A Vampires Tale

Short Story

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Ihre Ängste waren völlig unbegründet, das begriff Cecilia sehr schnell. Lysander war nicht nur ein hervorragender Reiter, sondern auch Gentleman genug, um ihr seinen Mantel um die Schultern zu legen und sie so dezent und unaufdringlich fest zu halten, wie es ihm gerade noch möglich war. Die alte Dame ritt im Damensitz, was ohne entsprechenden Sattel fast unmöglich war. Aber sie konnte sich an der Mähne, die doch sehr Stofflich war, festhalten und Lysander, der hinter ihr saß, hielt seinen rechten Arm um ihre Taille geschlungen. Bald wußte sie, wie sicher sie bei ihm war, und daß er sie nicht loslassen würde. Zu dem bewegte sich das Phantompferd völlig ruhig und gleichmäßig. Justin hatte sich bald wieder unter Kontrolle und ließ sein Tier neben dem Lysanders her traben. Sie hielten sich vernünftiger Weise abseits der Handelsstraße. Aber nicht nur der Pferde wegen. Cecilia wies den Weg, der noch am Lauf des kleinen Baches entlang führte, parallel zur Straße, aber geschützt durch Obstbäume, die weder Blätter, noch Früchte trugen und die Weinstöcke. Je weiter sie sich von dem Dorf entfernten, in dem Cecilia lebte, desto freier und fröhlicher wurde die alte Dame. Sie ließ eine furchtbare Last hinter sich, vielleicht sogar ein eigenes, ganz persönliches Geheimnis. Es war ihr Abenteuer, vielleicht das Größte in ihrem Leben. Und auch wenn sie wußte, daß sie nicht zurückkehren würde, war sie doch glücklich. Lysander spürte die Veränderung und sie rief in ihm tiefe Melancholie wach. Diese Frau konnte er nicht einfach töten, wie sie es von ihm wollte... Nicht einfach so.

An einer besonders flachen Stelle durchquerten sie den Bach und ritten südwestlich durch die Felder weiter. Weiß verschneite Hügel erstreckten sich bis zum Horizont. Das eine oder andere Dorf blieb in weiterer Entfernung hinter ihnen. Oftmals sahen sie nichts als die Rauchfahnen aus den Schornsteinen. Der eine oder andere Bauer wanderte an ihnen vorbei, grüßte, hielt sich aber doch fern von den drei Reisenden. Das Mißtrauen konnte Lysander regelrecht spüren. Die Menschen hier erlebten in den letzten Jahrzehnten Schreckliches. Und obwohl sie bei Tage freundlich und aufgeschlossen war, lag der Schleier der Angst über diesem Ort. Er hatte im Lauf seiner Existenz Länder kennen gelernt, die von der Angst und dem Terror geknechtet wurden und sich dem Leben anpaßten. Diese hier waren anders. Sie fürchteten sich, aber sie ließen nicht zu, daß die Angst Herr ihren Handelns wurde.

„Diese Fremden...“ Cecilia sah ängstlich zu Justin und drehte den Kopf weit genug, um auch Lysanders Aufmerksamkeit zu haben. „Sie sind untereinander verfeindet,“ sagte sie leise. „Es gibt zwei Orte, an denen sie sich aufhalten.“

Justin strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, ohne recht zu registrieren, was er da tat. „Verfeindet?“ Er sah Cecilia aus seinen riesengroßen Mandelaugen an. Ihr blasser, klarer Blick traf den seinen. Ihm wurde bewußt, daß sie mehr wußte, als sie es bisher zugegeben hatte. Aber er faßte sich in Geduld. Cecilia würde von selbst sprechen. Sie deutete geradewegs auf ihn. „Einige sind wie ihr. Sie sind Nosferatu, Untote.“ Sie senkte den Blick. „Aber sie können das Licht nicht ertragen und die Anwesenheit des Glaubens schreckt sie. Aber sie sind so schön und edel, wie ihr, Justin.“

„Menschliche Vampire,“ flüsterte Lysander, dessen Gedanken anfingen, sich einen Krieg zwischen Vampiren und anderen Untoten auszumalen.

„Ihr seid ein Vampir,“ sagte Cecilia zu Justin. In ihrer Stimme klang keine Angst, nur feste Gewißheit.

