A Vampires Tale |
Short Story ================================================================================ Ihre Ängste waren völlig
unbegründet, das begriff Cecilia sehr schnell. Lysander war nicht nur ein
hervorragender Reiter, sondern auch Gentleman genug, um ihr seinen Mantel
um die Schultern zu legen und sie so dezent und unaufdringlich fest zu
halten, wie es ihm gerade noch möglich war. Die alte Dame ritt im
Damensitz, was ohne entsprechenden Sattel fast unmöglich war. Aber sie
konnte sich an der Mähne, die doch sehr Stofflich war, festhalten und
Lysander, der hinter ihr saß, hielt seinen rechten Arm um ihre Taille
geschlungen. Bald wußte sie, wie sicher sie bei ihm war, und daß er sie
nicht loslassen würde. Zu dem bewegte sich das Phantompferd völlig ruhig
und gleichmäßig. Justin hatte sich bald wieder unter Kontrolle und ließ
sein Tier neben dem Lysanders
her traben. Sie hielten sich vernünftiger Weise abseits der
Handelsstraße. Aber nicht nur der Pferde
wegen. Cecilia wies den Weg, der noch am Lauf des kleinen Baches entlang
führte, parallel zur Straße, aber geschützt durch Obstbäume, die weder
Blätter, noch Früchte trugen und die Weinstöcke. Je weiter sie sich von
dem Dorf entfernten, in dem Cecilia lebte, desto freier und fröhlicher
wurde die alte Dame. Sie ließ eine furchtbare Last hinter sich,
vielleicht sogar ein eigenes, ganz persönliches Geheimnis. Es war ihr
Abenteuer, vielleicht das Größte in ihrem Leben. Und auch wenn sie
wußte, daß sie nicht zurückkehren würde, war sie doch glücklich.
Lysander spürte die Veränderung und sie rief in ihm tiefe Melancholie
wach. Diese Frau konnte er nicht einfach töten, wie sie es von ihm
wollte... Nicht einfach so. An einer besonders flachen
Stelle durchquerten sie den Bach und ritten südwestlich durch die Felder
weiter. Weiß verschneite Hügel erstreckten sich bis zum Horizont. Das
eine oder andere Dorf blieb in weiterer Entfernung hinter ihnen. Oftmals
sahen sie nichts als die Rauchfahnen aus den Schornsteinen. Der eine oder
andere Bauer wanderte an ihnen vorbei, grüßte, hielt sich aber doch fern
von den drei Reisenden. Das Mißtrauen konnte Lysander regelrecht spüren.
Die Menschen hier erlebten in den letzten Jahrzehnten Schreckliches. Und
obwohl sie bei Tage freundlich und aufgeschlossen war, lag der Schleier
der Angst über diesem Ort. Er hatte im Lauf seiner Existenz Länder
kennen gelernt, die von der Angst und dem Terror geknechtet wurden und
sich dem Leben anpaßten. Diese hier waren anders. Sie fürchteten sich,
aber sie ließen nicht zu, daß die Angst Herr ihren Handelns wurde. „Diese Fremden...“ Cecilia
sah ängstlich zu Justin und drehte den Kopf weit genug, um auch Lysanders
Aufmerksamkeit zu haben. „Sie sind untereinander verfeindet,“ sagte
sie leise. „Es gibt zwei Orte, an denen sie sich aufhalten.“ Justin strich sich eine
Haarsträhne hinter das Ohr, ohne recht zu registrieren, was er da tat.
„Verfeindet?“ Er sah Cecilia aus seinen riesengroßen Mandelaugen an.
