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Mädchen in Uniform (Gastrezension: Tanja Meurer)
Inhalt:
Ende des 19. Jhds. wird Manuela von Meinhardis als drittes und letztes Kind des
Offiziersehepaares Meinhardis geboren. Sie ist ein "gewünschtes"
Kind.
Manuelas ältere Brüder Bertram (5 Jahre alt) und Alfred (10 Jahre alt), lieben
die kleine Schwester vom ersten Tag an genauso innig wie ihre Eltern das Kind
lieben. Dennoch beginnt da bereits der schleichende, stetige Abstieg der
Familie. Käthe von Meinhardis, Manuelas Mutter, kann sich schwer in die
Lebensweise einer Offiziersfamilie einfügen. Ihr setzen die Regimentsbälle
genauso zu, wie die beständigen Umzüge durch die Versetzungen ihres Mannes. Zu
Anfang ist Meinhardis auch noch nur Major, steigt aber zum Oberstleutnant auf.
Manuela, von ihrer Familie liebevoll "Lela" oder "Lel"
genannt, wächst davon unbehelligt und glücklich auf, ganz fixiert auf ihre
schöne, liebevolle Mutter, die alle Sorgen - vor allem die finanziellen - vor
ihren Kindern verschweigt, und verzaubert von ihrem kindsverliebten Vater, der
das kleine Mädchen all seinen Kollegen stolz vorführt.
Auch Alfred, liebt seine kleine Schwester über alles und kümmert sich sanft
und geduldig um den kleinen Irrwisch. Das Leben beginnt erst dunkler zu werden,
als Alfred krank wird und noch am gleichen Tag stirbt. Manuela, gerade fünf
Jahre alt, kann den Tod ihres Bruders gar nicht geistig erfassen. Erst langsam
sickert es zu ihr hindurch, als ihre Mutter sich immer weiter in ihrem Glauben
verliert und mehr Zeit am Grab ihres ältesten Sohnes verbringt, als zu Hause
bei ihren beiden jüngeren Kindern.
Meinhardis wird abkommandiert in eine andere Stadt, fern des alten Wohnsitzes,
der durch landschaftliche Schönheit und gemütliche Baukunst bestach. Die
deutsch-französische Grenzstadt ist eine einzige Garnison und Lela wird brutal
bildlich vor Augen geführt, dass es starke Diskrepanzen (seit dem letzten Krieg
1870/ '71) zwischen den beiden Ländern gibt. Manuela ist in ihrem neuen
"Zuhause" weitaus mehr auf sich gestellt, als zuvor. Ihre Mutter
kümmert sich immer noch viel um sie, aber nicht mehr so konzentriert. Bertram
rückt nun auch mehr in den Fokus seiner kleinen Schwester. Der Junge hat ein
sehr raues, aber auch herzliches Verhältnis zu seiner Schwester. Durch seine
Schwärmerei für ein Mädchen, Eva, die in einer höheren Klasse an Lelas
Schule ist, und seine Bitte, Manuela möge ihr doch etwas ausrichten, bringt
Bertram seine Schwester in Bedrängnis. Allerdings bemerkt die nun achtjährige
Lela zum ersten Mal, dass sie sich von anderen Mädchen angezogen fühlt und
selbst lieber ein Junge wäre.
Manuela ist bereit alles für Eva zu tun, was das Mädchen spöttisch zuerst
ausnutzt, dann Lela bedrängt und verscheucht. Die ganze Geschichte geht kurz
darauf unter anderen Problemen unter. Bertram erkrankt ebenfalls und muss mit
seiner Mutter über Monate in Kur vereisen. Der Verlust von Käthe verletzt
Manuela so sehr, dass sie immer verschlossener und abweisender auf ihre Umwelt
reagiert. Erst als Meinhardis mit seiner Tochter seine Frau und seinen Sohn
besucht, entspannt sich die Situation. Kurz darauf kehren Mutter und Bruder nach
Hause zurück.
Der nächste Schicksalsschlag kündigt sich an, als Meinhardis seinen Abschied
nehmen muss.
Seine Frau bekniet ihn, mit ihren beiden Kindern wieder in die Stadt
zurückzukehren, in der Alfred beerdigt ist. Er stimmt gezwungenermaßen zu.
Allerdings übersteht Manuelas Mutter den Umzug nicht gut und siecht danach
dahin. Ihre Religiosität nimmt massive Formen an. Sie spricht ständig von
ihrem Tod und versetzt Bertram und Manuela in Angst und Schrecken.
