Muchacho

Nicaragua, 1976: Gabriel de la Serna ist ein Anwärter für das Priesteramt und zudem Sohn eine einflussreichen und bekannten Mannes Nicaraguas. Der junge Mann gelangt mit dem Priester Joaquin in das entlegene Dschungeldorf San Juan, um dort für die Dorfkirche ein Wandbild zu malen. Der dortige Priester Rubén begrüßt den jungen Künstler herzlich und für die nächsten Monate wird San Juan die Heimat Gabriels sein.
Der Anfang ist nicht einfach für Gabriel, besonders da die Dorfbewohner zumeist Anhänger der Guerilleros sind und genau wissen, wer Gabriels Vater ist. Besonders Diego, ein junger Mann in Gabriels Alter macht ihm das Leben schwer. Zudem ist es nicht leicht ein Bild für die Kirche zu zeichnen, wenn gerade die Menschen dort wenig Sinn für die üblich christlichen Motive haben. Rubén gibt Gabriel den Hinweis die Menschen des Dorfes zu zeichnen und nachdem der erste Widerwille überwunden ist, zeichnet Gabriel die Bewohner in allen Lebenslagen- ob bei der Arbeit, beim Feiern, beim Einkaufen. Sein Skizzenbuch füllt sich tagtäglich und er lernt die Menschen kennen und lieben- ebenso wie sie ihn kennenlernen wird. Das Fresco nimmt Gestalt an und Gabriel entscheidet sich für ein rebellisches Motiv, fernab der üblichen Gestaltung.
Doch Gabriel entdeckt auch, dass Rubén und die Dorfbewohner mit den Guerilleros zusammenarbeiten und Waffen und Medikamente an die Rebellen vermitteln. Als Vargas, Anführer der Guardias, der Armee des Landes, das Dorf durchsucht, finden sie Dank Gabriel nicht die versteckten Waffen für die Rebellen. Der Maler hat sie in seiner Materialkiste versteckt und keiner wagt es an seinen Worten zu zweifeln.
Kurz darauf kommt tatsächlich einer der Rebellen und holt die Waffen ab und erstmalig begegnet Gabriel einem Mann mit blauen Augen, der ihn maßgeblich in seiner finalen Gestaltung des Fresco beeinflusst. Zudem schenkt ihm der Unbekannte ein Feuerzeug, ein zu dieser Zeit verbotener Gegenstand.

 


Das Bild wird ein voller Erfolg. Die Bewohner lieben das Wandbild, doch die Freude währt nur kurz. Als Diego das Skizzenbuch in seine Finger bekommt und erkennt, dass Gabriel vorwiegend ihn, teilweise auch nackt, gezeichnet hat, kommt es zu einem Kampf zwischen ihm und Gabriel. Die ankommenden Guardia verhindern schlimmeres, jedoch werden beide mitgenommen, besonders da man das Feuerzeug findet- ein Zeichen für einen Rebellen. Gabriel, der Diego nicht in Gefahr bringen will, gibt an das Feuerzeug von Rubén erhalten zu haben, stürzt San Juan in eine Katastrophe. Binnen weniger Tage sind die Bewohner verhaftet, die Frau Concepción stirbt und Diego beschuldigt offen Gabriel sie alle verraten zu haben. Als auch noch Gabriels Vater auftaucht, flieht der junge Mann in den Dschungel und stolpert nach einer halsbrecherischen Flucht den Guerilleros in die Arme. Sie nehmen sich des Verletzten an und Gabriel beschließt sich auf ihre Seite zu schlagen. Dass er dabei nicht sagen kann, wer er wirklich ist, versteht sich von selbst. Er findet in der Gruppe ein neues zuhause, besonders der Engländer Fausto , der ihm damals das Feuerzeug gegeben hat, wird sein engster Vertrauter. Doch die Guardia sind den Guerilleros auf den Fersen und die Reise durch den Dschungel zurück zum Hauptquartier der Rebellen, wird für die Gruppe zu einem wahren Hindernisparcours. Erschwert wird diese Flucht durch eine Geisel, die die Guerilleros genommen haben und den kranken Anführer Germán. Gabriel wird schon bald ein festes Mitglied der Gruppe, immer mit der Angst lebend, wer er ist. Doch auch seine Gefühle für Fausto werden stärker…

