"Die
lebenden Weihnachtskugeln" von Juliane Seidel
(Genre:
Romance, Comedy, Fantasy)
Bunte Kugeln, Sterne und Glocken hingen an den immergrünen Zweigen. Zwei
Dutzend elektrische Kerzen warfen buntes Licht auf rotes und goldenes Lametta
und die Perlenketten, die den Baum wie ein Netz umgaben. Dazwischen baumelten
Kims selbstgemalte Kugeln, die er mit stilisierten Gesichtern seiner Freunde
bemalt hatte. Erst vor einigen Tagen war er auf die Idee gekommen, die
Weihnachtsdekoration auf diesem Weg aufzupeppen, da ihn die normal
geschmückten Christbäume langweilten. Aus diesem Grund besorgte er weiße
Styroporkugeln, Farben und Pinsel und schleppte alles in die Wohnung seines
Freundes Florian, wo sie mit Chris den Heiligabend verbringen wollten Bereits
seit mehreren Stunden hockte er inmitten mehrerer Farbtöpfchen, zerbrochener
Styroporkugeln und zerknülltem Papier. „Endlich fertig“, flüsterte Kim und
begutachtete die letzte Kugel. Ein grummeliges Gesicht zierte sie. „So
angepisst sehe ich nun auch wieder nicht aus.“ Florian nahm ihm sein Kunstwerk
ab und betrachtete es mit zusammengezogenen Augenbrauchen. Er schien zu
überlegen, ob er sie nicht einfach aus dem Fenster werfen sollte, dann hängte
er sie an einen freien Zweig. „Jetzt noch die Spitze und er ist fertig“,
sagte Chris und reckte sich, um sie auf den Baum zu stecken. „Wieso habe
ich mich eigentlich dazu breitschlagen lassen?“, fragte Florian. Er erhob sich
und trat einige Schritte zurück. Mit einer Mischung aus Skepsis, Unglauben und
Abscheu musterte er die Weihnachtsdekoration. „Das ist mit Abstand der
furchtbarste Weihnachtsbaum, den ich je gesehen habe. Diese Kugeln sind
einfach nur total seltsam. Wie bist du bloß auf die Idee gekommen sie zu
bemalen, Kimmy?“ „Ich finde sie klasse.“ Kim steckte sich den Pinsel
hinter’s Ohr, eine Angewohnheit, die er einfach nicht ablegen konnte und
betrachtete mit großen Augen sein Meisterwerk. Er sah die Kugeln von Olli,
Chris und Florian, ebenso die seiner erdachten Fantasyfiguren. Der
Rattendrache Finn war darunter, komplett ausgerüstet mit Flügeln und Schwanz,
sein Rollenspielcharakter Annatar und die Feen Silberfünkchen und
Goldlöckchen. Sogar seine Haustiere hatte er auf die Styroporkugeln gebannt.
„Jetzt ist er etwas ganz besonderes.“ Chris gesellte sich zu Florian. Er
stützte die Hände in die Hüfte und legte den Kopf schief. „Florian hat schon
Recht …“, sagte er nach einer Weile und pustete sich eine rote Haarsträhne aus
dem Gesicht. „Er ist wirklich furchtbar bunt.“ Kim wollte schon protestieren,
da fuhr Chris fort: „Aber er passt zu dir. Ein normaler Christbaum reicht dir
wohl nicht aus, oder?“ Kim zuckte mit den Schultern. „Das wäre doch
langweilig gewesen …“ „Aber stilvoller“, murmelte Florian und fuhr sich mit
einer Hand durchs Haar. „Im Grunde hätte ich auch gänzlich auf einen Baum
verzichten können.“ „Ich aber nicht. Ein Baum gehört einfach dazu.