Meinhardis macht es seiner Familie auch nicht leichter. Er trinkt seit seiner
Entlassung zuviel, gibt massig Geld aus, nimmt aber keine Stellung an, wird
aggressiver und nimmt nichts von dem ernst, was seine Frau ihm sagt. Es wird
immer deutlicher, dass er seine Finger auch von anderen Frauen nicht lassen
kann. Lela, immer mehr auf sich gestellt, wird viel schneller erwachsen, als es
ihrer Mutter und ihrem Vater gefällt. Als das Mädchen zehn ist, stirbt ihre
Mutter. Der Verlust zerreist Manuela fast.
In der Geschichte wird ein Sprung von drei Jahren gemacht. Manuela ist
knabenhaft wild geworden, lässt sich selten etwas sagen und verachtet ihre
Gouvernante Fräulein von Helling, die auch von sich aus keinen Zugang zu dem
Mädchen sucht.
Die Tanten des Kindes nennen sie "Verwildert". Bertram ist auf der
Offiziersschule und ebenso wie Manuela sehr viel schneller erwachsen geworden,
weil er nur Rechnung für sich selbst zu tragen hat.
Ein Schulfreund von Lela, Fritz, zeigt großes Interesse an dem Mädchen. Lela
mag seine Gesellschaft sehr, ist angetan von dem hübschen, etwas überheblichen
Jungen, aber begeistert von seiner blendend schönen Mutter, die auch schnell
ihre Zuneigung für Lela findet.
Fräulein von Helling versteht die Nähe Lelas zu Fritz völlig falsch und setzt
sich mit einer der Tanten des Kindes in Verbindung, um mit der Unterstützung
dieser Frau Meinhardis davon zu überzeugen, Lela in ein "Stift", eine
höhere Töchter-Schule zu geben.
Der Offizier ist im ersten Moment dagegen und eher sehr angetan von seiner
leichtlebigen und forschen Tochter, gibt dann aber nach, als ihm klar ist, dass
dann alle Kinder aus dem Haus sind und er endlich seinen Traum in Erfüllung
gehen sieht zu Reisen.
Der zweite Teil der Geschichte ist Manuelas Zeit im Stift, einer Militärschule
für Mädchen, Offizierstöchter.
Manuela stellt sehr schnell fest, dass sie gar nichts an eigenem Besitz haben
darf. Sie muss Kleider, Geld, Schmuck, Parfum, Bücher und alles, was sie zu
Essen dabei hat, an das Stift übergeben. Die sogenannte
"Pflegemutter" für Manuela wird die gleichaltrige Marga von Rasso,
die Lela anfangs recht grob gegenüber eingestellt ist, aber bald von dem Charme
des Mädchens mitgerissen wird. Ebenso schnell findet Lela in Ilse von Westhagen
und Edelgard sehr treue und gute Freundinnen, die besten überhaupt.
Allerdings drückt die erstickende Atmosphäre das Mädchen nieder. Sie wird mit
einer Nummer identifiziert. Die 55 ist die Zahl an ihrem Bett, ihrem Schrank,
ihrer Waschkammer und steht eingenäht in all ihre neuen (alte) Stiftskleider.
Sie lernt auch, dass hier alles extrem Sparsam gehandelt wird. Lela trägt
gebrauchte Uniformkleider, bekommt minimale Rationen zum Frühstück, Mittag-
oder Abendessen und schläft in altem, geflickten Bettzeug ausgetretener
Schülerinnen.
Die Mädchen dürfen nicht einmal frei denken. Die Briefe an ihre Familien
werden kontrolliert und zensiert.
Einziger Lichtblick aller Kinder ist die schöne und stolze Elisabeth von
Bernburg, eine der jüngsten Lehrerinnen. Sie erzieht mit Strenge, aber auch mit
Freundschaft und Vertrauen. Lela bekommt mit, dass Fräulein von Bernburg von
nahezu allen Mädchen geliebt und vergöttert wird. Sie selbst verfällt auch
dem Zauber der unterkühlten Frau.
Für Manuela rückt ihre Lehrerin immer mehr in den Fokus ihres Seins in dem
Stift. Auch Fräulein von Bernburg fühlt sich von dem überschwänglichen
Mädchen angezogen und geht auf viele von Manuelas Liebesbekundungen ein. Einen
Höhepunkt findet diese Liebe zueinander, als sie Lela eine ihrer Unterkleider
schenkt und dem Mädchen durch die Blume gesteht, dass sie Lelas Gefühle
erwidert. Das löst eine ungeahnte Katastrophe aus, die auch die Freundinnen
Lelas nicht mehr abwenden können.
