ausdrücken sollte. „Nun ja… eigentlich wollte ich…“
Stammeln war etwas, was ich mir unbedingt abgewöhnen sollte. „Du
wolltest Clay etwas beweisen.“, half mir unerwarteter Weise Shion auf die
Sprünge. Das stimmte zwar, aber irgendwie störte es mich, dass sie mich so
leicht durchschaut hatte. „Du wolltest ihm zeigen, dass du ihn liebst.“
Ich starrte sie an, als wäre sie das achte Weltwunder. Wann hatte ich ihr
das alles erzählt und warum wurde ich nun schon wieder rot wie eine Tomate? „Ich
bin kein Weltwunder.“, kam es plötzlich von ihr und ich wusste, dass ich
mich nun vollkommen lächerlich machte, so wie ich sie betrachtete. Hatte
ich etwa laut gedacht? „Nein…
hast du nicht.“, beantwortete sie mir wie selbstverständlich meine stumme
Frage. „Oh,
da fällt mir ein…“ Chris wandte sich an mich. „Du solltest wissen,
dass Shion in der Lage ist Gedanken zu lesen.“ Wo
war das Mäuseloch in dem ich mich verkriechen konnte? Wieso musste immer
mir so etwas passieren? Ich schwieg eine ganze Weile, bis ich mich gefangen
hatte. „Dann muss ich ja nicht mehr viel erzählen, oder?“ „Na
ja… ich würde sagen, Shion unterlässt das Wühlen in deiner Gedankenwelt
einfach und du erzählst es uns.“, erwiderte Chris. Er war auch nicht
gerade sanfter in seiner Wortwahl als Asak, musste ich feststellen. „Was
soll ich jetzt noch erzählen? Shion hat doch schon alles gesagt.“ Ich
wurde ein wenig nervös, das muss ich zugeben. Ich fühlte mich als wäre
ich im Kreuzverhör und wurde von allen Seiten mit Fragen überschüttet.
Dabei hatte ich momentan noch andere Probleme, die mich weit mehr beschäftigten,
als die Sache mit den Feldern des Nichts, etwas was momentan einfach
greifbarer und nahe liegender war. „Na,
was alles dort passiert ist, immerhin warst du verletzt und…“, begann
Chris, wurde jedoch überraschend von Asak unterbrochen. „Ich
brauch jetzt was zum Rauchen.“ Der plötzlicher Einwurf des Dämons
brachte nahezu jeden aus dem Konzept und nicht nur ich sah ihn verwundert
an. Das war wohl der schlechteste Moment, den man sich dafür hätte
aussuchen können. Lionare
stand schließlich auf und griff nach seinem dünnen Mantel. „Ich hole dir
welche. Begleitest du mich, Kimmy?“ Etwas schwang in seiner Stimme mit,
was mich nur nicken ließ und ich folgte ihm, nachdem ich aufgestanden war
und mich an Clay vorbei geschoben hatte. Dieser registrierte das mit einem
unverständlichen Murmeln, schwieg ansonsten aber. „Bis gleich.“ Ich
glaubte nur noch Chris’ Worte zu hören, die an Asak gerichtet waren:
„Seit wann rauchst du denn?“ Lionare
lief schweigend neben mir her und natürlich waren wir nicht zum Kaufen der
kleinen Sargnägel, wie ich sie nannte, nach draußen gegangen. Wir kamen
unterdessen am zweiten Zigarettenautomaten vorbei und er warf nicht mal
seinen Blick nach rechts. „Ich
dachte du fängst von dir aus an, aber scheinbar muss ich dich fragen,
immerhin will ich nicht die ganze Nacht hier herumlaufen und warten bis es
wieder anfängt zu regnen.“ Wir hatten Glück gehabt, dass der Regen
aufgehört hatte, als wir nach draußen traten und sich die Wolken soweit
verzogen hatten, um kurzzeitig den Blick auf das Abendrot zu gewähren. „Du
scheinst mit mir reden zu wollen.“, entgegnete ich leise. „Shion
meinte einfach nur, du bist momentan mit anderen Dingen beschäftigt, als
auf unsere Fragen zu antworten. Du wolltest mit jemandem reden, und auch
wenn ich nicht Chris bin, vielleicht kann ich dir helfen.“ „Shion
meinte?“ „Sie
kann nicht nur Gedanken lesen, sondern auch mitteilen.“, beantwortete er
mir meine kurze Frage. Er musterte mich von der Seite. „Es geht um Clay,
oder? Er ist momentan das Problem.“ Ich
nickte schließlich. Lionare machte auf mich nicht den Eindruck einer
Person, mit der man nicht reden konnte, im Gegenteil. „Er…
ach ich weiß auch nicht.“, begann ich und ließ meiner Verwirrung freien
Lauf. „Erst sagt er, er verabscheut mich und hasst mich, liebt diese Frau,
die er nach so langer Zeit zurückholen will und als er es endlich geschafft
hat, macht er plötzlich eine hundertachtzig Grad Wendung und meint er will
es mit mir versuchen. Das ist alles… ich weiß nicht… es geht alles so
schnell. Ich verstehe ihn nicht und auch nicht ob er es ernst meint.“ Ich
ließ die Schultern hängen und er lief weiter schweigend neben mir her.
