Interview- Floortje Zwigtman

Anmerkung:
Floortje Zwigtman ist eine niederländische Autorin, daher ist das Originalinterview in englisch geführt worden und wurde anschließend übersetzt. Trotz allem kann man auch das englische Originalinterview auf "Like a Dream" lesen.

 

-english- -deutsch-

 

 

Name: Floortje Zwigtman

Kontakt: -

Homepage: www.floortjezwigtman.nl

Arbeit: Autorin

Veröffentlichungen: Adrian Mayfield- Trilogie, Wolfsrudel, Wie Sonne und Mond

 

Du bist bei den Manga/Anime Fans relativ unbekannt, daher stelle dich doch bitte kurz den deutschen Lesern vor. 

Hm, wie nur? Ich bin 36 Jahre alt und schreibe keine Manga, auch wenn es so aussieht, dass sich gerade Manga Fans von den Romanen angesprochen fühlen. Es gibt viele Zeichnungen von Fans im Mangastil im Internet.

Ich lebe 2 Leben, das eine in der sogenannten “Realität” und das andere in meinem Kopf. Beide strapazieren mich.


Bitte erzähl und ein wenig mehr von dir? Was machst du in deiner Freizeit?

In meiner Freizeit schreibe ich. Ich arbeite ganztags als Autor für Lehrmaterial und abends schreibe ich an meinen Romanen. Ich habe sogar ein Notizbuch neben dem Bett liegen, für den Fall dass ich nachts mit einer guten Idee aufwachen sollte.


Wann hast du mit dem schreiben begonnen?
Schon bevor ich lesen oder schreiben konnte! Als kleines Mädchen habe ich schon immer Geschichten erfunden und sie jedem erzählt, der sie hören wollte oder einfach nur mir selbst. Ich war so ein Plappermaul, dass mich meine Mutter einmal fragte, ob ich vom vielen Reden nicht irgendwann müde werden würde. Als ich älter wurde, begann ich meine Geschichten zu zeichnen und als ich in der Schule schreiben lernte, schrieb ich sie nieder.


Wie genau hat es mit dem Schreiben angefangen? Was war der Auslöser?
Ich habe niemals eine Schreibkarriere angestrebt. Bis ich von meinem täglichen Job die Nase voll hatte und ich einen Freund, der Literatur unterrichtet, fragte, ob er nicht einen Blick auf mein Manuskript werfen würde, um mir zu sagen, ob es gut genug für eine Veröffentlichung sei. Er war davon überzeugt und ich nutzte meine Chance und sandte es an einen Verlag. Zwei Tage später riefen sie mich an und wollten meinen Roman veröffentlichen. Ich war noch nie in meinem Leben so überrascht. Ich weiß noch, was ich damals gedacht habe: Ich habe absolut keine Ahnung, wie mein Leben von jetzt an sein wird.


Hast du dir das Schreiben selbst beigebracht oder hast du es irgendwo gelernt? Hast du in diesem Zusammenhang studiert (Geschichte/ Literaturwissenschaften)?

Ich habe keine kreativen Schreibkurse besucht, nicht weil ich stur bin und auf niemanden hören will, sondern weil ich auf die Ratschläge anderer Leute zu sehr höre. Folglich habe ich einige Fehler begangen, aber wenigstens waren es meine Fehler und nicht die anderer.

Ich habe mich entschieden, auf Lehramt zu studieren, da Lehrer so lange Ferien haben. ;-) Ich hätte Geschichte oder Literatur wählen sollen.


Wie viel Zeit brauchst du, um ein Buch zu schreiben? Gibt es irgendwelche festen Prozeduren wenn du schreibst oder ist das bei jedem Buch anders?

Um solche Romane zu schreiben, wie ich sie schreibe, benötige ich viel Zeit. Das Meiste davon nehmen Nachforschungen ein. Ich brauche viele Informationen über Zeit, die Leute und die Orte, über die ich schreibe. Die Recherche dauert ungefähr zwei Jahre und hört während des Schreibens nicht auf, da ständig Dinge aufpoppen, von denen ich keine Ahnung habe. Daher dauert es 2-3 Jahre, um solch einen Roman zu schreiben. Ich bin ein langsamer Schreiber, manchmal grübele ich einen Tag lang über einen Satz nach, bevor ich ihn aufschreibe. Auf der anderen Seite schreibe ich selten eine dritte oder vierte Fassung eines Buches. Die erste und zweite sind meistens die Besten.


