"Teddybär
und Mistelzweig" von Juliane Seidel
(Genre:
Romance, Comedy)
Teoma
hasste den Winter und die damit einhergehende Kälte. In Kombination mit der kühlen
Wintersonne konnte er sich nichts Schlimmeres vorstellen, da der Schnee die
Strahlen in einer Intensität reflektierten, dass ihm die Augen schmerzten.
Wenn sich dann noch das Weihnachtsfest ankündigte und die Wiesbadener
begannen ihre Fenster, Balkone und Gärten festlich zu schmücken, schien für
ihn die Hölle auf Erden auszubrechen. Von allen Seiten konnte er blinkende
Sterne, aufgehängte Lichterketten und seltsame Weihnachtsmänner sehen, die
seiner Meinung nach Ausdruck eines immens schlechten Geschmackes waren.
Umso
schlimmer war es für ihn, als sich Lionare von dem bunten Treiben anstecken
ließ und die gemeinsame Wohnung in ein hell erleuchtetes Weihnachtsparadies
verwandelte. Sein Partner ließ sich nicht von Teomas offenen Missgefallen
ablenken und es kostete ihn etliche Mühe Lionare davon abzuhalten auch noch
sein Zimmer zu schmücken.
„Du
bist ein echter Weihnachtsmuffel“, murmelte Lionare leise und räumte den grässlichen
Weihnachtsmann direkt neben die Zimmertür Teomas. „Wenigsten an Heiligabend
könntest du dich ein wenig zusammenreißen!“
„Tut
mir Leid, aber ich kann mit dem ganzen Kitsch nichts anfangen!“, konterte
Teoma und rollte mit den Augen, als er die seltsame Figur genauer betrachtete.
Er hatte schon viele Weihnachtsmannfiguren gesehen, doch diese stellte
wirklich alles in den Schatten. War sie aus Plastik oder warum wirkte sie so künstlich?
Zumindest ein wenig mehr Geschmack hatte er Lionare zugetraut. „Ich weiß
nicht einmal, was das darstellen soll“, fügte er mit einer Handbewegung auf
den Weihnachtsmann hinzu.
„Das
solltest sogar du erkennen können.“
„Wieso
feiern wir das überhaupt? Ist ja schön und gut sich den Menschen anzupassen,
immerhin ist das ja auch unsere Aufgabe, aber du übertreibst maßlos. Wir
stammen nicht von hier und ich bezweifle, dass du im Himmel wirklich
Weihnachten gefeiert hast!“ Teoma spürte, wie sehr Lionare diese Worte
trafen, auch wenn er nicht genau wusste, was genau seinen Freund verletzt
hatte. Sie waren nur für die Suche nach dem Medium überhaupt in die
Menschenwelt geschickt worden und nicht um solchen lächerlichen Gebräuchen
Folge zu leisen. Es war schon seltsam genug, dass ein Dämon wie er mit einem
Engel zusammenarbeiten musste, doch diese Mission war wichtig und nur sie
konnten sie bewältigen.
„Du
bist manchmal ein wirklich unsensibler Klotz!“, fauchte Lionare und wischte
sich mit einer flüchtigen Handbewegung die störenden blonden Haare aus dem
Gesicht. Teoma starrte ihn an und versuchte automatisch die Gedanken seines
Partners zu lesen. Doch der Engel hatte seinen Schutzwall aufgebaut und Teoma
gelang es nicht einmal einen Hauch der Gefühlswelt Lionares zu erhaschen.
„Verflucht!“,
schoss es Teoma durch den Kopf. Er wandte das Gesicht ab, obgleich er wusste,
dass dies einer Niederlage gleich kam. Er ärgerte sich für einen Moment über
seine Schwäche. Seitdem er mit Lionare in dieser engen Wohnung lebte und sich
ihre ganzen Bemühungen das Medium zu finden als erfolglos herausgestellt
hatten, war er vielleicht doch ein wenig zu reizbar.
