Gelegenheit macht Diebe
Der
25-jährige Julian Sivers, kurz Jan, lebt in einer WG mit seiner besten Freunden
Andrea in dem kleinen Ort Diblingen. Er ist arbeitslos, ein Träumer und ist
selten in der Lage das Leben ohne Hilfe zu meistern. Immer wieder muss ihm
Andrea aus der Patsche helfen, die ihn bereits seit über 10 Jahren kennt und ihm
schon während der Schulzeit zur Seite gestanden hat. Denn Jan ist schwul und
selten in der Lage sich zur Wehr zu setzen. Als Jan in der Schwulenbar
„Knock’Out“ über den charismatischen Marco stolpert und den ganzen Abend mit ihm
tanzt, ist es um Jan geschehen. Hals über Kopf verliebt er sich in Marco und
dieser scheint sogar seine Gefühle zu erwidern. Von diesem Moment an kann Jan an
niemand anderen mehr denken und versucht ihn wieder zu finden.
„Gelegenheit macht Diebe“ ist der erste Roman Marty Tolstoys über Jan und seine
Gefühle zu dem Gesetzesbrecher Marco. Auf 260 Seiten erzählt der Autor die
verwirrende und inkonsistente Geschichte einer Liebe, die nicht wirklich
nachvollziehbar ist. Der Leser erhält zwar einen tiefen Einblick in Jans
Gefühlswelt, doch aufgrund seiner Art und seines Charakters wirkt der
Protagonist so unselbstständig und unfähig, dass es schwer fällt ihm etwas
Positives abzugewinnen. Jan ist weder in der Lage allein zu leben, noch ist er
in irgendetwas wirklich gut. Andrea macht wirklich alles für ihn – sie arbeitet,
bezahlt die Wohnung, kümmert sich um die Rechnungen, kocht, putzt und steht
ihrem Freund bei. Jan macht kaum etwas für sie, außer sich zu Beginn darüber zu
beschweren, dass er nichts für Andrea machen kann. Es stört mich einfach
ungemein, wie sehr er seine WG-Partnerin ausnutzt, wie wenig er bereit ist
überhaupt zu tun und wie sehr er sich über sein Leben beschwert, ohne sich darum
zu bemühen etwas aus sich zu machen. Er ist faul, überheblich und so
übersensibel, dass er aus jeder noch so kleinen Gelegenheit solch ein Drama
macht, das es dem Leser mit der Zeit einfach zu viel wird. Zu oft mimt er den
Leidenden und den armen Schwulen, der von allen Seiten fertig gemacht wird. Die Geschichte strotzt nur so von Logikfehlern und seltsamen Handlungssträngen. Da ist von einem milliardenschweren (!!) Taschendieb die Rede, der auf offener Straße, mitten am Tag eine junge Frau bestehlen will (und bei ihr stehen bleibt, als der Diebstahl misslingt), von einer Polizeidienstelle, die zugleich Untersuchungshaft ist und anderen Logiklücken, die nichts mit der Realität zu tun haben (deutsche Gefängnisse haben beispielsweise keine vergitterten Zellen, Beamte sind in deutschland nicht mit Schlagstöcken ausgestattet etc.) und einem Gerichtsprozess, der wie eine Episode von Richterin Barbara Salesch wirkt. Es hätte der Geschichte wirklich gut getan, wenn Marty Tolstoy zumindest einige Dinge recherchiert hätte und auf logische Zusammenhänge achtet. Doch auch ohne diese grundlegenden Hintergrundinformationen ist die Handlung langatmig, wirkt aufgesetzt und über alle Maßen irreal. In Kombination mit den unlogischen und unsympathischen Charakteren, ist es wirklich eine Qual „Gelegenheit macht Diebe“ zu lesen. Unerklärlicherweise bekommt der Leser mitten in der Handlung um Jan (aus dessen Sicht der Roman in der Ich-Perspektive geschrieben wird) auch noch Einblicke in Andreas Fortbildung. Man erfährt von Andreas Freundin Tina und dem gutaussehenden Lennard, der für einigen Ärger zwischen den Freundinnen sorgt. Diese Passagenwirken einfach nur störend und unpassend, da sie mit der Hauptgeschichte so überhaupt nichts zu tun haben. Sie verwirren nur und sorgen dafür, dass einem Andrea zunehmend unsympathisch wird, da ihre Art mit Tinas und Lennards Gefühlen zu spielen einfach falsch ist.
Neben all den Schwächen in Charakterbildung und Spannungsaufbau ist auch Marty Tolstoys Schreibstil problematisch und sehr schwer zu lesen. Er ist sehr einfach, unausgereift und umgangssprachlich. Zudem gibt es etliche Rechtschreibfehler, Wortwiederholungen, der Satzbau ist einfach nur ein Graus und die grammatikalischen Grundlagen werden mehr als einmal ignoriert. Es werden unheimlich viele unsinnige Sätze und Wörter eingebaut, teilweise könnte man ganze Seiten streichen, da sie vollkommen uninteressant sind. Das fängt bei Jans inneren Monologen an, geht über die ewigen Wiederholungen in Bezug auf Marco bis hin zu den ermüdenden Beschreibungen von Jans Träumen, die so wirr sind, dass sie keinerlei Bedeutung haben. Teilweise wird Jans Tagesablauf minutiös beschrieben, dann wird wieder einiges von Bedeutung übersprungen. Was der Autor nicht erklären kann, wird damit dargestellt, dass Jan nicht zuhört oder in seine Gedanken wegdriftet. Damit bleibt der Leser unwissend zurück.
All das macht „Gelegenheit macht Diebe“ zu einem unheimlich langatmigen,
unausgereiften Roman, dem ein wirklich guter Lektor gefehlt hat. Es gibt so viel
Unstimmigkeiten, Logiklücken und schlechht durchdachte, unsympathische
Charaktere, dass es schwer fällt etwas Positives zu finden. Die Grundgeschichte
hätte man problemfrei mit einer anderen Handlung wesentlich besser erzählen
können, wenn Marty Tolstoy mit einem starken Protagonisten gearbeitet und sich d
im Vorfeld mehr Gedanken um Recherche und Spannungsaufbau gemacht hätte.
Insgesamt ist „Gelegenheit macht Diebe“ nicht empfehlenswert. Wer wirklich gute
homoerotische Literatur (auch Jugendbücher) sucht, sollte sich nach Werke wie
„Ihr mich auch“, „Adrian Mayfield“ und „Die Mitte der Welt“ umschauen. Marty
Tolstoy gelingt es einfach nicht mit seinem Buch zu überzeugen.
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