„Vor etwas mehr als achthundert Jahren war ich ein Elf, ein Künstler und Wissenschaftler. Ich bin der letzte Mondelf und der einzige Vampir, der den Tag erträgt. Meine Existenz währt seit eintausendunddreihundert Jahren. Ich bin ein Geschöpf des Gottes, meiner Heimat. Allein aus meinem Glauben heraus und der Nähe des geflügelten Gottes bin ich kein Geschöpf des Bösen sondern ein Wesen was Idealen folgt.“

Sie lächelte und tastete mit einer Hand vorsichtig nach der des Elfen. Justin lenkte sein Pferd näher an sie heran und ergriff ihre Finger. „Ich könnte euch nichts tun, Madame Cecilia. Es ist mir sogar unmöglich eurem Wunsch zu entsprechen. Ich kann euch nicht den Frieden schenken. Ich will nicht töten. Meine Berufung ist es zu schützen und Freude zu geben.“

Cecilia schloß für eine Weile die Augen. Auf ihrem alten Gesicht erschien ein zufriedener, seliger Ausdruck und sie lehnte sich ein wenig an Lysander, der es still zuließ. „Beide rekrutieren Menschen, um im Kampf gegen die andere Seite zu bestehen.“ Lysander sah Justin an. „Wäre es nicht möglich, daß eine von beiden Seiten schon hier war, oder erst durch die Ankunft der anderen geweckt wurde?“

Nachdenklich nickt Justin. „Oder eine Seite hat sich von der anderen getrennt, nachdem sie bemerkte, daß das Ziel ein anderes war...“

„Oder der Weg zu diesem Ziel ein anderer war.“ Lysander zog die Brauen zusammen und spann die Gedankengänge weiter.

„Die andere Seite sind diese Geschöpfe, diese wandelnden, mißgestalteten Toten.“ Cecilia hatte die Worte der Männer genau verfolgt.

„Es sind Menschen,“ sagte Lysander leise. „Ein furchtbar abgrundtief böser Zauber hat sie zu wandelnden Toten werden lassen. In einer Welt, durch die ich einst wanderte, nannte man sie Fomori. Eine Art Untoter, die nicht starben, bevor sie dazu wurden. Man kann es mit einem Fluch vergleichen, nur ist es wesentlich schlimmer. Es gibt wenige Zauberer, die über einen solchen Totenzauber verfügen. Dazu muß der Magier selbst ein Untoter sein.“

„Ein Vampir?“ fragte Cecilia.

„Nein, ein Magier, der sich mit Lebenskraft manipulierenden Zaubern aufrecht erhält. Es gibt nicht nur Vampire. Die Art der Untoten ist so zahlreich und unterschiedlich wie die der menschlichen Persönlichkeiten.“ Ehrlich erschrocken sah Cecilia sich zu ihm um.

„Es gibt solche, die ohne eigenen Geist und Verstand sind, welche die intelligent sind und viele, die Lebenskraft brachen. Skelette und Zombies sind nichts als geistlose Kampfmaschinen oder Wächter. Ghule sind intelligent und sie paralysieren ihr Opfer. Genaugenommen sind sie Menschenfresser. Schatten sind gefährlich, weil man sie nicht zu fassen bekommt... Der Vampir ist vielleicht einer der höchst entwickelten Untoten, einer der mächtigsten, aber selbst darüber gibt es noch den Geist und den...“

„Und was davon seid ihr?“ fragte Cecilia vorsichtig. Das Pferd Lysanders blieb stehen.

„Gebt mir eure Hand,“ bat der Magier. Die alte Dame drehte sich langsam um und hielt ihm ihre Rechte hin, während Lysander sie fest hielt, damit sie nicht von dem Rücken des Tieres glitt. Behutsam führte er ihre Hand an seine Brust und legte sie über sein Herz. Durch ihre kalten Finger ging der regelmäßige Schlag seines Herzens. „Ich lebe,“ sagte er leise. „Auch wenn ich kein Mensch bin, so lebe ich.“

Die hellen Augen musterten ihn eine ganze Weile schweigend. Ihre Hand ruhte weiter auf seiner Brust. Durch das Wams und das Hemd konnte sie seine Knochen spüren und das leichte Zittern, denn Lysander fror ganz erbärmlich, aber ihn schützte wenigstens noch der dichte, schwarze Haarmantel, der offen um seinen Körper lag und ihn darin wieder ein zu weben drohte. „Ihr friert wie ein Mensch in der Kälte.“

