Der Gefangene |
Kapitel 1: ================================================================================ Luca lag wach auf seinem Bett
und starrte in die Luft. Er konnte nicht anders, als sich um Wayne Sorgen zu
machen. „Luca?“ Silverstone, dachte Luca.
„Ja?“ „Du bist ein mutiger
Junge,“ sagte der alte Mann leise. „Für O’Reily hat bis heute noch
niemand seinen Hals riskiert.“ „Ich bin sicher nicht mutig,
Miles. Wenn ich es wäre, hätte ich nicht zugesehen, wie du und der Junge
mir eben bei Albright den hals gerettet habt, sondern zugegeben, was ich
getan habe.“ „Du wärst im Bau geendet und
alle Privilegien wären weg.“ Luca drehte sich zur Wand.
„Schlaf’, Miles,“ murmelte er und vergrub sein Gesicht im Kissen. Am folgenden Morgen erwachte
Luca sehr früh, weit vor dem Wecken. Er spürte, dass er nicht mehr allein
in seiner Zelle war. Vorsichtig drehte er sich herum und fuhr zusammen, als
sich eine große, schwere hand über seine Lippen legte. „Sht, leise,“ wisperte
Farlan. „Ich will mit dir reden.“ Luca hielt still, reglos blieb
er liegen und sah zu Farlan auf. Der Wachmann kniete neben Lucas Bett.
„Ich will nur mit dir reden.“ Langsam nahm Farlan seine Hand
von Lucas Lippen und richtete sich auf. Nach einigen Sekunden setzte er sich
auf die Kante von Lucas Pritsche. Langsam setzte sich Luca auf und zog sich
seine Decke um die Schultern. Noch immer fühlte er sich schwach und müde,
aber auch auf unerklärliche Weise ertappt und unwohl, denn er war nackt.
Eine lebende Einladung für Farlan, der eine viel zu tiefe Sympathie für
ihn hegte. Farlan sah ihn an, mit
brennenden Augen. Sein Blick bohrte sich in Lucas, fast als fürchte er,
mehr von Luca zu sehen. „Du...“ Farlan verstummte.
Seine Hand näherte sich Lucas Wange, verharrte, strich dann vorsichtig,
unsicher, wie ein Junge, der zum ersten Mal ein Mädchen berührt, über
Lucas Hals. Luca schauerte unter der Berührung. Sie war ihm unangenehm, löste
in ihm eine tiefe Angst aus. Wenn er es wollte, konnte Luca diesen Mann mit
einem Wort töten, aber er dürfte sich nicht regen. Wenigstens nicht, wenn
er nicht auffallen wollte. Dieses Gefängnis wurde langsam zu einer
Mausefalle. Plötzlich zog Farlan die Hand
zurück und riss sich von dem Anblick Lucas los. „Wir haben ein Problem.“ Verwirrt sah Luca ihn an. Er
konnte fühlen, dass Farlan aus einem völlig anderen Grund gekommen war,
und ihm sicher der Grund noch weniger behagen würde, als ein zudringlicher
Aufseher. Er zog die Knie an den Leib und umfing sie mit den Armen. Sein
Kinn ruhte auf den Knien und er sah Farlan an. „Luca...“ Farlan sah zu ihm
und stockte wieder. „So kann ich kaum mit dir reden, wenn du mich ansiehst
wie eine Mischung aus einer Sphinx und einem Reh.“ Luca lächelte, auch wenn er es
nicht wollte. „Den Vergleich hat noch niemand angestellt,“ sagte er.
„Aber von welchem Problem reden sie?“ „Albright hat veranlasst,
dass Rick und Many Osmond hier herverlegt werden sollen und noch ein paar
andere Männer, die Shelby sehr nahe stehen. Es war klar, dass er Waynes
Verrat nicht hinnehmen würde. Nun hat er dafür gesorgt, dass mehr von
ihnen hierher kommen.“ „Wayne...“ murmelte Luca.
