"Schlaflos" von LumCheng

(Genre: Drama)

 

„Das ist meine Entscheidung.“
Der Satz hing wie eine Rauchschwade zwischen ihnen. Dick und zäh, wollte sich nicht verziehen, wollte präsent bleiben, auch wenn die Konversation damit gestorben war.
Und obwohl es, abgesehen vom Motorengeräusch, still im Wagen geworden war, klangen Marks Worte noch immer in seinen Ohren wieder. Unnatürlich laut, wieder und wieder.
Es war beinahe unmöglich jetzt erneut etwas zu sagen, ohne dass es aufdringlich wirken würde.
Alex rutschte unbehaglich etwas tiefer in den Fahrersitz, versuchte sich auf die Straße zu konzentrieren, unterdrückte ein Räuspern.
Seine Kehle fühlte sich merkwürdig trocken an.
Zu gerne hätte er Musik angemacht, aber er ließ es bleiben. Überließ Mark seinen Gedanken.
Die Sekunden verstrichen, verschwammen zu Minuten, verschwammen zu Stunden.
Er hielt es nicht mehr, räusperte sich.
„Hast du… hast du das Schild gesehen?“, fragte er. Seine Stimme klang unsicher, leise. „Da ist ein Motel 5 Meilen entfernt. Wir sollten endlich schlafen.“
Mark erwiderte nichts. Starrte weiter aus dem Fenster in die dunkle Einöde. Wie schon seit Stunden.
Alex’ Blick wanderte kurz zur Uhr. Beinahe 2.
Wortlos bog er nach 5 Meilen in die Einfahrt ein, fuhr auf den großen Platz vor dem grauen Gebäudekomplex, parkte den Wagen in der äußersten Ecke.
Den Motor schaltete er aus, zog den Schlüssel und wartete. Unentschlossen.
Schweigend schnallte Mark sich ab und stieg aus.
Alex blieb noch sitzen. Starrte auf die Schlüssel in seiner Hand und hob schließlich den Kopf, warf einen kritischen Blick auf den Empfang. Hinter dem großen Fenster brannte noch Licht.
Seufzend stieg er aus und zog seine Hose etwas weiter hoch, folgte seinem Bruder über den fast leeren Parkplatz.
Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, die Nacht war kühl, der Wind raschelte leise in den wenigen, vereinzelten Bäumen die das Gelände säumten.

Als sie sich dem kleinen Empfangsbüro näherten, konnte Alex das leise Sirren der Lampen im Schild hören. MOTEL, stand in großen, roten Buchstaben darauf. Die Farbe am E war bereits etwas abgeblättert.
Kurz sah er sich noch einmal um, dann stieß er die schwere Holztür auf und sie betraten gemeinsam das warme, kleine Zimmer.
Es roch nach Kaffee und muffigen Vorhängen. Ein älterer Herr saß hinter dem Tresen und schaute sich einen Film auf einem kleinen Fernseher an.
Er hatte die Brüder bereits bemerkt, doch hob er eine Hand und starrte weiter auf die Mattschreibe, bevor er sich schließlich erhob und sie anlächelte.
Alex versuchte auch zu lächeln. Es blieb bei einem Versuch.
Mark schob sich neben ihn, legte eine Hand auf das abgenutzte Holz des Tresens. Wartete.
„So spät noch unterwegs?“, fragte der Mann, seine Stimme klang freundlich, obgleich müde.
„Ja, wir… haben einen weiten Weg vor uns“, meinte Alex und schnalzte mit der Zunge, versuchte überall hinzublicken, nur nicht auf Mark.
Der Mann nickte und zog ein in Leder gebundenes, schweres Buch unter dem Tresen hervor.
„Also zwei Einzelzimmer für die Herren, ja?“
„Ein Doppel reicht auch“, sagte Mark schnell und griff in seine hintere Hosentasche, zog sein Portemonnaie hervor. „Wir zahlen bar.“
Alex’ Kopf ruckte zur Seite.
Er starrte seinen Bruder an, musterte dessen Profil, doch sagte nichts.
Es war seltsam seine Stimme wieder zu hören. Fast schien es ihm so, als hätte er sie für sehr lange Zeit nicht mehr gehört. Dabei waren es nur wenige Stunden.
Er sagte nichts mehr, sah schweigend dabei zu, wie Mark bezahlte und falsche Namen in das Buch eintrug, bevor er einen Schlüssel entgegennahm und seine Brieftasche wegsteckte.
„Kommst du, Roger?“, fragte er und hielt Alex die Tür auf. Jener öffnete den Mund um etwas zu sagen, entschied sich aber dagegen und folgte ihm wortlos.
Hintereinander gingen sie auf dem schmalen Weg neben dem Gebäude, bis sie eine Tür mit der Nummer 08 erreichten.
Mark schloss auf, schaltete das Licht an und Alex’ Mundwinkel zuckten unwillkürlich nach oben als er an den Namen dachte. Ein Lachen unterdrückte er jedoch.
Es klackte leise als Mark den Schlüssel auf das kleine, dunkelbraune Tischchen legte. Kurz darauf zog er seine Jacke aus und hängt sie über den einzigen Stuhl.
Alex stand einfach nur da. Dann—
„Was denn… ein Doppelzimmer und dann gibt es nur einen Stuhl? Wir sollten uns beschweren.“
Es sollte munter und unbeschwert klingen, doch ihm selbst kamen die Worte hervorgepresst und künstlich vor. Waren sie auch.
Mark ging nicht darauf ein. Mit unbewegter Miene steuerte er die weiße Tür neben dem Kleiderschrank an, öffnete sie, sagte: „Ich geh’ duschen“, und verschwand im Badezimmer.
Sprachlos blieb Alex zurück, die Hände an den Hüften, sein Ausdruck leicht angepisst.
Er fuhr sich mit der linken Hand über das Gesicht, ließ sie wieder sinken, ging dann zum Bett – ein Doppelbett – und knipste dort die kleinen Nachttischlampen an, bevor er das große Licht löschte.