„Er ist auf einmal fordernd und na ja… leidenschaftlich eben und ich weiß
nicht, ob er es ernst meint. Was ich sagen will… ich weiß einfach gar
nicht mehr, was ich von all dem denken soll. Es ist soviel passiert, ich bin
nun schon über ein Jahr in ihn verliebt und als er mir sagte, er liebe eine
Frau, habe ich aufgegeben, mir immer wieder gesagt, dass es hoffnungslos ist
und er selbst sagte mir, Dämonen lieben nur einmal und…“ Er war stehen
geblieben und legte mir nun einen Finger auf die Lippen. „Ist
ja gut“ Seine sanfte Stimme beruhigte mich sofort ein wenig. Ich hatte
mich wahrlich heiß geredet, wiederholte mich in meiner Aufregung und
teilweise überschlug sich schon meine Stimme. „Kurz gesagt, du weißt
nicht, ob er es ernst meint, oder?“ Ich nickte ergeben und senkte den
Blick auf die verregnete Straße, folgte dem Muster der Pflastersteine und
erinnerte mich daran, wie ich als Kind immer von Stein zu Stein hüpfen
wollte, um die Ritzen nicht zu berühren. Was für absurde Gedanken hatte
ich da? „Ich
will nicht nur ein Lückenfüller sein.“, murmelte ich. „Ich will ihn
irgendwann ganz für mich gewinnen.“ „Verständlich.“,
erwiderte er und überlegte. „Weißt du, als du verschwunden bist, war das
Chaos perfekt. Er wollte sofort losstürmen und dich zurückholen, wir
hatten unsere Mühe ihn zu bändigen, zumal er uns keineswegs vertraute. Er
begriff erst später, dass wir zusammen arbeiten mussten. Er war zunächst
rasend vor Zorn und Shion musste ihn für eine ganze Weile versiegeln, damit
wir endlich in Ruhe diskutieren konnten. Er war bereit Chris dorthin zu
schicken, ohne mit der Wimper zu zucken, doch als du plötzlich anstelle
dessen dorthin kamst, ist er ausgerastet. Glaubst du nicht, dass du ihm
schon viel bedeutest, wenn er so reagiert.“ „Das
wusste ich nicht.“ Mir war durchaus klar, dass er sofort losstürmen
wollte, hatte er es mir doch selbst gesagt, doch dass er so zornig war,
hatte er mir verschwiegen. „Sicher
ist es schwer ihm nun zu vertrauen, aber ich denke, er mag dich wirklich
sehr gerne. Er war soweit ich weiß dir gegenüber besonders hart,
jedenfalls hat Chris mir das erzählt. Glaubst du er wäre so ehrlich zu
dir, wenn er keine Gefühle für dich hegen würde?“ Er stand nun direkt
vor mir und strich mir mit seinen langen schlanken Fingern durch das
verwuschelte Haar. „Es stimmt schon, Dämonen lieben nur einmal, aber heißt
es bei euch nicht, Ausnahmen bestätigen die Regel? Er ist älter als diese
Welt selbst, ich glaube das ist lange genug um sich in dieser Richtung
weiter zu entwickeln und neue Gefühle zu erfahren, gleich wenn er sich
selbst erst einmal daran gewöhnen muss. Clay ist selbst verwirrt, das
bemerke ich auch ohne Shions Worte. Er weiß selbst nicht, wie er nun
handeln und reagieren soll, kommt sich wahrscheinlich wie ein Lügner vor,
da er Ashnan im Stich lässt. Er hat es auch nicht einfach.“ „Daran
