Leben im Käfig
Schon
seit mehreren Jahren leidet der 19-jährige Andreas von Winterfeld an Agoraphobie
und ist nicht in der Lage das Haus zu verlassen, ohne Panikattacken und
Angstzustände zu erleiden. So vegetiert er in seinem Zimmer in der Villa seiner
steinreichen Eltern dahin, und hat zwar alles, was man mit Geld kaufen kann,
aber weder die Zuwendung noch die Akzeptanz seiner Familie. Eines Tages zieht
der Abiturient Sascha Suhrkamp in das Nachbarshaus nachdem er sein Elternhaus
aufgrund seines unfreiwilligen Coming-Outs verlassen hat. Zwischen den beiden
ungleichen jungen Männern entwickelt sich eine leichte Freundschaft, die bald
schon bald tiefer geht und sie eng aneinander schweißt. Doch ist Sascha in der
Lage neben dem Abiturstress und den Problemen mit seinen Eltern, einen
schwerkranken Jungen zu akzeptieren? Und wird es Andreas gelingen irgendwann
auszubrechen?
Der Roman „Leben im Käfig“ von Raik Thorstad ist der erste Band der Duologie um
Andreas und Sascha und erschien erstmals 2011 im FWZ Verlag. Nach einigen
rechtlichen Problemen mit dem Originalverlag, wurde der Roman 2013 schließlich
im Incubus Verlag neu aufgelegt und um die Fortsetzung „Nach der Hölle links“
erweitert, die die Geschichte beendet.
Die Handlung ist für Fans der schwulen Literatur oder auch Gay Romance
ungewöhnlich, da es kaum vergleichbare Bücher über die Krankheit Agoraphobie auf
dem Markt gibt und „Leben im Käfig“ durchaus in die Sparte Entwicklungsroman und
Jugend-Drama fällt, sprich trotz der erotischen Szenen auch Leser anspricht, die
schwuler Literatur normalerweise wenig abgewinnen können. Umso faszinierender
ist der Grundplot rund um Andreas, der zu Beginn des Buches nicht einmal in den
Garten gehen kann, um im Pool zu schwimmen, ohne von einer Panikattacke
umgeworfen zu werden. „Leben im Käfig“ wartet nicht mit einer actiongeladenen,
explosiven Handlung auf, sondern bleibt die meiste Zeit ruhig und fordert den
Leser auf sich auf Andreas Krankheit einzulassen. Schonungslos ehrlich berichtet
Raik Thorstad von den Auswirkungen der Krankheit, zeigt, was aus Andreas
geworden ist und wie schwer ihm alltägliche Dinge erscheinen. Dabei geht der
Autor wertungsfrei an die Sache heran, informiert und regt zum Nachdenken an. Er
hat ein ungewöhnliches, persönliches Thema gewählt und beschreibt die Geschichte
daher sehr sensibel und mit der notwendigen Sorgfalt. Doch nicht nur Andreas
steht im Zentrum der Geschichte, auch Sascha und seinem Leben wird viel
Aufmerksamkeit entgegengebracht. Der lebensfrohe Abiturient, der aus einem
kleinen hessischen Dorf in das pulsierende Hamburg zieht, hat etliche Baustellen
in seinem Leben, denen er sich widmen muss. Als zweite Hauptfigur wirkt er
greifbarer als Andreas, da seine Probleme für den Leser leichter verständlich
und nachvollziehbar sind. Gerade homosexuelle Männer, die ähnliche Erfahrungen
gemacht haben wie Sascha werden sich in dem jungen Mann wiederfinden.
Hin und wieder zieht sich die Handlung etwas in die Länge, gerade am Anfang
dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis es vorangeht und die beiden ungleichen
Männer aufeinander zugehen. Hier hätte man durchaus kürzen können, da „Leben im
Käfig“ auch mit 400-500 Seiten noch ein beachtliches Buch gewesen wäre.
Neben der Handlung wissen auch die Figuren zu gefallen, auch wenn es Situationen
gibt, wo man Andreas und Sascha „gegen die Wand klatschen“ möchte.
Nichtsdestotrotz sind beide sehr gut nachvollziehbar, handeln logisch und
spiegeln ihr Alter und ihre Zeit wieder. Man kann ihre Reaktionen und ihr
Verhalten sehr gut nachvollziehen, da Raik Thorstad viel Zeit aufwendet auf ihre
Gefühle und Gedanken einzugehen. Doch nicht nur die beiden Hauptcharaktere
funktionieren, auch die Nebenfiguren sind sehr passend und lebendig. Sei es
Saschas Tante Tanja und ihre Familie, Andreas Eltern und seine Haushälterin
Ivana, oder die neuen Mitschüler und Freunde, die Sascha in Hamburg kennenlernt.
Sie wirken wie reale Personen, was vermuten lässt, dass es für die meisten
Figuren reale Vorbilder gibt.
Sprachlich gibt es kaum etwas auszusetzen, außer dass Raik Thorstad manchmal zu
extrem ins Detail geht und die Beschreibungen mitunter etwas lang geraten sind.
Auch gibt es einige ungünstig gewählte Fanfiction-Termini, die sich im Laufe der
Zeit jedoch verlieren, was das Buch deutlich aufwertet. Dank der
abwechslungsreichen Sprache und der gelungenen Wortwahl fallen die kleinen
Fehler nur minder ins Gewicht, da sich der Roman sehr schnell und flüssig liest.
Es fällt schwer, „Leben im Käfig“ aus der Hand zu legen, insbesondere zum Ende
hin, als die Geschichte spürbar an Fahrt gewinnt und den Höhepunkt erreicht.
„Leben m Käfig“ ist ein ungewöhnliches, tiefgründiges Werk, das einen sehr
genauen und detaillierten Einblick in das Leben eines Menschen gibt, der unter
Agoraphobie leidet. Trotz des ernsten und sensiblen Themas versteift sich Raik
Thorstad nicht nur auf den kranken Andreas, sondern präsentiert mit Sascha auch
ganz alltägliche Probleme und Sorgen. Dadurch gelingt ihm ein faszinierendes
Zusammenspiel zweier junger Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten und
trotzdem viele gemeinsame Probleme teilen. Dank seiner bildhaften und
wortgewandten Sprache, sieht man auch über die Längen hinweg, die immer wieder
das Voranschreiten der Handlung erschweren.
Wer die unzähligen Coming-Out Geschichten, Aids-Problem-Bücher und Gay
Romance Werke satt hat und einen Blick über den Tellerrand wagen möchte, der
sollte sich „Leben im Käfig“ zu Gemüte führen. Es empfiehlt sich jedoch auch die
Fortsetzung „Nach der Hölle links“ griffbereit zu haben, damit man nahtlos
weiterlesen kann. Zu empfehlen.
"Like a Dream" bedankt sich beim Incubus Verlag für die
Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
Titel:
|
Leben im Käfig |
Autor: |
Raik Thorstad |
Genre: |
Alltag, Drama |
Verlag: |
Incubus Verlag, 2013 |
Preis: |
12,95 Euro |
ISBN: |
978-3981594829 |
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Bildcopyright:
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