„Ich
glaube du solltest gehen“, sagte Lionare in einem Tonfall, den Teoma noch
nie seitens Lionares gehört hatte. „Momentan ist es vielleicht eine gute
Idee, wenn du dein heißes Gemüt im Schnee abkühlen gehst!“
„Das
ist nicht dein Ernst“, begehrte Teoma auf. „Du schmeißt mich nicht raus,
nur weil ich der Meinung bin, dass du diese Wohnung in eine vorweihnachtliche
Hölle verwandest.“
„Ach
tu ich das?“
„Ja,
allein diese absolut lächerlichen Figuren! Du bist ein Engel, aber ganz
bestimmt keiner der hier auf Erden Weihnachtsgeschenke bringt.“ Teoma hatte
keine Lust mehr sich zurückzuhalten. Er kochte innerlich und ignorierte seine
warnende innere Stimme. „Und selbst dann bin ich immer noch ein Dämon und
wenn ich mit Rashid überhaupt über dieses seltsame Fest gesprochen habe,
dann haben wir uns eher darüber lustig gemacht. Ich finde Weihnachten lächerlich.
Was wird denn gefeiert? Die Geburt eines Menschen, der irgendwann einmal…“
Er verstummte, als er Lionares blitzende blaue Augen sah. Jetzt war sein
Partner wütend und Teoma spürte diesen Zorn mit einer Wucht die ihn fast
taumeln ließ. Der Engel nutzte seine Schwäche schamlos aus, griff nach dem
dunklen Mantel Teomas und schob ihn unerwartet barsch nach draußen.
Geräuschvoll
fiel die Wohnungstür hinter Teoma ins Schloss und ließ einen überrumpelten
Dämon zurück. Das durfte doch nicht wahr sein! War Lionare jetzt gänzlich
durchgedreht? Hatten sie nichts Wichtigeres zu tun? „Na schön!“,
schnaubte er und musste sich zurückhalten, um nicht gegen die einfache Holztür
zu treten. Womöglich hätte diese seinen Tritt nicht so einfach überstanden.
„Dann suche ich jetzt alleine nach ihm und wenn ich ihn finde, kannst du dir
schon mal eine Entschuldigung zurecht legen!“
Ohne
auf eine Antwort zu warten zog er sich den Mantel über und polterte er die
Treppe hinunter. Es war schneidend kalt, als er die Haustür öffnete und nach
draußen trat. Ein frischer Wind umwehte seine Nase und sofort zog er den
Mantel fester um sich. Wie er diese Kälte hasste! In seiner Heimat Caligo war
es immer warm und dunkel. Licht gab es nicht, da selbst die Leuchter in
Rashids Palast dunklen Flammen Platz gaben und die Gänge in flackernde Schwärze
und Schatten hüllten. Teoma konnte dieses seltsame Zwielicht auf der Erde
nicht ausstehen. Selbst in einer tiefen, mondlosen Nacht war es niemals so
dunkel, wie er es aus seiner Heimat kannte. Seine Augen brannten wegen dieser
Lichtverhältnisse fast schon pausenlos und je länger dieser Aufenthalt
dauerte, umso schwächer fühlte er sich. Warum konnte sich niemand anderes um
diesen verrückten Engel und diese sinnlose Suche kümmern? Er hatte genug!
Am
liebsten wäre er sofort nach Caligo zurückgekehrt, doch er schüttelte rasch
die Gedanken ab. Rashid wäre über eine Rückkehr nicht erfreut und er hatte
nicht vor, nach dem kurzen Streit mit Lionare auch noch seinem Lehrmeister
gegenüber zu stehen.
Verärgert
lenkte er seine Schritte Richtung Innenstadt. Die Straßen waren verschneit
und überraschend menschenleer. Vielleicht lag es daran, dass heute
Heiligabend war und die Menschen wahrscheinlich daheim vor ihren Tannenbäumen
saßen, Weihnachtslieder sangen und sich kitschige Geschenke überreichten. Er
knirschte mit den Zähnen, als er daran dachte, dass Lionare ebenfalls solch
ein windschiefes Ding im Wohnzimmer aufgestellt und geschmückt hatte. Teoma
wurde sogar das Gefühl nicht los, dass Lionare für ihn ebenfalls ein
Geschenk bereit hielt. Dennoch war der Engel dieses Mal einfach zu weit
gegangen. Konnte er nicht akzeptieren, dass er keinerlei Interesse für dieses
Fest hatte? Wieso musste Lionare sich auch mit ihm anlegen?
Er
erreichte die Innenstadt, die ebenso leergefegt war wie die Straßen. Es war
ein unheimliches Gefühl durch das verlassene Zentrum Wiesbadens zu stromern.