Ansonsten ist es kein richtiges Weihnachten!“ Kim erinnerte sich an die
endlose Diskussion am gestrigen Abend. Es hatte ihn fast eine Stunde gekostet,
um Florian zu überreden, noch einen Baum zu kaufen. Die Tanne war zwar ein
wenig windschief, aber besser als nichts und dank der üppigen Dekoration war
von der Schräglage sowieso nichts mehr zusehen. „Wann machen wir
Bescherung?“, fragte Kim neugierig und sah zwischen seinen Freunden hin und
her. Florian seufzte. „Du bist unmöglich.“ Er deutete auf Kims
Malutensilien und die Styroporüberreste, die überall auf dem Boden verstreut
lagen. „Erst, wenn du dieses Chaos beseitigt hast.“ „Schon klar.“ Voller
Tatendrang schob er sich die Weihnachtsmannmütze zurecht. Der Pinsel rutschte
hervor und verteilte eine Spur Farbe auf seiner Wange. „Du hast Farbe im
Gesicht“, kommentierte Florian trocken. Er fischte den Pinsel unter Kims
Haaren hervor und wischte ihm einige Farbspritzer von den Wangen. „Du solltest
die Pinsel zukünftig erst auswaschen, bevor du sie dir hinter’s Ohr steckst.“
Kim hielt die Luft an. Sein Herzschlag verdoppelte sich und ein angenehm
warmes Kribbeln breitete sich in seinem Magen aus. Er wusste nicht, ob er rot
anlief, doch seine Wangen fühlten sich heiß an. Seit wann reagierte er so
empfindlich? Er war schon seit Jahren in Florian verliebt, doch bisher hatte
ihm die Nähe seines Freundes nie den Boden unter den Füßen weggezogen. Ob es
an seinem Vorhaben lag, ihm heute seine Liebe zu gestehen? Florian löste
sich von ihm und verließ das Wohnzimmer, um sich im Badezimmer die Finger zu
waschen. „Alles okay?“, fragte Chris leise. „Du siehst aus wie eine
Tomate.“ „Ach, sei still.“ Er atmete tief durch, um sein Herz wieder unter
Kontrolle zu bekommen. Mit zitternden Fingern strich er eine grün gefärbte
Locke unter die Weihnachtsmütze. „Kriegst du das hin?“, bohrte Chris
weiter. „Immerhin werde ich mich in einer guten halben Stunde vom Acker
machen, um Zoe zu treffen. Du wolltest Zeit mit Florian, um diese Sache
endlich zur Sprache zu bringen, also nutze sie.“ Ein Kloß bildete sich in
Kims Hals. Er schluckte trocken und schielte zur Wohnzimmertür. „Ich weiß,
aber was mache ich, wenn es schief geht. Vielleicht sollte ich das Ganze
verschieben, um mir das Weihnachtsfest nicht kaputt zu machen.“ „Du bist
ein Feigling! Wenn du nicht bald den Mund aufmachst, werde ich es Florian
erzählen. Unterdessen ist es für mich nämlich ungemein anstrengend. Du kommst
ständig zu mir gerannt, wenn Florian dich ärgert oder ihr euch streitet und er
will wissen, was mit dir los ist.“ „Er hat etwas mitbekommen?“
„Natürlich. Er ist ja nicht auf den Kopf gefallen!“ „Worüber redet ihr?“,
mischte sich Florian ein. Kim sah ertappt zu ihm und wandte sich ab, um das
Chaos aufzuräumen. Er spürte Chris’ bohrenden Blick im Nacken, wagte es jedoch
nicht sich umzudrehen. Er wusste genau wie vorwurfsvoll und verärgert die
grünen Augen funkelten. Wenn er jetzt wie ein Feigling den Schwanz einzog,
würde sein Freund zu Recht verärgert sein. Immerhin verließ Chris auf seine
Bitte hin die kleine Weihnachtsfeier früher, damit Kim freie Bahn bei Florian
hatte.
