Limit Control

-Eine kleine Geste-

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Der nächste Morgen war klar und freundlich, die Sonne sandte ihre warmen Strahlen zur Erde und löste die letzten Wölkchen auf, die vom Vortag geblieben waren. Der Boden begann zu trocknen und ein blumiger Geruch hing in der Luft, als Felip sich auf den Weg in die Schule machte. Er hatte noch lange über seinen Besuch bei Ken und das Gespräch mit diesem nachgedacht. Es war beides vollkommen schief gelaufen. Als Felip nach Hause kam hatte er zu allem Überfluss auch noch einen heftigen Streit mit seinem Vater, welcher nicht ganz so glimpflich ausging, wie bisher. Er war wütend und enttäuscht, verdrängte jedoch die Gedanken, als das triste Gebäude seiner Schule vor ihm auftauchte und er schon von weitem Kimmys Frisur entdecken konnte. Er lehnte an der Schulmauer in der Nähe des Eingangs und unterhielt sich mit Tanja, die am Boden saß und wieder am zeichnen war. Felip war sich sicher, dass dieses Mädchen später einmal Künstlerin werden würde, ähnlich wie ihre Mutter, von der sie ab und zu erzählte.

Er trat näher und augenblicklich hatte er Kim am Hals, der ihn freudestrahlend begrüßte und ihn sofort mit Fragen über den gestrigen Besuch überhäufte. „Wie war es gestern? Warst du wirklich im Krankenhaus und hast Kenneth besucht?“

Er nickte nur und seufzte dann. „Ja, war ich, aber es ist nicht so gut gelaufen.“

„Hast du was anderes erwartet?“, kam es von Tanja, die sich erhob und sich die Kleidung glatt strich.

„Vielleicht, aber wenn ich ehrlich bin hätte ich so was schon im Vorfeld wissen müssen.“ Felip wand sich geschickt aus der Umarmung seines Freundes und trat einen Schritt zurück. Kim hatte ungewollt einen blauen Fleck gestreift, der ihm durchaus unangenehm war und immer noch leicht schmerzte. „Ich war nur wenige Minuten da, unser Gespräch war dementsprechend kurz und irgendwie wusste ich nicht so recht, was ich sagen sollte. Aber ich geh’ heute noch mal hin.“

„Noch mal?“ Tanja warf ihm einen verdutzten Blick zu und schüttelte kaum merklich den Kopf, suchte sich eine Haarklammer aus der Tasche und versuchte damit ihre lockigen Haare zu bändigen. „Wieso? Lass es gut sein, das wird doch heute auch nichts bringen.“

„Ich weiß, aber ich will nicht so einfach aufgeben.“ Felip sah die Beiden entschlossen an und lächelte dann aufmunternd. „So leicht wird er mich nicht unterkriegen.“

„Na, du musst es wissen.“, war Tanjas einziger Kommentar und sie erwiderte sein Lächeln. „Wenn er irgendwas tut, werde ich ihn fertig machen.“

„Ich helfe dir.“, begeisterte sich sofort Kimmy und grinste breit und glücklich vor sich hin, schon jetzt in seinen Rachegedanken gefangen, was er alles mit Kenneth machen würde, wenn dieser seinem Freund etwas antat. Er persönlich hatte nichts gegen Ken, Tanja hingegen schon, doch zumeist hielt sie sich zurück. Sie mochte seine arrogante und egoistische Art nicht und sein ganzes Auftreten war ihr zuwider. Kenneth war selten in der Schule, zumeist sehr abweisend und zurückgezogen und beachtete seine Mitschüler kaum und wenn dann verhielt er sich äußerst snobistisch, eine Art die das Mädchen einfach nur hasste. Wirklich Interesse hatte sie nie an dem jungen Mann gezeigt, war ihr doch seine Persönlichkeit zu aufgesetzt und falsch, als dass sie ihn wirklich zum Freund haben wollte. Dennoch war das hier allein Felips Entscheidung, wenn er Freundschaft mit dem distanzierten Jugendlichen haben wollte, würde sie sich gewiss nicht in den Weg stellen.