Nur wenige Menschen liefen ihm über den Weg, zumeist waren er Pärchen. Zudem
folgten Teoma neugierige Blicke, die er jedoch ignorierte. Wahrscheinlich
fanden sie sein langes, schwarzes Haar seltsam, das ihm bis zur Hüfte fiel
und wie ein Mantel hinter Teoma herwehte. Schließlich band er sich die Strähnen
flüchtig zusammen und steuerte auf den geschlossenen Weihnachtsmarkt zu. Die
Buden waren noch da, ebenso wie die blütenähnlichen Gebilde, aus Draht und
Lampen, die wohl Sternschnuppen darstellten sollten. Jetzt wo sie
ausgeschaltet waren, gaben sie zusammen mit den verlassenen Ständen dem Platz
vor der Marktkirche eine trostlose Atmosphäre. In ein paar Tagen würde hier
die Normalität wieder Einzug halten. Wie sie Teoma auf diesen Moment freute!
„Sie
sehen aus, als hätten Sie in eine Zitrone gebissen!“, holte eine Stimme
Teoma aus seinen Gedanken. Er sah sich um und entdeckte einen Jungen, der vor
einer Bude stand und versuchte einen seltsamen Zweig, der zur Deko am Rand des
Daches befestigt war, herunter zu holen. Seine bunten Haare leuchteten für
einen Moment in allen Farben und sein breites Gesicht war vor Anstrengung gerötet.
Widerwillig gab er auf und drehte sich gänzlich zu Teoma um. Er war
vielleicht vierzehn und ging dem Dämon gerade einmal bis zur Brust. Ein elend
langer grünvioletter Schal war mehrfach um seinen Hals gewickelt und verlieh
den Eindruck der Kopf würde direkt in den Körper übergehen. Seine schwarze,
mit Buttons verzierte Lederjacke war eindeutig zu groß und die Stiefel nur
los zugebunden.
Teoma
schüttelte den Kopf und wollte sich schon umdrehen, als ihn die kindliche
Stimme des Jungen zurückrief. „Warten Sie! Könnten Sie mir helfen?“
Braune Augen blickten flehend zu ihm und Teoma seufzte. Er gab sich einen Ruck
und kam zu dem Punk hinüber. Jetzt entdeckte er auch einen riesigen Rucksack
und ein paar Geschenke, die aus ihm herausquollen.
„Wobei
denn?“, fragte Teoma gelangweilt.
„Na,
ich will den Mistelzweig da oben haben.“ Er deutete nach oben und Teoma
folgte dem Fingerzeig. Ein paar dürre Zweige mit grünen Blättchen und weißen,
runden Früchten waren das Ziel des jungen Mannes. „Sie sind doch groß. Für
sie ist es eine Leichtigkeit sie herunterzuholen.“
„Was
willst du denn mit dem Gestrüpp anfangen?“
„Das
ist kein Gestrüpp!“, erwiderte der Junge. Seine Augen funkelten, dann
blickte er ungläubig. „Sie wissen doch wohl, was ein Mistelzweig ist,
oder?“
Teoma
gab sich nicht die Mühe zu schauspielern. Er schüttelte den Kopf. „Nein,
ich komme nicht aus der Gegend.“
„Dann
müssen Sie ja vom Mond kommen. Jeder kennt doch den Brauch mit dem
Mistelzweig!“, fuhr der Junge fort. „Wenn man zusammen mit einer anderen
Person unter einem Mistelzweig steht, muss man sich küssen.“
Teoma
schaute verdutzt zu ihm hinunter und schwieg. Was für ein idiotischer Brauch
war das denn? „Bist du dafür nicht zu jung?“
„Ich
bin fast fünfzehn und damit alt genug, um zu küssen.“
Der
Dämon runzelte die Stirn. Anhand der Körpergröße und des runden Gesichts hätte
er den Jungen auf maximal zwölf geschätzt. „Aha, aber wir stehen jetzt
auch beide unter dem Zweig und ich bezweifle, dass du mich küssen willst!“,
fügte Teoma spöttisch hinzu. Er grinste. Seine Anspannung war verschwunden
und sogar sein Zorn auf Lionare verrauchte allmählich. Er sah wieder zu dem
Zweig hinauf. Von allen Weihnachtsbräuchen war dieser eindeutig der
seltsamste, aber gleichzeitig auch der interessanteste.
