"Die Geheimnisse des Leigh Belail" von LumCheng

(Genre: Mystery)

 

Mit einem kratzenden Geräusch schabten die kurzen Fingernägel über die weiße Wand, als die Hand daran hinabrutschte.
Ein gequältes Stöhnen hallte durch den Flur und kurz darauf sank der braunhaarige Junge auf die Knie. Schmerzend presste er seine rechte Hand auf den Magen und hielt sich so gut es ging mit der Linken noch an der Wand fest.
Keuchend hob er seinen Blick und spürte wie der Schweiß seine Stirn hinab lief, über seine Wangen hinunter rann und schließlich vom Kinn auf den grauen Linoleumboden tropfte. Seine Sicht war getrübt, der lange, helle Flur verschwamm vor seinen Augen, die Welt um ihn herum verzerrte sich und ihm wurde schwindelig.
Mit einem leisen Klatschen sank seine linke Hand ebenfalls kraftlos zu Boden und er presste die Augen zusammen. Der stechende Schmerz in seinem Magen war kaum auszuhalten. Er musste unbedingt hier raus und Ai finden.
Es war keine gute Idee gewesen, gleich am ersten Tag wieder in die Schule zu gehen. Hätte er doch nur auf das Mädchen gehört und wäre zu Hause geblieben.
Damians Wille war stark und auch wenn sein Körper schwach war, konnte und wollte er jetzt nicht aufgeben. Er musste weiterkommen, raus aus dem Gebäude und dann eine Möglichkeit finden, schnellstmöglich zu Hunter und Ai zu gelangen.
Unter größter Anstrengung kroch er weiter. Wie eine Katze mit gebrochenem Lauf mühte er sich parallel zur Wand vorwärts und hasste sich im selben Augenblick dafür, dass er sich nicht mehr zusammenreißen konnte, um aufrecht zu gehen und sich gemäß einem Jungen seines Alters zu verhalten.
Doch die Schmerzen waren zu groß und bald konnte er kaum noch an etwas anderes denken, auch wenn Damian bemüht war, sich alles Mögliche ins Gedächtnis zu rufen, um sich abzulenken.
Der Flur des Naturwissenschafttraktes war einfach zu lang und es war kein Ende in Sicht für den Jungen, sodass er nach weiteren fünf Metern, für die er mehr als eine Minute gebraucht hatte, einfach zusammenbrach und regungslos liegen blieb.

Die Nachmittagssonne schien durch die kleinen Fenster in den Flur und die Minuten und Stunden verstrichen, ließen die hellen Strahlen an der Wand und auf dem Boden entlang wandern, bis sie den Körper des Braunhaarigen streiften und ihn wärmten.