hab ich gar nicht gedacht.“ Verlegen senkte ich den Blick. Ich hatte die
ganze Zeit nur meine Probleme gesehen und seine komplett ignoriert. Ich fühlte
mich auf einmal ein wenig schäbig und egoistisch. „Mach
dir keine Vorwürfe deswegen, das ist ganz natürlich. Lasst es beide
ruhiger angehen und lernt erst mal, was es heißt zu lieben.“ „Aber
er will sofort… na ja…“ Ich wurde rot. Wie ich das manchmal hasste so
leicht durchschaubar zu sein. Lionare grinste nur amüsiert und klopfte mir
dann auf die Schulter. „Lass
dich nicht drängen. Du bestimmst das Tempo, nicht er. Sei dir zunächst
sicher, dass du das auch wirklich willst.“ „Geht
das bei Engeln genauso, wie bei Menschen?“ Irgendwie wollte ich ein wenig
von meiner Verlegenheit ablenken und doch ein anderes Thema anschneiden oder
das Ganze zumindest in eine andere Richtung drängen. Nun errötete er
leicht und ich musste zugeben, dass es bei ihm irgendwie niedlich wirkte-
und das bei einem Engel. „Nun
ja.. es funktioniert auf eine ähnliche Art und Weise.“ Er wandte sich ab
um weiterzugehen und wirkte nun ein wenig eingeschüchtert. „Darf
ich eine Frage stellen?“ Er nickte nur und ich lächelte. „Du und Asak,
ihr seid doch ein Paar, oder?“ Er lief stumm neben mir her und schien
nachzudenken, letztendlich sah er mir in die Augen und ich wusste, dass ich
Recht hatte. „Aber ein Engel und ein Dämon…“ „Was
ist schon dabei? Wir sind nun mal Seelenverwandte und wir haben lange dafür
gekämpft, um zusammen sein zu können.“ Ich fragte mich, ob ich wirklich
genau wissen wollte, was der Begriff Seelenverwandte bedeutete und warum sie
so hart kämpfen mussten. Es gab sicherlich noch einige Sachlagen, von denen
ich bisher gar keinen Einblick bekommen hatte, doch momentan wollte ich dazu
nicht noch mehr Fragen stellen. Ich würde die nächsten Wochen Zeit haben
herauszufinden, was genau mit Chris geschehen war, was alles hinter meinem Rücken
ablief und dann würden sich auch meine Fragen beantworten. Ich war nun
endlich zu einem Entschluss gekommen. Ich würde Clay vertrauen und mit ihm
eine Beziehung anfangen. Ich hatte lange warten müssen und ich war seit
jeher ein ungeduldiger Zeitgenosse. Ich wollte mit ihm zusammen sein und
gemeinsam würden wir herausfinden, wie sehr wir uns lieben konnten und würden.
So schwer war das eigentlich nicht, wir beide waren unsicher, doch das würde
vergehen und irgendwann wären wir auch sicherer. Das alles würde in meinem
Tempo ablaufen, ich wollte mir Zeit lassen mit ihm, nichts überstürzen
oder unfreiwillig kaputt machen. „Lionare?“ „Ja?“ „Danke.“ Ein
Lächeln zierte sein schmales Gesicht, als wir uns auf den Rückweg machten.
Wir waren schon eine Weile unterwegs gewesen, doch das war mir gleich,
immerhin hatte mir das Gespräch mit dem Engel sehr geholfen. Ich würde
wohl öfters bei ihm auftauchen, wenn ich Probleme hätte. „Und,
wo sind die Zigaretten?“, fragte Clay missgelaunt, als wir beide zurückkamen.