„Das
macht man natürlich nur bei der Person, die man liebt!“, entgegnete der
Junge. „Und ich habe da schon jemanden im Visier, deswegen brauche ich die
Zweige.“
„Wie
heißt du überhaupt?“, wollte Teoma wissen.
„Kim,
und Sie?“
Teoma
blieb ihm die Antwort schuldig und zuckte mit den Schultern. „Also hast du
ein Mädchen, das du unter den Zweig locken willst, um sie zu küssen?“,
fragte er stattdessen. Er schielte aus den Augenwinkeln zu Kim hinunter, der
plötzlich noch röter wurde.
„So
in der Art…“, wich er der Antwort aus.
„Aha“,
flüsterte Teoma. „Und diesen Brauch willst du für dich nutzen, um deine
Liebe für dich zu gewinnen?“ Der Dämon war von sich selbst überrascht.
Normalerweise hätte er nicht so schnell ein solches Gespräch mit einem
Menschen angefangen, doch der Junge weckte sein Interesse. Die wenigen Sätze,
die sie miteinander gewechselt hatten, sorgten dafür, dass Teoma seine innere
Ruhe wiederfand. Er musterte Kim eine Weile. Seine braunen Augen wirkten wild
entschlossen und er stemmte schließlich die Hände in die Hüften.
„Helfen
Sie mir nun?“, fragte er, anstatt die Fragen Teomas zu beantworten.
„Was
bekomme ich denn dafür?“
„Wie
bitte? Es ist Heiligabend, der Tag, an dem man Menschen in Not hilft!“
„Also
um ehrlich zu sein, siehst du jetzt nicht so notleidend aus.“
Kim
blies die Backen aus und wirkte fast wie ein Schneemann. Teoma musste sich mühsam
das Lachen verkneifen.
„Sie
sind wirklich unfreundlich und machen sich dann auch noch über mich
lustig!“ Im nächsten Moment spürte Teoma, wie er barsch zur Seite gedrückt
wurde. Kim stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte sich so weit er
konnte nach oben. Dennoch fehlten ihm noch einige Zentimeter um den untersten
Zweig auch nur zu streifen.
„Du
bist zu klein dafür“, mischte sich Teoma ein. „Solltest du nicht besser
nach Hause gehen und Weihnachten feiern?“
„Das
will ich ja, aber nur mit dem Mistelzweig. Florian soll mit mir unter dem
Zweig stehen, damit ich ihn endlich küssen kann!“
Ein
Junge? Der Kleine wollte gar kein Mädchen für sich gewinnen, sondern einen
anderen Jungen? Teoma wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Bisher
hatte er sich nicht einmal darüber Gedanken gemacht, ob es unter den Menschen
auch solche gab, die eher ihr eigenes Geschlecht liebten. Zudem war die Liebe
wirklich eine seltsame Sache. Sie konnte höchste Euphorie, Glück und Frieden
herbeiführen, aber auch Schmerz, Trauer und sogar den Tod. Kein menschliches
Gefühl war so stark und gab den Menschen soviel Kraft. Teoma fand das alles
unheimlich kitschig und er fühlte sich an einen der schlechten Liebesromane
erinnerte, die er gelesen hatte, um die Sprache schneller zu lernen.
Nachdenklich beobachtete er die Bemühungen des Jungen weiter und fragte sich,
was wohl aus seiner Euphorie werden würde, wenn Kims Angebeteter seinem nicht
nachkommen würde.
„Und
wenn er sich nicht küssen lassen will?“, fragte Teoma schließlich.
„Dann
hab ich es wenigstens versucht!“, gab Kim zurück, ließ aber die Arme
sinken. „Irgendwann muss ich doch mal den ersten Schritt gehen und wenn es
schief geht, kann ich es immer noch als Scherz deklarieren.“
„Und
das würde alles besser machen?“, fragte Teoma. „Ist es nicht eher so,
dass du dich dann damit selbst verletzt.“
„Na
und? Besser als ewig zu schweigen.“ Der Blick des Jungen streifte Teoma.