Was für eine Katastrophe! Sein Liebesgeständnis endete in Chaos
und einer halben Alkoholvergiftung! Schon von dem Moment an, als Chris die
Wohnung verlassen hatte, war sein ganzes Vorhaben zum Scheitern verurteilt
gewesen. Anstatt sich mit Florian auszusprechen, hatte er diesen schrecklichen
Likör entdeckt. Dabei wollte er sich lediglich ein bisschen Mut antrinken und
dafür sorgen, dass ihm die Worte besser über die Lippen kamen. Doch der
klebrig süße Alkohol stieg ihm so schnell zu Kopf, dass er bereits nach drei
kleinen Gläsern zu nichts mehr zu gebrauchen war. Florian hatte tapfer bis
Mitternacht durchgehalten, dann genervt den Tisch abgeräumt, das Schlafsofa
ausgezogen und Kim dorthin verfrachtet. Jetzt lag er einsam und verlassen
im Wohnzimmer und rollte sich von einer Seite auf die andere. An Schlaf war
überhaupt nicht zu denken. Dafür fühlte sich Kim zu elend. Florians
verärgertes Gesicht tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Kim hatte ihm
ungewollt den ganzen Heiligabend verdorben. Er biss sich auf die Unterlippe.
Jetzt konnte er seinem Freund unmöglich sagen, was er empfand. „Ich bin so
ein Trottel!“, murmelte er und zog die Decke über den Kopf. Ihm war warm und
kalt gleichzeitig. Er schniefte kurz und kniff die Augen zusammen, um endlich
einzuschlafen. „Ja, du bist wirklich ein Trottel“, erklang eine Stimme, die
ihm vage bekannt vorkam. Im ersten Moment schob er es auf seinen angetrunkenen
Zustand, doch als Gelächter ertönte, wusste er, dass es keine Einbildung war.
Sein Herz stolperte, dann raste es so schnell, als wollte es aus seiner Brust
springen. Er schob die Decke zurück und spähte in den Raum. Nichts. Das
Wohnzimmer war verlassen. Keine bedrohliche Silhouette tauchte aus den
Schatten auf oder huschte über die Wände. Kim lauschte angestrengt in die
Stille. „Ist da jemand?“, flüsterte er und hielt den Atem an, um jedes noch
so feine Geräusch zu hören. „Ich wusste schon immer, dass du dumm bist,
aber heute hast du all meine Vermutungen übertroffen! Vielleicht sollte ich
dir dafür einen Orden verleihen …“ „Wer is…?“ Im nächsten Moment fiel es
ihm wie Schuppen von den Augen. Die zynische Stimme hätte er unter Tausenden
erkannt, so oft hatte er sie in seinen Träumen gehört. „Finn?“, flüsterte er
und kam sich wie ein Idiot vor. Es war weit nach Mitternacht und er hockte in
Florians Wohnzimmer und unterhielt sich mit einem Fantasiewesen, das er in
seinen Träumen besuchte. Der dicke Rattendrache konnte unmöglich hier sein.
„Na, wer denn sonst!“ „Aber das ist unmöglich.“ Kim setzte sich auf und
knipste die kleine Lampe an, die neben dem Sofa stand. Die geschmückte Tanne
warf einen gewaltigen Schatten an die Decke, als neige sich ein Ungeheuer über
ihn. Er schauderte. „Wo bist du?“ Er suchte den Raum nach dem pelzigen
Rattendrachen ab. „Na hier!“ Ein Rascheln erklang, gepaart mit einem feinen
Klingeln. Kim starrte zum Weihnachtsbaum hinüber. Die Perlenketten und Glocken
bewegten sich sacht, als würde ein Windhauch durch die Äste streichen. An
einem der unteren Zweige hing die bemalte Kugel von Finn. Kleine Flügel und
ein selbstgebastelter Drachenschwanz steckten in dem Styropor. Das bemalte
Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. „Endlich hast du mich
entdeckt.“ Kim wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Jetzt
halluzinierte er auch noch. Dieser Likör war das reinste Teufelszeug. Den fass
ich nie wieder an, schoss es ihm durch den Kopf. Mit Schrecken bemerkte er,
dass sich auch die anderen Kugeln verändert hatten. Alle starrten ihn an.