Sind bereits andere Bücher von dir veröffentlicht worden?
Wenn ja, wurden sie auch außerhalb der Niederlande veröffentlicht?
Vor der "Adrian Mayfield" - Trilogie schrieb ich zwei weitere Bücher, die beide in Deutschland veröffentlicht wurden: "Wie Sonne und Mond" und "Wolfsrudel". 
Es gibt auch dänische und koreanische Übersetzungen, zur Zeit arbeiten wir an der englischen Übersetzung. 


Beziehen sich auch andere deiner Romane/ Kurzgeschichten auf "Adrian Mayfield"?

Es gibt einen, eine Art Vorläufer der Trilogie, mit dem Titel "Kersenbloed" ("Cherry Blood"/ “Jungfrauenblut”. Es handelt von Vincent’s Schulzeit, Adrian’s Geliebten. Es wurde bisher noch nicht in deutsche übersetzt.


"Adrian Mayfield" ist deine erste Trilogie im "young-adult" Bereich. Wie bist du auf die Idee für diese Geschichte gekommen?

Ich wollte schon immer eine Romanreihe schreiben, die im „dekadenten“ 19. Jahrhundert spielt. Nachdem ich Oscar Wilde’s einzigen Roman “Das Bild von Dorian Gray” gelesen habe, war ich von dieser farbenfrohen Zeit, die so eingeschränkt und gleichzeitig so rebellisch war, fasziniert. Ich wollte ebenfalls einen Roman über das gefühlsmäßige und sexuell unterschiedliche schreiben.


Hattest du von Anfang an eine Trilogie geplant oder kamen die Ideen für die Fortsetzung erst später?

Ich wusste, wohin die Romanze Adrian und Vincent führte und was sie Adrian antun würde. Ich habe immer eine Referenz beim Schreiben und es ist für mich daher genauso überraschend wie beim Leser. Ich würde keinen anderen Weg wählen und wenn ich jede Szene wüsste, über die ich schreibe, wäre ich gelangweilt.


Wie lange hat die notwendige Recherche gedauert? Warst du auch in London/ Paris, um vor Ort zu recherchieren?

Nachforschung ist ein langer Prozess, der viel Lesen beinhaltet, um den Detektiv in alten Büchern zu spielen. Aber auch spannende Aufenthalte in London und Paris. Ich habe die meisten Orte besucht – sogar das Café Royal bevor es vor einigen Jahren endgültig geschlossen wurde. Wenn es sie noch gibt benutze ich alte (19. Jahrhundert) Reiseführer, um die Umgebung dieser Städte zu sehen. Das machte Spaß, brachte aber auch einiger ärgerliche Überraschungen mit sich. Das Pariser Labyrinth, in dem ich Adrian und Vincent verschwinden lassen wollte erwies sich als winzig. Unmöglich, sich darin zu verirren und ich musste ein ganzes Kapitel neu schreiben. 


War es schwierig für dich das Leben von fiktiven Charakteren mit dem von historischen Persönlichkeiten zu verbinden? Was reizt dich an dieser Kombination?

Es hat Spaß gemacht. Ich habe viele Biografien von Wilde, seinem Geliebten Bosie und seinen anderen Freunde gelesen, deshalb kenne ich sie ganz gut. Dann habe ich ihnen meine erfundenen Charaktere vorgestellt und mir überlegt, wie sie einander gegenüber reagieren würden.


Wie kam es zu dem Setting (Wilde, der Prozess, etc.)?
Als Teenager habe ich mir das 19. Jahrhundert als trüb vorgestellt, in dem niemand etwas Verrücktes getan hat. Deshalb war ich verwundert, dass jemand wie Oscar Wilde ein so verrücktes Leben geführt hat. Die Urteilsgeschichte “Große Unanständigkeit” ist mir geblieben und ich wollte über Menschen, die alternative Leben im 19. Jahrhundert gelebt haben, schreiben.


Wieso das 19. Jahrhundert? Was reizt dich an dieser Epoche?
Ich habe es oben schon angedeutet, ich mag Spannung zwischen Tradition und der neuen Welt der freien Kunst, freien Liebe, freien Frauen und freien Homosexuellen, die um die Ecke spähen.