„Dann ist er in Gefahr.“ „Ich weiß ja nicht, wie du
ihn um den Finger gewickelt hast, aber er hat sich auf deine Seite
geschlagen.“ Luca sah ihn einige Sekunden
erschrocken an. „Was will dieser Shelby von mir? Ich bin doch absolut
nicht außergewöhnlich.“ Was verdammt konnte Shelby von ihm wollen? Hier
war er nichts als jemand, der einen Kindermörder getötet hatte, ein Mann,
der nur wegen Totschlages, nicht wegen Mordes verurteilt wurde. Und dass er
ein Kunstdieb und Bilderfälscher war, davon wusste niemand etwas. Nur
Wayne. Und wegen seines Aussehens? Luca wusste zu gut, dass er
anders war als jeder andere hier, anders aussah, ein wenig exotisch und
verletzlich und ihm war durchaus bewusst, dass es verdammt viele gab, die
nicht ausschließlich an Frauen dachten, während sie onanierten, sondern
einige durchaus auch saß an seinem Körper hatten, aber das rechtfertigte
nicht diese wahnsinnige Versessenheit, mit der Shelbys Männer ihn
verfolgten. Was aber, wenn Shelby, wer immer er war, mehr wusste, wenn er
Luca bereits davor kannte... Was, wenn Shelby nicht Shelby war, sondern
jemand, der Luca noch kannte, als Luca noch Lysander war, oder Gabriel,
oder... „Was hast du denn, Luca?“
Besorgt strich Farlan ihm das Haar aus den Augen. „Du siehst aus, als hättest
du einen Geist gesehen.“ „Können sie mir ein Bild von
Shelby Morane zeigen, Mr. Farlan?“ „Warum?“ fragte dieser nervös.
Scheinbar wurde ihm bewusst, dass Luca einen Verdacht hegte oder etwas
ausheckte. Luca antwortete nicht gleich
darauf. „Warum, Luca,“ fragte er
eindringlich. „Was hast du vor?“ „Ich will nur wissen, wer
Shelby Morane, das Schreckgespenst dieser Anstalt, ist, und worauf sich
seine eigentliche Macht begründet. Wissen über andere... Das ist mir ein
wenig zu wachsweich. Er muss so sein wie ich, sonst hätte er kein solches
Interesse an mir.“ „Ich kann dir beschreiben wie
er ist, Luca, aber ihn dir zeigen...“ „Ein Bild, ein Foto...“
Luca schob Farlan zur Seite, schwang die Beine vom Bett und lief durch den
Raum. Erschrocken sog Farlan die Luft
ein. Die Türe stand offen. Aber Luca dachte nicht daran, die Zelle zu
verlassen. Er eilte zum Tisch und nahm dort seinen Zeichenblock und den
Stift auf. Eilig schlug er die letzten
Seiten, die er bereits bezeichnet hatte, um und kam zu seinem Bett zurück.
Erst jetzt wurde ihm Bewusst, dass er nackt vor Farlan stand. Seine Decke
lag neben dem Aufseher auf dem Bett. Er sah Farlan zwei, drei
Sekunden unsicher an. Die Blicke des Aufsehers streichelten Luca regelrecht
sehnsüchtig, dann aber erhob sich Farlan und legte ihm die Decke um die
Schultern. „Diesen Anblick werde ich
wahrscheinlich nie wieder vergessen,“ lächelte er. „Aber du solltest
besser etwas tragen in der Naht. Hier ist es noch kälter als in unseren
Unterkünften.“ Er setzte sich wieder. „Was
hast du vor, Luca?“ Luca schlang seine Decke um
sich und setzte sich neben Farlan. „Beschreiben sie ihn mir. Dann kann ich
nach ihren Beschreibungen zeichnen.“ Farlan schüttelte den Kopf und
lächelte. „Du bist immer für eine Überraschung gut, Luca.“ Er lehnte sich an die Wand in
seinem Rücken. „Hör mal, ich möchte noch einen Mann in diese Zelle
verlegen.“ Luca blinzelte ihn an. „Wayne
und ich können hier kaum zusammen leben...“ Dann lächelte er sanft.
„Einen mehr werden wir aushalten.“ Freundlich klopfte Farlan ihm
auf die Schulter. „Du wirst dich freuen, Luca, es ist dein kleiner Freund,
Jack, der junge Engländer mit den roten Haaren, der Dichter.“ Lucas Herz machte einen Sprung.
Jack Stone, der Junge mit dem dunkelroten Haar und den wütenden Augen, der
Junge, der Luca faszinierte... „Aber ich kenne ihn nicht.“ Farlan hob die Schultern und
schaute ihn unschuldig an. „Ich bin mir ganz sicher, dass ihr beiden gut
miteinander auskommen werdet. Ihr seid euch ähnlich.“ Etwas schmerzliches
lag in seinem Blick. „Du zitterst ja...? Ist dir kalt?“ Luca war nicht kalt. Er war
aufgeregt, nervös, voller Vorfreude. Ihm war schwindelig und sein Herz
strahlte hell wie ein Stern vor Glück. Luca kannte den Jungen nicht, und
zugleich kannte er ihn besser als jeden anderen auf der Welt. Dieses Hochgefühl,
dieses Gesicht, diese Seele, würde er unter Tausenden wiedererkennen. Nur
ein einziges Geschöpf löste das in ihm aus... Hier, am Ende der Welt, am Ende
der Zivilisation, traft er ihn... „Nein, mir ist nicht kalt.
