Gertrude Stein (Gastbeitrag: Tanja Meurer)
Gertrude
Stein, geb. 03.02.1874 in Allegheny (heute Pittsburgh) Pennsylvania, gest.
27.07.1946 in Paris/ Frankreich.
Das bewegte Leben der
amerikanisch-jüdischen Schriftstellerin, Verlegerin und Kunstsammlerin Gertrude
Stein klingt, als sei es Grundlage eines Hollywood-Monomentalfilms. Durch sie
fanden berühmte Maler und Autoren erst ihren Weg. Sie war Mäzen und Freund der
Kunst, selbst als Literatin oft unverstanden und trotz allem nah der Grenze
absoluter Genialität.
Stein entstammte einer reichen
amerikanisch-jüdischen Familie. Als 1888 zuerst ihre Mutter und 1891 ihr Vater
verstarben, übernahm ihr ältester Bruder Michael die Vormundschaft über seine
jüngeren Geschwister. Es gelang ihm, Vermögen und Besitz zu halten, sodass
zuerst sein jüngerer Bruder Leo und kurz darauf auch Gertrude in Cambridge
studieren konnten. Überhaupt zeigte sich, dass Leo, der wie seine jüngste
Schwester Gertrude sehr stark künstlerisch begabt war, zu ihrem Führer und
Wegbereiter wurde. Offenkundig bedeutete jeder Schritt Leos, dass Gertrude ihm
folgte. Sie studierte Biologie und Philosophie am Radcliffe College, der
Harvard-Abteilung für Frauen, wobei sie dem Studentenkreis des Psychologen und
Philosophen William James. Sein Begriff Bewusstseinsstrom grundlegend für ihre
Werke werden sollte. Diesem Prinzip folgte Williams Bruder Henry James in seinen
Romanen genauso wie Virginia Woolf und James Joyce. Ab 1897 studierte Stein
auch Medizin und Psychologie an der Johns Hopkins Medical School in Baltimore,
an die Leo auch gewechselt war, um Biologie zu studieren. In dieser Zeit hegte
sie eine andauernde Beziehung zu ihrer Kommilitonin May Bookstaver. Diese Affäre
War Grundlage für ihren Kurzroman Q.E.D. (quod erare demonstrandum – was zu
beweisen war). Während des Studiums lebten die Stein-Geschwister zusammen und
lernten die Schwestern Etta und Caribel Cone kennen (die bis zu Gertrudes Tod
enge Freundinnen blieben). Später sollten die Cones, angesehene Geschäftsfrauen
und Kunstsammlerinnen, insbesondere für den Maler Henri Matisse wegweisend sein.
Gertrude brach ihr Medizinstudium nach nicht bestandenen Prüfungen ab und
folgte ihrem Bruder Leo nach Europa. Er studierte zu diesem Zeitpunkt Kunst.
Nachdem sie über Florenz nach London reisten und sich dort Zeitweilig in der
Bloomsbury Street einmieteten, trafen sie auf die Bloomsbrry Group, eine
Vereinigung von Künstlern, Intellektuellen und Wissenschaftlern. Hierbei finden
sich alle großen Namen wieder: Virginia Woolf, E. M. Forster, Lytton
Strachey, Clive Bell, William Plomer, Laurens van der Post, Vanessa Bell, Duncan
Grant, Roger Fry, etc. Außerhalb der üblichen Intellektuellengruppierungen
zeigte sich dieser Kreis auch sehr offen in ihrer gelebten Sexualität. So wurde
jede Auslebung akzeptiert. Vielleicht lag darin Begründet, dass Gertrude fortan
aus ihrer Liebe zu Frauen keinen Hel mehr machte.
