Interview- Andi Lirium

Name: Andi Lirium

Kunstform: Comics

Veröffentlichungen: u.a. Pit reißt aus, Punkrock Heartland

Homepage: http://pit-reisst-aus.jimdo.com/

 

Im Herbst 2010 rezensierte Tanja für "Like a Dream" den Punk- Comic "Punkrock Heartland". Aufgrund der positiven Rezension meldete sich bald der Künstler des Comics bei ihr und nach einem intensiven Mailverkehr entstand dieses Interview für Like a Dream. An dieser Stelle möchte ich mich bei Tanja für ihre Arbeit und bei Andi für das tolle Interview bedanken. 

 

Hallo Andi, würdest Du Dich in ein paar Worten selbst vorstellen?
Hi, ich bin Andi. Ich bin jetzt 30 Jahre alt. Und bei guter Beleuchtung, seh ich so aus (<--)


Die vermutlich meistgestellte Frage an Dich dürfte sein: wie kamst Du zum Zeichnen und zum Comic zeichnen?
Das ist einfach! Ich hab schon immer gern gemalt und gezeichnet. Eigentlich seit ich einen Stift halten konnte. Und ich hab auch schon immer gern Geschichten erzählt. Als ich so um die 13 war, fand ich mich gut genug, jetzt endlich mal eine Geschichte zu zeichnen, die ich auch selber gerne lesen würde die es aber leider noch nicht gibt.



Du hast einen sehr eigenen, dynamischen Stil, der sich nicht in den Wurzeln auf mir bekannte Zeichner zurück führen lassen. Welche Zeichner und Stile haben Dich am meisten geprägt und beeinflusst?
Moebius natürlich, Loisel, Serpieri, Schultheiss und Otomo



Welche Zeichner bewunderst Du am meisten?
Serpieri, Otomo, Schultheiss, Loisel und Moebius. In dieser Reihenfolge, wobei ich Schultheiss und Loisel zu ziemlich gleichen Maßen bewundere.



Beeinflussen Dich auch Bücher, Filme und Musik bei der Ideenfindung, Deinen Bildern und deinen Geschichten?
Schon ein bißchen. Dagegen kann man sich ja nicht wehren.



Anhand Deiner Postkarten, die Du zeichnest, fängst Du die Stimmung des jeweiligen Tages immer auf. Liege ich richtig in der Annahme, dass sich dabei auch viel von Deiner eigenen Stimmung in den Bildern wiederspiegelt?
Natürlich.



Was reizt Dich an Comics mehr, als an Illustrationen?
Dass ich eine Geschichte erzählen kann, natürlich. Das kann man mit Illustrationen zugegebenermaßen auch. Aber bei Comics kann man eine Geschichte über mehrere Bilder und Seiten aufbauen. Bei Illustrationen muss man mit einem Bild auf den Punkt kommen. Ich bin da eher episch veranlangt. Ich erzähle die Geschichte gern Stück für Stück, satt sie in ein einziges Bild zu hämmern.



Was bietet Dir die Inspiration zu Deinen Geschichtenideen?/ Nimmst Du Deine Ideen aus Deinem Umfeld und dem Leben?
So viel hab ich ja noch gar nicht erzählt. Also „Punkrock Heartland“ ist von meinem Leben inspiriert. „Pit reisst aus!“ eigentlich auch und „Rasmus und Adam“ sowieso,...“Der alte Mann im Mond“ ist ganz stark von Helena Petrowna Blavatski inspiriert. Die ehemalige Grundstory, „Die Söhne der Schlange“ auf der „Der alte Mann im Mond“ aufbaut, wurde allerdings von dem Schicksal eines Freundes inspiriert.



Du bist selbst ein Punk. Wie sehen andere Punks Deine Werke?
Die meisten finden sie gut.



Kam es wegen Deiner Comics schon zu Auseinandersetzungen mit Familie, Freunden, Deinem Umfeld und der Szene?
Der einzige der immer daran herum mekert ist mein Vater, weil er sagt, mit sowas kann man kein Geld verdienen.



Wie stehst Du, bzw. die Szene zu Homosexualität?
In der Punk-Szene wird Homosexualität grundsätzlich akzeptiert, solange man nicht wie wild herumbaggert. Ich persönlich finde es toll, wie weit die Akzeptanz von Schwulen und Lesben schon voran gekommen ist. Man muss sich nicht mehr verstecken. Das ist doch
schon ein riesiger Fortschritt.





Wie viel Eigenerfahrung mit Outing, Missbrauch und Ablehnung der Homosexualität steckt in Deinen Comics?
Uuhh, schwierige Frage. Na, ich würd mal sagen, so einiges.