Ich bin nur nervös.“ Er packte den Bleistift fester und setzte sich im
Schneidersitz auf sein Bett. „Erzählen sie mir von Shelby Morane,
bitte.“ Nachdenklich saß Luca am Tisch
in seiner Zelle und beobachtete, wie die Flammen das Blatt billigen
Zeichnpapiers verzehrten, es erst braun, dann schwarz färbten, die Ränder
zum rot aufglühen brachten und dann in weißgrauer Asche herabfiel und sich
in das Glas brannten, in dem Luca das Blatt verbrannte. Der Rauch biss in
seine Augen. Dennoch stocherte er mit einem Farbspachtel in den flammen
herum und gab ihnen neue Nahrung. Mit der linken Hand stützte er sein Kinn
ab. Es war einer dieser Momente in dem man die zeit unmöglich wahrnahm und
alle Gedanken sich auf einen düsteren, unlösbaren Punkt konzentrierten.
Trotz des Lichtes, dass das Feuer spendete, sah Luca einzig Finsternis und
Ausweglosigkeit. Sein Blick ging bis in das Zentrum des Feuers bis zu den
verkohlten Papierfetzen... Und obgleich er darauf nichts mehr von den
Gesichtern erkennen konnte, die er nach Farlans Beschreibungen gezeichnet
hatte, sah er immer noch sein Gesicht, das Gesicht des Mannes, der sich nun
Shelby Morane nannte. Die ersten Anweisungen Farlans allein hatten schon
ausgereicht, um Luca eine Vorstellung Shelby Moranes Gesicht zu geben. Der
Name passte nicht zu ihm. Das war der einzige Gedanke, der sich noch immer
in Lucas Kopf drehte. Im ersten Moment wollte Luca nicht glauben, wessen
Gesicht er da auf das Papier bannte. Fast als stürzten nun endgültig die
Mauern über ihm ein und begruben ihn unter seinen Erinnerungen. Luca begann langsam zu
begreifen, dass ein normaler menschlicher Geist unter endlosem Leben
zerbrechen musste. Diese Erinnerungen... seine Erinnerungen erdrückten ihn. Aber wenigstens wusste er nun,
wer Shelby Morane war. Ein Toter, ein Alptraum, ein Gott. Vielleicht der
Fluch, der sein ganzes Leben bestimmte. Nun wusste er die Antwort auf
Murakamis Frage, was er getan hatte, dass sein Schicksal von Finsternis umhüllt
war. Vor einer Ewigkeit, einem Tag,
der so weit in seiner Vergangenheit lag, dass er sich nur noch wie in einem
Traum daran erinnerte, hatte er sein Schicksal besiegelt, als er sich gegen
seine Familie, gegen seine eigene Art stellte und ihn, den Ältesten, den mächtigsten
unter ihnen vernichtete, um den jungen Völkern ein Fortbestehen zu ermöglichen.
Wenigstens sagte man das damals. Luca erinnerte sich viel mehr an das Gefühl,
die Enttäuschung, die Wut, diese hilflose Wut, die seine Worte in ihm
ausgelöst hatten, die Kälte und Unwiderruflichkeit mit der er damals
sprach. Luca wollte zwar den Krieg beenden, aber eigentlich war es nichts
als seine maßlose Enttäuschung und sein Zorn, der ihn dazu brachte, sich
gegen IHN zu stellen, ihn zu töten... wie er geglaubt hatte. Nun, nach so
langer Zeit, in dieser Zeit und Welt, trafen sie wieder aufeinander.
Ausweglos... Aber es erklärte seine Träume von den schwarzen Engeln und
seiner Schwester Celina. Aber... vielleicht war ja auch
das nur ein Traum... Vielleicht... Stimmen, schwere Stiefel...
Luca schreckte hoch und stellte fest, dass er noch immer am Tisch saß.
Scheinbar war er eingeschlafen. „513 auf!!!“ Luca hob den
Kopf von der Tischplatte und setzte sich auf. Vor ihm stand die Glasschale,
in der er das Bild Moranes verbrannt hatte. Mit kalten, steifen Fingern
schob er die Schale von sich und stand auf, noch immer die Decke eng um sich
geschlungen. Sein Haar lag wie ein schwarzer Mantel um seine Gestalt. Er
konnte sich nicht mehr daran erinnern, seinen Zopf aufgeflochten zu haben.