Es dauerte fast eine halbe Stunde bis Mark aus dem Bad kam, Haut und Haar noch nass, ein weißes Handtuch locker um die Taille geknotet.
Alex saß auf der Bettkante und warf ihm lange Blicke zu.
Eine Tasche mit ein paar Waffen und ihren Toilettenartikeln lag inzwischen auf dem Tisch.
Sofort kramte Mark darin herum, suchte seine Zahnbürste.
„Bist du fertig da drinnen?“, fragte Alex, obgleich er sehen konnte, dass dem nicht so war. Seine Stimme klang gereizt.
„Klar“, erwiderte der Jüngere leichthin und verschwand wieder im Bad, dieses Mal mit Zahnbürste und Zahnpaste, die Tür ließ er offen.
Ohne ein weiteres Wort zog Alex sich aus, ließ seine Kleidung in einem unordentlichen Haufen auf dem Boden neben dem Bett zurück, folgte dann seinem Bruder ins angrenzende Badezimmer.
Die Luft hier war warm und diesig, die Scheiben des Spiegels beschlagen.
Er ging an Mark vorbei, streifte ihn leicht am Oberarm und verschwand hinter dem weißen Duschvorhang.


Eine weitere halbe Stunde später lagen beide im Bett.
Die rote Digitalanzeige des Weckers stand auf 03:13.
Alex seufzte unterdrückt und drehte Mark den Rücken zu, starrte zu den viel zu dünnen Vorhängen, durch die das Licht der Laternen des Hofes schwach ins Zimmer hinein schien.
Er hasste es, wenn Tage so endeten. Wenn sie nicht in den Armen des jeweils anderen lagen. Wenn unausgesprochene Dingen zwischen ihnen standen. Wenn sie sich anschwiegen, nur um einen weiteren Streit zu vermeiden. Um es nicht noch schlimmer zu machen.
Alex hasste Unterredungen. Aber dieses Schweigen hasste er fast noch mehr.
Ziellos wanderten seine Augen durchs Zimmer. Er war müde, doch schlafen konnte er nicht. Zu viel war da, das ihn beschäftigte.
Mark schien es nicht anders zu gehen. Er spürte, wie sein Bruder sich hinter ihm drehte, wie er unwillig das Kissen zurechtboxte.
Doch irgendwann übermannte ihn doch die Müdigkeit, er schlief ein.

Als Alex aufwachte, war es immer noch dunkel. Er starrte auf die leere Betthälfte vor sich, dann auf den Wecker.
04:27
Er hatte nicht mal eine Stunde geschlafen?
Suchend sah er sich um, sein Blick blieb am Fenster hängen.
Dort stand Mark in Shorts und T-Shirt, blickte durch einen Spalt zwischen den Vorhängen nach draußen, auf den Hof.
Wortlos stand Alex ebenfalls auf, tappte barfuß zu seinem Bruder, zog den Vorhang etwas weiter auf.
Fast automatisch wanderte seine Hand zum Rücken des anderen, schob sich verstohlen unter dessen Shirt, nur um auf der warmen Haut über dem Steißbein zu verharren.
„Was ist los? Kannst du nicht schlafen?“
„Ich… ich dachte, ich hätte draußen etwas gehört.“
„Lügner.“
Es folgte eine lange Pause.
„Hey, wegen der ganzen Sache in Cleveland und dass ich nichts gesagt habe…“
„Du musst mir nichts mehr erklären, Mark“, unterbrach der Ältere ihn. „Wichtig ist nur, dass du aufhörst. Welchen Grund du auch immer haben magst – ich bin froh, dass dieser Grund existiert. Und ja, du hast Recht. Es IST deine Entscheidung. Ich bin einfach nur froh, dass du sie getroffen hast. Meinetwegen müssen wir über die Sache nicht mehr reden. Ich habe überreagiert.“
Mark wandte seinen Kopf zur Seite und lächelte.
„Danke.“
Eine Weile standen sie noch dort, Schulter an Schulter, starrten nach draußen, wo es inzwischen angefangen hatte zu regnen.
Die peinliche Stille war endlich gebrochen und sie konnte wieder schweigen, ohne sich dabei unbehaglich zu fühlen.

~

 


 

Lum Cheng:

 

Ich wurde 1986 geboren, bin fünf Jahre lang auf einem Internat gewesen und habe danach in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet. Ich war beispielsweise als Köchin, Friseurin, Fotografin, Bildbearbeiterin, Kamerafrau und Video-Editorin tätig.
Das Schreiben war seit der Grundschule stets ein großes Hobby von mir, dem ich auch künftig Beachtung schenken möchte.
Beruflich zieht es mich jedoch eher in Richtung Bildbearbeitung und Fernsehen ;)


Kontakt: batdriven@googlemail.com