Die Unterrichtsstunden zogen wie ein Schleier an Felip vorbei. Er war zu sehr mit Tanjas Warnungen und seinen eigenen Gefühlen beschäftigt. Entweder er war blind, was Ken betraf oder Tanja irrte sich dieses Mal. Er konnte nicht genau sagen woher dieses plötzliche Vertrauen in Kenneth Person kam, doch er glaubte nicht daran, dass sein Mitschüler so schlecht war, wie Tanja behauptete. Sicherlich konnte er nicht bestätigen, dass er Ken gut kennen würde, doch am gestrigen Abend hatte er sich vorgenommen den Jungen etwas besser kennen zu lernen, seine Träume und Gedanken zu erforschen und ihn somit noch besser einschätzen zu können. Die Tatsache, dass ihm sein Klassenlehrer am Ende der Stunde davon in Kenntnis setzte, dass Kenneth wohl die Klasse nicht bestehen würde, sollte sich nichts Drastisches ändern, kam ihm durchaus gelegen, hatte er doch so einen Grund Ken zu besuchen. Man hatte ihm als Klassensprecher ans herz gelegt nochmals mit Ken zu reden, in der Hoffnung der Junge hätte ein Einsehen und würde nach Genesung wieder häufiger am Unterricht teilnehmen, doch Felip bezweifelte dies. Kenneth ließ stets anklingen, dass er der Schule nicht sonderlich positiv gegenüberstand, vielmehr seine Freiheit wollte und nur notgedrungen an einigen Tagen da war, immer nur so oft fehlte, um nicht gänzlich von der Schule zu fliegen.

Felip entschloss sich nach der Schule direkt ins Krankenhaus zu gehen, zuvor jedoch einen Zwischenstop in der Wiesbadener Innenstadt einzulegen. Er wollte nicht mit leeren Händen da stehen, als Besucher sollte man zumindest eine Kleinigkeit mitbringen, um den Patienten aufzumuntern. Nur leider stand er kurz darauf vor dem Problem, dass er keine Ahnung hatte, was er Ken mitbringen konnte. Er wusste weder um die Vorlieben Kens, noch worüber er sich freuen würde, was es ihm durchaus erschwerte etwas Passendes zu finden. Schließlich entschied er sich für ein paar Blumen- weiße Lilien. Er liebte diese edlen Blüten, den betörenden schweren Duft und obgleich er sich sicher war, dass dies nicht unbedingt das beste Geschenk für einen Jungen war, kaufte er fünf Blumen und machte dich mit dem Bus zum Hospital auf.

Als er eine halbe Stunde später leise das Zimmer betrat, musste er erkennen, dass er heute nicht wirklich lange bleiben konnte. Sein Mitschüler schlief tief und fest, hatte sich im Schlaf aus der leichten Decke herausgekämpft und wirkte aufgrund seines eingegipsten Beines ein wenig seltsam, bedachte man die verdrehte Pose, in der er auf dem Bett lag. Das konnte unmöglich bequem sein, doch Ken schien das nicht wirklich zu stören. Mit einem friedlichen Gesicht wandte er sich in einer ruckartigen Bewegung Felip zu, murmelte etwas Unverständliches und schlief seelenruhig weiter. Felip war außerstande den Jungen zu wecken, setzte sich daher nur zu ihm und beobachtete Ken. Jetzt hatte er endlich die Gelegenheit Ken zu mustern, ohne dass dieser ihn mit seinen harschen Worten beleidigte oder mit wütenden Blicken beobachtete. Das sonst so angespannte Gesicht war nun ruhig und ein leichtes Lächeln lag auf den schmalen Lippen. Die Nase war gerade, lief spitz zu und die hohen Wangenknochen verliehen dem jungen, blassen Gesicht einen katzenhaften Ausdruck. Ansonsten war die Haut von roten Kratzern überzogen, an einigen Stellen mit Pflastern bedeckt und es ließ sich nur schwer erahnen, wie Ken eigentlich ohne all die Verletzungen aussah. Doch Felip wusste auch so, dass sein Mitschüler zweifelsfrei schön sein musste, allein die Tatsache, dass die Mädchen bei ihm Schlange standen, ließen diese Vermutung zu. Er war äußerst beliebt, doch zeigte keinerlei Interesse an den Avancen seiner weiblichen Fangemeinschaft und dies war sicherlich einer der Gründe, weswegen Tanja ihn nicht mochte.