Mit welchem Deiner Comic-Charaktere fühlst Du Dich am meisten verbunden? Welcher ist Deine Identifikationsperson?
In „Punkrock heartland“ ist es Bass Weber, in „Pit reisst aus!“ ist es Pit, in „Rasmus und Adam“ ist es Rasmus, in „der alte Mann im Mond“ ist es Christy und in „Bambule“ ist es Kolja.



Welches Deiner Werke steht Dir am nahsten?
Sowas ändert sich ja auch immer. Es ist bei mir immer das Werk an dem ich gerade arbeite. Also im Moment ist es „Bambule“,....Wobei ich denke, dass ich in „Punkrock heartland“ am meisten meiner Ideale, bezügl. wie ein Comic sein sollte, umgesetzt habe.



„Die Söhne der Schlange“ läuft noch und „Rasmus und Adam“ ist sehr endgültig in seinem Abschluss. Kannst Du Dir vorstellen, einen Deiner Comics fortzusetzen?
Na klar!



Welchen Deiner Comics magst Du persönlich am meisten/ warum?
Im Moment ist das „Punkrock heartland“, weil ich dort, wie gesagt, am meisten meiner Ideale davon, wie der perfekte Comic sein sollte, umsetzen konnte.



Welches Werk kommt am Besten bei dem Publikum an?
Meine Familie findet „Pit reisst aus!“ am besten, weil da kein Sex drin vorkommt.
Ansonsten ganz sicher „Punkrock Heartland“.



Im Vergleich zu japanischen Zeichnern (Yaoi Mangaka) haben deutsche, amerikanische und franco-belgische doch einen andern Stil und einen ganz anderen Zeitplan. Von einigen der Größen Japans wie Makoto Tateno wissen wir, dass sie in der Woche 40 Seiten Comic liefern muss incl. Farbseiten und/ oder Covern. Dafür haben Japaner allerdings Assistenten, die ihnen viel Arbeit abnehmen. Das ist ein Stress, den gerade die deutschen Zeichner sich nicht antun. Wie sieht das bei Dir aus?
Ohh, das liegt ganz an dem Projekt. In dem Stil in dem ich „Die Söhne der Schlange“ hingeknallt habe schaffe ich 3-5 Seiten am Tag. Bei „Punkrock heartland“ war es zum Schluss eine Seite. Bei „Bambule“ sind es aktuell ein Tag für Skizze und Reinzeichnung und einer für die Coloration,...mindestens.



Wie ist Deine Arbeitsweise?
Hah! Erwischt. Ich Zeichne gar nicht Seite für Seite, sondern mache zuerst das Storyboard, also die Skizze am Stück, dann die Reinzeichnung am Stück und dann erst beginne ich die Coloration.
(Für Bambule mache ich das etwas anders, weil ich damit an einem Wettbewerb teinehmen will.)
Die ganz konkrete Arbeitsweise, also Tusche oder Rechner ist von Projekt zu Projekt uunterschiedlich.
„Bambule“ wird komplett getuscht.



Arbeitest Du nach einem festen Script/ Plot, den Du im Vorfeld ausabrbeitest?
Ja genau.



In welchem Zeitrahmen schaffst Du eine Seite, bzw. wieviel Seiten schaffst Du innerhalb einer Woche, wenn alles gut läuft und Dich die Arbeitswut packt?
Wie gesagt, im Moment für „Bambule“ eine Seite in 2 Tagen. Vorausgesetzt ich hab den ganzen Tag zeit,...da das selten der Fall ist, sagen wir mal so ungefähr 4 Tage pro Seite. Aber WENN ich den ganzen Tag Zeit habe, ca. 3 Seiten Skizze am Tag und ca. 1 1/2 Seiten Reinzeichnung pro Tag und eine Seite Coloration pro Tag.
„Bambule“ ist extrem frikkelig. Viele kleine Bilder pro Seite.
Alles total vollgestopft!





Hier noch ein paar spezielle Fragen zu „Der Alte Mann im Mond“:
Wie alt ist Christy am Anfang des Buches, wie alt zuletzt?

Da muss ich mal ein bisschen rechnen.
Ich bin mir da eigentlich selbst nicht so sicher. Zu beginn des Buchen könnte er 13, aber vielleicht auch schon 15 sein.,…nein jetzt weiss ich's er ist zu Beginn des Buches 13, denn bei seiner Initation, also der Wanderung auf der Azzel ihm Geschichten erzählt ist er natürlich genau 10 Jahre alt. Als er bei den Jesuiten aufgenommen wird, ist er also 23. Die magische 23.
Am Ende der Erzählung ist er also 43. In den besten Jahren.