Eine vorwitzige rote Haarsträhne fiel ihm direkt vor die Augen. Teoma musste
zugeben, dass seine Achtung vor Kim wuchs. Er war vielleicht jung, doch er
hatte bereits ein festes Ziel im Leben, von dem er sich nicht abbringen lassen
würde.
Vielleicht
war es diese Entschlossenheit, die in den braunen Augen blitzte, vielleicht
waren es auch die energischen Worte, die Teoma dazu veranlassten die Hand
auszustrecken und den Zweig vom Dach der Bude zu pflücken. Ein Blick zur
Seite verriet ihm, dass Kim ihn mit großen Augen beobachtete.
„Sie
sind ja doch kein böser Mensch!“, rief er aus, als Teoma ihm den
Mistelzweig in die Hände drückte.
Teoma
schnaubte und verkniff sich einen Kommentar. Er war kein Mensch! Am liebsten hätte
er den Zweig wieder zurück gehangen, doch Kim hatte sich mit seiner Beute
schon abgewandt und verstaute sie vorsichtig in seinem Rucksack. „Bist du
jetzt zufrieden?“
„Ja,
und Sie? Ist es nicht ein schönes Gefühl, etwas Gutes getan zu haben?“ Kim
lachte zufrieden und strahlte übers ganze Gesicht. „Vielen Dank. Wenn es
klappt und Florian mit mir zusammen kommt, werde ich es Ihnen auf jeden Fall
sagen!“
Teoma
nickte brummelnd. Es wurde Zeit, dass er sich auf den Weg machte. Ein Blick
auf die Kirchturmuhr verriet ihm, dass es bald dunkel werden würde. Es würde
das Beste sein, sich bei Lionare zu entschuldigen und vielleicht doch einen
halbwegs friedlichen Abend mit ihm zu verbringen.
„Warten
Sie!“, rief in Kim zurück. Wieder verharrte Teoma und sah zu ihm. Kim hatte
sich den schweren Rucksack über sie Schulter geworfen und lief ihm hinter
her. „Wohin gehen Sie jetzt? Ich habe mich schon vorhin gefragt, warum sie
an Weihnachten ganz allein durch die Stadt laufen. Ist das nicht trostlos?
Haben Sie niemanden, mit dem Sie feiern können?“ Er plapperte munter
weiter, ohne dass Teoma auch nur eine der vielen Fragen beantworten konnte.
Wie selbstverständlich lief Kim neben ihm her. „Wenn Sie wollen, können
Sie mit meinen Freunden und mir feiern.“
„Nun
mal langsam. Dazu besteht gar kein Anlass“, wehrte Teoma ab.
„Ach
so… dann gehen sie bestimmt nach Hause, oder? Aber dort wartet doch
hoffentlich jemand auf Sie.“
„Naja,
ob er wartet, kann ich nicht sagen, immerhin hat er mich ja
rausgeschmissen“, murmelte Teoma und ärgerte sich, dass er dies
ausgerechnet einem fremden Jungen erzählte.
„Sie
haben sich gestritten? An Weihnachten?“, fragte Kim ungläubig. Er wischte
sich mit den Fingern über die Augen und schob sich die Haare zur Seite.
„Das ist aber nicht schön. An Heiligabend sollte man sich nicht
streiten.“
„Na
hör mal, das war seine Schuld, nicht meine!“, brauste Teoma auf.
„Schon
gar nicht mit seinem Liebsten!“, fuhr er fort, als hätte er Teomas Antwort
gar nicht gehört.
Die
folgenden Worte blieben dem Dämon im Hals stecken. Wie um alles in der Welt
kam der Junge nur auf den Gedanken, dass Lionare sein Liebster war? Sie waren
Partner und mussten zusammenarbeiten, so lange ihre Mission andauerte, aber
von einer menschlichen Beziehung oder gar Liebe konnte keine Rede sein.
Kim
deutete sein Schweigen falsch. „Ich hab also Recht! Sie haben sich mit ihrem
Freund gestritten. Und dich dachte schon, ich hab Sie vorhin erschreckt, weil
ich gesagt habe, dass ich mich in einen Jungen verliebt habe. Aber wenn sie
auch schwul sind, können Sie mir vielleicht…“
„Moment“,
unterbrach Teoma ihn. Er war stehen geblieben und schüttelte energisch den
Kopf. „Um das klarzustellen, Lionare ist nicht mein Freund!“
„Was
für ein seltsamer Name“, sagte Kim und sah ihn aus großen Augen an.