„So schlimm bist du gar nicht.“, murmelte er und lächelte. Gedankenverloren legte er die Lilien auf den Tisch und sinnierte eine Weile über seine Worte. „Zumindest wenn du schläfst bist du eigentlich ziemlich erträglich.“

„Ich glaube mit dieser Aussage triffst du den Nagel auf den Kopf.“

Bis ins Mark erschrocken, fuhr Felip herum und starrte mit geweiteten Augen zu dem Mann, der unmittelbar hinter ihm stand. Sein Herz pochte schmerzhaft in seiner Brust und er glaubte ein überraschtes Schmunzeln zu nehmen, als der Fremde sich an ihm vorbei schob und beinahe väterlich Kenneth die Haare aus dem Gesicht strich. Behutsam deckte er den schlafenden Jungen zu und wandte sich dann an Felip. „Können wir kurz reden? Ich hab dich gestern schon gesehen, du hast meinen Bruder besucht.“

„Bruder?“

„Ja, ich bin Terrence Leary, der ältere Bruder von Ken.“ Der Mann im Anzug lächelte erneut und deutete dann zur Tür. „Ich will Kenneth ungern aufwecken, dann ist er nämlich unausstehlich.“ Sein Blick maß den Jungen vor sich kurz, fiel dann auf die weißen Lilien und erneut breitete sich ein Lächeln auf den schmalen Lippen aus. Er ähnelte Ken, es war deutlich zu sehen, dass die beiden Brüder waren und lediglich das Alter und die Augen unterschied sie voneinander. Terrence musste Mitte zwanzig sein, er war deutlich lebenslustiger und die feinen Grübchen um die Augen zeugten davon, dass er oft lachte oder zumindest gerne lächelte. Er hatte eine offene und ungezwungene Ausstrahlung und der Anzug, den er trug, passte fast gar nicht zum Gesamtbild. Felip folgte seinem Blick, spürte eine leichte Hitze auf seinen Wangen und senkte dann den Kopf. Es war doch eine dumme Idee gewesen Blumen mitzubringen und unerklärlicherweise fühlte er sich ertappt.

Doch erst als sie das Zimmer verlassen hatten, wandte sich Terry and den Jungen: „Ich finde es sehr nett von dir, dass du Ken besuchst. Du gehst in seine Klasse, oder?“ Ein leichtes Nicken erfolgte und dies reichte Terry um weiterzureden. „Ich hätte nicht gedacht, dass er auch Freunde in der Schule hat. Bisher nahm ich an, dass er nur mit diesen Leuten herum hängt, die sich Gang schimpft. Ich bin erleichtert, dass er scheinbar auch einige normale Personen kennt.“

„Naja, wenn ich ehrlich bin sind wir nicht so wirklich befreundet.“, gestand Felip und beobachtete die Reaktionen Terrys, der sich dadurch jedoch nicht aus dem Konzept bringen ließ.

„Egal, du bist hier und das zählt.“ Er verstummte, musterte Felip erneut und überlegte sich nun, wie er die nächsten Worte am klügsten formulieren konnte. „wenn ich ehrlich sein soll, würde ich mich freuen, wenn du dich ein wenig um Ken kümmern könntest. Ich werde in den nächsten Tagen keine Zeit haben ihn zu besuchen, da ich eine Weiterbildung außerhalb der Stadt mache und erst am Wochenende zurückkomme. Ich möchte ihn ungern ganz alleine lassen, aber das lässt sich nicht verschieben und mir wäre wohler zumute, wenn sich jemand um ihn kümmert. Er wird frühestens in zwei Wochen aus dem Krankenhaus entlassen. Ich wäre dir sehr dankbar wenn du ihn vielleicht für eine Stunde alle ein bis zwei Tage besuchst und ein wenig von seinen tristen Gedanken abbringst.“

Felip starrte Terry mit einer Mischung aus Unglaube und Überraschung an. Sollte er wirklich dieser ungewöhnliche Bitte nachkommen? Er kannte Kenneth nicht wirklich, war bisher auch kein Freund gewesen, doch unweigerlich hatte sich seine Neugier gemeldet und wollte mehr über seinen Mitschüler erfahren. „Wieso kommen seine Eltern ihn nicht besuchen?“

„Mir war schon klar, dass die Frage kommt. Sie sind sehr beschäftigt und nicht in Deutschland zur Zeit.“, erklärte er bereitwillig, verschwieg dennoch einen Großteil. Er musste nicht alles ausplaudern, das lag ihm fern und zudem würde Kenneth dies auch nicht wollen. Das musste sein Bruder schon selbst erzählen.

„Also ich weiß nicht recht…“, begann Felip und zog die Stirn kraus.