Langsam drehte er sich herum und blinzelte in das Licht der Taschenlampen. „Luca, dein neuer
Zellengenosse.“ Zwischen Farlan und Sloane
stand eine sehr viel kleinere Gestalt, zierlich wie ein Mädchen. Selbst
jetzt glaubte Luca diesen wütend trotzigen Blick in Jacks Augen zu sehen,
mit dem er von unten heraufsah. Dieser Blick, er sagte überdeutlich, ihr könnt
mir antun was ihr wollt, aber brechen werdet ihr mich nie! Jacks Seele war
die eines Rebellen. Jacks Seele... Gleichgültig, welchen Namen, welche
Gestalt diese Person hatte, die Seele würde nie eine andere sein, als die
eines Rebellen und Kämpfers, eines gerechten Menschen. Jack trat einen Schritt in die
Zelle und blieb reglos stehen. Er hatte seine Kleider im Arm und ein paar Bücher
und Sloane stellte eine Holzkiste auf den Zellenboden, zog sich dann rasch
zurück und Farlan schloss die Zelle. „Kleiner, mit deiner
Verlegung hierher habe ich dir einen Gefallen getan. Du bist nun bei dem
fairsten und nettesten Kerl, den ich kenne.“ Farlan drehte sich um und
schlug Sloane auf die Schulter. „Komm wir gehen, Alter.“ Sloane sah noch mal kurz zu
Luca und Jack und lächelte. Eben, dachte Luca, sah Sloane aus wie ein
kleiner Junge... Einer der wenigen Freunde, die er hier hatte. Jack stand reglos da, den Rücken
zum Gitter. Er sah noch immer ein wenig trotzig aus, aber zugleich auch
unsicher. Lange Zeit sah er einfach nur zu Luca auf, der reglos dastand, die
Wolldecke um sich geschlungen und auf ihn herabblickte. Beide konnten nicht
reden. Beide waren gebannt und fasziniert. Schließlich war es Jack, der das
Schweigen brach. „Danke.“ Luca sah ihn fragend an. „Wofür?“
fragte er leise. Er setzte sich auf die Tischkante. Im Moment hatte er
wirklich vergessen, was Jack meinte. Er versank in den Augen des jungen
Mannes. Jack senkte den Blick, überschattete
die Augen mit seinen Lidern und lächelte. „Weißt du, dass du so schön
bist wie die Nacht selbst?“ fragte er und legte seine Kleider in die
Holzkiste. Er kam zu Luca an den Tisch und setzte sich auf den Stuhl, auf
dem Luca vorher eingeschlafen war. „Bevor es dir ein anderer sagt, sage
ich es dir. Ich bin schwul.“ Wieder trat dieser aggressive Ausdruck in
seine Augen, als mache er sich auf eine Diskussion oder Anfeindungen
gefasst. Luca lächelte. „Soll ich
jetzt erschrocken sein oder schockiert? Entschuldige, den Gefallen tue ich
dir nicht.“ Eine von Jacks Augenbrauen hob
sich und seine Mundwinkel zuckten unsicher... spöttisch. Er hatte so
wunderbar volle, weiche Lippen, ein so schmales Gesicht. Luca stellte
erschrocken fest, dass er sich kaum etwas sehnlicher wünschte, als Jack zu
küssen. „Du bist es auch, nicht?“
In Jacks Stimme schwang schwache, sanfte Hoffnung mit. „Ich folge einfach nur meinem
Herzen, und wenn es mich zu einem Mann führt, sperre ich mich nicht
dagegen.“ Er schlang fröstelnd die Decke um die Schultern. Jack strich sich sein Haar aus
den Augen, was ihm bislang ein so jungenhaftes gegeben hatte und schlug die
Beine übereinander. „Du bist außergewöhnlich,“ sagte er lächelnd.