Vergleich:
Der Vergleich des Buches zu den beiden Filmen ist schwierig, weil die Filme erst
bei dem Eintritt in das Stift einsetzen, also die eigentliche Vorgeschichte, die
gut die Hälfte des Buches einnimmt, verschweigen. Allerdings ist der Roman auch
erst nach dem ersten Film von 1931 geschrieben worden.
Der Roman hatte nicht den Anspruch das "Buch zum Film" zu sein,
sondern ging inhaltlich dagegen. Fräulein von Bernburg wird in der Verfilmung
zu der Heldin, Manuela zwar nicht in Schutz nimmt, aber ihre gemeinsamen
Gefühle vor der Oberin vertritt und mit Stolz abtritt. Wie 1931 Dorothea Wiek
bereits aus Elisabeth von Bernburg eine stolze und gerechte Frau macht, wird die
Rolle auch von Lili Palmer 1958 dargestellt (vielleicht sogar noch
eindringlicher und edler). Allerdings ist die Romanfigur der Lehrerin eher
feige. Sie schweigt, als sie fürchten muss, in ihrer Liebe zu dem Kind enttarnt
zu werden, verbirgt sich und zieht sich von Manuela zurück. In beiden Filmen
wird Manuela vor dem endgültig letzten Schritt, dem Sprung aus dem Obersten
Stock hinab, gerettet, und in beiden Fällen tritt die Oberin als geschlagene
und besiegte Person über ihr Reich, die Schule, ab. Im Roman springt Manuela,
und erst da wird Fräulein von Bernburg klar, dass sie alles verloren hat, als
sich alle zurückziehen und sie den Kopf des toten Kindes in ihrem Schoß hält.
Leider lässt sich für mich kein Vergleich zu dem zugrundeliegenden
Theaterstück ziehen, das 1930 unter dem Titel "Ritter Nerestan"
(einer Rolle aus einem Voltaire-Stück, dass Manuela, Ilse, Edelgard und Marga
aufführen) uraufgeführt wurde. Für Berlin wird "Ritter Nerestan"
umbenannt in "Gestern und Heute". Für Christa Winsloe beginnt damit
der Weltruhm. Allerdings empfindet sie den Film "Mädchen in Uniform",
der aus ihrem Stück gemacht wurde, als unpassend und falsch aufgefasst. Deshalb
erst schreibt sie den Roman unter gleichem Titel (in der Erstauflage noch:
"Das Mädchen Manuela"). Die Neuverfilmung 1958 erlebt sie gar nicht
mehr.
Meinem Gefühl nach weichen beide Filme stark vom Buch ab, oder eher da Buch von
den Filmen. Letztlich aber ist der erste Film von 1931 wesentlich
unstrukturierter, auch wenn er sich nah an viele Ereignisse aus dem zweiten Teil
des Buches hält, als die Verfilmung von '58, mit Romy Schneider und Lilli
Palmer.
Resumé:
Der Roman ist zwar dezent, also in keiner Weise Plakativ in der Erklärung der
Liebe zwischen Frauen, aber dennoch deutlich. Die erste Schwärmerei von Lela zu
Eva, dann der Zauber, der von Fritz' Mutter Inge auf Lela übergeht, die Liebe
von Fräulein von Bernbug zu dem Mädchen und umgekehrt, die Liebe Odas zu
Manuela, die selbstzerstörerische Verliebtheit Mias zu Fräulein von Bernburg
und die Nähe der Lehrerin Fräulein von Gärschner und der Hausdame Fräulein
von Attems zueinander, sind allgegenwärtig und klar, ohne expliziter zu werden.
Es finden sich einige Parallelen zu Animes und Mangas, aber auch Realfilmen und
Serien aus Japan, Deutschland und Amerika, die auch in diesen Bereich
gleichgeschlechtlicher Liebe fallen.
Wenn man Mias Handlung sogar klar deutet, so ist es schon klare
Selbstverstümmelung zu ritzen. Sie hat sich die Initialen von Elisabeth von
Bernburg in den Arm geschnitten und hält die Wunden beständig offen, in dem
sie immer wieder nachschneidet.
