"All I want for Christmas is you" von Lum-Cheng

Genre: Sci-Fi, Drama

 

Genervt zündete Luc sich eine weitere Zigarette an und lehnte sich mit dem Rücken an die raue, kalte Wand der Außenfassade des Palastkinos.
Wo blieb der Penner nur wieder?
Ein erneuter Blick auf sein Handy sagte ihm, dass sie schon vor zehn Minuten verabredet waren.
Luc vergrub seine linke Hand tief in der Tasche seines warmen Parka und scharrte mit dem Fuß im Schnee, während er einen weiteren Zug nahm und den Rauch anschließend zur Seite ausblies.
Drei Minuten später schnippte er den glühenden Stummel weg und schaute noch kurz zu, wie er auf dem nassen Asphalt der Straße weiterglimmte, bevor er erlosch.
Etwas ratlos drehte er sich um und blickte auf die Anzeigetafel des großen Kinos.
Hier draußen war nichts mehr los. Alle, die die Abendvorstellung besuchen wollten, saßen längst drinnen auf ihren Plätzen und machten es sich gemütlich.
Nichts und niemand war hier. Nur platt getrampelter Schnee und der graue Matsch von der Straße, wo die Autos alles zu einem pampigen Einheitsbrei verfahren hatten.
Und wenn Rayn nicht bald auftauchen würde, dann konnte Luc ebenso gut alleine in die Vorstellung gehen, die in fünf Minuten beginnen würde.
Nur zu blöd, dass er bereits zwei Karten gekauft hatte. Wem sollte er jetzt die andere geben? Einem Fremden, der vielleicht zufällig vorbeikommen würde?
Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als einen Augenblick später jemand eilig auf ihn zugetrabt kam.
„Hey Luc…“, rief Rayn und blieb völlig außer Atem vor seinem Kumpel stehen, stützte seine Hände auf die Oberschenkel und beugte sich dabei leicht nach vorne, während er nach Luft schnappte.
„Tut mir echt Leid, dass ich mich verspätet habe, aber Azra ist in der Werkstatt und irgendwie sind keine Shuttles gekommen, also musste ich die ganze Strecke rennen, obwohl—“
„Jaja, schon gut“, unterbrach Luc ihn und zog sauer die Karten aus der Jackentasche. „Wär ja nich das erste Mal, dass du unpünktlich bist…“
„Es tut mir Leid!“, wiederholte der Ältere und schlug in einer Geste der Demut die Handflächen über seinem Kopf zusammen.
Luc verdrehte genervt die Augen und schnappte sich den rechten Arm Rayns. Die Kälte des Metalls konnte er selbst durch die Kleidung spüren.
„Jetzt komm schon, bevor wir noch den Anfang verpassen.“
Rayn ließ sich mitziehen und schnappte sich eine der Karten, die Luc in der Hand hielt.
Stirnrunzelnd sagte er: „Aber das ist… eine Weihnachtskomödie! Ich dachte, wir wollten in ’Stirb langsam’ Teil 27 gehen?“
Luc schnaubte und gab schnippisch zurück: „Tja und ich dachte, dass du ausnahmsweise mal pünktlich sein würdest. Falsch gedacht.“
Beleidigt schwieg der Cyborg und folgte seinem Freund in den Kinosaal, nachdem der Kontrolleur die Karten abgerissen hatte.
Die Werbung hatte bereits begonnen.
Sie suchten ihre Sitzreihe und die Platznummern und Luc ließ sich erleichtert auf den roten, sesselähnlichen Sitz fallen und entspannte sich. Endlich waren sie drin und es konnte vielleicht doch noch ein ganz angenehmer Abend werden.

Doch kaum saßen sie zwei Minuten schweigend nebeneinander und starrten auf die Leinwand, da knurrte Rayns Magen und er drehte sich mit einem entschuldigenden Lächeln zu seinem Sitznachbarn.
„Sorry, aber ich hab mächtigen Hunger. Ich geh uns ein bisschen was zum Knabbern holen, okay? Möchtest du vielleicht ’n Jim mit Cola oder so was?“
Der Angesprochene schloss kurz die Augen.
Beherrscht antwortete er: „Nein danke! Ich möcht jetz’ einfach nur gern diesen Film gucken, der übrigens grad anfängt.“
Rayn nickte und stand auf. Er quetschte sich durch die engen Sitzreihen und trat dabei ein paar Leuten aus Versehen auf die Füße. Empörung war die Folge.
Am liebsten wäre Luc vor Scham im Boden versunken.

Nach knapp zehn Minuten kehrte der junge Mann zurück. Einen riesigen Popcorneimer in einem Arm, eine Flasche Jack Daniel’s in der anderen Hand und die Taschen noch mit Schokoriegeln vollgestopft.
Bis er sich zu seinem Platz durchgearbeitet hatte, war die Hälfte des Popcorns bereits über irgendwelchen Personen verteilt.
Schnaufend ließ er sich auf den Platz neben Luc fallen und fragte ihn leise, ob er einen Schokoriegel wollte. Fauchend sagte dieser ihm, dass er still sein sollte.