Der Zeichner Emmanuel Lepage legt mit „Muchacho“ einen Comic vor, der zeitlich kurz vor dem Bürgerkrieg Nicaraguas im Jahre 1977 angesiedelt ist. Wer sich ein wenig mit der Legende Che Guevera auskennt, wird zumindest einige Parallelen mit der Geschichte Kubas ziehen können. Dementsprechend genau hält sie der Zeichner an die geschichtlichen Hintergründe, wenngleich die Personen von „Muchacho“ fiktiver Natur sind. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, jedoch geht Lepage leider nicht so sehr ins Detail, wie es vielleicht angebracht gewesen wäre. Gabriel bleibt sogar fast ein wenig farblos, Fausto und die anderen Rebellen ebenso, da man sich eher auf die Geschichte selbst konzentriert hat. Auf knapp 160 Seiten wird eine Zeitspanne von mehreren Monaten erzählt, für die eigentliche Handlung ist das eigentlich zu wenig. Dennoch verwendet Lepage sehr viel Gefühl und Sensibilität wenn es um Gabriels Gefühlswelt geht. Er entdeckt nicht nur seine Homosexualität, was für einen Anwärter auf ein katholisches Priesteramt alles andere als positiv ist, Lepage lässt es den Protagonisten durch seine eigenen Zeichnungen entdecken und die Bilder, die er malt. Die Thematik selbst wird erst ganz am Ende direkt in einem Gespräch zwischen Fausto und Gabriel angesprochen, davor muss man (in diesem Fall) zwischen den Zeichnungen Gabriels lesen. Auch die folgende Liebesszene fügt sich perfekt in das Gesamtbild des Comics ein und wirkt weder kitschig noch aufgesetzt.


Die Zeichnungen sind in sich einfach perfekt.  Der bildhafte Zeichenstil fesselt von der ersten Seite an und es fällt schwer den Comic aus den Händen zu legen. Jede Seite ist eher ein Kunstwerk und Lepages Stil ist eine Augenweide in sich. Die Paneele sind stimmungsvoll und farblich so stimmig, dass die Sprechblasen auf etlichen Seiten einfach nur wie Störfaktoren wirken. Der realistische Stil, die detaillierten Hintergründe und die lebhaften Figuren nehmen den Leser mit in die Welt Nicaraguas. Man taucht gemeinsam mit Gabriel in den Dschungel ein und erlebt die Abenteuer des Priesters hautnah mit. Wer der spanischen Sprache mächtig ist, wird sicher noch tiefer in die Zeit vor dem Bürgerkrieg eintauchen können (es gibt etliche Begriffe und Ausrufe, die sich jedoch dank der Bilder selbst erklären), für den Lesefluss des Comics ist das jedoch unerheblich.


Ein Comic, den ich uneingeschränkt empfehlen kann. Jeder, der einmal über den Tellerrand der üblichen Mangas sehen möchte und eine wirklich fesselnde Geschichte lesen möchte, sollte sich dieses Werk nicht entgehen lassen. Die ursprünglich zweibändige Comicreihe wurde von Carlsen zu einem Hardcoveralbum als Graphic Novel zusammengefasst und ist jeden Cent wert. Unbedingt lesen!

 

Titel:

Muchacho
Zeichner/ Autor: Emmanuel Lepage
Genre: Drama, History, Action
Verlag: Carlsen, 2008
Preis: 24,90 Euro
ISBN: 978-3-551-77655-8
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Die im Zusammenhang mit diesem Artikel verwendeten Bilder und Coverscans unterliegen dem Copyright von Carlsen, Emmanuel Lepage