Teoma
fluchte innerlich. Seine ganze Tarnung drohte aufzufliegen, weil dieser Junge
einfach die unmöglichsten Vermutungen anstellte! Wieso nur warf ihn dieser
Kommentar so aus der Bahn? Er dachte an Lionare, seine schmale Gestalt und
dieses Gesicht, das seinem so ähnlich war. Der Engel hatte dieselben hohen
Wangenknochen, dieselben fein geschnittenen Züge und die gleichen weichen,
vollen Lippen. Teomas Herz setzte für eine Sekunde aus, als er an die blauen
Augen und das leicht gewellte Haar dachte, das Lionare ins Gesicht fiel. Was für
ein seltsames Gefühl war das nur? Das kurze Gespräch mit diesem Jungen
sorgte dafür, dass Teoma sich selbst nicht mehr verstand.
„Irgendwie
habe ich das Gefühl, dass Sie das hier gut brauchen könnten!“, riss ihn
Kim aus seinen Gedanken. Er drückte dem verdutzen Teoma einen Teil des
Mistelzweiges in die Hand und dazu einen seltsamen Teddybären mit zu großer
Nase und einem bunten Schal. „Sie sehen für mich so aus, als hätten Sie
den Zweig auch notwendig.“
Teoma
war zu verwirrt um zu antworten.
„Der
Bär war eigentlich für Florian, aber ich will ihn den Dicken als Dankeschön
geben, weil Sie mir mit dem Mistelzweig geholfen haben.“ Er grinste breit
und schulterte seine Rücksack wieder. „Ich wünschen Ihnen schöne
Weihnachten und ein paar besinnliche Tage mit ihrem Freund.“
„Moment
mal…“, begann Teoma, doch der Junge winkte ab.
„Schon
in Ordnung, Sie müssen mir nicht danken. Es ist doch Weihnachten, da soll man
einander helfen. Nur ein Tipp von mir – versuchen Sie es mit dem
Mistelzweig, dann werden Sie sich schnell mit ihrem Freund ausgesöhnt
haben!“
Ohne
auf eine Antwort seitens Teoma zu warten, lief der Junge los und verschwand
zwischen den leeren Holzständen. Teoma starrte ihm sprachlos hinterher. Was für
eine seltsame Begegnung war das denn jetzt gewesen? Verwirrt sah er auf den
Zweig in seiner rechten und den Bären in seiner linken Hand. Allein der
Gedanke Lionare unter dem Zweig zu küssen ließ ihm die Röte ins Gesicht
steigen. Er schüttelte grummelnd den Kopf und versuchte die abstrusen
Gedanken loszuwerden; dann machte er sich auf dem Rückweg.
Warme
Luft schlug Teoma entgegen, als er die Wohnungstür öffnete. Erst jetzt wurde
ihm bewusste, wie kalt es draußen gewesen war und dass ihm die Finger vor Kälte
schmerzten. Leise schlich er sich in den dunklen Flur und entledigte sich
seines Mantels. Lionare war in seinem Zimmer am Ende des Flures. Der Dämon
konnte den Lichtschein unter der geschlossenen
Tür sehen.
Unschlüssig
verharrte er im Flur und dachte über Kims Worte nach. Sein Blick fiel auf den
Mistelzweig. Vielleicht sollte er ihn wirklich benutzen. Irgendetwas in ihm
schrie förmlich danach Lionare zu küssen. Noch nie war es ihm so gegangen,
jedoch hatte er sich auch noch nie darüber Gedanken gemacht sich dem Engel
auf diese Art zu nähern. Das Gespräch mit Kim hatte Teomas Gefühlswelt in
Aufruhr versetzt und sein Herz schlug heftig, als er sich einen Ruck gab und
an die Zimmertür seines Partners klopfte.
„Ich
hab schon mitbekommen, dass du wieder da bist“, erklang es gedämpft aus dem
Raum.
„Jetzt
mach schon auf Lionare“, forderte Teoma. Er lauschte und schließlich
glaubte er ein leises Knarren zu hören. Der Engel schien aufzustehen und kam
zur Tür hinüber. Teomas Herz machte einen Sprung und schlug dann doppelt so
schnell weiter. Wie würde er wohl reagieren, wenn er ihn wirklich küsste?