Ihr blasser, klarer Blick traf den seinen. Ihm wurde bewußt, daß sie
mehr wußte, als sie es bisher zugegeben hatte. Aber er faßte sich in
Geduld. Cecilia würde von selbst sprechen. Sie deutete geradewegs auf
ihn. „Einige sind wie ihr. Sie sind Nosferatu, Untote.“ Sie senkte den
Blick. „Aber sie können das Licht nicht ertragen und die Anwesenheit
des Glaubens schreckt sie. Aber sie sind so schön und edel, wie ihr,
Justin.“ „Menschliche Vampire,“
flüsterte Lysander, dessen Gedanken anfingen, sich einen Krieg zwischen
Vampiren und anderen Untoten auszumalen. „Ihr seid ein Vampir,“
sagte Cecilia zu Justin. In ihrer Stimme klang keine Angst, nur feste
Gewißheit. „Vor etwas mehr als
achthundert Jahren war ich ein Elf, ein Künstler und Wissenschaftler. Ich
bin der letzte Mondelf und der einzige Vampir, der den Tag erträgt. Meine
Existenz währt seit eintausendunddreihundert Jahren. Ich bin ein
Geschöpf des Gottes, meiner Heimat. Allein aus meinem Glauben heraus und
der Nähe des geflügelten Gottes bin ich kein Geschöpf des Bösen
sondern ein Wesen was Idealen folgt.“ Sie lächelte und tastete mit
einer Hand vorsichtig nach der des Elfen. Justin lenkte sein Pferd näher
an sie heran und ergriff ihre Finger. „Ich könnte euch nichts tun,
Madame Cecilia. Es ist mir sogar unmöglich eurem Wunsch zu entsprechen.
Ich kann euch nicht den Frieden schenken. Ich will nicht töten. Meine
Berufung ist es zu schützen und Freude zu geben.“ Cecilia schloß für eine Weile
die Augen. Auf ihrem alten Gesicht erschien ein zufriedener, seliger
Ausdruck und sie lehnte sich ein wenig an Lysander, der es still zuließ.
„Beide rekrutieren Menschen, um im Kampf gegen die andere Seite zu
bestehen.“ Lysander sah Justin an. „Wäre es nicht möglich, daß eine
von beiden Seiten schon hier war, oder erst durch die Ankunft der anderen
geweckt wurde?“ Nachdenklich nickt Justin.
„Oder eine Seite hat sich von der anderen getrennt, nachdem sie
bemerkte, daß das Ziel ein anderes war...“ „Oder der Weg zu diesem Ziel
ein anderer war.“ Lysander zog die Brauen zusammen und spann die
Gedankengänge weiter. „Die andere Seite sind diese
Geschöpfe, diese wandelnden, mißgestalteten Toten.“ Cecilia hatte die
Worte der Männer genau verfolgt. „Es sind Menschen,“ sagte
Lysander leise. „Ein furchtbar abgrundtief böser Zauber hat sie zu
wandelnden Toten werden lassen. In einer Welt, durch die ich einst
wanderte, nannte man sie Fomori. Eine Art Untoter, die nicht starben,
bevor sie dazu wurden. Man kann es mit einem Fluch vergleichen, nur ist es
wesentlich schlimmer. Es gibt wenige Zauberer, die über einen solchen
Totenzauber verfügen. Dazu muß der Magier selbst ein Untoter sein.“ „Ein Vampir?“ fragte
Cecilia. „Nein, ein Magier, der sich
mit Lebenskraft manipulierenden Zaubern aufrecht erhält. Es gibt nicht
nur Vampire. Die Art der Untoten ist so zahlreich und unterschiedlich wie
die der menschlichen Persönlichkeiten.“ Ehrlich erschrocken sah Cecilia
sich zu ihm um. „Es gibt solche, die ohne
eigenen Geist und Verstand sind, welche die intelligent sind und viele,
die Lebenskraft brachen. Skelette und Zombies sind nichts als geistlose
Kampfmaschinen oder Wächter. Ghule sind intelligent und sie paralysieren
ihr Opfer. Genaugenommen sind sie Menschenfresser. Schatten sind
gefährlich, weil man sie nicht zu fassen bekommt... Der Vampir ist
vielleicht einer der höchst entwickelten Untoten, einer der mächtigsten,
aber selbst darüber gibt es noch den Geist und den...“ „Und was davon seid ihr?“
fragte Cecilia vorsichtig. Das Pferd Lysanders blieb stehen. „Gebt mir eure Hand,“ bat
der Magier. Die alte Dame drehte sich langsam um und hielt ihm ihre Rechte
hin, während Lysander sie fest hielt, damit sie nicht von dem Rücken des
Tieres glitt. Behutsam führte
er ihre Hand an seine Brust und legte sie über sein Herz. Durch ihre
kalten Finger ging der regelmäßige Schlag seines Herzens. „Ich
lebe,“ sagte er leise. „Auch wenn ich kein Mensch bin, so lebe ich.“ Die hellen Augen musterten ihn
eine ganze Weile schweigend. Ihre Hand ruhte weiter auf seiner Brust.