Der Wahn nach dieser Lehrerin ist im ersten Moment schwer zu verstehen, weil
Elisabeth von Bernburg anfangs fast unsympathisch hart erscheint,
befehlsgewohnt, unnachgiebig und fordernd. Aber letztlich ist sie gerecht,
drückt ständig bei allen Mädchen die Augen zu, will ihre verständnisvolle
und mitfühlende Freundin und Ersatzmutter sein und hat die Kinder so fest im
Griff; meint sie. Zuckerbrot und Peitsche war mein persönlicher Eindruck. Aber
man versteht ihre Art zu handeln, denn es wird erklärt, dass sie, wie alle
anderen Lehrerinnen, selbst Offizierstochter ist und nie etwas anderes gewohnt
war als Befehle zu erhalten und zu geben. Aus diesem Blickwinkel ist sie schon
fast wieder zu sanft und gut.
Ihr entgleiten immer wieder die Zügel, wenn die Mädchen sich in sie verlieben.
Einzig durch ihre Sicherheit, dass sie nichts als Freundschaft zu den Kindern
empfindet, rettet sie vor einer Katastrophe. Manuela ist die Erste, die Zugang
zu dem Herzen der Frau findet und stützt sie in weitaus schlimmere Bedrängnis
als es umgekehrt der Fall ist. Das Kind lockt die Frau aus ihrem Versteck. Aber
letztlich verrät Fräulein von Bernburg alles, insbesondere ihre eigene
Sehnsucht.
Wenn man es herauslesen will, so findet man die Begründung Manuelas tiefen
Liebe zu erwachsenen Frauen, in der übermäßigen Verehrung zu ihrer Mutter.
Männer haben alle die Tendenz in zwei Richtungen, sind also selten
tiefgründiger ausgearbeitet. Entweder sind sie gutmütig und wohlwollend, wie
ihr ältester Bruder Alfred, Onkel Ehrenhard, der Stallbursche Karl und der
Portier im Stift, Herr Allemann, oder sie sind charmant, oberflächlich und
unfair, so wie Lelas Vater, die meisten seiner Soldatenkollegen und Bertram.
Einzig Fritz unterscheidet sich von beiden Stereotypen. Er ist eigensinnig,
selbstverliebt, introvertiert, einsam und Traumverloren. Auch wenn sein Auftritt
kurz ist, so erscheint er als perfektes Pendant zu Manuela.
Das Buch ist in zwei Teile gespalten. Im ersten wird die Vorgeschichte Lelas
erzählt, kindlich geschrieben, in fast zu kurzen Sätzen. Man merkt, dass es
die Sichtweise eines kleinen Kindes ist. Erst in dem kurzen Verbindungsstück,
als Lela sich beginnt für Fritz' Mutter zu interessieren, wird der Stil
erwachsen und nimmt seine endgültige Form an, ab dem Eintreffen im Stift. Bis
zu dem Bereich wird auch alles eher in kurzen Episoden erzählt, fließend und
doch in Stichpunkten. Im Helenenstift wird das Erzähltempo langsamer und geht
weitaus genauer auf Lela und ihr Umfeld ein.
Protagonisten/ Antagonisten:
Protagonistin ist in jedem Fall Manuela, und auch wenn man annimmt, dass
Elisabeth von Bernburg die zweite Protagonistin ist, so wird sie doch zu DER
Antagonistin. Darin übertrifft sie sogar die boshaft geizige Oberin und die vom
Leben enttäuschte und von der Liebe vergessene Armgard von Kesten (die rechte
Hand der Oberin, ein sozusagendes ältliches Mauerblümchen).
Allerdings sind auch klare Antagonisten im ersten Teil der Vater Manuelas, ein
unüberlegter Lebemann, und ihre Tante Luise von Ehrenhard.
Viele der Namen haben, wenn man die Persönlichkeiten kennen lernt, einen sehr
ironischen oder bitteren Beigeschmack und geben Hinweise.
Edelgard entspricht so genau ihrem Vornamen, wie Frau von Ehrenhard es nicht
tut.
Titel:
|
Mädchen in Uniform |
Autor: |
Christa
Winsloe |
Genre: |
Drama,
Gesellschaftsroman |
Verlag: |
unterschiedlich,
letzter: Daphne Verlag |
Preis: |
*vergriffen* (gebraucht
ab 2,00 Euro) |
ISBN: |
978-3-891370339 |
Bestellen: |
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