Teoma spürte, wie seine Hände vor Nervosität zu zittern begannen. Würde
sich Kim genauso nervös und unsicher fühlen, wie er jetzt? Immerhin
versprach diese Aktion eine große Änderung mit sich zu bringen.
Teoma
schluckte trocken, als Lionare die Tür öffnete und ihm in die Augen sah.
„Ich
weiß schon, was du sagen willst. Es tut dir Leid, dass du so ruppig warst und
es nicht so gemeint hast, aber du es nicht ändern kannst, da du Weihnachten
nun einmal nicht magst!“, sagte Lionare noch bevor Teoma auch nur den Ansatz
machen konnte, seine Gedanken in Worte zu packen. „Ist in Ordnung, ich habe
es verstanden. Also lass mich einfach in Ruhe, ebenso wie ich dich in Ruhe
lasse!“
Teoma
zögerte nur eine Sekunde, dann folgte er dem drängenden Impuls in seinem
Inneren und ignorierte die Stimme der Vernunft, die sich zeitgleich in ihm
aufbäumte. Er hielt den Mistelzweig über ihn und überbrückte den geringen
Abstand zwischen sich und Lionare. Noch bevor der Engel etwas sagen konnte, küsste
er ihn. Lionare schien viel zu überrascht zu sein, um sich von Teoma zu lösen,
doch er schenkte ihm einen tief verwirrten und irritierten Blick.
Teoma
schloss die Augen und intensivierte den Kuss. Die weichen Lippen des Engels
waren angenehmer, als er es sich vorgestellt hatte. Es war ein sehr angenehmes
Gefühl Lionare zu küssen. In seiner Magengegend kribbelte es und Teoma
genoss dieses plötzliche Gefühl von Schwerelosigkeit. Schließlich erwiderte
Lionare den Kuss und legte die Arme um ihn, um ihn fester an sich zu ziehen.
Wie warm Lionare war! Und wie schnell er mit seinen Lippen die Kälte des
Winters aus seinem Körper vertrieb!
Der
Dämon wusste nicht wie lange sie unter dem Türrahmen standen und sich küssten,
doch als sie voneinander abließen hatte der Dämon längst den Mistelzweig
sinken lassen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und ein Blick auf Lionare genügte,
um sich zu vergewissern, dass es dem Engel genauso ging. Ein leichter
Rotschimmer hatte sich auf die Wangen Lionares gelegt und er musterte Teoma
mit einem verklärten Blick.
Zum
ersten Mal konnte Teoma wieder die Gedanken Lionares lesen. Der Kuss hatte die
Barriere seines Partners niedergerissen und Teoma konnte offen in Lionares Gefühlswelt
lesen wie in einem Buch. Er erkannte, dass Lionares Empfindungen seinen
eigenen nicht ganz unähnlich waren. Ein wenig beschämt lehnte Teoma seinen
Kopf in die Halsbeuge Lionares und atmete tief den süßen Duft seines
Partners ein. Auch Lionare wirkte verlegen, jedoch spürte der Dämon dass in
Lionare dasselbe Begehren angefacht war wie in ihm. Mit bebenden Händen
strich der Engel über Teomas Rücken und spielte mit den langen Haarsträhnen.
Nie hätte Teoma gedacht, dass sich seine Gefühle für Lionare einmal so
umkehren würden, nie erwartet, dass er sich einmal in ihn verlieben würde.
„Du
scheinst doch einen Weihnachtsbrauch zu kennen“, flüsterte Lionare tonlos,
als er seine Sprache wiedergefunden hatte. Er leckte sich kurz über die
Lippen und deutete dann auf den Mistelzweig.
Teoma
wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Die gesamte Situation war ihm plötzlich
peinlich und er starrte auf die Dielen herab. Vielleicht hätte er sich darüber
Gedanken machen sollen, wie er danach mit Lionare umgehen und reden sollte,
anstatt seinem Instinkt zu folgen. Ihm fiel der Teddybär ein, den er immer
noch mit der anderen Hand umklammert hielt und zog ihn hinter seinem Rücken
hervor.
„Schöne
Weihnachten!“, sagte er laut.