Nach etwa einer Stunde hatte Rayn alles aufgegessen und nahm nur hin und wieder geistesabwesend einen Schluck aus der Flasche.
Gelangweilt sah er sich im Kinosaal um. Es war nicht sehr voll, aber ein Viertel des Saals war wohl gefüllt.
Er fragte sich, warum Luc bloß Karten für diese Weihnachtskomödie besorgt hatte, anstelle von Tickets für einen gepflegten Actionfilm.
Aber er schien diese Art von Filmen zu mögen, denn immer wenn der Saal kicherte, lachte Luc auch mit.
Irgendwie war das ja doch niedlich. Er ließ seinen Blick an dem anderen rauf und runter gleiten und sah sich dann im dunklen Saal um, der gerade nur durch den Film an sich beleuchtet wurde.
Rayn gähnte absichtlich und hielt sich die freie Hand kurz vor den Mund, bevor er den Arm nach oben streckte und ihn dann wie zufällig um Luc’s Schultern legte.
Doch da lag er nicht lange. Keine zwei Sekunden später hatte Luc sich die fremde Hand geschnappt und befreite sich aus der ’Umarmung’.
Grinsend nahm Rayn einen weitern Schluck Whisky und schaute Luc anschließend provozierend an. Sein Blick senkte sich nach unten, blieb am Schritt des anderen hängen.
„Rayn!“, zischte Luc leise. „Reiz mich heut nich!“
Gespielt verlegen wandte er seinen Kopf in die andere Richtung und starrte in die Luft. Mit Bedauern dachte er daran, dass er ihm auch noch versprochen hatte, nach dem Kino mit in die Stadt zu gehen. Weihnachtsmarkt.
Der Abend konnte also noch sehr lang werden...


~*~*~

Mit einem zufriedenen Lächeln umschloss Luc die Tasse mit dem Glühwein und wärmte sich die Finger.
„Wie hat’s dir gefallen?“
Rayn lehnte am Tresen der Glühweinbude und pulte mit seiner kybernetischen Hand an dem abgewetzten Holz herum, auf dem seine fünfte Tasse stand.
„Naja“, meinte er gedehnt, der Alkohol stieg ihm langsam zu Kopf. „Ich steh halt mehr auf Actionfilme.“
Kino war so retro. Warum musste er sich dann so einen Müll reinziehen, wenn er zum Filme gucken schon sein Apartment verließ?
„Herrgott, Rayn! Stell dich nicht so an, es waren nich mal zwei Stunden. Also tu hier nich so, als hätt ich dir Monate deines Lebens geraubt.“
Mit einem gereizten Schnalzen wandte Rayn sich ab und schnappte sich einen der Zahnstocher aus dem Glas hinter dem Tresen, als der Verkäufer gerade nicht hinsah. Sorgfältig begann er Maisspelzen und Popcornreste aus seinen Zahnzwischenräumen zu prokeln.
„Du bist so widerlich“, kommentierte Luc und kehrte Rayn den Rücken zu, sah sich etwas um, da er jetzt Lust auf ein Stück Fleisch hatte.
Der Ältere verzog lediglich das Gesicht und starrte die Weihnachtsdekoration an, während seine Ohren von Mariah Carey’s – Gott, hab sie selig – Weihnachtsliedern beschallt wurden.
„All I want for Christmas is you“, sang es aus den Lautsprechern und Rayn dachte: ‘Ja, All I want for Christmas is you – to shut the hell up!!’
Die Welt begann langsam vor seinen Augen zu wabern.
“Weißt du”, meinte er dann im Plauderton, um das Thema zu wechseln, „Du solltest mal zum Essen vorbeikommen. Wenn Mariah da ist, kocht sie manchmal für uns. Sie ist ziemlich gut in der Küche.“
Grinsend drehte Luc sich wieder zu Rayn und stellte seine leere Tasse weg.
„Ja, vor allem in der Küche, ne?“
„Luc!“, rief Rayn und war alles andere als begeistert, dass er so auf dem Job seiner besten Freundin rumreiten musste. „Immerhin verdient sie richtig gutes Geld damit. Anders als Andrew… steigt der immer noch den Mädchen so hinterher, wie er das früher immer getan hat?“
Luc lehnte sich nun ebenfalls lässig mit dem Rücken an das Holzbrett und betrachtete schier gelangweilt seine Nägel.
„Ach, weißte, ich glaub der steigt immer noch.“ Er machte eine bedeutsame Pause. „Allerdings hab ich das Gefühl, dass er vorher ‚umgestiegen’ is, wennde verstehst, was ich mein…“
Er warf Rayn einen bedeutungsvollen Blick zu und stieß sich dann lachend vom Tresen ab, verschwand in dem Meer von Menschen, da er wusste, dass Rayn ihn jederzeit ohne Probleme orten konnte.
Jener stand noch eine Weile da und schüttelte den Kopf über so viel Unsinn, bevor er mit seinem Auge die Umgebung scannte und nach Luc suchte. Als er ihn gefunden hatte, klingelte allerdings sein Handy und er hielt sich an seinem Arm fest, während er den Anruf entgegen nahm. Verdammter Alkohol, er hätte nicht so viel trinken sollen.
„Jinho“, Rayn klang nicht begeistert. „Was gibt es?“
Er hörte zu, nickte, runzelte die Stirn.
„Er hat WAS? Okay, jaja… ja, doch. Luc und ich sammeln ihn ein.“
Fragend blickte der andere zu ihm hoch.
„Es ist Hale. Ich erzähl’s dir auf dem Weg, komm schon, wir müssen los.“