„In dem Menschlichen Körper muß ich mich mit Kleidung schützen,“ lächelte Lysander. „Meine natürliche Gestalt bietet den Schutz meiner gefiederten Flügel vor der Kälte.“ Trauer trat in seine Augen. „So lange ich lebe, bin ich in diesem Körper eingesperrt. Die Völker meiner Heimat fürchteten mich entweder oder fielen vor mir in den Staub. Wenige akzeptierten in mir einen lebendigen Mann, der seine eigenen Sorgen und Ängste hat, der genauso arbeiten mußte, um zu leben und der sich in wenigem von ihnen unterschied. Ich bin genauso unsterblich wie die Elfen, genauso Magisch wie sie und muß Nahrung zu mir nehmen, Sterbe, wenn mir jemand das Herz durchbohrt... Ich werde nur nicht alt. Meine Haut ist so schwarz wie die der Orcs, meine Augen glühen in der Nacht wie die der Ratten und meine Klauen sind die der Echsen. Ich trage die Merkmale fast jeden Volkes in mir, selbst das der Riesen, der Oger. Ich bin über zwei Meter groß...“

„Ihr seid verbittert über der Ablehnung der anderen Völker.“ Cecilia sah Justin an und dann wieder zurück zu Lysander. „Ich akzeptiere euch wie ihr seid. Ihr, der Vampir, und ihr, wie immer sich eure Rasse nennen mag.“

„Sie sind die schwarzen Engel, die Ikari.“

„Kennt ihr,“ begann Cecilia, während Lysander seinem Pferd den Befehl gab, weiter zu laufen. „die Geschichte von Ikarus und Daedalus? Ikarus, der Sohn des Daedalus, der aus seiner Gefangenschaft entfliehen wollte und sich mit Wachs Flügel schuf. Er entkam, stürzte aber ab, weil er sich zu nah an der Sonne befand.“

Lysander lächelte. „Meine Schwingen schmelzen nicht in der Sonne.“

 

Gegen Abend erreichten sie die ersten Häuser der nächsten großen Stadt. Cecilia bat Lysander, nicht weiter zu reiten, obgleich es wohl nicht mehr sehr weit sein konnte, bis sie ihr Ziel erreichten. Auch Justin hielt es für Unklug, sich zwischen die Fronten eines Krieges zweier unbekannter Größen zu begeben, wenn sie die Zeit ihrer größten Macht hatten, in einer Neumondnacht, wie dieser.

Leider mußte Lysander zugeben, daß beide recht hatten. Es war nicht der Zeitpunkt, sich schon jetzt zu verausgaben oder sich auf eine Machtdemonstration einzulassen. Also gab er den beiden Pferden ein etwas natürlicheres Aussehen und zwang seine nervöse Neugier herab.

Es ergab sich beinah das gleiche Problem wie an den letzten Abenden zuvor schon. Die Suche nach einer Bleibe gestaltete sich als eine wirklich schwere Aufgabe. Doch die alte Dame, in ihrer beider Begleitung und Lysanders Talent, Frauen zu umgarnen, verhalf ihnen zu einer Unterkunft. Justin ärgerte es, daß Lysander mit Sicherheit in der Nacht nicht in seinem Bett schlafen würde. Schlimmer noch. Das Mädchen, mit dem Lysander gesprochen hatte, war besonders hübsch. Ein zartes, kleines Geschöpf mit langem, dunkelbraunem Haar und Rehbraunen Augen. Ihr Blick haftete den ganzen Abend an Lysander, solang Justin im gut gefüllten Gastraum saß und spielte. Der einzige Grund, Lysander nicht sehr offen zu zeigen, daß sie auf eine Nacht mit ihm hoffte, war Cecilia. An diesem Abend zeichnete Lysander, bis seine Handgelenke schmerzten. Viele von den Gästen waren Händler, die auf der Durchreise waren, einige gehörten zur örtlichen Bevölkerung und einige waren Bauern aus anderen Orten, die ihre Waren an der Markthalle verkauft hatten und nun warteten, am folgenden Morgen nach Hause zu reisen. Portraits, Zeichnungen nach der Beschreibung der Männer, von ihren Kindern oder Frauen, Bilder der Schankmädchen... Für die Bilder, die er für Kinder anfertigte, dachte er sich das eine oder andere Gedicht aus und schrieb es in seiner eleganten Handschrift auf den Rand. Aber den Zeichnungen fehlte etwas wichtiges, was Cecilia sehr schnell auffiel. Die Seele. Irgendwann, schon sehr spät in der Nacht, neigte sich die alte Dame zu Lysander und legte ihre Hand über seine. „Ihr seid erschöpft, mein Freund. Beendet diese Arbeit.“