Warum sucht er sich ausgerechnet die Jesuiten aus, wobei er bereits seine Initiation als indianischer Krieger erhielt?
Das wird auf Seite 187 ganz knapp dargestellt in einer grossen Gedankenblase. Er hat bereits eine Vorstellung von der Mission auf die er geschickt werden soll. Er weiss, dass es um eine Rechenmaschine gehen wird mit der man evtl. den Seelencode ausrechnen kann, den er ja, das weiss er, braucht um Tina zurück zu bringen.



Wieviel bedeutet ihm Tini, wieviel Maria?
Ich denke er ist in Tina verliebt, weiss aber nicht, wie er sich ihr annähern soll. Als er versucht sie zu vergewaltigen, denke ich tut er etwas, dass er für ganz normal hält. Ich denke er ist sich nicht darüber klar, dass er etwas schreckliches tut. Aber als sie und Sue ihm die Zuge herausstrecken und dabei Furz geräusche machen, verletzten sie ihn so sehr, dass er sie dann hasst. Hass und Liebe liegen ja dicht beieinander. Aber als er merkt, dass er sie erschlagen hat, denke ich, wird ihm wieder bewusst, dass er sie eigentlich sehr gemocht hat.
Ich glaube Maria, ist für ihn geradezu anbetungswürdig. Ein Art Mutter und Sexbombe in einem. Und ein "Halt-fest" . natürlich nicht sofort, aber spätestens ab dem Moment, wo sie verspricht ihn nicht zu verraten. Ich denke was er empfindet ist das was viele pubertierende Jungs für bereits erwachsene junge Frauen empfinden. Ich denke, er begehrt sie, aber sie scheint unerreichbar.



Wie groß sind Liebe und Respekt gegeüber Azzel (die er offenbar trotz allem empfindet)?
Tja! Ich denke, er möchte so gerne von Azzel geliebt und akzeptiert werden. Er hasst ihn jedenfalls nicht, obwohl er ja jeden Grund dazu hätte. Aber das ist ja ein bei Missbrauchsopfern bekanntes Phänomen. Jedenfalls bei denen, die lange und regelmäßig missbraucht werden. Die Mädchen werden später Nymphomanisch und die Jungs werden sehr oft schwul. Sie denken am Ende: Irgendwie wollte ich das ja auch. Und das scheint eine psychologische Reaktion darauf zu sein.
Ich denke, als er noch ein Junge ist, sieht er zu Azzel auf. Aber später als erwachsener Mann erkennt er, was ihm angetan wurde und er empfindet, denke ich eine gewisse Befriedigung darin, nur Azzels Kopf wieder zum Leben zu erwecken und ihn zu beherrschen und vielleicht auch leiden zu lassen.



Was bedeutet Martin für ihn?
Martin ist sein Ausbilder. Ich stelle mir vor, dass sich zwischen den beiden zunächst eine Art platonische Liebe entwickelt. Martin ist sicher ein Mann von dem er viel gelernt hat. Wahrscheinlich ist das Gefühl, das er für ihn empfindet eine Mischung aus Verehrung und Respekt und eine seltsame Art von Liebe. Martin infiziert ihn absichtlich mit AIDS. Er liefert ihn dem Tod aus um eine Waffe aus ihm zu machen. Einen solchen Mann zu lieben ist nicht leicht.
Aber so ist Christy. Doch ich denke, er hat ihn geliebt.



Wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Ich muss leider im Moment viel Kram machen, auf den ich keine Lust habe, und über den ich auch nicht reden will, der aber unbedingt sein muss.



Wie sehr verändern sich Deine Ideen während der Arbeit an einem Comic?/ Setzt Du alle Ideen 1:1 zu dem Erstplot um?
Tatasächlich verändern sie sich noch relativ stark.



Haben persönliche Erfahrungen Einfluss auf die Entwicklung Deiner Charaktere?
Natürlich.



„Rasmus und Adam“ ist Dein erster Comic. Wie alt warst Du, als Du ihn damals gezeichnet hast?
Als ich damit angefangen habe war ich 13. Als ich damit fertig war war ich 16.



