Night of Carnival

Kapitel 1:

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„Ein solches Geschöpf wie dich, habe ich im Lauf meines Daseins noch nicht gesehen,“ flüsterte der schöne junge Mann, dessen schwarze Locken offen und weich über seinen Ledermantel fluteten. Er saß im Schatten einer Dachgaube, auf dem Sims, eine Hand um den Kopf eines kupfernen Wasserspeiers geklammert, die andere locker in den Schoß gelegt. „Und ich dachte, du wärest einer meiner Art.“ Er lächelte auf seltsame Weise zärtlich und entblößte zwei feine, blendend weiße Fangzähne, die über seinen Eckzähnen wuchsen. Seine hellen Augen folgten aufmerksam Gabriels schlankem Leib, der sich kraftvoll und elegant in die nasse Kälte hinauf erhob, seine Schwingen, die jeweils fast dreifach so lang waren, wie er nun groß, weit gespannt. „Wie schön du bist...“

 

Einst war es für Gabriel, oder auch Lysander, wie er sich vor so ewig langer Zeit nannte, schwer, sich in der Gestalt des schwarzen Engels zurecht zu finden. Er wuchs als Mensch auf und erlangte sein Wissen über seine wahre Natur erst sehr spät, in der Zeit, in der er aufhörte zu altern. Damals war er Ende Zwanzig und erschrak vor sich selbst. Aber er hatte weit mehr als ein Jahrtausend Zeit, diesen Körper nutzen zu lernen, seine Vorteile und alle Nachteile auszuloten, wovon zweitere sich zumeist auf niedrige Räume, enge Zimmer und die Tatsache beschränkten, daß man mit den Flügeln schwerlich in ein Hemd oder einen Pulli paßte. Nur lieben konnte er diesen wahrlich schönen, unirdischen Leib nicht. Er verabscheute ihn sogar. In Gabriel verbarg sich die empfindsame Seele eines Menschen, nicht die einer übermächtigen Kreatur, eines Monsters. Und er zog alle Mal dieser Gestalt die des Menschenmannes vor. Vielleicht litt er aus diesem Grund alle Höllenqualen, wenn er sich von seiner bleichen, schönen Menschenhülle befreite.

Ihn erfüllte die Stärke seiner Natur, die übermächtige Magie. Und obgleich es seine Lebenskraft stärkte und er sich ausgeruht und wach fühlte, ekelte er sich vor seinem Aussehen fast. Er fühlte sich unwohl. Mit jedem Flügelschlag näherte er sich weiter dem Schuppenleib des Drachen, der sich im Schutz der schwarzen Wolken bewegte. Er spürte die Anwesenheit einer solch mächtigen Kreatur. Ein Drache, und sei es auch nur ein Schlangendrache, besaß eine überwältigende Ausstrahlung. Einige badeten im Licht von Weisheit und Alter, getragen von mildem Spott über alle jungen, kurzlebigen Wesen, andere besaßen eine erschütternde Brutalität und Gnadenlosigkeit, aber auch eine unbestechliche Langeweile allem gegenüber, daß weniger machtvoll war. Letzten Endes waren auch sie so individuell und unterschiedlich, wie Elfen und Orcs und Menschen. Der einzige Unterschied bestand darin, daß es nur noch sehr wenige Drachen gab.

Vielleicht war dieser hier einer der letzten. Gabriel durchbrach die Wolkendecke und tauchte in dunklen Nebel und eine noch unangenehmere Feuchtigkeit ein, durch die sich der Schlangenleib wand. Eine Pranke näherte sich Gabriel achtlos. Hatte er wirklich vergessen, wie gewaltig selbst die kleinen Exemplare waren? Gabriel stieß hinauf, durch Windungen seines Leibes und an Doppelschwingen vorbei. Er wußte zu gut, daß der Drache ihn schon längst bemerkt hatte. Aber, scheinbar interessierte es das gewaltige Geschöpf nicht. Der Mannsdicke Leib, die alten, grauen Schuppen, die teils gebrochen und gerissen waren, in denen noch immer antike Waffen staken, all das wirkte auf Gabriel erschreckend. Seine größte furcht lag darin, von seiner Vergangenheit eingeholt zu werden. Und das hier, dieser Drache, war ein Teil seiner Vergangenheit und Erinnerung.