„Bitte, es wäre wirklich nett von dir, wenn du das machen würdest. Nur bis zum Wochenende. Du könntest ihm die Schulaufgaben vorbeibringen und ihm ein bisschen helfen den Stoff nachzuholen den er verpasst.“

‚Da müsste ich das gesamte Schuljahr mit ihm durchgehen.’, ging es Felip durch den Kopf und er schmunzelte. Kenneth hätte viel nachzuholen, nicht zu vergessen die Warnung seines Lehrers. Der dunkelhaarige Junge stand schulisch wirklich schlecht momentan und Felip wusste dies nur zu genau. „Also gut, ich werde mich um ihn kümmern.“, gab er schließlich nach und lächelte unsicher.

„Prima. Vielen Dank.“ Terry war sichtlich erleichtert und er klopfte Felip brüderlich auf die Schulter. „Ich werde mich bei Gelegenheit revangieren aber du wirst sehen, Ken ist nicht so schlimm, der spielt immer nur den starken Kerl, aber eigentlich ist er ein Lieber. Ihr werdet bestimmt Freunde.“

„Naja, da bin ich mir nicht so sicher.“

„Warten wir es ab.“ Terrence blinzelte Felip schelmisch zu und streckte sich dann. „Ich denke ich werde ihn mal wecken gehen. Immerhin ist meine Pause fast vorüber und verabschieden möchte ich mich noch.“ Er wandte sich der Tür zu und warf nochmals einen Blick zu Felip. „Möchtest du mitkommen?“

„Nein nein.“, wehrte dieser sofort ab und wich ein wenig zurück. „Ich komme morgen wieder und sehe nach ihm.“ Felip war verunsichert und ein wenig überfordert. Er konnte nicht so recht sagen, wieso er überhaupt auf Terrys Bitte eingegangen war, doch er hatte sein Wort gegeben und daran würde er sich halten. Mit einem mulmigen Gefühl verabschiedete er sich und trat endlich seinen Heimweg an.

 

„..neth. Kenneth, würdest du endlich mal aufwachen?“ Terry war schon kurz davor trotz der Verletzungen doch etwas eindringlicher an dem verbundenen Arm zu rütteln, doch zu Kens Glück schlug dieser die Augen auf und blinzelte verschlafen zu seinem Bruder hin. Im ersten Moment sah er ihn gar nicht, sah schläfrig an ihm vorbei und war sichtlich verwirrt, dann erst erkannte er seinen Bruder und war von einer Sekunde auf die andere hellwach.

„Terry.“, stellte er überflüssigerweise fest und versuchte sich aufzurichten, was einen pochenden Kopfschmerz zur Folge hatte. Gequält stöhnt er auf und tastete sich seinen Kopf entlang.

„Wie geht es dir?“ Terry musterte den Jungen und setzte sich dann auf den kleinen Stuhl. Er ließ Ken die Möglichkeit sich in Ruhe zu sammeln und die Situation zu überblicken und er konnte förmlich sehen, wie Kens Gehirn anfing zu arbeiten. Der Junge sah die Lilien, die Terry vorsorglich in eine Vase gestellt hatte, überlegte kurz und war plötzlich nervös und aufgebracht.

„Mutter und Vater waren hier?“, fragte er etwas lauter und richtete sich jetzt trotz der Schmerzen auf. „Wieso haben sie mich nicht geweckt?“ Mit ungewohnt wachen, fast schon kindischen Augen sah er zu Terry, der nur seufzte und den Kopf schüttelte.

„Weil sie nicht hier waren, Kenneth.“, sagte er ernst und ein wenig traurig. Sofort änderte sich die Aufregung seines Bruders und machte einer gewissen Resignation Platz. Merklich sackte der verletzte Körper in sich zusammen und Ken ließ sich zurück in die Kissen sinken. „Hör zu, die Lilien sind von dem Jungen, der bereits gestern hier war.“

„Felip war hier?“, fragte Ken leise und musterte seinen Bruder.

„Ja, ich habe mit ihm gesprochen. Er hatte dir Blumen mitgebracht und wird morgen noch mal vorbei schauen.“ Terry besah sich seinen Bruder genau, doch konnte er dieses Mal keine Regung auf dem Gesicht erkennen. Er hatte nicht erwartet, dass Ken nervös und aufgeregt sein würde, doch nach der gestrigen Reaktion hatte er durchaus etwas mehr erwartet. „Ken, er wird sich in den nächsten Tagen um dich kümmern, während ich weg bin.“

„Du wirst weg sein?“ Ken sah ihn entgeistert an. „Das heißt selbst du kommst mich nicht mehr besuchen.“

„Diese Schulung ist wichtig, ich kann nicht fehlen. Es tut mir sehr leid, aber Felip hat mir versprochen nach dir zu sehen.“ Terry tat es wirklich leid, besonders da er genau die Enttäuschung in dem Gesicht eines Bruders sehen konnte. Ken wandte sich nur schweigend ab und drehte ihm den Rücken zu.