Er wirkte beleidigt und zurückgesetzt und scheinbar hatten Shion, Chris und
Asak ihre liebe Müh gehabt mit meinem Freund fertig zu werden. Besonders
Asak sah blass um die Nase aus, allerdings konnte ich noch nicht in
Erfahrung bringen wieso. „Hab
ich vergessen.“, kam es kleinlaut von Lionare, der sich sofort zu Asak
trollte und sich neben ihn setzte. Sie sprachen kurz miteinander und Asak
nickte nur wissend. Clay hingegen rollte mit den Augen und warf mir einen
undeutbaren Blick zu, als ich mir meine Schuhe auszog und anschließend das
Wohnzimmer betrat. „Scheinbar
hattet ihr viel Spaß miteinander.“ Clay war wirklich wütend, stellte ich
fest. Ich ignorierte seinen spitzen Kommentar, ließ ich mich auf den
weichen Sessel fallen und schloss müde die Augen. Clay setzte sich zu mir,
schwieg dann aber, als keiner etwas zu seinem Kommentar sagte. Eine ganze
Weile blieb diese unangenehme Stille bestehen, bis Lionare sich aufrichtete
und dabei Asak mit sich zog. „Ich
glaube für heute reicht es erst mal. Wir haben die nächsten Tage genug Zeit
über alles genauer zu reden.“ Er warf mir einen kurzen Blick zu und lächelte
dann seinen Partner an, bevor er sich an Shion wandte. „Kommt ihr beide
mit zu uns?“ „Ja,
das ist näher.“, antwortete das Mädchen für Chris und sah zu ihm. „Aber…“ „Lass
gut sein Chris, du hast doch die nächsten Tage noch Zeit.“ Shion ließ
ihn nicht weiter reden und meinem Freund war seine Enttäuschung nur zu
genau anzusehen. „Also
gut.“, sagte er nachdem er nachgedacht und ich ihm einen bittenden Blick
geschenkt hatte. „Aber morgen möchte ich endlich genau wissen, was
passiert ist.“ Er steuert direkt auf mich zu und umarmte mich herzlich.
„Ich wünsch dir eine gute Besserung. Wir reden morgen in Ruhe, dann ist
alles vielleicht etwas… gelöster.“ Er schaute in die Runde und seine
Augen hefteten sich an Clay. „Und denk daran, was wir besprochen haben.“
Er klopfte ihm im vorbeigehen auf die Schulter und trat hinaus in den Flur.
„Ach und Kim! Ich möchte morgen gerne meine Schuhe wieder haben.“ „Ja…
natürlich. Tut mir leid.“ Nach
und nach verabschiedeten sich alle anderen und nach ungefähr zehn Minuten
war ich wieder mit Clay allein. Eine leicht bedrückende Stimmung breitete
sich zwischen uns aus. Er hatte unterdessen auf dem Sofa Platz genommen und
die Beine hochgelegt. Er sah angespannt und erschöpft aus und schien darauf
zu warten, dass ich anfangen würde zu reden, was ich schließlich auch tat. „Was
ist los?“, fragte ich leise. „Du bist schon die ganze Zeit so
seltsam.“ „Ich
bin sauer auf dich.“, fuhr er mich wütend an und seine Augen waren zu
schmalen Schlitzen verengt. „Wieso?
Was hab ich denn jetzt wieder getan?“ Automatisch graste ich meine
Gedanken und Erinnerungen ab. Hatte ich etwas gesagt, was ihn verletzt
hatte? Ich kam zu dem Ergebnis, dass ich mir keiner Schuld bewusst sein
sollte. War es, weil ich ihn vor einigen Stunden zurückgewiesen hatte? „Na,
überleg’ doch mal. Zum Beispiel, dass du es vorziehst mit diesem Engel über
deine Probleme zu reden, anstatt mit mir. Besonders, wenn es mich
betrifft.“ „Er
heißt Lionare.“, sagte ich. „Und überhaupt… woher willst du wissen
über was wir geredet haben?“ „Asak.“,
murmelte er nur kurz und ich sah ihn fragend an. Was hatte der Dämon damit
zu tun? „Asak und Lionare sind Seelenverwandte. Sie fühlen und denken
dasselbe und tragen die gleichen Verletzungen davon. Natürlich wusste Asak
wovon ihr redet, jedes Wort und auch jeden Gedanken seitens Lionare.“ Er
schnaubte wütend und richtete sich dann auf. „Und Asak hat es mir erzählt.“ „Ich
gehe mal nicht davon aus, dass er das freiwillig getan hat. Deswegen war er
so blass.“ Jetzt verstand ich auch die angespannte Atmosphäre, als wir
zurückkamen. „Natürlich
nicht! Ich musste ihn schon davon überzeugen, dass er mir sagt, was ihr
tut.“ „Ach,
jetzt verstehe ich, du bist eifersüchtig.“ Ich sah ihn auf mich zukommen
und seine Hände vergruben sich in den Stoff der Lehnen rechts und links
neben mir. Er war wirklich wütend, aber gleichzeitig auch verwirrt. Ich
denke, er wusste gar nicht mehr, wie er handeln und reagieren sollte. „Ich
bin nicht eifersüchtig.“, zischte er scharf und ich fuhr unmerklich
zusammen. Und wie eifersüchtig Clay war! Dazu musste ich ihm nicht einmal
ins Gesicht sehen. Aber das war nun wirklich kindisch. Worauf sollte er denn
eifersüchtig sein. „Wer’s
glaubt…“, begann ich und fuhr fort, bevor er wieder etwas sagen konnte.