Adrian erhält zu Beginn recht schnell Zugang zu Oscar Wilde und seinem purpurnen Hofstaat. Geht das nicht ein wenig zu schnell für einen Jungen aus eher niederen Verhältnissen?
Nicht wirklich. Es könnte trotz allem passiert sein. Es gab viele Wege, sich im 19. Jahrhundert zu bewegen, wenn man nicht reich oder im Adel geboren war – Geld scheffelnd, reines Talent oder Sex. Adrian hat Talent und ist sexuell attraktiv, daher wurden Männer auf ihn aufmerksam, die ein erfolgreiches Modell oder Call-Boy aus ihm machten.


Im Laufe der Geschichte macht Adrian einiges durch, er verliebt sich, schwebt auf Wolke 7 und fällt dann ins Bodenlose. In Band 3 wirkt er daher teilweise gar nicht mehr, wie der Adrian, den man aus den ersten beiden Büchern kennt? Wie kommt es zu dieser Entwicklung?
Die Angst und Verzweiflung, die Adrian fühlt, als er verraten wird, ist schon in Band 1 vorhanden, als seine Freunde ihn verließen und er seinen Körper verkaufen musste, um zu überleben. Dann sah er in Vincent seinen Retter. Als dieser ihn verließ, verlor er jegliche Art von Sicherheit. All sein Ärger allein gelassen zu sein, kam wieder zur Oberfläche.


Wie sieht es mit Vincent aus? Welche Beweggründe hat er, Adrian letztendlich von sich zu stoßen? Was ist in seiner Schulzeit/ Jugend passiert?
Ich will nicht zu viel verraten, aber Vincent hatte eine ziemlich traumatische Jugend an einem britischen Internat. Seine ersten sexuellen Erfahrungen mit Jungen waren nicht positiv gewesen. Dies sorgte dafür, dass er seiner eigenen Sexualität sehr zwiespältig gegenübersteht.


Wäre Oscar Wilde damals nicht vor Gericht gebracht und verurteilt worden - wie glaubst du wäre sein weiteres Leben gewesen? Wie wären seine Werke gewesen?
Schwer zu sagen, wirklich. Mit dem Leben, das er führte, in dem Zeitalter, in dem er lebte, ist es schwer vorstellbar, ihn nicht als Gefangenen zu betrachten. 
Ich glaube, sein Los wäre das eines alternder Künstlers gewesen: Er wäre aus der Mode gekommen, verhöhnt und parodiert worden und als alter Mann oder erst nach seinem Tod wäre er wiederentdeckt worden. Vielleicht auch nicht. Wilde hatte die Gabe, sich wieder und wieder neu zu erfinden und neu zu definieren, und wäre möglicherweise bis ins 20. Jahrhundert in Mode geblieben. Leider starb er Anfang des neuen Jahrhunderts.


Wäre es möglich, dass du irgendwann auch spätere Episoden aus Adrians, Terry oder Vincents Leben aufgreifst? Die Zeit nach der Jahrhundertwende war auch sehr ereignisreich (Automobile, Technisierung, 1. Weltkrieg).
Würde sich daraus neuer Stoff für einen erwachsenen Adrian für dich ergeben?
Ich weiß, dass sie einige Abenteuer erleben werden, zusammen oder getrennt, aber die wichtigsten, prägenden Ereignisse habe ich bereits niedergeschrieben. Adrian’s Geschichte ist eine coming of age – Geschichte, ein Entwicklungsroman. Jetzt ist er erwachsen. Und obwohl sein Leben weiter geht, ist die Geschichte erzählt.


Warum ein schwuler Hauptcharakter?
Ich habe mich für Leute interessiert, die im viktorianisches Zeitalter einen völlig anderen strikten Lebensstil gewählt haben. Ich habe mich gefragt, wie es für einen Jungen wäre, in einen Jungen verliebt zu sein; zu einer Zeit, in der eine solche Liebe nicht nur eine Sünde war sondern eine Straftat.
Seltsam, denn am Anfang wollte ich dies aus Sicht eines lesbischen Mädchens erzählen. (Ich erzähl Dir ein Geheimnis: es war Imogen!). Die Geschichte blieb zu statisch, denn viktorianische Mädchen durften nicht einmal ohne Begleitung das Haus verlassen. Als ich einen Jungen als Hauptdarsteller wählte, bekam die Geschichte plötzlich Flügel.