Leo und Gertrude zogen
nach Frankreich. Ab 1903 lebten die Geschwister gemeinsam in Paris. Der Wohnsitz
sollte über viele Jahre bis zu Beginn des 2. Weltkrieges ein Austauschort für
Autoren und Maler werden: der Salon in der Rue de Fleurus. Auch Bruder
Michael lebte seit einer Weile mit seiner Frau in Paris. Er war ebenfalls
Kunstsammler. Seine Frau Sarah gründete die Académie Matisse. In Gertrude und
Leos Salon trafen Matisse und Picasso das erste Mal aufeinander. Sie
beherbergten alle heute namenhaften Künstler. Bei den Zusammenkünften waren
unter anderem Pablo Picasso mit Fernande Olivier, Max Jacob, Alfred Jarry,
Guillaume Apollinaire mit Marie Laurencin, André Salmon und Georges Braque zu
Gast 1906 malte Picasso Gertrude. In den 90 Sitzungen entstand eine enge
Freundschaft, die sogar bis 1944 brieflich bestehen blieb. Jenes Bild ist
heute Bestandteil der Sammlung des Metropolitan Museum of Art (New York City).
Im Folgejahr malte sie Félix Vallotton, allerdings lehnte sich das Gemälde zu
stark an Picasso an, weshalb sie es nicht mochte.
Im Jahr 1907 traf sie
auf die amerikanische Jüdin Alice B. Toklas, die sie 1908 als Sekretärin
einstellte. Alice war Autorin. Für Gertrude übernahm sie binnen kürzester Zeit
alle wichtigen Aufgaben, hielt sich allerdings selbst immer im Hintergrund. Sie
führten den Salon fortan zu dritt. Während Gertrude und Leo die Herren
empfingen, kümmerte Alice sich um die Damen.
1913 verließ Leo den Salon
nach Auseinandersetzungen. Er konnte das Zusammenleben der beiden Frauen nicht
mehr tolerieren. Auch Alice’ Eifersucht und Gertrudes Liebe zum Kubismus führte
er an, woraufhin seine Schwester konterte und ihm vorwarf, dass er einzig
neidisch auf ihre literarischen Erfolge sei. Die Trennung war unwiderruflich.
Gertrude sprach nie wieder mit ihm. Von ihrem Tod erfuhr Leo 1946 aus der
Zeitung. Gertrude und Alice führten den Salon vorerst zu zweit weiter.
1914 reisten sie nach London, wo Gertrude ihren Buchvertrag zu Three Lives
unterschreiben sollte. Just in dieser Zeit begann der erste Weltkrieg. Erst im
Oktober 1914 konnten sie wieder nach Paris zurück kehren. 1915 bis Sommer 1916
verbrachten sie in Palma de Mallorca. Ab 1917 waren die beiden Damen für
American Fund for French Wounded unterwegs. Mit ihrem ersten Ford-Automobil,
genannt „Auntie“ lieferten sie Medikamente und anderes medizinisches Material an
Lazarette in Perpignan, Nîmes und Mulhouse.
Nach dem Krieg erhielt
Gertrudes Salon neues Blut und neuen Aufschwung. 1922 lernte sie den noch
unbedeutenden Reporter Ernest Hemmingway kennen. Eine kurze aber fruchttragende
Freundschaft verband sie. Gertrude konnte sich mit seiner Ironie nicht
anfreunden. Er schrieb Parodien über Werke guter Freunde Gertrudes. Schließlich
führte dies nicht nur zum Bruch zwischen Stein und Hemmingway, sondern auch
einem literarischen Krieg. Er parodierte Gertrude Steins The Making of Americans
woraufhin sie sich in ihrer Biographie Autobiografie The Autobiography of Alice
B. Toklas (1933) rächte, indem sie ihn wenig schmeichelhaft darstellte.
Daraufhin konterte er mit der Widmung “A Bitch Is A Bitch is A Bitch Is A Bitch”
(deutsch: „Eine Schlampe ist eine Schlampe ist eine Schlampe ist eine
Schlampe“), womit er auf ihren bekanntesten Satz “A Rose is a Rose …” in seinem
seinem Buch Death in the Afternoon anspielte.
Neben Ernest Hemingway und
Sherwood Anderson kamen Paul Bowles, Ezra Pound, Thornton Wilder, T. S. Eliot,
F. Scott Fitzgerald, Louis Bromfield, John Reed, Edith Sitwell, John Dos Passos
und ebenso die Franzosen Jean Cocteau, Valery Larbaud und der Rumäne Tristan
Tzara nun auch regelmäßig in den Salon.