~*~*~

„Fuck, man, er is schwerer, als ich dachte“, murrte Luc und Rayn blieb entrüstet stehen.
„Bitte? Er wiegt ja wohl gerade mal die Hälfte von dir, Fettsack!“
„Hey, pass auf, was du sagst!“
„Ich glaube, ich spinne. Halt deine blöde Klappe und geh weiter, wir sind gleich am Wagen.“
„So nich, mein Freund!“, rief Luc und ließ Hale los, der daraufhin mit dem Oberkörper mit einem leisen ’Ploff’ in dem weichen Neuschnee landete.
„Aaahhh!“
Sofort ließ auch Rayn die Beine von seinem Freund los und stolperte eilig zwei Schritte nach vorne, um zu sehen, ob mit Hale alles in Ordnung war. Er hatte Probleme auf das schlafende Gesicht des anderen zu fokussieren.
„Sag mal, spinnst du?! Du kannst ihn doch nicht einfach so fallen lassen. Das werd ich ihm alles erzählen, sobald er aufwacht!“
Sicher würde Hale sich dann bei Luc rächen. Hoffentlich.
Luc stemmte die Hände in seine Hüften und schaute böse auf die beiden hinab.
„Er is DEIN Freund, sei froh, dass ich dir überhaupt helfe, nachdem du dich gnadenlos zugesoffen hast.“ Er klang zutiefst beleidigt.
Rayn war ebenfalls beleidigt. Wie sollte man Weihnachtskomödien auch ohne Alkohol ertragen?
„Hallo? Ihr kennt euch länger als er und ich. Er ist verfickt noch mal dein bester Freund, also nimm jetzt seine beschissenen Arme und trag ihn zu deinem noch beschisseneren Auto und fahr ihn nach Hause!“
Luc rührte sich nicht. Der Alkohol ins Rayn’s Körper verursachte Stimmungsschwankungen.
„Biiitte!“, jammerte er nach ein paar Sekunden fast weinerlich. „Hale wird steeerben und du bist Schuld.“
Stöhnend griff Luc sich an die Stirn. „Das wird er nich, man. Er is’ nur bewusstlos. Sobald die Wirkung von dieser Droge nachgelassen hat, wird er aufwachen und ’n mega Kopp haben.“

Fünf Minuten später lag Hale quer auf den Rücksitzen von Luc’s dunkelblauem Lexus, während Rayn auf dem Beifahrersitz saß und seine Stirn gegen das kühle Glas der Scheibe presste. Doofer Alkohol. Ihm war schwummerig und er wurde müde und unaufmerksam.
Luc fuhr den Wagen sicher durch das Schneetreiben und schaute ab und zu zur Seite, rieb sich den Nacken und brach schließlich das unangenehme Schweigen.
„Alles ok?“, fragte er leise.
„Hmm?“, brummte Rayn und öffnete die Augen, schaute zur Seite. Luc’s Gesicht verschwamm zu drei undeutlichen Köpfen.
„Brauchste ne Tablette?“
„Hmnee, passt schon...“ Er begann langsam wegzudösen.
Luc erkannte das sehr wohl und warf einen flüchtigen Blick auf den Rücksitz. Hale schlief nach wie vor den Schlaf der Gerechten.
Sollte er die Chance für ein Geständnis nutzen?
„Weißte“, begann er und kräuselte seine Nase, „hätt ich dich kennen gelernt, bevor du Hale getroffen hast, dann...“
„Sorry, was war das?“, gähnte Rayn und versuchte sich auf die Stimme des anderen zu konzentrieren.
„Ach, schon ok.“
Etwas deprimiert starrte Luc auf die dunkle Straße vor sich, wo der Schnee in dem Licht der Scheinwerfer tanzte. Nein, er würde es nicht sagen. Das machte Dinge nur unnötig kompliziert. Hale und Rayn waren glücklich.
Und sollte doch der äußerst unwahrscheinliche Punkt eintreffen, dass er sich an Weihnachten einsam fühlte oder sonst irgendwie gefühlsduselig wurde, dann konnte er ja immer noch Mariah anrufen. Oder?

~ende~

 


 

Lum Cheng:

 

Ich wurde 1986 geboren, bin fünf Jahre lang auf einem Internat gewesen und habe danach in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet. Ich war beispielsweise als Köchin, Friseurin, Fotografin, Bildbearbeiterin, Kamerafrau und Video-Editorin tätig.
Das Schreiben war seit der Grundschule stets ein großes Hobby von mir, dem ich auch künftig Beachtung schenken möchte.
Beruflich zieht es mich jedoch eher in Richtung Bildbearbeitung und Fernsehen ;)


Kontakt: batdriven@googlemail.com