„Du wirst meine Muse sein, meine Inspiration, die mich rettet aus diesen
grauen Mauern. Vielleicht bist du die einzige wahre Liebe meines Lebens.“
Er setzte sich gerade auf und errötete. „Das habe ich doch wohl jetzt
nicht laut ausgesprochen...“ Luca lächelte nur still. Er
schien von innen heraus zu leuchten in diesem kurzen Moment, und Jacks Angst
war wie fortgespült und Freude erfüllte ihn, das Gefühl, nicht mehr
allein zu sein. „Mein Gott, du kannst kein
Mensch sein...“ Der Sonntag war bislang der
Tag, der Luca immer am meisten die Luft abgeschnürt hatte, aber mit Jack
zusammen verwandelte sich dieser furchtbare Tag in etwas wunderbares. Die
Stunden flogen dahin, gemeinsam, verstrickt in Versen und Bildern,
Andeutungen und scheuen Gefühlen. Vom erste Moment an war die gegenseitige
Sympathie spürbar, die Nähe, die Freundschaft, das vorsichtige, tastende
Gefühl von Liebe. Während Luca zeichnete, spann Jack märchenhafte
Gespinste aus romantischen Worten zu Lucas Illustrationen. Nach und nach
bekamen seine Erzählungen einen leicht erotischen Hauch. Luca gab ihm immer
wieder ein paar Stichworte und Jack nahm jedes einzelne, baute daraus immer
mehr... Berauscht von ihrer beider Fantasien, Jacks faszinierender Art zu
reden, seinen lyrischen Worten und Lucas sanfter Stimme, diesem sanften
Singsang, den sie manchmal annahm, ließen sie sich tragen, führen,
verzaubern. Erst weit nachdem es dunkel
geworden war, legte Luca sein Papier zur Seite. Er lauschte fasziniert Jacks
Worten, träumte mit halb geschlossenen Augen, ausgestreckt auf seinem Bett
liegend. Irgendwann hörte er, wie der junge Mann von seinem Stuhl aufstand
und langsam, mit sanften, verträumten Worten näher kam und sich neben Luca
auf die Bettkante setzte. „Du hast mich verzaubert mit
deinem warmen, sanften Blick. Als ich dich zum ersten mal sah, dich, deine
wahre Gestalt, und du mich in deine Arme nahmst und deine Gefieder mich
umschloss, mich behütete und deine Augen von unsäglichen Freuden sprachen,
stumm, leidenschaftlich, innig...“ Luca hatte sich aufgerichtet,
erwacht aus den Träumen, und schlang seine Arme um Jacks Brust, schmiegte
sich an seinen Rücken und küsste seine Wange. Jack erstarrte unter der Berührung.
„Luca...“ „Ich liebe dich,“ flüsterte
Luca und schloss die Augen. „Ich liebe dich,“ wisperte
Jack. „Es ist als würde ich dich kennen, mein ganzes Leben lang. Du warst
in meinen Träumen, so lang ich mich erinnern kann. Und selbst da liebte ich
dich bereits.“ Luca schüttelte den Kopf.
„Hab’ keine Angst davor, Jack. Schließe die Augen und sage mir, was du
fühlst, was du siehst und was du denkt.“ „Ich sehe dich. Dich mit
schwarzer Haut und schwarzem Gefieder, Machtvoll und schön, ein schwarzer
Engel. So bist du mir immer schon erschienen, so sehe ich dich hinter meinen
geschlossenen Lidern. Dann fühle ich mich sicher, geborgen, warm, eine Wärme,
die von innen heraus kommt und durch alle Glieder kriecht und mich
elektrisiert, mich ängstigt, weil ich fürchte, dass du fort bist, wenn ich
die Augen öffne und mich beruhigt, tröstet.“ „Welchen Namen hast du dem
Engel gegeben?“ flüsterte Luca, fast ängstlich. „Lysander,“ murmelte Jack
wie in einem Rausch. „Lysander ist dein Name, nicht?“ Luca nickte. „Das war er, vor
langer Zeit. Mein Liebster, du hast mich wieder gefunden.“
Jack lag auf seiner Pritsche,
wach. Er starrte in die finsteren Schatten, als versuche er sie zu
durchdringen, die Ungeheuer darin zu entdecken, die auf ihn lauerten. Seit
er hier war, geschahen unheimliche Dinge. Aber seit ein paar Stunden
erinnerte er sich... Lysander... Ja, der schwarze Engel war ein Seraphin, in
Geschöpf, dass nicht von dieser Welt stammte, ein altes Wesen, mächtig,
anders als alles, was er je gesehen hatte. Und Lysander, Luca, war ein
Magier. Aber waren nicht die meisten Seraphin Magier? Jack erinnerte sich an einen sanftmütigen Mann, auf einem großen Pferd, in grauen Roben. Im Gegensatz zu einem einfachen Magier trug er ein Schwert an seiner Seite, eine unheimliche Waffe, die sich scheinbar den Blicken zu entziehen suchte. Er ritt in der Mitte eines Kriegstrosses, rechts von ihm ein Mädchen in einer schwarzen Rüstung, mit goldenem Haar. Ihre Augen waren kalt wie Stahl, der Mund hart, links ein schmaler, schmerzhaft schöner Mann mit roten Locken, die wie Feuer im Sonnenlicht brannten, ein bleiches Geschöpf. Justin war sein Name... Justin D’Arc. Ein elfischer... Jack fuhr hoch. „Justin! Er war ein Vampir!“ Luca regte sich auf seiner
Pritsche und zog die Decke enger um die Schultern. Jack schlug erschrocken die
Hand vor den Mund. „Schlaf weiter...“ wisperte
er und glitt von seiner Pritsche. Die Zeichnungen... Vielleicht fand Jack
darin ein paar Hinweise. Er schwang die Beine vom Bett und glitt lautlos zu
Boden. Eilig huschte er hinüber zum Tisch und nahm den Zeichenblock in die
Hände. Für einen Moment drehte er
unschlüssig die Mappe in den Händen. Es erschien ihm wie ein
Vertrauensmissbrauch. Aber er wollte wissen, ob das, an was er glaubte sich
zu erinnern, mehr war als ein Traum, mit dem ihn Luca um den kleinen Finger
wickeln wollte. Was, wenn alles einfach nur
eine Lüge war, um mit ihm zu schlafen, auch wenn sie sich nicht einmal geküsst
hatten... was, wenn alles wahr sein sollte?! Für einen Moment war sich Jack
nicht im Klaren, was ihn mehr erschrecken würde. Er senkte die Lider und
schluckte seine Angst herab. Vorsichtig schlug er den Block
auf und sank auf den Stuhl. Das Gesicht des Vampirs sah ihm entgegen, so verführerisch
sanft, freundlich und warmherzig Lächelnd, wie er ihn in Erinnerung hatte.