War es schwer einen Verlag für die Reihe zu begeistern? Immerhin ist es mitunter schwierig Geschichten mit homosexuellen Charakteren unterzubringen.
In Holland war dies kein Problem, da ich schon zahlreiche ziemlich erfolgreiche Romane veröffentlicht habe und wir sehr liberal sind. Allerdings ist dies in anderen Ländern, wie Großbritannien und den USA immer noch ein Problem. Verlage zögern einen Young Adult Roman über einen homosexuellen Jungen (und Call-Boy) zu veröffentlichen.


Hattest Du mit Adrian Mayfield bereits außerhalb der Niederlande Lesungen?
Wie nehmen deine Fans dich auf?
Ich war noch nicht überregional mit den Adrian Mayfield Büchern unterwegs, aber ich bekam Briefe und Emails von Lesern und ich versuche, sie stets zu beantworten. Was mich überrascht hat, ist die Art, wie die Hauptdarsteller für viele Leser lebendig werden. Sie machten sich richtig Sorgen um sie und wollten nur das Beste für sie. Ich wurde sogar einmal – mehr oder weniger - bedroht, damit ich ein Happy End schreibe.


Mit welchem deiner Romancharaktere kannst du dich identifizieren? Welche Charakter magst du am meisten? Welcher davon ist dir am wenigsten sympathisch?

Ich mag Trops sehr, obwohl er überhaupt nicht wie ich ist. Er ist wirklich ein liebenswerter Bastard. Ich glaube, ich identifiziere mich am meisten mit Adrian, immer rauf und runter, weil er nicht anders kann, als das Leben zu lieben und das Beste zu hoffen.
Es gibt keinen Charakter, den ich nicht mag. Ich mag sie alle, sogar die Bastarde und Schlampen, da ich sie mehr oder weniger geschaffen habe. Ich mag sogar Lady Kinderly.


Gibt es irgendwelche Genre, denen du dich zukünftig widmen möchtest?
Können wir auf weitere historische Bücher von dir hoffen?
Momentan nicht. Ich möchte meiner Fantasie für meinen nächsten Roman freien Lauf lassen. Er spielt in einem imaginären Land, das ich mir als Kind ausgedacht habe, ist aber kein Fantasy Roman. Es ist ein Roman über das Erwachsenwerden in einem totalitären Land und was dies für gewöhnliche Menschen bedeutet und solche, die an der Macht sind. 


Könntest du dir vorstellen weitere Bücher über homosexuelle Personen zu schreiben (schwul/ lesbisch)? Die Geschichte gibt dahingehend viel her.
Es gibt einen homosexuellen Mann und zwei lesbische Mädchen in meinem nächsten Roman. Homosexualität wird aber keine so große Rolle spielen wie in den Adrian Mayfield Büchern. Es sind eher Charaktere, die sich zufällig vom eigenen Geschlecht angezogen fühlen.


Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Weiter schreiben, so lange ich mag. Die „Adrian Mayfield“ - Trilogie ins Englische übersetzen und an britische oder amerikanische Verlage verkaufen. Die schönen und hässlichen Orte in der Welt besuchen.


Welche Bücher und Autoren magst du besonders?
Ich lese alle Genres, die es gibt. Ich mag ganz besonders Autoren mit einem Talent für Sprache, wo du nicht einfach die Geschichte genießt, sondern auch die individuellen Sätze. Ich habe viel von David Mitchell (z. B. „Cloud Atlas”) und ich lese jetzt erneut Roald Dahl.

 

Gibt es noch etwas, was du den deutschen Fans mitteilen möchtest?

Es ist schön und seltsam zu wissen, dass es Leute in anderen Ländern gibt, die ganz anders leben als man selbst, aber dieselbe Fantasie und Vorstellungskraft teilen. Love to you all!


Vielen Dank für das informative Gespräch.

 

In diesem Sinne bedankt sich "Like a Dream" recht herzlich bei Floortje Zwigtman für das informative Interview und VBK|Media für die Bereitstellung eines Autorenfotos.

 

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Die im Zusammenhang mit diesem Artikel verwendeten Bilder und Coverscans unterliegen dem Copyright von Floortje Zwigtman, dem Gerstenberg Verlag und Uitgeverij De Fontein.