Er sah dankbar zu ihr, als habe er gehofft, von ihr erlöst zu werden. „Habt ihr auch eine Idee, wie ich der jungen Dame dort drüben entgehe?“ fragte er leise. Über die Lippen der alten Dame glitt ein zauberhaftes Lächeln. Sie richtete sich ein Stück weit auf und winkte Justin kurz zu. Der Elf nickte und beendete sein Lautenspiel, um an den Tisch zurück zu kommen. Er setzte sich zu Cecilia und legte sein Instrument auf den Tisch und schlug es sorgfältig in den Samt ein. „Madame?“ fragte er freundlich, obwohl ihm dabei gar nicht wohl war.

Sie legte sittsam ihre gefalteten Hände auf die Tischplatte und betrachtete den Becher mit rotem Gewürzwein, der schon lange abgekühlt war. „Mein Freund, wollt ihr Lysander nicht helfen, ihm eine Nacht mit diesem jungen Mädchen zu ersparen, die er nicht mit ihr verbringen will?“

Justin sah sie fragend an. Aber Cecilia lächelte nur hintergründig. Natürlich begriff der Elf, worauf sie hinaus wollte und lächelte sie an, als teilten sie ein großes Geheimnis. „Ihr könnt euch auf mich verlassen, Madame.“

Der Schankraum leerte sich beständig weiter und bald waren nur noch wenige Menschen dort. Die Augen des Mädchens folgten noch immer Lysander mit großem Interesse. Justin griff plötzlich über den Tisch und nahm Lysanders Hände in seine. „Du zitterst,“ flüsterte er und strich ihm die Ärmel über die Handgelenke. Seine Haut war schmutzig von der Kreide und der Kohle, sein Blick nervös und die Augen leicht gerötet. Müde lächelte Lysander. „Ich habe heute Abend über dreißig Bilder gefertigt und verkauft. Wie würde Anjuli jetzt sagen?“

Eigentlich war es eine rein rhetorische Frage, aber Justin kannte das Mädchen selbst viel zu gut. „Du gehst auf dem Zahnfleisch,“ sagte er leise und erinnerte sich an Anjulis siegessicheres Grinsen, als sie den Spruch zum ersten mal anbrachte. Lysanders zustimmendes Nicken brauchte er nicht zu sehen. Dann, von einer Sekunde zur nächsten richtete sich Justin auf und beugte sich über den Tisch, um Lysander leidenschaftlich zu küssen.

Sekunden glaubte der Magier, er würde den Boden unter den Füßen verlieren. Seine Nervosität schlug in leidenschaftliche Sehnsucht nach seinem Freund um und er erwiderte seinen Kuß auf eine Art, die selbst Justin erstaunte. Atemlos trennte sich Lysander von Justin und sah ihn zärtlich und unendlich traurig an. Der Blick Cecilias flackerte unsicher. Irgendwie wußte sie nicht, wohin sie noch schauen konnte, denn Justins Haut, obgleich sein Körper Tot war, glühte vor Erregung und es war ihm deutlich anzusehen. Auch Lysander sehnte sich nach seinem Gefährten. Das Schankmädchen stand wie versteinert da, hoch rot und zitternd. Ihren Händen entglitt ein Tablett mit Bechern. Justin sah verstört zu ihr und neigte sich wieder über Lysander, der ihn an seinem Wams packte und ihn von sich aus küßte, noch ein bißchen wilder und leidenschaftlicher als zuvor. „Liebe mich, nur heute Nacht noch einmal,“ wisperte Justin, als Lysander ihn wieder los ließ. Der Ausdruck absoluter Trauer trat in seine Augen. Eine Form von Leid, die Justin ihm nie zugetraut hätte. Dann, plötzlich hob er den Blick und sah seinen Freund offen an. Wortlos nickte er Cecilia zu, nahm ihre Hand, und hauchte einen Kuß darüber. Seine Gewänder raschelten leise, als er sich erhob und die linke Hand Justins ergriff und sie leicht drückte. „Ich habe Angst, mich in der Zuneigung zu dir zu verlieren,“ flüsterte er und ließ die Hand des Vampirs wieder los.