Seine feinen Ohrspitzen sahen unter dem langen Haarmantel hervor... er trug
sogar das Spitzenhemd, an dass er sich erinnerte und den Ring, an den sich
Jack erinnerte ihm geschenkt zu haben. Ein schmales silbernes Band, verziert
mit einem zierlichen Rosenmuster und Blattwerk. „Gott, das ist nicht möglich...“ Er blätterte um und ließ den
Block sinken. Ein Mädchen... sie sah aus wie Jacks Zwilling. Ihr Blick,
ihre wütenden Augen und die schmale Nase, die Lippen. Jack ertappte sich
dabei, wie er mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht strich. „Das bin
ich... war ich. Wie... wie war mein Name...“ Ein leises Rauschen , wie von
großen Flügeln drang in sein Bewusstsein und vermischte sich zu einem
dunklen Bild, dass sich langsam aus den Schatten seiner Erinnerung erhob. Er spürte wie schlanke, lange
Arme sich um seine Schultern schlangen und weiche Flügel über seine Haut
strichen. Dunkelheit umfing sie. Warmer Wind strich durch die Baumwipfel...
Über ihnen erstreckte sich ein samtener Himmel, Tausende Sterne. Zwei Monde
leuchteten... Jack sah über die Schulter.
Lysander... Der schwarze Engel stand hinter ihm und hielt ihn von hinten
umfangen. Es war Luca... und zugleich nicht. Lysander... Er war viel größer
als Luca, noch viel feingliedriger... Seine Schwingen, sein Haar und die
Haut waren schwarz wie Obsidian, die Augen grüne Smaragde, die ihn sanft
und gütig betrachteten, liebevoll und warm. „Lysander...“ Jack drehte sich in Lysanders
Armen um und schmiegte sich an ihn. Etwas störte... Irritiert sah Jack an
sich herab und erschrak. Er hatte einen Busen, sein Haar reichte über seine
Schultern und da war etwas in seinem linken Nasenflügel... Noch bevor er
die Finger danach ausstreckte, erinnerte er sich an den kleinen Silberring. „Anjuli Killraven...“
wisperte Jack und hörte gleichzeitig Lucas Stimme hinter sich, der ihren
Namen flüsterte. Erschocken fuhr Jack herum und
schlug hastig den Block zu... „Nein, bitte,“ flüsterte
Luca. Er war nicht mehr Luca. Dieses Geschöpf, was hinter Jacks Stuhl
stand, musste den Kopf neigen und seine Flügel füllten die komplette Zelle
aus. Seine Haut schimmerte wie Obsidian und duftete auf eigentümliche Weise
berauschend. Sanfte grüne Augen blickten wehmütig, zärtlich in Jacks
Gesicht. Seine Finger hoben sich und strichen über Jacks Wange. „Anjuli
ist in dir wiedergeboren, mit allen Erinnerungen, Jack.“ „War sie deine Geliebte?“ fragte Jack unsicher. „Wenn du dieses Gefühl
zwischen uns so profan ausdrücken möchtest, ja. Sie war erst meine
Vertraute, meine Freundin, der treuste Weggefährte, den man sich vorstellen
kann... Aber wir liebten einander, mehr als ich je zuvor ein Wesen geliebt
habe... Wir unterdrückten dieses Gefühl, aus Angst, das zu verlieren, was
wir hatten. Irgendwann konnte ich nicht mehr ertragen, einfach nur ein
Freund zu sein.“ Er senkte den Kopf und strich
Jack über das Haar. „Wir hatten nur wenig Zeit zusammen. Sie musste zurück...
