Die Mitte der Welt
Der Roman „Die Mitte der Welt“ erschien bereits 1998 und wurde von Andreas Steinhöfel geschrieben. Es wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und gewann den hochdotierten Preis Buxtehuder Bulle für das beste Jugendbuch. Zudem ist eine Verfilmung in Planung, ein Erscheinungsdatum gibt es für diesen bisher jedoch nicht. Zudem existiert eine indirekte Fortsetzung in Form von „Defenders - Geschichten aus der Mitte der Welt“, in dem man ein Wiedersehen mit einigen Charakteren hat.
Der 17-jährige Phil lebt mit seiner etwas verrückten und überdrehten Mutter Glass und seiner introvertierten Zwillingsschwester Dianne in einem riesigen Landhaus, das ein wenig abseits einer kleinen Provinzstadt liegt. Von dort sehen die Bewohner skeptisch zu der kleinen Familie auf der anderen Seite hinüber, man tuschelt über Glass, ihre offene Lebensart und über die Kinder.
Phils Leben ist dank seiner Mutter und seiner Schwester seltsam, chaotisch und alles andere als geordnet und normal. Glass stürzt sich von einer Männerbeziehung in die nächste, ist daher überhaupt nicht die Bilderbuchmutter, die Phil sich manchmal wünscht. Nur eines hat er von ihr gelernt: „Sei stark, lass dich von niemanden unterkriegen und wehrt euch, wenn euch weh getan wird.“ Seine Zwillingsschwester hat sich über die Jahre hin immer weiter von ihm entfremdet. Dianna spricht mit Tieren, schleicht sich nachts aus dem Haus und für Phil vollkommen unverständlich und fremd geworden. Zudem fehlt der Vater, da Glass mit 18 Jahren allein nach Deutschland kam und dort ihre beiden Kinder zur Welt brachte. Phil hat niemals herausgefunden, wer sich hinter der Nummer 3 auf der Liste verbirgt, die seine Mutter über ihre Liebschaften führt, doch es steht fest, dass diese Person sein und Diannes Vater ist.
Auch Phils Leben ist eine Ansammlung von skurrilen Erlebnissen, die perfekt zu den ungewöhnlichen Menschen stehen, die ihn tagtäglich umgeben. Als Kinder schlugen sich die „Hexenkinder“ Phil und Dianne bei einer Schlacht mit den Stadtkindern, was Dianne eine üble Verletzung beschert; mit Glass und ihre Freundin Tereza stehlen sie den Leichnam von Terezas Vater, um ihn im Garten des Verstorbenen zu begraben.
Lediglich Phils Freundin Kat vermittelt ein wenig Normalität, gleich wenn ihre Freundschaft von Kats Eltern eher missbilligt wird. Als sich Phil in den unerreichbaren Läufer Nicholas verliebt und dieser seine Gefühle erwidert, stürzt er sich Hals über Kopf in eine Beziehung…
Dass Enttäuschungen nicht ausbleiben, ist klar; doch zentraler Dreh- und Angelpunkt ist die Beziehung zwischen den beiden Jungen nicht. Sie wird beiläufig mit in die Geschichte eingewoben, ist jedoch niemals zentraler Diskussionspunkt, sondern gänzlich normal. Sowohl Phil, der seine Homosexualität schon früh erkannte, als auch Glass und sein Umfeld reagieren alles andere als ablehnend.