„Wäre das schrecklich?“ fragte Justin leise. Er drehte sich von Lysander ab und lächelte Cecilia an. „Madame, dürfen wir euch zu eurem Zimmer begleiten?“

Die alte Dame verzog spöttisch die Lippen. „Wir hinterlassen einen bleibenden Eindruck.“

Lysander blinzelte. „Ist das nicht völlig gleichgültig?“ Dann aber nickte er. „Verzeiht, Madame Cecilia. Es ist nicht fair euch gegenüber. Es war nicht fair, euch in unsere Sorgen, in meinen persönlichen Feldzug, hinein zu ziehen.“

Sie richtete sich auf. Und obwohl sie nicht besonders groß war, wuchs sie und wurde stärker und auf eine Weise jünger, die Lysander warnte. „Wenn es nicht euer Feldzug wäre, so ist es doch meiner!“ Sie schmunzelte plötzlich. „Und nun will ich schlafen gehen. Begleitet ihr mich hinauf?“

Beide Männer nickten schweigend.

 

Justin schlief in seinen Armen, erschöpft, obwohl er eigentlich schon lange tot war. Beide Männer hatten sich auf eine Weise verausgabt, als wolle jeder dem anderen beweisen wie zärtlich und ausdauernd er sein konnte. Lysander weinte vor Scham. Obgleich es wundervoll war, obgleich er es in vollen Zügen genossen hatte, mußte er sich anschließend übergeben. Sein Herz verkrampfte sich zu einem Klumpen Stein. Der zarte Vampir lag in seinen Armen und schlief, träumte vielleicht, und dennoch fühlte er sich einsam und verloren, schwach und bloßgestellt. Trotzdem drückte er unbewußt Justin fest an sich und träumte sich mit Tränen verschleierten Augen seine Geliebte an sein Herz. Manchmal reichte seine Vorstellungskraft. Seine Finger strichen über das weiche Gesicht und Justins Locken... Das Bild zerplatzte und er fühlte sich noch einsamer und leerer als zuvor.

Ein lautes Bersten, als habe jemand die Türe eingeschlagen, ließ Lysander zusammen fahren. Justin regte sich und hob mißtrauisch den Kopf, gerade so, als habe er nicht eine Sekunde geschlafen. Mit einer weichen, schnellen Bewegung zog sich Lysander unter seinem Freund hervor und glitt lautlos aus den Decken. Ebenso lautlos wie schon Lysander erhob sich auch Justin und richtete sich auf. Er lauschte, nahm jeden Laut des Hauses in sich auf, jede Bewegung des Mannes in dem Raum nebenan, sein leises Schnarchen, das Quietschen der Dielen und die ständige Bewegung des Fachwerks. Der Wind trieb Schnee gegen das alte Haus und die Äste eines toten Baumes kratzten an der Wand. Der Sturm schlug die Reste der Haustüre gegen den Stein. Niemand schien erwacht zu sein. Niemand, bis auf ihn und Lysander. Ein leises Seufzen kam von unten her.

Vorsichtig ergriff Lysander die Peitsche und die zwei Dolche auf seinen Kleider, darauf bedacht, das Metall voneinander fern zu halten. Justin schloß die Augen und begann transparent zu werden unstofflich, wie ein Geist. Seine Gestalt glitt durch die Türe hinaus, gefolgt von Lysander, der einfach der Wand ihre Stofflichkeit nahm, um hindurch zu gelangen.