Lediglich Florians Kugel hatte sich nicht verändert. Sie wirkte noch so
griesgrämig, wie zuvor. „Das ist alles nur ein Traum!“ Er schloss die Augen
und schüttelte den Kopf. „Das passiert nicht wirklich.“ „Wie ungewohnt hier
herumzuhängen …“ Finn überhörte seine Litanei. Er bewegte probeweise die
Flügel, doch schon im nächsten Moment fiel der breite Drachenschwanz aus
Papier ab. Mit einem unverständlichen Fluch drehte er sich und blickte zu den
Zweigen hinab, die sein Hinterteil aufgefangen hatten. „Er ist abgefallen! Was
für eine stümperhafte Arbeit! Steck ihn mir sofort wieder an!“ „Jetzt prob’
hier nicht so einen Aufstand!“, mischte sich die Kugel neben Finn ein. Sie
zeigte das Gesicht des Magiers Annatar. Die weiße Haarsträhne, die Kim noch
vor wenigen Stunden über das linke Auge seines Rollenspielcharakters gemalt
hatte, war nach hinten gekämmt. „Du weckst noch den ganzen Baum.“ „Da
kommst du zu spät“, erwiderte jemand. Kim konnte nicht sehen, welche Kugel
jetzt sprach. „Genau. Dieses Geschreie würde jeden aufwecken.“ „Könnt
ihr nicht streiten, ohne ein Erdbeben auszulösen?“, hallte ein Protestruf von
weiter oben. „Wenn mir die Flügel abfallen, ist das eure Schuld.“ Eine
wilde Diskussion entbrannte. Kim starrte mit einer Mischung aus Neugier,
Entsetzen und Unglauben zu den lebendig gewordenen Weihnachtskugeln. Das
konnte unmöglich wirklich passieren! Ob er die Streitgespräche ausblenden
konnte, wenn er die Wolldecke über den Kopf zog? Vielleicht schlief er und
träumte nur? Er zwickte sich testweise in den Oberarm. „Du hast schon
wieder gekniffen“, sagte eine wohlbekannte Stimme, als sich die Kugeln
beruhigt hatten. „Dabei bin ich extra früher gegangen.“ „Chris …“ Kim schob
die Decke von sich, rappelte sich auf und trat vor den Weihnachtsbaum. Die
Kugel seines Freundes hing hinter einem Zweigen und einigen Lamettafäden.
„Du bist ein Feigling.“ „Bin ich nicht“, protestierte Kim. „Ich wollte es
ihm ja sagen …“ „Aber du hast es nicht getan“, ergänzte die Kugel von Olli,
der bereits seit Jahren von seinen Gefühlen für Florian wusste. „Stattdessen
lässt du dich volllaufen.“ „Ich wollte mir nur Mut antrinken.“ „Das hat
ja prima funktioniert“, warf Finn ein. Noch immer sah er zu dem Drachenschwanz
hinab. „In Anbetracht der Tatsache, dass Florian Betrunkene nicht ausstehen
kann, war diese Aktion einfach absolut unnütz und dumm.“ Ollis aufgesteckter
Iro leuchtete für einen Moment im Schein der Lampe giftgrün, dann verschwand
die Kugel wieder im Schatten. Kim seufzte und ließ den Kopf hängen. Olli
hatte Recht. Mit seiner Aktion hatte er es sich gründlich versaut. Ein
Liebesgeständnis kam gar nicht mehr in Frage. „Ich weiß, was dir durch den
Kopf geht. Aber noch ist nichts verloren.“ Chris funkelte ihn auffordernd an.
„Geh zu ihm und sag’ ihm was du empfindest.“ „Bist du verrückt geworden?“
Kim schüttelte energisch den Kopf. „Wenn ich ihn mitten in der Nacht
überfalle, hält er mich für total durchgeknallt.“ „Tut er das nicht sowieso
schon?“, murmelte der Rattendrache grinsend. „Das ist etwas anderes. Ich
habe keine Lust mich komplett lächerlich zu machen. Am Ende fasst er alles als
schlechten Scherz auf und schmeißt mich aus der Wohnung.“ „Aber das ist
deine Chance“, sagte Olli. „Und du lässt sie ungenutzt verstreichen.“ „Es
werden neue kommen.“ „Du suchst nur nach Ausreden“, warf ihm Annatar vor.