dorthin, woher sie kam. Und ich schwor ihr, dazusein, wenn sie in ihrer Welt
und Zeit ein würde. Immer an ihrer Seite. Ich brauchte Jahre, einen Übergang
zwischen den Welten zu finden, den ich nutzen konnte. Aber es gelang Justin
und mir. Das war vor 1.200 Jahren. Ich habe seither über all ihre
Reinkarnationen gewacht, bis zu dem Tag, an dem sie geboren wird.“ Jack schüttelte den Kopf. Tränen
rannen über seine Wangen. Er stand auf und umarmte Luca. „Sag nichts,
bitte. Was mir an Erinnerungen fehlt, wird mit der zeit zurückkehren. Ich
will sie selbst erleben. Bitte, Luca.“ Der schwarze Engel neigte sich zu Jack hinab und küsste
seine Stirn. „Ich liebe dich.“ Schweißgebadet erwachte Luca.
Er fuhr hoch, wobei er Jack, der halb auf seiner Brust lag und schlief, fast
von der Pritsche geworfen hätte. Was war geschehen?! Was war das
letzte, was wirklich passiert war?! Wieder waren Traum und Wirklichkeit so
stark ineinander verwoben, dass es Luca nicht möglich war, das eine vom
anderen zu trennen. Jack zumindest lag voll angekleidet in seinen Armen und
schnarchte leise. Luca musste lächeln. Wärme
durchflutete seinen Körper und eine Woge unaussprechlicher Zärtlichkeit
und Liebe. Er wollte diesen Jungen um jeden Preis behüten und vor allem bösen
bewahren. Langsam ließ er sich wieder in seine Decken sinken und umarmte
Jack so behutsam er konnte. Der Junge kuschelte sich an ihn, vergrub sein
Gesicht an seinem Hals, in dem dichten, langen Haar. Wie alt mochte er sein? 20,
Jahre? 24, älter... jünger? Luca wusste es nicht. Ohne es zu bemerken
begann Luca Jacks Haar zu Streicheln, die sanft gewellten Strähnen mit den
Fingern zu kämmen und seinen Duft aufzusaugen. Luca hörte zu deutlich, dass
er nicht der erste war, der schon wach lag. Tozzi summte leise eine alte,
Luca durchaus bekannte, italienische Ballade, Silverstone schnarchte auch
schon nicht mehr und Cobe befriedigte sich selbst. Luca senkte die Lider und
genoss die Wärme, die Jacks Nähe in ihm wachrief. Nach einigen Minuten dämmerte
auch Jack aus seinem Schlaf. Luca glitt behutsam unter ihm fort und neigte
sich über den Jungen. Sanft küsste er Jacks Wange. Seine Lippen glitten zu
dem Ohr des Jungen, krochen über dessen warme Haut. „Guten Morgen,
Liebster,“ wisperte er. Er konnte fühlen, wie Luca
schauerte und sich nun halb unter ihm regte. Die Arme des Jungen umfassten
Lucas Taille und er klammerte sich an ihn, presste sich sehnsüchtig gegen
Lucas Körper. Lächelnd bemerkte Luca, dass Jacks Schoß fiebernd heiß und
sein Glied hart war. Heißer Atem strich über Lucas
Wange, zitternd... Lucas Finger strichen über
Jacks Hals und Schultern, während seine Lippen sanft Jacks Kinn streiften,
seine Wange für einen Moment berührten... Der Junge seufzte sehnsüchtig,
sein Körper versteifte sich, er bog den Rücken durch, als Lucas Lippen
seinen Hals küssten und liebkosten. Lucas Blut kochte. Er wollte Jack, mit
Leib und Seele, er sehnte sich danach, Jack zu lieben... Und der Junge war
nur allzu bereit dazu. Er drängte sich immer leidenschaftlicher an Luca und
sein Unterleib begann sich in einem lasziven Rhythmus
zu bewegen. Luca sog scharf die Luft ein. Er hatte nicht erwartet,
Jack um jeden Preis lieben zu wollen. So zügellos und unbeherrscht war Luca
nicht. Nicht im Normalfall... Aber sein Körper verweigerte jedes Normal und
jedes bisschen Vernunft. Im Moment wollte er nur eins. Mit Jack schlafen. Leidenschaftlich küsste er den
Jungen, während seine eigenen Bewegungen immer wilder und gieriger wurden.