Der Geruch nach Blut drang in Lysanders Bewußtsein. Für eine Sekunde spürte er den Drang davon zu kosten, die heiße, dampfende Wärme auf seinen Lippen zu spüren, die Stärke und die Nähe des anderen, den er tötete, die intime Nähe und das Bewußtsein darüber, alles in und an ihm zu teilen. Aber es ernüchterte ihn ebenso schnell wieder, als er sich des furchtbaren, metallenen Geschmacks erinnerte. Wenn er das wollte, diese furchtbar schmeckende Wärme in seinem Mund, so konnte er genauso gut auch Justin mit seinen Lippen zum Höhepunkt treiben und ihn dort kommen lassen. Eine Welle von Übelkeit wischte jeden Gedanken an Blut und Ejakulation aus seinem Schädel. Justin befand sich wenige Schritte vor ihm, noch immer in dieser Geisterform, die Lysander überhaupt nicht mochte. Unter ihnen befand sich etwas, genauso lautlos, genauso gefährlich... Ein Mörder, der gnadenlos und wahllos tötete... um selbst zu leben? Oder nur um zu jagen?

Hinter ihm barst der Fensterladen an der Kopfseite des Hauses auf den Flur hinaus. Lysander fuhr herum und sah sich einem schlanken Schatten gegenüber, zart, fein, wie der einer Elfe. Sie saß im Rahmen des Fensters, das lange, weiß blonde Haar, eine schimmernde Kreole aus Mondlicht und leisen Schneeflocken. Ihre schlanke Gestalt hüllte sich in schwarze Samtgewänder, ein Kleid, was ihre Gestalt umschmeichelte, die jugendliche, noch nicht ganz entwickelte Figur und die spitzen Knochen, die Rippen und die Beckenknochen. Ihre tief dunkelblauen Augen schimmerten wie ein besonders tiefer See. Abwartend, ruhig, saß sie dort, gespannt wartend, ob ihre Weiblichkeit auf ihn wirkte, ihre Unschuld, ihre Reinheit. Justin drehte sich zu ihr um, nickte aber nur stumm und schwebte hinab. Diese Frau war keine Gefahr für Lysander.

Der Magier betrachtete sie sehr lange Zeit, wobei sich seine Aura veränderte. Er begann selbst eine erotische Anziehung aus zu senden, unbewußt, aber so stark, daß sich schon vor langem selbst Justin dessen nicht entziehen konnte. Wie ein Duft, wie ein starker Hauch erfüllte sich der gesamte Flur mit seiner Anwesenheit. Die schöne Frau, ihm gegenüber zuckte zusammen. Ihre Augen weiteten sich fragend, mit einem geringen Widerstand, der dahin schmolz. Sie glitt vom Fensterbrett herab und verharrte. Lysanders Waffen fielen herab. Er öffnete ihr seine Arme, breitete sie aus, erwartungsvoll, sehnsüchtig.

“Komm zu mir, meine zauberhafte Freundin,“ flüsterte er. Sein schwarzer Haarmantel wehte um seinen bleichen, nackten Körper. Noch einmal versuchte sich ihr Wille gegen ihn aufzulehnen... Er spürte nicht, wie er sie sich unterwarf. Es geschah einfach und sie kam ganz von selbst in seine Arme.

Für Sekunden war ihr kalter Leib der einer Frau, der begehrte, und geliebt werden wollte, aber ihre Natur gewann die Oberhand, als sie unter ihren Fingern, die seinen Körper streichelten, seine Erregung spürte. Ihre Zähne schlugen sich in seinen Hals.

Glühend heiß spürte er ihren Kuß, sengend, so daß sein Bewußtsein, seine Beherrschung, weg gewaschen wurden. Seine Natur brach aus ihm heraus und seine Welt wurde von blutigen Schleiern verdeckt, von Schmerzen und Qualen und dem Hauch seines eigenen Todes.

 

Weinend lag sie in seinen Armen, an ihn geklammert. Wie jeder Vampir hatte sie sein Säurehaltiges Blut sofort wieder erbrochen. Einem Kind gleich, wiegte er sie, flüsterte beruhigend auf sie ein, barg sie unter seinen dichten Federn, die sie wie ein schwarzer Dom umgaben. Er wußte, daß er die Nabelschnur zu ihrem Herren zertrennt hatte, auf ewig und sie frei war, oder ihm folgen konnte. Die plötzliche Einsamkeit, das Wissen, allein zu sein, ohne den, der sie führen konnte, war sie hilflos.

 

~Fin~

 

(c) Tanja Meurer, 1998