Dein Stil zeigt sich schon sehr deutlich in „Rasmus und Adam“. In „Bambule“ ist er perfekter, aber die Paneel-Aufteilung ist sehr viel strikter und strenger. Wie kam es dazu, insbesondere weil Du sie in „Punkrock Heartland“ wieder vollständig auflöst und damit auf ganz andere Weise erzählst?
Tja. „Bambule“ hab ich tatsächlich schon 2003 entworfen, jedenfalls die ersten 30 Seiten. Da hatte ich gerade mit meinem Studium begonnen und wollte mal was richtig professioneles machen. Und weil die Profis alle so an ihren Panels kleben, dachte ich,:“So wird das eben gemacht.“
Den Mut dazu die Panels ganz aufzulösen hab ich erst für „Punkrock heartland“ entwickelt. Da passte es ja auch so schön zum Thema. Da ich „Bambule“ jetzt wieder aufnehme, werde ich den damals angedachten Stil für dieses Projekt jetzt bis zum Ende durchziehen. Für das nächste Projekt brech ich die Panels vielleicht wieder auf.



Der Bezug zu Hamburg ist in jedem Deiner Comics (bis auf die Söhne der Schlange) stark vertreten. Woran liegt das?
Ich denke, ich kann am besten über das erzählen, was ich kenne.



Ist die Punkszene in Hamburg lebendiger als in anderen Städten?
Nö.



In „Punkrock Heartland“ ist Basti der Protagonist. Er macht ziemlich viel falsch, besonders in seiner Wahl des Partners. Dennoch muss man den Kleinen einfach lieben. Er ist sehr schön nachvollziehbar. In vielen Punkten hat er mich an Rasmus erinnert. Beschreibst Du Dich in beiden selbst ein wenig?
Jaja. Erwischt!



Wie ist Deine Einstellung zu Deinen Comics? Was möchtest Du noch alles erreichen?

Ich möchte natürlich reich und berühmt werden.



„Punkrock Heartland“ ist bei dem Männerschwarm-Verlag heraus gekommen. Die anderen Projekte liefen frei und sind als eBooks/ Prints bei Dir erhältlich. Wie kam es dazu?
Die Verleger fanden die Projekte scheisse, ..oder zu kurz,...oder sie passten eben nicht ins Program. Jedenfalls hab ich keinen Verlag dafür gefunden. Weil ich aber der Welt meine Arbeit nicht vorenthalten möchte, hab ich sie zum freien Download auf meine Website gestellt. Wobei ich sagen muss, dass „Der alte Mann im Mond“ wirklich nur sehr schwer zu verstehen ist. Das kommt davon, wenn ich mich zu sehr von einem Buch beeinflussen lasse. Werd ich in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr versuchen.

Hast Du Dich mit dem fertigen Comic bei Männerschwarm beworben, oder mit dem Plot?
Mit der fertigen Arbeit.



Kam es in diesem Zusammenhang zu einer festen Verlagsarbeit zwischen Redakteur und Zeichner?
Jap.



Hat Männerschwarm nicht vielleicht auch Interesse an weiteren Sachen von Dir?
Total! Der Lektor Joachim, hat mir schon gesagt, dass er ganz gespannt ist auf „Bambule“.



Welcher Verlag wäre Dein Taumverlag?
Hhm. Damals war das natürlich Carlsen, oder Splitter. Heute muss ich sagen, dass ich die beide total doof finde, weil die auf meine Angebote nicht mal antworten. Ehapa ist immer sehr nett zu mir.
Andererseits bin ich gerne beim Männerschwarm. Für „Bambule“ finde ich den Männerschwarm-Verlag ideal.



Wie würdest Du gern veröffentlichen?
In DINA4 und im Hardcover,...naja für „Bambule“ reicht ein Softcover. Aber „Punkrock heartland“ im Hardcover, wär schön.



Was würdest Du jungen Comiczeichnern empfehlen, insbesondere wenn sie selbst schwul oder lesbisch sind?
Hhm. Also wenn sie Geld verdienen wollen, sollten sie sich ein Thema nehmen, das sowieso schon beliebt ist. Z.bsp. DDR, 2. Weltkrieg, irgendein sowieso erfolgreiches, berühmtes Buch, zbsp. Kafka oder Krieg der Knöpfe. Über ihr Leben sollten sie nur erzählen, wenn es ihnen ein dringendes innerliches Bedürfnis ist. Es lohnt sich nämlich nicht,...es sei denn man macht was witziges.



Möchtest Du den Lesern auf Like a Dream noch etwas sagen?
Wenn ihr noch ein bißchen Geduld habt, könnt ihr bald „Bambule“ von mir kaufen,...oder, wenn ich dafür auch keinen Verlag finde es von meiner Website runterladen.
So long, Grüsse euch alle,
Andi

 

Bildcopyright:
Die im Zusammenhang mit diesem Artikel verwendeten Bilder und Coverscans unterliegen dem Copyright von Andi Lirium/ Männerschwarm Verlag.