„Genau, beweg dich endlich, du Feigling!“, stimmte Chris zu. „Ich hab mich auf
deine Bitte hin abgeseilt, ansonsten hätte ich Zoe zu unserer Weihnachtsfeier
mitgebracht. Wenn du jetzt den Schwanz einziehst werde ich Florian erzählen,
wie der Hase läuft.“ Einmal mehr plapperten alle durcheinander. Der Baum
schwang hin und her, als die Kugeln versuchten einander zu übertönen. Von
einem Aufschrei begleitet, segelte ein Flügelpaar aus Papier herab. Eine
andere rutschte gänzlich von ihrem Platz und fiel ein Stück weit hinunter, bis
sie von einem Zweig aufgefangen wurde. Allmählich bekam Kim Kopfschmerzen
von den schrillen Stimmen der Kugeln. Sie waren der Meinung, dass er sich ein
Herz fassen sollte. Als wenn das so einfach wäre! „Jetzt seid endlich
still“, herrschte Kim sie an. Seine Stimme überschlug sich. Augenblicklich
kehrte Ruhe ein. Alle Blicke richteten sich auf ihn. „Ihr stellt euch das so
einfach vor, aber das ist es nicht. Wir reden hier immerhin von Florian. Ich
weiß nicht mal, ob er überhaupt schwul ist. Soll ich ihn einfach küssen, ihm
meine Liebe gestehen und ihn damit um den Schlaf bringen?“ „In einer
anderen Reihenfolge würde das mehr Sinn ergeben.“ Kims Herz setzte einen
Schlag aus. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. In seinem Kopf breitete sich
gähnende Leere aus. Zum ersten Mal in seinem Leben wusste er nicht, was er
sagen sollte. Schließlich überwand er die Schockstarre, in die er gefallen war
und drehte sich um. Florian stand im Türrahmen, die Arme vor der Brust
verschränkt. Sein langes, schwarzes Haar fiel offen über seine Schultern und
umrahmte sein schmales Gesicht. In seinen grauen Augen lag ein spöttischer
Ausdruck. Kim überlegte fieberhaft, wie er sich aus der Affäre ziehen
konnte. Entweder tat er seine Worte als Scherz ab und ersparte sich damit
weitere peinliche Fragen oder er sagte Florian die Wahrheit und brachte es
endlich hinter sich. Seine Gedanken rasten – erzählen oder nicht? Kim war sich
sicher, dass Florian in der momentanen Situation ein Liebesgeständnis auf den
Alkohol schieben würde. Immerhin hatte er sich mit Weihnachtskugeln
unterhalten. Aber er wollte nicht als Feigling dastehen … „Wie ungewohnt
dich sprachlos zu sehen. Soll ich dir helfen?“ Florians Blick huschte zu dem
Weihnachtsbaum, aus dem kein einziges Wort mehr erklang. „Wie wäre es mit der
Frage, wie lange ich hier schon stehe?“ Kim nickte automatisch. Er war
froh, dass Florian das Ruder in die Hand nahm. So blieb ihm noch eine kurze
Gnadenfrist, um sich zu entscheiden. „Seitdem du vom Sofa gesprungen bist
und dich mit dem Baum unterhalten hast.“ Er warf ihm einen undeutbaren Blick
zu und schüttelte den Kopf. „Ich wusste gar nicht, dass du Selbstgespräche
führst.“ „Tu ich nicht!“ Kim ballte die Hände zu Fäusten. Er sah
hilfesuchend zu den Styroporkugeln, doch diese waren so leblos, wie zuvor.
Schamesröte stieg ihm ins Gesicht, als er bemerkte, wie lächerlich er sich
benahm. Erwartete er ernsthaft, dass ihm die Kugeln halfen? Florian
grinste. Er betrat das Wohnzimmer, umrundete den Esstisch und kam direkt auf
ihn zu. Kim zwang sich dem forschenden Blick seines Freundes standzuhalten.