„Hätte ich etwa mit dir reden sollen. Du weißt ja eh schon alles, vielen
Dank für dein Vertrauen.“ „Zum
ersten Teil: Ja, du hättest mit mir reden sollen. Ich tue nichts, was du
nicht auch willst. Und zweitens, natürlich vertraue ich dir.“ „Vertrauen
heißt, dass du mir Glauben schenkst, wenn ich etwas sage und nicht davon
ausgehst, ich würde sonst was mit Lionare machen.“ Ich seufzte. „Aber
scheinbar musst du noch eine Menge lernen.“ Er
stieß einen Fluch aus, den ich nicht verstand, beruhigte sich aber, als ich
ihm sanft über die Wange strich. „Hey, nun beruhig dich mal, es ist doch
gar nichts passiert. Es tut mir leid, okay? Ich wollte dich gewiss nicht
hintergehen. Ich hätte schon mit dir geredet.“ Diese Worte besänftigten
wirklich sein Gemüt. Er neigte sich zu mir und küsste mich, dieses Mal
eher sanft und gefühlvoll. Seine Hände tasteten schließlich sanft über
meinen Rücken und aus Reflex umschlang ich seinen Nacken und zog ihn enger
zu mir, bis er sich schließlich vor den Sessel kniete und wir auf einer Höhe
waren. Seine Hand fuhr sanft am Saum meines T-Shirts entlang und schließlich
tastete er über meinen Rücken. Sein Kuss wurde noch intensiver, er spielte
mit meiner Zunge und schließlich löste ich mich atemlos von ihm. „Ich
tue nichts, was du nicht willst.“, sagte er und lächelte. „Aber lass
mich zumindest etwas versuchen, okay? Wenn es dir nicht gefällt, höre ich
auf.“ Ich war ein wenig verunsichert, doch ein weiteres Mal wollte ich ihn
nicht zurückweisen, also sah ich ihm nur in die Augen und nickte schließlich.
„Danke.“, murmelte er und küsste mich dann wieder. Ich würde Lionares
Worten Glauben schenken und ihm vertrauen, schließlich verlangte ich das ja
auch von ihm. Er wurde ein wenig verlangender, während seine Hände auf
meinem Rücken ruhten und mich näher an seinen Körper heranzogen. Wir
begannen uns gegenseitig zu reizen und zu necken, lösten uns nur
voneinander, als er mir das Shirt über den Kopf zog und neben sich fallen
ließ. „Du
hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich mir meine Kleidung wiederhole.“
Ein laszives Grinsen legte sich auf seine Lippen und ich schüttelte den
Kopf. „Nein,
tu was du nicht lassen kannst.“ Und
genau das tat er. Seine Hände fuhren meine Seiten entlang und schließlich
wieder über meinen Rücken. Wie ein Windhauch strich er über meine
erhitzte Haut und streichelte mich sanft und liebevoll. Im Gegenzug dazu
wurden seine Küsse immer wilder und heißer und ich konnte von mir nicht
behaupten, dass mich diese Aktionen kalt ließen, im Gegenteil. Ich spürte
deutlich, dass ich ebenso heftig auf ihn reagierte, wie schon gestern, als
er mich im Bad berührt hatte. Ein roter Schimmer legte sich auf meine
Wangen und keuchend unterbrach ich den Kuss. Er lächelte nur und fuhr mit
seinen Fingern die Konturen meines Gesichtes nach. Sein Blick wanderte
weiter, ebenso seine Hände, die nun über mein Kinn, meinen Hals
hinabstrichen und meine Schlüsselbeine nachzuzeichnen. Erst auf meiner sich
schnell hebenden und senkenden Brust kamen sie zur Ruhe und begann mich
vorsichtig dort zu streicheln. Erregt schloss ich die Augen und ein leises
Stöhnen entfloh meinen Lippen. Er beobachtete mich immer noch und schließlich
als von mir keine Einwände kamen, ersetzten seine Lippen seine Hände und
er begann meine Brust zu küssen. Ich krallte mich nun in die Lehnen des
Sessels, ließ einfach alles über mich ergehen und selbst wenn ich gewollt
hätte, dass er aufhört, mein Körper hätte diese Entscheidung sicherlich
nicht unterstützt. Nach schier endlos langer Zeit wanderten seine Lippen
wieder nach oben. Gierig ergriff ich seinen Kopf und küsste ihn
leidenschaftlich. Er war zu Beginn überrascht, ließ sich aber sofort
darauf ein und langsam wurde ich mutiger und begann ihm sein Hemd aufzuknöpfen.