~*~*~

„Vielen Dank, Herr Kröger. Ich bringe Ihnen den Schlüssel sofort wieder.“
Mit einer kleinen Verbeugung nahm Leigh den dicken Schlüsselbund entgegen und machte sich auf den Weg in den Biologietrakt. Er hatte am Vormittag sein Mathebuch im Bioraum vergessen und ohne dieses konnte er keine Hausaufgaben machen. Zum Glück war ihm nach dem Sportunterricht aufgefallen, dass das Buch fehlte, sonst hätte er zu Hause blöd da gestanden.
Schnellen Schrittes eilte er durch die Flure des Goethe Gymnasiums und öffnete die schwere Flügeltür zum Naturwissenschaftsbereich.
Schon von weitem sah er einen Klamottenhaufen auf dem sonnendurchfluteten Flur. Stirnrunzelnd ging er etwas schneller und stellte fest, dass es ein Junge war, der dort lag.
Leigh kniete sich neben ihn und drehte ihn auf den Rücken. Der andere hatte die Augen geschlossen und schien bewusstlos zu sein. Er konnte kaum älter sein als er selbst und hatte ebenfalls braune Haare, allerdings waren sie ordentlicher als seine eigenen.
Überhaupt sah der Junge ihm relativ ähnlich, doch seine Haut war blass und ließ ihn schwach und kränklich wirken.
Beunruhigt fühlte Leigh nach dem Puls des anderen. Schwach, aber regelmäßig.
Er biss sich auf die Unterlippe und überlegte, ob er Hilfe holen oder ihn gleich ins Krankenzimmer tragen sollte. Wenn der Junge nicht allzu schwer war, würde er ihn wohl tragen können.
Flüchtig überzeugte er sich davon, dass der andere keine Knochenbrüche oder offene Wunden aufwies, dann schob er probeweise seinen linken Arm unter die Kniekehlen und mit seinem rechten Arm stützte er die Schultern.
Vorsichtig richtete Leigh sich mitsamt seiner Last auf. Nein, der Junge war nicht schwer, im Gegenteil. Er war leichter, als er auf den ersten Blick wirkte. Mit eiligen Schritten ging er den Weg zurück, den er gekommen war, um den Jungen im Krankenzimmer abzuliefern.
Doch nach wenigen Augenblicken stöhnte dieser leise und schlug die Augen auf. Leigh blieb stehen und schluckte mühsam, als er auf das Gesicht hinab schaute, das dem seinen wirklich verdammt ähnlich sah.
„Wo...?“
Verwirrt blickte der Getragene sich um und begann bereits nach sehr kurzer Zeit heftiger und unregelmäßiger zu atmen. Seine rechte Hand presste sich auf den Magen und sein Blick flog hoch zum Gesicht seines ’Retters’.
„Du bist in der Schule. Ich habe dich hier auf dem Gang gefunden und wollte dich gerade ins Krankenzimmer bringen, um einen Arzt zu rufen“, antwortete Leigh. „Die Schulärztin ist nämlich schon weg.“
Panisch weiteten sich die Augen des anderen.
„Nein“, flüsterte er heiser und hustete dann. „Keinen Arzt, bitte... ich muss... einfach nur...“
Die letzten Worte verliefen sich im Gemurmel, als sein Körper wieder schlaff wurde und der Kopf gegen die Brust des Älteren sank.
Stirnrunzelnd sah Leigh auf den Jungen in seinen Armen hinab, der sich wirklich äußerst seltsam benahm und scheinbar wirklich Angst davor hatte zu einem Arzt gebracht zu werden, so schlimm es auch um ihn stand. In den meisten Fällen hatte diese Angst weniger mit einer Phobie zu tun, als mit den formellen Angelegenheiten, vielleicht hatte dieser junge Kerl schon Probleme mit den Behörden.

Ein paar Augenblicke stand Leigh noch regungslos auf dem Flur, dann schritt er langsam zu seinem Spind und legte den Jungen vorsichtig auf den Boden, bevor er die kleine Tür öffnete und seine Sachen aus dem Miniaturschrank nahm.
Seufzend ließ er sich mit dem Rücken gegen das kalte Metall sinken und starrte den Bewusstlosen an.
„Mir bleibt wohl nichts anderes übrig“, murmelte er leise und ließ auf wundersame Weise den dicken Schlüsselbund verschwinden, der wenig später wieder im Lehrerzimmer auftauchen sollte.
Er stopfte sein Zeug unordentlich in die braune Schultasche und schulterte sie, band sich seine Jacke um die Hüften und nahm den anderen Jungen wieder hoch auf seine Arme.
Da es zu riskant wäre, so durch die Straßen zu laufen, beschloss er, es noch einmal zu tun und schaute lange auf das Ende des schmalen Flures. Irgendwann setzte er sich in Bewegung und ging auf die breite Tür zu, doch er ereichte sie nie.

Wenige Meter davor war er mitsamt seinem Begleiter auf geheimnisvolle Art und Weise verschwunden.


~Fortsetzung folgt~

 


 

Lum Cheng:

 

Ich wurde 1986 geboren, bin fünf Jahre lang auf einem Internat gewesen und habe danach in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet. Ich war beispielsweise als Köchin, Friseurin, Fotografin, Bildbearbeiterin, Kamerafrau und Video-Editorin tätig.
Das Schreiben war seit der Grundschule stets ein großes Hobby von mir, dem ich auch künftig Beachtung schenken möchte.
Beruflich zieht es mich jedoch eher in Richtung Bildbearbeitung und Fernsehen ;)


Kontakt: batdriven@googlemail.com