„Ich liebe dich“, sprudelte es aus ihm heraus. Ohne Luft zu holen, fuhr er
fort: „Ich habe mich in dich verliebt, als wir zusammen in eine Klasse kamen.
Ich kann mir denken, dass das überraschend für dich kommt und dass du das
Ganze als Aufhänger nutzen könntest, um mich fertig zu machen, aber …“ „Das
würde ich nie tun“, fiel ihm Florian verärgert ins Wort. „Denkst du wirklich,
ich würde mich über die Gefühle anderer lustig machen?“ Kim zuckte
zusammen. „Tut mir Leid, so war das nicht gemeint.“ Er senkte den Blick und
betrachtete seine nackten Füße. Sein Herz raste und seine Hände waren
schweißnass. „Das will ich hoffen. Manchmal wäre es schön, wenn du über
deine Worte nachdenkst, bevor du den Mund aufmachst.“ Stille trat ein. Er
wusste nicht, was er noch sagen sollte. Nach Florians harscher Zurechtweisung
blieb ihm jede weitere Silbe im Halse stecken. Er fühlte sich schäbig, dass er
seinem Freund solche Dinge unterstellt hatte. „Nun ja …“, murmelte Kim, als er
den bitteren Geschmack auf der Zunge hinunterschluckte. „Jetzt weißt du, was
ich für dich empfinde.“ „Um ehrlich zu sein, habe ich mir so etwas in der
Art schon gedacht.“ Florians Stimme klang ein wenig rauer als sonst, als er
noch einen Schritt auf ihn zutrat. „Chris hat so eine komische Andeutung
gemacht, als er gegangen ist. Er meinte, dein Weihnachtsgeschenk würde mich
umhauen.“ Kim schnappte nach Luft und starrte mit offenem Mund zu Florian.
Seine Gedanken wirbelten durcheinander, als hätte sein Freund einen Sturm
heraufbeschworen. Er konnte überhaupt nicht mehr klar denken. Seine Beine
fühlten sich wie Gummi an und es kostete ihn alle Mühe sich aufrecht zu
halten. Hitze stieg in ihm auf, doch gleichzeitig fror er. Wenn das jedes Mal
so extrem ist, will ich mich gar nicht mehr verlieben, dachte er. „Mir war
klar, dass er damit nicht diese geschmackvollen Rentiersocken meint, die du
mir geschenkt hast. Auch wenn ich zugeben muss, dass die mich auf eine ganz
andere Art und Weise aus den Latschen gehauen haben.“ Ein Lächeln huschte über
Florians Gesicht. „Aber dann hast du dich betrunken und na ja …“ Kims
Wangen glühten. „Jetzt sag schon was“, zischte Olli ihm zu. Die Kugel war
wieder zum Leben erwacht. Ein Blick zu Florian genügte, um sicher zu sein,
dass nur er die Stimme hörte. „Ich …“ Florian schlang die Arme um ihn
und zog ihn fest an sich. Lange Haarsträhnen kitzelten seine Haut. Heißer Atem
kribbelte in seinem Nacken. Die feinen Härchen richteten sich auf und ein
Schauder wanderte seinen Rücken hinunter. „Also war dieses Geständnis dein
eigentliches Weichnachtsgeschenk?“, raunte Florian in sein Ohr. Kim konnte
beim besten Willen keinen klaren Gedanken fassen. Irrte er sich, oder schlug
Florians Herz genauso schnell wie seines. Bedeutete das etwa …? Kim wagte
nicht, den Gedanken zu beenden. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hatte
er geglaubt, dass Florian seine Gefühle erwidern würde. „Bring ich dich so
aus der Fassung?“ „Ja“, krächzte Kim. Als seine Beine nachzugeben drohten,
erwiderte er die Umarmung und vergrub sein Gesicht in Florians Hemd. Der Duft
von Tabak, Äpfeln und Räucherwerk stieg ihm in die Nase. Kim wusste nicht,
wie lange sie sich umarmten. Er lauschte Florians pochendem Herzen und genoss
die federleichten Berührungen seiner Finger, die Bahnen auf seiner Haut zogen.
