"... der werfe den ersten Stein" von
Robert Herbig
Genre: Drama
Erschöpft fielen beide zurück in die Kissen. Peter
beugte sich zur Seite und küsste Alexander zärtlich am Rücken.
„Weißt du eigentlich, wie sehr
ich dich liebe?“, flüsterte er atemlos. Alexander lächelte. „Fast so sehr wie ich dich?“
„Mehr, mein Liebling,
viel mehr.“ Er fuhr
sanft mit dem Zeigefinger Alexanders Wirbelsäule herunter, sah wie sich dessen
kleine Härchen im Nacken aufrichteten.
„Hast du noch nicht genug?“ „Ich werde nie genug von dir
bekommen, nie in meinem Leben.“ Alexander drehte sich zu ihm. „Dann lass es uns endlich tun.
Lass uns der Welt zeigen, dass wir zusammen gehören. Heirate mich.“
Peter ließ sich zurück in die
Kissen fallen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Das ist einfach nicht
möglich, du weißt es. Niemand darf es jemals erfahren, niemand, hörst du?“
Alexander legte sich
halb über seine Brust, kraulte verspielt in Peters wenigen, dunklen Brusthaaren
und sah ihn aus traurigen Augen an. „Liebst du mich wirklich?“
Peter nahm zärtlich seinen
Kopf in beide Hände.
„Du weißt, wie sehr ich das tue, aber es gibt nun einmal Dinge, die einfach
nicht möglich sind. Wir müssen beide mit den Gegebenheiten leben. Oder ...“
„Oder was?“
„... oder uns trennen“,
vollendete er seinen Satz. Alexander sah ihn völlig entgeistert an. „Das ist
nicht dein Ernst.“
Peter stand auf. Nackt wie er war ging er zum Fenster und zündete sich eine
Zigarette an. „Wie oft
wollen wir über dieses Thema noch debattieren?“, fragte er, während er starr aus
dem Fenster sah. Langsam ging über den Häusern die Sonne auf. Alexander trat von hinten an
ihn heran. „So lange,
bis wir alle Klarheiten beseitigt haben“, sagte er leise und presste sich an
ihn. Peter fühlte die
warme, weiche Haut seines Liebsten auf seiner. Er spürte, wie ihn das Verlangen
erneut überkam und mit einem raschen Griff nach hinten fühlte er, dass auch
Alexander erregt war.
„Wollen wir nicht erst frühstücken?“, fragte er, während er sich langsam
umdrehte. „Jetzt nicht,
mein Liebling, später“, sagte Alexander, küsste ihn fordernd und zog ihn zum
Bett. Später am
Frühstückstisch sah Peter auf die Uhr. „Ich muss leider los, lass uns ein andermal in Ruhe
über alles reden, ja?“
„Kommst du heute Abend?“, fragte Alexander hoffnungsfroh. „Ja, aber wenn, dann erst sehr
spät. Heute Abend muss ich eine Rede bei der Konrad-Adenauer-Stiftung halten,
danach ist das Essen mit dem Innenminister. Ich versuche, mich irgendwann weg zu
schleichen. Notfalls fällt mir irgendeine Ausrede ein. Ich werde mich schon
davonstehlen können.“
Alexander küsste ihn leidenschaftlich. „Ich warte auf dich, egal wann du kommst.