Seine Haut war kühler als meine, nicht so erhitzt und heiß, aber das störte
mich nicht. Er schmunzelte leicht und lehnte sich dann weiter vor, drückte
mich tiefer zurück in den Sessel und schob eines seiner Beine zwischen
meine. Wieder stöhnte ich auf und schloss die Augen. Ich war erregt, mehr
als jemals zuvor und seine Berührungen machten mich bereits jetzt halb
wahnsinnig. Seine Hände, die bis dahin meine Brust gereizt hatten glitten
nun tiefer, streichelten meinen Bauch und kitzelten mich dort unaufhörlich.
Er ließ mir alle Zeit der Welt mich an all dass zu gewöhnen und wurde nun
wieder sanfter und liebevoller. Ich spürte, wie er am Bund meiner Hose
entlang strich und den Gürtel löste. Flüchtig und unbeabsichtigt berührte
er meine Erektion und ich konnte mir einen Aufschrei nicht verkneifen. Nun
doch etwas schneller öffnete er meine Hose und strich nun ganz behutsam
zwischen meine Beine, während er sich von mir löste und meine Reaktion
beobachtete. Ich stöhnte heiser auf und ließ mich schwer atmend gegen die
Lehne sinken. „Genieß
einfach, was ich tue, okay.“ Er küsste sanft meine Nasenspitze und ich
schloss die Augen. Ich war nicht so naiv, um nicht zu wissen, was er
vorhatte. Ich wartete geduldig, auch wenn er wieder einmal alles quälend in
die Länge zog. Nur vorsichtig strich er über meinen Unterleib und schließlich
spürte ich seine Lippen, die mich vorsichtig umschlossen. Dass mir das
einmal passieren würde, hätte ich vor ein paar Tagen nicht mal im Traum
gedacht. Stöhnend und ächzend sah ich zu ihm und begann fahrig durch seine
Haare zu streichen, während er anfing das Tempo zu steigern. Ich wusste
jetzt schon, dass ich diese Behandlung nicht lange durchhalten würde, egal,
wie sanft er war. Ich war siebzehn, in der ‚Blüte meiner Jahre’ und
irgendwo hatte ich mal gehört, dass pubertierende Jugendliche, insbesondere
solche männlicher Natur in diesem Alter ständig sexuell aktiv werden
konnten. Wirklich zurückhalten wollte ich mich dementsprechend nicht. Als
er anfing an mir zu saugen, verwarf ich jegliche Gedanken an sexuelle Aufklärungsmagazine
und konzentrierte mich wieder auf das Hier und Jetzt. Meine Beine hatte er
sich unterdessen über seine Schultern gelegt und sein Kopf war tief in
meinem Schoß verschwunden. Ich wand mich immer stärker unter ihm, konnte
mich selbst kaum mehr zur Ruhe zwingen und kam ihm schließlich entgegen.