Durch das Wams und das Hemd konnte sie seine Knochen spüren und das
leichte Zittern, denn Lysander fror ganz erbärmlich, aber ihn schützte
wenigstens noch der dichte, schwarze Haarmantel, der offen um seinen
Körper lag und ihn darin wieder ein zu weben drohte. „Ihr friert wie
ein Mensch in der Kälte.“ „In dem Menschlichen Körper
muß ich mich mit Kleidung schützen,“ lächelte Lysander. „Meine
natürliche Gestalt bietet den Schutz meiner gefiederten Flügel vor der
Kälte.“ Trauer trat in seine Augen. „So lange ich lebe, bin ich in
diesem Körper eingesperrt. Die Völker meiner Heimat fürchteten mich
entweder oder fielen vor mir in den Staub. Wenige akzeptierten in mir
einen lebendigen Mann, der seine eigenen Sorgen und Ängste hat, der
genauso arbeiten mußte, um zu leben und der sich in wenigem von ihnen
unterschied. Ich bin genauso unsterblich wie die Elfen, genauso Magisch
wie sie und muß Nahrung zu mir nehmen, Sterbe, wenn mir jemand das Herz
durchbohrt... Ich werde nur nicht alt. Meine Haut ist so schwarz wie die
der Orcs, meine Augen glühen in der Nacht wie die der Ratten und meine
Klauen sind die der Echsen. Ich trage die Merkmale fast jeden Volkes in
mir, selbst das der Riesen, der Oger. Ich bin über zwei Meter groß...“ „Ihr seid verbittert über
der Ablehnung der anderen Völker.“ Cecilia sah Justin an und dann
wieder zurück zu Lysander. „Ich akzeptiere euch wie ihr seid. Ihr, der
Vampir, und ihr, wie immer sich eure Rasse nennen mag.“ „Sie sind die schwarzen
Engel, die Ikari.“ „Kennt ihr,“ begann
Cecilia, während Lysander seinem Pferd den Befehl gab, weiter zu laufen.
„die Geschichte von Ikarus und Daedalus? Ikarus, der Sohn des Daedalus,
der aus seiner Gefangenschaft entfliehen wollte und sich mit Wachs Flügel
schuf. Er entkam, stürzte aber ab, weil er sich zu nah an der Sonne
befand.“ Lysander lächelte. „Meine
Schwingen schmelzen nicht in der Sonne.“ Gegen Abend erreichten sie die
ersten Häuser der nächsten großen Stadt. Cecilia bat Lysander, nicht
weiter zu reiten, obgleich es wohl nicht mehr sehr weit sein konnte, bis
sie ihr Ziel erreichten. Auch Justin hielt es für Unklug, sich zwischen
die Fronten eines Krieges zweier unbekannter Größen zu begeben, wenn sie
die Zeit ihrer größten Macht hatten, in einer Neumondnacht, wie dieser. Leider mußte Lysander zugeben,
daß beide recht hatten. Es war nicht der Zeitpunkt, sich schon jetzt zu
verausgaben oder sich auf eine Machtdemonstration einzulassen. Also gab er
den beiden Pferden ein etwas natürlicheres Aussehen und zwang seine
nervöse Neugier herab. Es ergab sich beinah das
gleiche Problem wie an den letzten Abenden zuvor schon. Die Suche nach
einer Bleibe gestaltete sich als eine wirklich schwere Aufgabe. Doch die
alte Dame, in ihrer beider Begleitung und Lysanders Talent, Frauen zu
umgarnen, verhalf ihnen zu einer Unterkunft. Justin ärgerte es, daß
Lysander mit Sicherheit in der Nacht nicht in seinem Bett schlafen würde.
Schlimmer noch. Das Mädchen, mit dem Lysander gesprochen hatte, war
besonders hübsch. Ein zartes, kleines Geschöpf mit langem, dunkelbraunem
Haar und Rehbraunen Augen. Ihr Blick haftete den ganzen Abend an Lysander,
solang Justin im gut gefüllten Gastraum saß und spielte. Der einzige
Grund, Lysander nicht sehr offen zu zeigen, daß sie auf eine Nacht mit
ihm hoffte, war Cecilia. An diesem Abend zeichnete Lysander, bis seine
Handgelenke schmerzten. Viele von den Gästen waren Händler, die auf der
Durchreise waren, einige gehörten zur örtlichen Bevölkerung und einige
waren Bauern aus anderen Orten, die ihre Waren an der Markthalle verkauft
hatten und nun warteten, am folgenden Morgen nach Hause zu reisen.