Ihm war schwindelig von seiner eigenen Leidenschaft und der Gier, die Jack
ausstrahlte. Es schien, als habe sein sanfter Kuss beider Lust geweckt, die
bei Luca bislang immer sehr kontrolliert war. Nie hatte er so etwas verspürt. „Jack...“ Luca riss sich
gewaltsam von der weichen, heißen Haut des Jungen los, die ihn verführte...
„Das...“ Fast vorwurfsvoll sah Jack ihn
an. „Sag nicht, dass wir es nicht dürfen.“ Luca lächelte. „Sicher
nicht,“ sagte er leise. „Aber die Sirene wird uns bald alle nach draußen
rufen und offengestanden möchte ich nicht mit dir einfach nur verglühen,
sondern dich so glücklich machen, wie du noch nie warst. Ich will dich
nicht einfach nur als Gespielen hier, in diesen Mauern. Ich will mit dir
zusammenleben. Auch wenn wir wieder frei sind. Als Paar.“ Jacks Augen füllten sich mit
Tränen, dennoch leuchteten sie wie Sterne. „Ich war noch nie so
verliebt,“ flüsterte er und fuhr sich mit dem Handrücken über die
Augen. „Meinst du das ernst?“ „Ich will mit dir zusammen
leben.“ „Du hast doch Kinder,“
murmelte Jack. „Jacque und Anna haben immer
nur mit zwei Männern gelebt, außer der Zeit im Heim. Ich glaube sie werden
dich genauso lieben wie ich dich liebe.“ „Und dein Freund?“ hakte
Jack unsicher nach. „Claude?“ Luca senkte den
Blick und lächelte. „Claude und ich leben seit 70 Jahren zusammen. Ich
habe ihn auf die Welt gebracht und aufgezogen, ihn wachsen und lernen und
lieben sehen. Seine Mutter war Jüdin, und ich habe dafür gesorgt, dass er
so aufwachsen konnte, wie seine Religion und sein Volk es wollten. Seine
Arme Mutter, sie erlebte nicht einmal mehr seine Geburt mit.“ Er schüttelte
den Kopf. „Ich habe selten eine schönere Frau gesehen und selten eine
Frau, die kultivierter und Weltgewandter gewesen wäre.“ Luca half es,
sich auf etwas vergangenes zu konzentrieren. Es lenkte ihn von Jack ab. „Woran starb sie?“ Jack
hatte sich aufgesetzt und die Decke über die Schultern gezogen. „Sie war Wissenschaftlerin,
genaugenommen Ärztin. Sie forschte an einer neuen Narkose-Methode. Lachgas,
bzw. Äther du Chloroform waren oftmals zu unsicher, tödlich in manchen Fällen.
Sie verlor zwei ihrer Patienten auf diese Art. Sie experimentierte mit
verschiedenen Gasen und Nervengiften, an freiwilligen, und an sich selbst.
Das musste sie über kurz oder lang töten. Der letzte Versuch war tödlich.
Ich glaube nicht, dass sie gestorben wäre, wenn sie zum einen nicht
schwanger und zum anderen nicht bereits ein zerstörtes Nervensystem und
Krebs gehabt hätte.“ Jack sah ihn traurig an. „Wie
alt wurde sie?“ „Neunundzwanzig,“
antwortete Luca leise. „Und Claudes Vater? Warum hat
er sich nicht seines Kindes angenommen?“ Luca zog die Knie an den Körper.
„Ich bin Claudes Vater, auch wenn er es nicht weiß. Ich habe es ihm nicht
erzählt.“ Jack keuchte. Es schien, als
erinnere er sich an etwas. „Hieß sie Marie? Marie Verlaine?“ „Ja.“ „War sie... Bin ich ihre
Reinkarnation?“ Luca schluckte und nickte.
„Ja, bist du.“ „Warum,“ murmelte Jack.
„Warum ist Claude nicht wie du?“ „Er ist nie erwacht. Ich
wollte es nicht. Er sollte in Frieden leben und alt werden. Es reicht wenn
es vier Unsterbliche gibt, die Wahnsinnig sind, weil sie die Ewigkeit nicht
ertragen konnten...“ „Es ist nicht fair,“ rief
Jack. „Du musst Claude sagen wer und was er ist. Er muss es für sich
entscheiden, was er sein will und welchen Weg er gehen möchte!“ Luca nickte langsam. „Vielleicht hast du recht. Ich darf nicht Schicksal spielen, auch nicht bei ihm.“ ~to be continued~ - previous page- -next page-
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(c) Tanja Meurer, 2000/2002 |