Ken sagte nichts mehr, aber er war durchaus wütend und verletzt. Sicherlich war Terrence geduldig gewesen, war dies doch nicht das erste Mal, dass er wegen einer Dummheit im Krankenhaus lag, doch gegen seinen Willen einen Mitschüler zu überreden ihn zu besuchen, tat ihm mehr weh, als er es zugeben wollte. Er hing an seinem großen Bruder, viel mehr, als er es diesem zeigte, doch seit seine Eltern zu beschäftigt waren, war Terry der Einzige mit dem er reden konnte und der sich ernstlich um ihn bemühte. Doch vorwerfen konnte er ihm die Entscheidung nicht. Bereits vor Monaten hatte sich Terry für diese Fortbildungsmaßnahme angemeldet und jetzt endlich hatte er einen der begehrten Plätze bekommen. Es wäre wirklich zuviel verlangt ihn zu bitten jetzt bei ihm zu sein.

„Soll ich vielleicht doch absagen?“, fragte Terry leise und seufzte anschließend auf.

„Nein.“, kam es gedämpft von Ken, der seinen Kopf in das Kissen vergraben hatte. „Wieso hast du Felip gefragt, ob er mich besucht, während ich nicht da bin?“

„Weil ich nicht will das du alleine bist. Außerdem ist er ein netter Junge. Du solltest ein wenig freundlicher zu ihm sein, immerhin nimmt er sich Zeit für dich.“ Die Antwort bestand lediglich aus einem Grummeln, dann bewegte sich Ken wieder und drehte sich zu seinem Bruder herum. Lange sahen sie sich an und schließlich grinsten beide.

„Du bist so fies.“ Ken verdrehte die Augen und schüttelte leicht den Kopf.

„Eher besorgt. Ken, du musst dich langsam wieder fangen und vielleicht ist der Umgang mit Felip das Richtige. Ich wollte dir nicht unbedingt davon erzählen, aber ich habe einen Anruf von deiner Schule bekommen.“ Er machte eine Pause, überflog kurz das Gesicht seines Bruders, ehe er fortfuhr: „Deine Versetzung ist nicht nur gefährdet, unterdessen stehst du kurz vor dem Rauswurf. Ich wollte eigentlich später mit dir darüber reden, aber es wird Zeit dass du dich wieder auf das Wichtige konzentrierst. Eine Ausbildung ist wichtig. Gegen deine Hobbies habe ich nichts, solange sie nicht unbedingt dich und deine Zukunft gefährden.“ Ken wusste durchaus, dass Terrence nicht mit seinem Hobby und dem Motorradfahren zu Recht kam, doch bisher konnte Terry es ihm weder ausreden noch ihn anderweitig davon überzeugen, dass er auf die schiefe Bahn geriet. Er hatte gehofft die Strafen in Form von gemeinnütziger Arbeit würden Kenneth die Augen öffnen, doch davon war bisher nichts eingetreten. Ken liebte die Gang, seine Freunde in dieser und das Fahren viel zu sehr, als dass Terry dieser Vorliebe etwas entgegen setzen konnte. „Ich will dir ungern etwas verbieten, aber auch ich habe meine Grenzen. Solltest du wirklich von der Schule fliegen oder noch einmal einen Unfall haben, verursachen oder in irgendeiner Form aktenkundig werden, bleibt mir nichts anderes übrig als andere Mittel und Wege zu nehmen. Du bist nicht volljährig und ich kann durchaus dafür sorgen, dass du die nächsten Jahre nicht mal ein Motorrad von weitem siehst.“

Ken wusste, dass er es durchaus ernst meinte und schluckte unmerklich. „Aber du weißt doch…“

„Das weiß ich nur zu gut, als spar dir die Worte. Ich habe für dich mit die Verantwortung und ich habe dich oft genug aus den Schwierigkeiten bugsiert, aber meine Geduld ist langsam zu Ende. Du bist minderjährig, hast schon jetzt ein Vorstrafenregister, bei dem mir bang wird und stehst kurz vor dem Rausschmiss von deiner Schule. Glaube mir, so kann das nicht weitergehen. Du wirst auch irgendwann an deine Zukunft denken nur wird es bei dir zu spät sein, wenn du endlich vernünftig wirst.“

„Tut mir leid.“, murmelte Ken betreten und senkte den Blick.