Portraits, Zeichnungen nach der Beschreibung der Männer, von ihren
Kindern oder Frauen, Bilder der Schankmädchen... Für die Bilder, die er
für Kinder anfertigte, dachte er sich das eine oder andere Gedicht aus
und schrieb es in seiner eleganten Handschrift auf den Rand. Aber den
Zeichnungen fehlte etwas wichtiges, was Cecilia sehr schnell auffiel. Die
Seele. Irgendwann, schon sehr spät in der Nacht, neigte sich die alte
Dame zu Lysander und legte ihre Hand über seine. „Ihr seid erschöpft,
mein Freund. Beendet diese Arbeit.“ Er sah dankbar zu ihr, als habe
er gehofft, von ihr erlöst zu werden. „Habt ihr auch eine Idee, wie ich
der jungen Dame dort drüben entgehe?“ fragte er leise. Über die Lippen
der alten Dame glitt ein zauberhaftes Lächeln. Sie richtete sich ein
Stück weit auf und winkte Justin kurz zu. Der Elf nickte und beendete
sein Lautenspiel, um an den Tisch zurück zu kommen. Er setzte sich zu
Cecilia und legte sein Instrument auf den Tisch und schlug es sorgfältig
in den Samt ein. „Madame?“ fragte er freundlich, obwohl ihm dabei gar
nicht wohl war. Sie legte sittsam ihre
gefalteten Hände auf die Tischplatte und betrachtete den Becher mit rotem
Gewürzwein, der schon lange abgekühlt war. „Mein Freund, wollt ihr
Lysander nicht helfen, ihm eine Nacht mit diesem jungen Mädchen zu
ersparen, die er nicht mit ihr verbringen will?“ Justin sah sie fragend an. Aber
Cecilia lächelte nur hintergründig. Natürlich begriff der Elf, worauf
sie hinaus wollte und lächelte sie an, als teilten sie ein großes
Geheimnis. „Ihr könnt euch auf mich verlassen, Madame.“ Der Schankraum leerte sich
beständig weiter und bald waren nur noch wenige Menschen dort. Die Augen
des Mädchens folgten noch immer Lysander mit großem Interesse. Justin
griff plötzlich über den Tisch und nahm Lysanders Hände in seine. „Du
zitterst,“ flüsterte er und strich ihm die Ärmel über die
Handgelenke. Seine Haut war schmutzig von der Kreide und der Kohle, sein
Blick nervös und die Augen leicht gerötet. Müde lächelte Lysander.
„Ich habe heute Abend über dreißig Bilder gefertigt und verkauft. Wie
würde Anjuli jetzt sagen?“ Eigentlich war es eine rein
rhetorische Frage, aber Justin kannte das Mädchen selbst viel zu gut.
„Du gehst auf dem Zahnfleisch,“ sagte er leise und erinnerte sich an
Anjulis siegessicheres Grinsen, als sie den Spruch zum ersten mal
anbrachte. Lysanders zustimmendes Nicken brauchte er nicht zu sehen. Dann,
von einer Sekunde zur nächsten richtete sich Justin auf und beugte sich
über den Tisch, um Lysander leidenschaftlich zu küssen. Sekunden glaubte der Magier, er
würde den Boden unter den Füßen verlieren. Seine Nervosität schlug in
leidenschaftliche Sehnsucht nach seinem Freund um und er erwiderte seinen
Kuß auf eine Art, die selbst Justin erstaunte. Atemlos trennte sich
Lysander von Justin und sah ihn zärtlich und unendlich traurig an. Der
Blick Cecilias flackerte unsicher. Irgendwie wußte sie nicht, wohin sie
noch schauen konnte, denn Justins Haut, obgleich sein Körper Tot war,
glühte vor Erregung und es war ihm deutlich anzusehen. Auch Lysander
sehnte sich nach seinem Gefährten. Das Schankmädchen stand wie