Schließlich hob Florian sein Kinn an und küsste ihn. „Was?“ Mit weit
aufgerissenen Augen starrte er zu Florian. „Wie was?“, fragte Florian und
zog ihn in eine besitzergreifende Umarmung. Ohne auf eine Antwort zu warten,
küsste er ihn erneut. Dieses Mal schrak er nicht zurück. Gierig erwiderte er
den Kuss und öffnete bereitwillig seine Lippen. Florian schmeckte nach Minze
und Tabak. Kim störte sich nicht daran. Er genoss es, wie sich ihr Atem
vermischte. Schließlich ließ Kim keuchend von ihm ab. Sein ganzer Körper
war elektrisiert. In seinem Magen flatterte ein Schwarm Schmetterlinge.
Florian schenkte ihm einen Blick, den er noch nie gesehen hatte. Sofort spürte
er ein warmes Ziehen in seiner Lendengegend. „Ich denke, du solltest heute
Nacht nicht alleine schlafen“, hauchte Florian ihm ins Ohr. Seine Finger
strichen behutsam über seine Wirbelsäule. Kim biss sich auf die Unterlippe,
um ein Aufstöhnen zu unterdrücken. Er sah Florian tief in die Augen und
nickte. Was auch immer heute Nacht noch passieren würde, er war bereit.
„Hab ich es dir nicht gleich gesagt“, flüsterte Olli und lachte leise. „Das
hättest du kleiner Feigling schon viel früher haben können.“ Kim bedankte
sich wortlos bei Olli und Chris. Morgen früh würde er sie anrufen und ihnen
alles erzählen. Ein weiterer, fordernder Kuss vertrieb den Gedanken. „Hey,
hefte mir wenigstens meinen Schwanz wieder an!“, rief Finn. „Ich denke in
meinem Schlafzimmer wird es wesentlich ruhiger sein, als hier“, raunte Florian
und warf dem Weihnachtsbaum einen kurzen Blick zu. „Ich habe das Gefühl, hier
gibt es zuviel, was dich ablenkt.“ Noch bevor Kim über diese Worte nachdenken
konnte, ergriff Florian seine Hand, und zog ihn hinter sich her. Finn würde
bis morgen warten müssen.
Juliane Seidel
Juliane Seidel wurde 1983 in Suhl/ Thüringen
geboren und zog für ihr Studium, Fachrichtung Wirtschaftsinformatik, nach
Gera. Dort studierte sie an der Berufsakademie drei Jahre lang. Zu ihren
Praxisphasen reiste sie nach Erfurt, Fulda und Darmstadt. In dieser Zeit zog
sie kurzfristig nach Mainz, um einige Monate später nach Wiesbaden
umzusiedeln. Die Kur- und Landeshauptstadt Hessens gefiel ihr so gut, dass sie
noch heute dort wohnt. Seit mehreren Jahren arbeitet sie als
Dokumentationsassistentin in Offenbach, programmiert nebenberuflich
Internetseiten, schreibt Kinder- und Jugendbücher und zeichnet
leidenschaftlich gern.
Die Künstlerin über sich:
Ich war seit jeher ein Künstler mit allen Sinnen,
so dass ich in meinem Leben vieles ausprobiert habe, von der Musik über das
Schreiben bis hin zum Zeichnen.
Im Alter von 14 Jahren hatte ich richtig mit dem
Schreiben begonnen, um den Stress ein wenig zu kompensieren, den die Schule
und später das Studium mit sich brachten. Ich entdeckte zudem das Zeichnen und
Illustrieren für mich und noch heute gebe ich mich diesem Hobby hin. Unter dem
Namen Vee-Jas arbeite ich heute mit Tanja Meurer zusammen für kleinere und
größere Verlage, designe Buchcover und Internetseiten und schreibe Bücher für
Kinder und Jugendliche. Zudem betreue ich seit knapp 10 Jahren "Like a Dream".
Weitere Informationen
findet ihr unter:
www.juliane-seidel.de
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