„Tut es das wirklich? Ken, ich will, dass du endlich erwachsen wirst. Du kannst nicht ewig so weitermachen, so langsam müsstest du dir doch die Hörner abgestoßen haben. Werd’ endlich erwachsen und höre mit diesem kindischen Verhalten auf. Denn diese Rennen und diese coole Getue sind essentiell gesehen nichts anderes.“ Terrence atmete nun ein wenig hektischer. Er hatte sich in Rage geredet, viel mehr gesagt, als er eigentlich sagen wollte, doch er fühlte sich wesentlich wohler, nachdem er all das endlich Kenneth gesagt hatte. Sicherlich waren seine Worte hart gewesen, doch er hatte seinem Bruder unmissverständlich klar gemacht, was alles auf dem Spiel stand und dass er langsam zur Vernunft kommen sollte. Bisher hatte er zuviel Rücksicht auf Ken und seine Gefühl genommen, doch es wurde Zeit, dass jemand Ken zurück in die Realität holte. Diese wilden Tage und diese sinnlosen Motorradrennen mussten bald vorbei sein, soviel stand fest und Terry wusste, dass er dies seinem Bruder nur allzu sehr verdeutlicht hatte. Er beobachtete Ken, der mit hängenden Schultern vor ihm saß, nachdem er sich halb aufgerichtet hatte, um ihm zu kontern, doch letztendlich hatte Ken geschwiegen. Vorsichtig tätschelte er die Schulter seines Bruders und lächelte ihm aufmunternd zu. „Ich helfe dir, dessen solltest du dir sicher sein und egal wie, ich hab dich sehr gerne.“

„Ich dich auch.“

„Ich bin telefonisch erreichbar und am Wochenende wieder da. Vielleicht schaffe ich s, dich am Sonntag zu besuchen, bis dahin wirst du nett zu deinem Klassenkameraden sein. Vielleicht hilft er dir ja beim lernen.“ Er zwinkerte Ken zu und strich sich seinen Anzug glatt. Er hatte definitiv seine Pause überzogen, doch das Gespräch war schon seit langem überfällig gewesen, wobei man nicht wirklich von einer Unterredung sprechen konnte, hatte Terry doch eher Monologe gehalten. Doch er hatte Kenneth zum Nachdenken gebracht, das war deutlich zu spüren und vielleicht würden ja seine Worte Früchte tragen. „Ich melde mich bei dir, morgen Abend, sobald ich angekommen bin. Halt die Ohren oben, Ken.“ Er wuschelte ihm durch die Haare, vorsichtig und auf eine Art, wie er es seit Jahren nicht mehr getan hatte.

„In Ordnung, viel Spaß bei deiner Schulung.“ Ken sah ihn an und folgte dann den Bewegungen seines Bruders, der seine Sachen zusammen suchte und sich zur Tür aufmachte. Dort verharrte er noch einmal kurz und sah zu seinem Bruder zurück.

„Was ich noch sagen wollte. Bedanke dich morgen wenigstens für die kleine Geste bei Felip.“ Er deutete vage auf die Lilien, dann war er auch schon verschwunden und schloss die Tür.

Kens Blick fiel ungewollt auf die weißen Blüten, die noch nicht ganz offen waren und atmete hörbar aus. Natürlich ließen ihm Terrys Worte keine Ruhe, immerhin hatte er noch nie so harte Worte aus dem Mund seines Bruders gehört und er war wirklich ein wenig erschrocken darüber. Doch auch Felip ging ihm nicht aus dem Kopf. Was veranlasste den Jungen dazu noch einmal herzukommen und ihm sogar Blumen mitzubringen. Sie kannten sich kaum, nur flüchtig, wechselten nur notgedrungen ein paar Höflichkeitsfloskeln miteinander, aber jetzt war das anders. Felip würde die nächsten Tage kommen und er war froh, dass dem so war. Er war ungern alleine, ein wenig Abwechslung würde ihn auf andere Gedanken bringen, zumal er sich vornahm den Jungen nicht mehr zu ärgern. Vielleicht würden sie sich ja besser kennen lernen und ein wenig besser miteinander auskommen. Mit diesen Gedanken und den Blick auf die Lilien gerichtet, schlief er schließlich ein.

 


(c) Juliane Seidel, 2007