Plötzlich, durch Nebelschleier sah er den Schädel des Drachen, der sich langsam zu ihm umwendete. Rote dunkle Augen, wie Lava, die erstarrte, musterten die vergleichsweise winzige Gestalt Gabriels, und eine lange Schnauze, verunstaltet, vernarbt, mit langen, gelben Zähnen, wendete sich Gabriel zu. „Lysander,“ sagte er, wobei ein Schwall fauligen, heißen Atems Gabriel entgegen schlug. „Dieses Mal wird dir kein Schattendrache und kein Königsdrache helfen. Hier gibt es nur dich, mich und den Verräter.“

Gabriel lächelte sogar recht freundlich. „Wie recht du hast Kyann. Wir sind nicht in unserer Welt.“ Während er noch das letzte Wort aussprach, erfaßte ein blaues Gleißen den Drachen und hüllte ihn ein. Brüllend wand sich das Geschöpf und merkte plötzlich, wie ihm Kraft und Energie fehlten, um sich vor Gabriels Magie zu schützen. Gabriels Gestalt erschien plötzlich ganz nah und warm und übergroß in der Nähe des Drachenkopfes. Kyann brüllte über das Donnern hinweg und spie Säure, ohne Gabriel jedoch zu treffen. Der Magier sah ihn an und lächelte traurig. „Kehre zurück,“ befahl er.

Die Gestalt des heulenden und brüllenden Drachen glühte mit unglaublicher Helligkeit weiß auf und wurde von den Wolken und der Nacht verschlungen.

Obgleich er mit dem Ergebnis hätte zufrieden sein können, war Gabriel eher verunsichert und nervös. Niemand konnte einen Drachen einfach so zu seinem Werkzeug machen. Eine Allianz eingehen, gut, aber auch nur unter bestimmten Umständen. Drachen zählten nicht nur zu den ältesten und machtvollsten Rassen, sondern auch zu den unnachgiebigsten und galten als unzähmbar und ewige Einzelgänger. Sicher, sie liebten Anerkennung und Ruhm, waren wie versessen darauf, umschwärmt und vergöttert zu werden, aber auch das verlor nach ein, zweihundert Jahren seinen Reiz. Und mehr noch störte Gabriel, daß es Kyann, den er ebenfalls noch aus seiner Jugend und seiner Heimat kannte, weder überrascht, noch besonders verärgert hatte, ihn zu sehen. Gabriel selbst zählte damals zu den wenigen Magiern, die in die Geheimnisse der Drachen eingeweiht wurden und damit besaß er Macht über Lebende, wie tote Drachen, konnte sie nach belieben rufen und um bestimmte Dinge bitten. Aber eben nicht mehr, als bitten. Ihm schenkten sie Gehör, obgleich er nie, wie viele andere seiner Art um Aufmerksamkeit bettelte und vor ihnen im Sand rutschte.

Gut. Seine Menschliche Gestalt unterlag diesen Beschränkungen. Die Macht und der Einfluß, den er jetzt, in diesem Körper hatte, übertraf selbst die gerade erst genannten Attribute. Aber Kyann haßte Gabriel, verabscheute ihn in dieser, wie auch der anderen Gestalt und würde sicher alles daran setzen, Gabriel ernstlich zu schaden, wenn er konnte und man ihn nicht darum gebeten hatte, einen ganz anderen Plan zu verfolgen. Vielleicht hatte ihn die moderne Welt mit ihren paranoiden Agentenromanen und Filmen und das ganze, unsinnige Gerede über die Verschwörungstheorie doch ein wenig zu stark beeinflußt, aber Gabriel vermutete wesentlich mehr hinter der kleinen Episode eben, als sie nach außen hin darstellte.