Lionare
starrte ihn erschrocken an, dann sah er zu dem Plüschtier, das Teoma noch
immer gegen die Brust des Engels drückte. Teoma konnte den Blick seines
Partners nicht deuten. Die Stille zwischen ihnen ließ ihn immer unsicherer
werden und schließlich schnaubte er. „Du wolltest doch Weihnachten feiern,
oder? Und dazu gehören doch auch Geschenke, oder etwa nicht.“
Die
Miene Lionares hellte sich auf und er lächelte breit. Allein dieses Lächeln
sorgte dafür, dass Teomas Herz wieder schneller schlug. Zum ersten Mal hatte
er das Gefühl das Richtige getan zu haben. Lionare nahm ihm den Bären ab und
betrachtete ihn eine Weile.
„Danke,
Teoma… ich weiß gar nicht was ich sagen soll…“, murmelte Lionare und
sah zwischen dem Teddy und Teoma hin und her.
„Sag
einfach gar nichts“, schlug Teoma vor.
„Es
ist nur…“, begann Lionare und grinste breiter.
„Was?“
„Ich
wusste nicht, dass du so einen schlechten Geschmack hast“, erwiderte Lionare
und lachte dann. „Dieser Bär ist irgendwie… so kitschig, dass es sogar
mir zuviel ist.“
Teoma
blies verärgert die Backen auf. Er kam sich ertappt vor und verfluchte
gedanklich Kim, der ihm dieses Plüschtier in die Arme gedrückt hatte. Doch
das konnte er Lionare unmöglich erzählen, nicht jetzt wo sie sich endlich
ausgesöhnt hatten. „Sagt der mit den Plastikweihnachtsmännern! Du musst
ihn ja nicht behalten…“, fügte er dann hinzu.
„Oh
nein, den werde ich garantiert behalten. Immerhin ist dieser Plüschbär das
erste Geschenk, dass du mir jemals gemacht hast.“ Er neigte sich zu Lionare
und fügte mit einem leisen Flüstern hinzu. „Von dem Kuss einmal abgesehen,
mit dem du mich vollkommen überrascht hast.“
Hitze
breitete sich auf Teomas Wangen auf und noch bevor er etwas auf diese Worte
erwidern konnte, entwand ihm Lionare den Mistelzweig und küsste ihn erneut.
„Ich glaube auf diese Art und Weise gefällt mir sogar irgendwann
Weihnachten…“, murmelte Teoma zwischen zwei Küssen leise und warf dann
alle weiteren Gedanken über Bord, um sich voll und ganz auf Lionare und
dessen weiche Lippen konzentrieren zu können.
Juliane
Seidel:
Juliane
Seidel wurde 1983 in Suhl/ Thüringen geboren und zog für ihr Studium,
Fachrichtung Wirtschaftsinformatik, nach Gera. Dort studierte sie an der
Berufsakademie drei Jahre lang. Zu ihren Praxisphasen reiste sie nach Erfurt,
Fulda und Darmstadt. In dieser Zeit zog sie kurzfristig nach Mainz, um einige
Monate später nach Wiesbaden umzusiedeln. Die Kur- und Landeshauptstadt
Hessens gefiel ihr so gut, dass sie noch heute dort wohnt. Seit mehreren
Jahren arbeitet sie als Dokumentationsassistentin in Offenbach, programmiert
nebenberuflich Internetseiten, schreibt Kinder- und Jugendbücher und zeichnet
leidenschaftlich gern.
Die
Künstlerin über sich:
Ich war seit jeher ein Künstler mit allen Sinnen, so dass ich in meinem Leben
vieles ausprobiert habe, von der Musik über das Schreiben bis hin zum
Zeichnen.
Im Alter von 14 Jahren hatte ich richtig mit dem Schreiben begonnen, um den
Stress ein wenig zu kompensieren, den die Schule und später das Studium mit
sich brachten. Ich entdeckte zudem das Zeichnen und Illustrieren für
mich und noch heute gebe ich mich diesem Hobby hin. Unter dem Namen Vee-Jas
arbeite ich heute mit Tanja Meurer zusammen für kleinere und größere
Verlage, designe Buchcover und Internetseiten und schreibe Bücher für Kinder
und Jugendliche. Zudem betreue ich seit knapp 10 Jahren "Like a
Dream".
Weitere
Informationen findet ihr unter: www.juliane-seidel.de
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