Meine Finger hatten sich inzwischen in seine Haare verkrallt und drückten
ihn tiefer, was er mit einem Brummen quittierte und mir schließlich leicht
angesäuert in die Augen blickte. Sofort zog ich meine Hände zurück und
malträtierte stattdessen die Lehnen des Sessels. Immer heftiger wurden die
Wellen in mir, immer mehr Wärme breitete sich in meinem Unterleib aus, und
schließlich konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Meine Warnung, die
ich ihm zurufen wollte, ging in einem lauten Aufschrei unter, während sich
meine Erektion in einer einzigen Explosion der Gefühle ergoss. Schwer
atmend und immer noch leicht erregt, sank ich zurück gegen die Lehne des
Sofas. Ich musste erst einmal mein rasendes Herz wieder unter Kontrolle
bringen und mich beruhigen. Das war definitiv mehr, als ich heute eigentlich
mit ihm machen wollte, aber ich bereute nicht, was wir getan hatten. Es war
schön gewesen und obgleich das erst der Anfang war, war ich in diesem
Augenblick glücklicher als zuvor. Ein
Schauer durchwanderte meinen Körper als er sanft über meinen Bauch strich
und schließlich zu mir nach oben krabbelte, um mich zu umarmen. Er atmete
ebenfalls schwer und eine ganze Weile genossen wir einfach nur die Stille
und die Gegenwart des jeweils anderen. „Und,
war ich dir zu… schnell?“, fragte er mich schließlich und leckte sich
dabei über die Lippen. „Nein,
ist schon in Ordnung gewesen.“, sagte ich und wurde leicht rot um die
Nase. „Gut,
und hat es dir gefallen?“ Er wirkte ein wenig unsicher und blickte mir
lange in die Augen. „Sicher,
hat man das nicht gemerkt?“ Ich vergrub mein schweißnasses Gesicht an
seinem Oberkörper. „Doch
habe ich…“ Er näherte sich meinem Ohr und flüsterte leise. „Du
schmeckst gut.“ Jetzt war ich endgültig knallrot. Irgendwie war es doch
etwas peinlich, aber nicht ganz so schlimm, wie ich gedacht hatte. Ich hörte
sein leises Lachen, als er mir sanft durch die Haare strich. „Du wirst
dich schon daran gewöhnen…“, murmelte er und zog mich zu sich, um mich
zärtlich zu küssen. Ein salziger Geschmack lag auf seinen Lippen, doch das
störte mich nicht, wusste ich doch genau, woher dieser kam. „Ich
glaube wir brauchen beide ein Bad.“, sagte Clay, als er sich von mir löste
und verträumt mit meinen Haaren spielte. Ich sah an ihm herab und wunderte
mich nicht wirklich, dass das Ganze nicht spurlos an ihm vorbei gegangen
war. Seine Hose war feucht und scheinbar war das alles andere als angenehm für
ihn. Wissend grinste ich und küsste ihn flüchtig. „Gerne,
ich habe nichts gegen ein gemeinsames Bad.“ „Gut,
dann kann ich mich endlich von dieser Hose befreien.“ Er warf seinem
Kleidungsstück einen missbilligenden Blick zu und noch bevor ich mich auch
nur aufrichten konnte, hob er mich auf seine Arme und trug mich Richtung
Badezimmer. „Ich
kann auch alleine Laufen.“, meckerte ich leise, doch er ignorierte meine
Einwürfe geflissentlich. Er stieß die Tür mit seinem Fuß auf und setzte
mich wieder auf dem Schemel ab, der noch an der gleichen Stelle stand wie
letztes Mal. Ich erinnerte mich durchaus, was in diesem Bad passiert war. „Kim,
beantwortest du mir bitte eine Frage.“ Clay wirkte ernst und kniete sich
vor meinen Hocker, um mich betrachten zu können. Seine grauen Augen
fixierten mich genau und ich nickte nur leicht. „Als du auf den Feldern
des Nichts warst, woraus bestand dein Alptraum. Ich habe bisher nicht
gefragt, aber nun will ich es endlich wissen. Du warst verletzt und nur
schwer zu beruhigen, als wir dich fanden. Du hattest Angst und als wir zurück
waren hast du im Schlaf gesprochen und geweint.“ „Hab
ich das?“ Er nickte nur und strich mir durch die Haare. „Was
hast du gesehen? Was macht dir am meisten Angst im Leben?“ „Einsamkeit…“,
antwortete ich leise. „Einsamkeit und Dunkelheit. Ich konnte dort nichts
sehen oder hören. Ich war in einer riesigen dunklen Nebelwolke und irrte
blindlings durch eine kahle, kalte Welt, ohne jemals ans Ziel zu kommen.“
Ich verkrampfte mich sofort und umklammerte meine Oberarme fester. Die Angst
stieg wieder in mir auf, diese stumme Panik vor diesen Wesen, die mich
verfolgten und jagten, ohne dass ich wusste, wer oder was sie waren. Sie
verletzten mich, meine Arme und Beine waren übersäht mit klaffenden
Wunden. Ängstlich schüttelte ich den Kopf und unterdrückte ein Zittern.