Denk daran, dass ich dich liebe, ja?“ Peter sah ihm tief in die Augen. „Ich liebe dich auch“, sagte
er und wandte sich ab, weil er nicht wollte, dass Alexander bemerkte, wie seine
Augen glänzten. Mit dem
Fahrstuhl fuhr er hinunter ins Erdgeschoss. Niemand begegnete ihm, wofür er
dankbar war. Er schloss die Haustür hinter sich, ärgerte sich, dass er keinen
Schal mitgenommen hatte, zog den Kragen enger um seinen Hals und ging trotz
Mantel frierend die Allee am Fluss entlang. Er hatte absichtlich nicht den Wagen
genommen, so hatte er einige Minuten Zeit, in aller Ruhe über alles
nachzudenken. Er liebte
Alexander über alles auf dieser Welt. Trotzdem war es unmöglich. Er war neun
Jahre älter und konnte sich in seiner Position alles leisten, nur keinen solchen
Skandal. Und einen Skandal würde es geben, das war sicher. Seit mehr als zwanzig
Jahren wusste er, dass er schwul fühlte. Nie in seinem Leben hatte er sich zu
Frauen hingezogen gefühlt. Er blieb an einer Aussichtsplattform stehen und sah
einer Frau zu, die die Enten fütterte. Immer noch bedeckte eine dünne Eisschicht
das Ufer des träge dahin fließenden Mains. Es wird Zeit, dass der Frühling
kommt, dachte er wehmütig. Alexander lag ihm wegen ihres Outings schon seit
langem in den Ohren. Er war Werbegrafiker, für ihn wäre es alles andere als eine
große Sache. Die Mehrzahl seiner Kollegen wussten um seine Neigung und
behandelten ihn völlig normal, was immer man darunter verstehen mochte. Seit mehr als sechs Jahren
waren sie jetzt ein Liebespaar. Sollte es deswegen zu Ende gehen? Peter konnte
sich ein Leben, wenn es auch noch so versteckt und heimlich war, ohne Alexander
einfach nicht vorstellen. Noch nie in diesen sechs Jahren waren sie gemeinsam
irgendwo in Deutschland als Paar aufgetreten. Wie auch? Überall bestand die vage
Möglichkeit, von jemandem erkannt und verraten zu werden. Er sah ein Liebespaar, einen
Mann und eine Frau, eng umschlungen an ihm vorbei gehen. Glückliche, unwissende
Menschen, die ihr Leben und ihre Liebe genießen konnten, die keinerlei Zwang
spürten, keinen Druck von außen. Leise seufzend ging er weiter. Vor drei Jahren hatten sie es
einmal gewagt, in Schweden an einer Party teilzunehmen, von der Alexander im
Internet gelesen hatte. Schwule und Lesben, lauter lebensfrohe, aufgeschlossene
Menschen, die ihre Neigung auslebten und sich einen Dreck darum scherten, was
die Öffentlichkeit denken und sagen mochte. Damals schon hatte Alexander
vorgeschlagen, doch allem zu entfliehen und nach Schweden zu ziehen. „Weg von hier, weg aus
Deutschland, weg von diesem ignoranten, sturen Mief, diesem verdammten
Schubladendenken, nur du und ich“, hatte Alexander damals gesagt, ja fast
gefleht. Peter konnte
es nicht. Er hatte es
damals nicht gekonnt und er würde es heute nicht können. Peter wusste, er würde alles
verlieren. Niemand aus seinem direkten Umfeld würde es verstehen, seine Familie
würde sich von ihm lossagen, seine Freunde, seine Kollegen. Heute Abend wollte er
versuchen, den Termin mit dem Innenminister so kurz wie möglich zu halten,
vielleicht hatte er sogar Glück und er würde aus zeitlichen Gründen gar nicht
stattfinden. Er musste Alexander klar machen, dass ein Outing für ihn auf keinen
Fall in Frage käme. Notfalls, und das wurde ihm nun mit schmerzenden Herzen
klar, musste er sich von Alexander trennen.
Es fing an zu schneien. Langsam, fast zögernd überquerte Peter den großen
Platz. Er war da, automatisch straffte sich seine Gestalt. Langsam ging er die
sechs Stufen hinauf, öffnete die schwere Eichentür und betrat das kühle Gebäude.
Eine alte Frau, mindestens achtzig Jahre alt, mit zerfurchtem Gesicht kam auf
ihn zu und wollte an ihm vorbei. Sie sah kurz auf und erkannte ihn sofort.
Mit schmerzverzerrtem
Gesicht kniete sie vor ihm nieder. „Gelobt sei Jesus Christus, Exzellenz“, murmelte sie
leise. „In Ewigkeit,
Amen!“, erwiderte Peter und hielt ihr seine Hand hin, damit sie seinen
Siegelring küssen konnte.
Robert Herbig
Robert Herbig, am 4. Januar 1956 in Weinheim an der
Bergstraße geboren, ist Webmensch und Webschreiber. Für seine Seite sagmal.de
wurde er 2002 mit dem alternativen Medienpreis ausgezeichnet. Er schreibt seit
mehr als zehn Jahren Kurzgeschichten verschiedener Genres, überwiegend
humorvoller oder kriminalistischer Art. Veröffentlichungen seiner Geschichten
findet man in mehr als zwanzig Büchern bei mehr als einem Dutzend Verlagen,
sowie in unzähligen Zeitschriften. Sein Debütroman Tödliche Lilien spielt an
der Bergstraße, der Gegend, die er liebt und nie verlassen würde.
http://www.compuexe.de
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