Wichtiger sind die kleinen Randgeschichten, die Rückblicke in Phils Kindheit und sein bisheriges Leben. So setzt sich nach und nach ein riesiges Puzzle zusammen, das dem Leser erst zum Ende hin einen kompletten Einblick in Phils ungewöhnliches Außenseiterleben ermöglicht. Dass dabei nicht nur Phil als Hauptfigur thematisiert wird, sondern auch jede noch so kleine Nebenfigur eine ungewöhnlich starke und intensive Betrachtung erhält, macht „Die Mitte der Welt“ zu einem sehr tiefgründigen, stillen und starken Buch. Phil ist zu Beginn eher eine schwache Figur, die ein wenig charakterlos erscheint. Das passt jedoch wunderbar, wenn man im Hinterkopf behält, wie er aufgewachsen ist und mit wem er zusammenlebt. Erst zum Ende hin entwickelt sich Phil weiter, wird stärker und trifft eigene Entscheidungen, die ihn reifen und wachsen lassen. Auch andere Figuren reifen mit der Zeit, was viel Spielraum für Konflikte schafft, die der Autor aufgreift und der passend in Szene setzt.
Andreas Steinhöfel hat einen wundervollen, poetischen und sehr ausufernden Stil. Er liebt es sich in Beschreibungen zu verlieren, lässt das Herrenhaus, die Stadt und die Figuren lebendig werden. Als Leser fällt es leicht in dieses zeitlose Buch einzutauchen, das Themen behandelt, die heute noch aktuell sind. Die Geschichte ist vollkommen aus Phils Sicht erzählt und in der Ich-Perspektive verfasst. Andreas Steinhöfel nutzt das Element der Rückblenden sehr dosiert und wohlbedacht, was auch dafür sorgt den Leser neugierig zu machen und bei der Stange zu halten. Jede Nebenfigur hat ihr eigenes kleines Geheimnis und zusammen mit Phil ergründet der Leser nach und nach, was in der Vergangenheit alles passiert ist.
„Die Mitte der Welt“ ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden, das „Sich-Selbst-Erkennen“ und der Akzeptanz und Toleranz Andersartigkeit gegenüber. Dabei ist nicht nur die Homosexualität gemeint, sondern Phils Leben und seine Familie, die so gar nicht zu dem Spießbürgertum der Kleinstadt passen. Zudem
thematisiert Andreas Steinhöfel Vaterlosigkeit, den Wunsch nach Nähe, fehlende Zuwendung, Liebe, Eifersucht und Freundschaft in all ihren Facetten.
Nichtsdestotrotz gelingt es dem Autor hin und wieder lustige Szenen und Elemente, Dialoge und Ereignisse einzuflechten, die zumeist von trockenem Witz begleitet sind. Auch märchenhafte Elemente sind zu finden, bietet doch das verwunschen Herrenhaus sogar dafür Platz und aus Sicht von Kindern erzählt, kann Andreas Steinhöfel auch unheimliche Szenen und Abenteuersequenzen einbauen.
„Die Mitte der Welt“ ist ein herausragendes Buch, das man gelesen haben muss. Andreas Steinhöfel ist ein wunderbares Werk gelungen, das sowohl Familiensaga, als auch Tragikomödie und Entwicklungsroman ist. Dank der vielschichtigen Charaktere, der skurrilen Handlungen und der ungewöhnlichen Erzählweise kann man dieses Buch nicht aus den Händen legen und man fiebert mit Phil und den anderen Charakteren mit. Die Komplexität ist dabei kaum in Worte zu fassen, da man nicht nur die Seitenstränge genau beachten, sondern auch zwischen den Zeilen lesen sollte.
Wer ein gutes Jugendbuch sucht und eine realistische und zugleich außergewöhnliche Geschichte lesen wollte, bei der
Homosexualität zwar behandelt wird, diese aber nicht im Vordergrund steht, sollte unbedingt zugreifen. Auch Leute, die normalerweise nichts mit Homosexualität anfangen können, sollten einen Blick in „Die Mitte der Welt werfen“. Unbedingt zu empfehlen!
Titel:
|
Die Mitte der Welt |
Autor: |
Andreas Steinhöfel |
Genre: |
Coming Out, Alltag,
Drama |
Verlag: |
diverse, Carlsen/ Piper |
Preis: |
8,95 Euro - 12,90 Euro |
ISBN: |
978-3551353153 |
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