versteinert da, hoch rot und zitternd. Ihren Händen entglitt ein Tablett
mit Bechern. Justin sah verstört zu ihr und neigte sich wieder über
Lysander, der ihn an seinem Wams packte und ihn von sich aus küßte, noch
ein bißchen wilder und leidenschaftlicher als zuvor. „Liebe mich, nur
heute Nacht noch einmal,“ wisperte Justin, als Lysander ihn wieder los
ließ. Der Ausdruck absoluter Trauer trat in seine Augen. Eine Form von
Leid, die Justin ihm nie zugetraut hätte. Dann, plötzlich hob er den
Blick und sah seinen Freund offen an. Wortlos nickte er Cecilia zu, nahm
ihre Hand, und hauchte einen Kuß darüber. Seine Gewänder raschelten
leise, als er sich erhob und die linke Hand Justins ergriff und sie leicht
drückte. „Ich habe Angst, mich in der Zuneigung zu dir zu verlieren,“
flüsterte er und ließ die Hand des Vampirs wieder los. „Wäre das schrecklich?“
fragte Justin leise. Er drehte sich von Lysander ab und lächelte Cecilia
an. „Madame, dürfen wir euch zu eurem Zimmer begleiten?“ Die alte Dame verzog spöttisch
die Lippen. „Wir hinterlassen einen bleibenden Eindruck.“ Lysander blinzelte. „Ist das
nicht völlig gleichgültig?“ Dann aber nickte er. „Verzeiht, Madame
Cecilia. Es ist nicht fair euch gegenüber. Es war nicht fair, euch in
unsere Sorgen, in meinen persönlichen Feldzug, hinein zu ziehen.“ Sie richtete sich auf. Und
obwohl sie nicht besonders groß war, wuchs sie und wurde stärker und auf
eine Weise jünger, die Lysander warnte. „Wenn es nicht euer Feldzug
wäre, so ist es doch meiner!“ Sie schmunzelte plötzlich. „Und nun
will ich schlafen gehen. Begleitet ihr mich hinauf?“ Beide Männer nickten
schweigend. Justin schlief in seinen Armen,
erschöpft, obwohl er eigentlich schon lange tot war. Beide Männer hatten
sich auf eine Weise verausgabt, als wolle jeder dem anderen beweisen wie
zärtlich und ausdauernd er sein konnte. Lysander weinte vor Scham.
Obgleich es wundervoll war, obgleich er es in vollen Zügen genossen
hatte, mußte er sich anschließend übergeben. Sein Herz verkrampfte sich
zu einem Klumpen Stein. Der zarte Vampir lag in seinen Armen und schlief,
träumte vielleicht, und dennoch fühlte er sich einsam und verloren,
schwach und bloßgestellt. Trotzdem drückte er unbewußt Justin fest an
sich und träumte sich mit Tränen verschleierten Augen seine Geliebte an
sein Herz. Manchmal reichte seine Vorstellungskraft. Seine Finger strichen
über das weiche Gesicht und Justins Locken... Das Bild zerplatzte und er
fühlte sich noch einsamer und leerer als zuvor. Ein lautes Bersten, als habe
jemand die Türe eingeschlagen, ließ Lysander zusammen fahren. Justin
regte sich und hob mißtrauisch den Kopf, gerade so, als habe er nicht
eine Sekunde geschlafen. Mit einer weichen, schnellen Bewegung zog sich
Lysander unter seinem Freund hervor und glitt lautlos aus den Decken.
Ebenso lautlos wie schon Lysander erhob sich auch Justin und richtete sich
auf. Er lauschte, nahm jeden Laut des Hauses in sich auf, jede Bewegung
des Mannes in dem Raum nebenan, sein leises Schnarchen, das Quietschen der
Dielen und die ständige Bewegung des Fachwerks. Der Wind trieb Schnee
gegen das alte Haus und die Äste eines toten Baumes kratzten an der Wand.