Er strich mir behutsam über den Rücken und flüsterte mir leise Worte des
Trostes zu. „Und… und da waren diese…. Kreaturen.“ „Kreaturen?“,
fragte er stockend und mit einer gewissen Furcht in der Stimme. „Sie
jagten mich, hetzten mich durch die Dunkelheit und fingen mich schließlich
ein, um mich zu… quälen.“ Ich schluckte hart und rollte mich wieder
zusammen, so wie ich es immer tat, wenn ich mich dort verstecken musste. Er
umarmte mich sanft, zog mich enger zu sich und sein Herzschlag beruhigte
mich wieder. Tränen stiegen in mir auf und eigentlich hatte ich vor das
alles zu verdrängen und nie wieder hervor zu lassen, doch nun konnte ich
das nicht mehr zurückhalten. „Erzähl
weiter... friss so was nicht in dich hinein, das schadet dir nur und zerstört
dich von innen heraus.“ Er machte eine längere Pause und strich mir dabei
durch die Haare. „Was haben sie genau gemacht… haben sie dich…
vergewaltigt.“ Das letzte Wort würgte er fast schon hervor wie ein
widerliches Insekt und es hallte eine Weile in der Luft nach, brannte sich in
meine Gedanken. Er wartete und ich konnte seine Ungeduld spüren, er atmete
heftiger und sein Herz schlug schneller. „Vergewaltigt?“,
flüsterte ich fast tonlos und schüttelte schließlich den Kopf. Ich konnte
förmlich hören, wie ihm ein gewaltiger Felsbrocken vom Herzen fiel. „Gott
sei Dank… als du so still warst und kein Wort gesprochen hast, hab ich
eigentlich mit so etwas gerechnet. Deine Verletzungen… dein… ganzes
Auftreten. Du warst so verändert.“ Er schluckte und ich strich ihm
vorsichtig über die Wange. „Nein…
sie haben mich gejagt und sobald sie mich gefangen hatten, haben sie mir
Worte und Dinge zugeflüstert, mich herumgeschubst und geschlagen. Sie
nannten mich ‚Verlierer’ oder ‚Perverser’… und dann haben sie mich
freigelassen, um mich erneut zu jagen.“ Meine Finger krallten sich in
seinem offenen Hemd fest und er zog mich wieder zu sich. „Das
war deine Angst? Einsamkeit, Verstoßen und gehasst werden? Weil du schwul
bist und weil du Angst hattest, jeder wendet sich von dir ab.“ Er wirkte
erleichtert, obgleich ihn all das schockierte, was ich ihm gesagt hatte. Er
hielt mich lange in seinen Armen und ich erzählte ihm genauer, was alles
passiert war, redete mir all das von der Seele, was mich belastete und es
half mir wirklich. Ich hatte jemanden, dem ich vertrauen konnte, musste es
nicht hinter einer Maske verstecken und somit nahm der Druck auf meiner
Seele ab.. Clay ließ mich nicht alleine und blieb bei mir, den ganzen Abend
und die ganze Nacht hindurch. Wir badeten, aßen gemeinsam eine Kleinigkeit
und schliefen Arm in Arm irgendwann in den frühen Morgenstunden ein. Er war
geduldig und ließ mir alle Zeit, die ich brauchte um wieder auf die Beine
zu kommen, unterstützte mich in den folgenden Wochen und kümmerte sich rührend
um mich und mein Wohlbefinden. Das
hat sich bis zum heutigen Tage nicht verändert. Wir sind immer noch
zusammen und ich glaube wir sind beide ruhiger geworden. Es ist nicht so,
dass wir uns nicht streiten, im Gegenteil, aber dafür ist die Versöhnung
jedes Mal immer besonders romantisch und schön. Ich denke, er fängt
langsam an mich richtig zu lieben, jedenfalls hat er mir erst vor einigen
Tagen das erste Mal diese drei kleinen Worte gesagt, die ich so gerne hören
wollte. Und ich liebe ihn noch mehr, seit ich weiß, was er empfindet. Ich
bin sehr gespannt, was das Leben noch für uns bereithält, aber wir
schaffen das gemeinsam, immerhin hab ich ihn unterdessen ganz gut unter
Kontrolle, kenne ihn und weiß wann er sich in seinen eigenen Gefühlen
verliert. Ich glaube, wir werden nicht mehr so schnell von einander
loskommen. Nicht
in diesem Leben. --FIN--
|
(c) Juliane Seidel, 2006 |