Um ihre schwierigen Werke zu
publizieren, die zu Anfang nur in Teilen von kleineren Verlagen genommen wurden,
oder gleich Ablehnung fanden, gründete Alice 1931 den Verlag Plain Edition.
Um dieses Vorhaben zu finanzieren, musste Gertrude sich von einem Ihrer Picassos
trennen. Laut Alice muss ihr das fast das Herz gebrochen haben.
Ihr
berühmtestes Werk war der Roman The Autobiography of Alice B. Toklas in dem sie
von ihren Freundschaften zu heute berühmten Künstlern wie Picasso und Matisse
und Schriftstellern wie Hemingway und F. Scott Fitzgerald sowie Musikern wie
George Gershwin berichtet. Das Buch erschien im Verlag Harcourt, Brace and
Company, New York. Erzählerin der Geschichte ist Alice, die allerdings nicht
näher beleuchtet wird. Der Folgeroman Everybody’s Autobiography konnte an den
Ruhm seines Vorgängers nicht mehr anschließen. Darin erzählt Gertrude von
ihrer Amerika-Rundreise mit Alice, dem Empfang im Weißen Haus bei Eleanor
Roosevelt, der Präsidentengattin und den Begegnungen mit Charlie Chaplin, George
Gershwin, Alfred Stieglitz und Thornton Wilder.
1938 müssen Alice und
Gertrude umziehen. Ihr Vertrag in der legendären Rue de Fleurus wurde gekündigt.
Sie zogen um in die Rue Christine 5. Wegen ihrer jüdischen Herkunft wurde ihnen
der Aufenthalt in Paris langsam zu einem Problem. Nur durch ihre berühmten
Freunde und die Tatsache, dass diese beste Verbindungen zur französischen
Gestapo hegten, verdankten die beiden Frauen ihre Sicherheit über die
Kriegsjahre. In jener Zeit verbrachten sie ihr Leben an verschiedenen
französischen Orten. Teilweise war Gertrude als Übersetzerin von Büchern tätig.
Geschützt durch durch Bernard Faÿ und das Vichy-Regime entkamen beide Frauen dem
Konzentrationslager. 1944 konnten sie erst wieder nach Paris zurück kehren.
Im Jahr 1946 wurde Magenkrebs bei ihr festgestellt. Sie starb am 27.07.1946 in
Paris. Auf Wunsch der beiden Frauen wurde 1967 Alice B. Toklas in der Gruft von
Gertrude Stein auf dem Friedhof Pére Lachaise beigesetzt.
Auswahl
der Werke: Three Lives (1909) Tender Buttons: Objects, Food
(1914) Geography and Plays (1922) The Making of Americans. Being a History
of a Family’s Progress (1925) Composition As Explanation (1926) Lucy
Church Amiably (1927) Useful Knowledge (1928) An Acquaintance with
Description (1929) How to Write (1931) Before the Flowers of Friendship
Faded (1931) Operas and Plays (1932) The Autobiography of Alice B. Toklas
(1933) Matisse, Picasso and Gertrude Stein with Two Shorter Pieces (1933)
Four Saints in Three Acts, an Opera to Be Sung (Libretto, 1934) Portraits and
Prayers (1934) Lectures in America (1935) Narration (1935) The
Geographical History of America or the Relation of Human Nature to the Human
Mind (1936) Everybody’s Autobiography (1937) Picasso (1938) 1939: The
World Is Round (1939) 1940: Paris France (1940) 1940: What Are
Master-pieces? (1940) 1941: Ida; a novel (1941) 1944: Wars I Have Seen
(1944) 1946: Brewsie and Willie (1946)
Postume
Veröffentlichungen 1946: Reflections on the Atom Bomb (1946)
1947: Four in America (1947) 1947: The Mother of Us All (Libretto, 1947)
1948: Blood on the Dining-Room Floor (1948) 1949: Last Operas and Plays
(1949) 1950: The Things as They Are (1950) 1951: Two: Gertrude Stein and
Her Brother and Other Early Portraits (1951) 1953: Patriarchal Poetry (1953)
1953: Bee Time Vine and Other Pieces (1953) 1957: Alphabets and Birthdays
(1957) 1971: Fernhurst Q.E.D. and Other Early Writings by Gertrude Stein
(1971)
|