Der Sturm schlug die Reste der Haustüre gegen den Stein. Niemand schien
erwacht zu sein. Niemand, bis auf ihn und Lysander. Ein leises Seufzen kam
von unten her. Vorsichtig ergriff Lysander die
Peitsche und die zwei Dolche auf seinen Kleider, darauf bedacht, das
Metall voneinander fern zu halten. Justin schloß die Augen und begann
transparent zu werden unstofflich, wie ein Geist. Seine Gestalt glitt
durch die Türe hinaus, gefolgt von Lysander, der einfach der Wand ihre
Stofflichkeit nahm, um hindurch zu gelangen. Der Geruch nach Blut drang in
Lysanders Bewußtsein. Für eine Sekunde spürte er den Drang davon zu
kosten, die heiße, dampfende Wärme auf seinen Lippen zu spüren, die
Stärke und die Nähe des anderen, den er tötete, die intime Nähe und
das Bewußtsein darüber, alles in und an ihm zu teilen. Aber es
ernüchterte ihn ebenso schnell wieder, als er sich des furchtbaren,
metallenen Geschmacks erinnerte. Wenn er das wollte, diese furchtbar
schmeckende Wärme in seinem Mund, so konnte er genauso gut auch Justin
mit seinen Lippen zum Höhepunkt treiben und ihn dort kommen lassen. Eine
Welle von Übelkeit wischte jeden Gedanken an Blut und Ejakulation aus
seinem Schädel. Justin befand sich wenige Schritte vor ihm, noch immer in
dieser Geisterform, die Lysander überhaupt nicht mochte. Unter ihnen
befand sich etwas, genauso lautlos, genauso gefährlich... Ein Mörder,
der gnadenlos und wahllos tötete... um selbst zu leben? Oder nur um zu
jagen? Hinter ihm barst der
Fensterladen an der Kopfseite des Hauses auf den Flur hinaus. Lysander
fuhr herum und sah sich einem schlanken Schatten gegenüber, zart, fein,
wie der einer Elfe. Sie saß im Rahmen des Fensters, das lange, weiß
blonde Haar, eine schimmernde Kreole aus Mondlicht und leisen
Schneeflocken. Ihre schlanke Gestalt hüllte sich in schwarze
Samtgewänder, ein Kleid, was ihre Gestalt umschmeichelte, die
jugendliche, noch nicht ganz entwickelte Figur und die spitzen Knochen,
die Rippen und die Beckenknochen. Ihre tief dunkelblauen Augen schimmerten
wie ein besonders tiefer See. Abwartend, ruhig, saß sie dort, gespannt
wartend, ob ihre Weiblichkeit auf ihn wirkte, ihre Unschuld, ihre
Reinheit. Justin drehte sich zu ihr um, nickte aber nur stumm und schwebte
hinab. Diese Frau war keine Gefahr für Lysander. Der Magier betrachtete sie sehr
lange Zeit, wobei sich seine Aura veränderte. Er begann selbst eine
erotische Anziehung aus zu senden, unbewußt, aber so stark, daß sich
schon vor langem selbst Justin dessen nicht entziehen konnte. Wie ein
Duft, wie ein starker Hauch erfüllte sich der gesamte Flur mit seiner
Anwesenheit. Die schöne Frau, ihm gegenüber zuckte zusammen. Ihre Augen
weiteten sich fragend, mit einem geringen Widerstand, der dahin schmolz.
Sie glitt vom Fensterbrett herab und verharrte. Lysanders Waffen fielen
herab. Er öffnete ihr seine Arme, breitete sie aus, erwartungsvoll,
sehnsüchtig. “Komm zu mir, meine
zauberhafte Freundin,“ flüsterte er. Sein schwarzer Haarmantel wehte um
seinen bleichen, nackten Körper. Noch einmal versuchte sich ihr Wille
gegen ihn aufzulehnen... Er spürte nicht, wie er sie sich unterwarf. Es
geschah einfach und sie kam ganz von selbst in seine Arme. Für Sekunden war ihr kalter
Leib der einer Frau, der begehrte, und geliebt werden wollte, aber ihre
Natur gewann die Oberhand, als sie unter ihren Fingern, die seinen Körper
streichelten, seine Erregung spürte. Ihre Zähne schlugen sich in seinen
Hals. Glühend heiß spürte er ihren
Kuß, sengend, so daß sein Bewußtsein, seine Beherrschung, weg gewaschen
wurden. Seine Natur brach aus ihm heraus und seine Welt wurde von blutigen
Schleiern verdeckt, von Schmerzen und Qualen und dem Hauch seines eigenen
Todes. Weinend lag sie in seinen
Armen, an ihn geklammert. Wie jeder Vampir hatte sie sein Säurehaltiges
Blut sofort wieder erbrochen. Einem Kind gleich, wiegte er sie, flüsterte
beruhigend auf sie ein, barg sie unter seinen dichten Federn, die sie wie
ein schwarzer Dom umgaben. Er wußte, daß er die Nabelschnur zu ihrem
Herren zertrennt hatte, auf ewig und sie frei war, oder ihm folgen konnte.
Die plötzliche Einsamkeit, das Wissen, allein zu sein, ohne den, der sie
führen konnte, war sie hilflos.
~Fin~
|
(c) Tanja Meurer, 1998 |