Als er nach unten blickte, erschrak er. Mehrere alte Häuser standen in Flammen. Wenn er sich nicht sehr täuschte, auch das alte Pestspital. Menschen rannten durcheinander, behinderten sich mehr, als unbedingt hilfreich und andere retteten sich aus den brennenden Gebäuden. Einige versuchten zu löschen, in dem sie Wasser aus den Brunnen am Kirschgartenplatz und von verschiedenen, in der Nachbarschaft liegenden Gasthöfen holten, die ihre Wasserpumpen draußen angebracht hatten. Trotz des Regens schlugen die Flammen höher und höher. Irgendwo, in dem Gewimmel bemerkte er Anjuli, in einer Kette, die Wassereimer weiter reichte. Von Calem aber fand er keine Spur. Waren alle schönen Worte, ihn hier her zu bringen, nichts als eine böse Falle? Gabriel spürte wieder das feine Zupfen an seinem Bewußtsein. Wer auch immer diese Person war, die ihn verfolgte, er mußte sie jetzt ignorieren. Feuerglocken hallten durch die Nacht und Eisen beschlagene Räder rumpelten über das Kopfsteinpflaster. Gabriel sank langsam herab, und seine Gestalt wurde von den Schatten eines engen, dunklen Hinterhofes aufgenommen.

 

Wie Calem gesagt hatte, fiel es ihm nicht schwer, menschliche Gestalt anzunehmen. Noch immer war er riesengroß und breit und alles andere als ein schöner Mann, aber er war definitiv kein Mantikor mehr. Lange, dichte, blonde Haare lagen in wilden, mähnenartigen Locken auf den Schultern und sein breites, etwas grobes Gesicht wurde von einem langen, dichten, leicht rötlichen Vollbart geziert. Muskeln, wie die eines Bodybuilders spannten sich unter seinem Leinenhemd und unter der braunen Wollhose. Seine Augen standen noch immer ein Stück zu weit auseinander, strahlten aber hellblau. Dennoch gab es darin dieses tiefe Gefühl der Angst. Seine Pranken, Hände, so groß wie Bratpfannen, versehen mit langen, alles zerfetzenden Klauen, verarbeiteten den ersten Eimer versehentlich zu Kleinholz, als er zu fest zudrückte. Beim zweiten war er erheblich behutsamer und stieß nur ein Loch in den oberen Bereich, unter dem ersten Eisenring. Natürlich kassierte er mißbilligende, böse Blicke von allen Umstehenden und Helfern. An sich wirkte er wie ein hilfloses Riesenbaby, daß weder seine Kraft, noch seine Größe, noch seine Gestalt wirklich einzuschätzen wußte. Er überragte alles in seiner Nähe. Kunststück. Die Wenigsten Männer erreichten hier die einen Meter Achtzig. Er erreichte zwei Meter und fünfzehn. Anjuli, die ganz in seiner Nähe war, lächelte ihm aufmunternd zu, was er mit einem Grinsen Quittierte, daß, ähnlich wie zuvor, von einem Ohr zum anderen reichte und immer noch genug scharfer Zähne aufwies. Sein rotblonder, struppiger Bart schien die Bewegung mitzumachen. Anjuli spürte, wenn ihr jemand böses wollte, oder sie ihm nicht trauen sollte. Aber Calem fiel in keine der beiden Kategorien. Er besaß ein gutes Herz und ein eigentlich warmes, liebenswertes Gemüt, wenn da nicht die Sache mit der natürlichen Nahrungskette wäre. Aber, dachte das Mädchen lächelnd, wenn sie von einem Todesengel und einem Vampir aufgezogen wurde, die ebenfalls von Menschen lebten, warum sollte nicht auch ein Mantikor in ihrem Freundeskreis sein? Besonders ein so gutherziger, wie Calem?

Niemand der Bewohner der Altstadt nahm Notiz von dem etwas absonderlichen Aussehen der beiden Fremden. Viel eher waren sie froh darüber, nicht allein gegen die Flammen kämpfen zu müssen. Und sie begrüßten jede weitere Hand, obgleich zum Kirschgartenplatz hin eher ein vergleichsweise dichtes Chaos am Brunnen entstand, als sich zwei weitere Ketten bildeten. Zu dem Chaos gesellten  sich auch noch die Männer der freiwilligen Feuerwehr, mit ihrem Pferdewagen und der großen Wasserpumpe. Sie alle hatten ein Problem. Ihnen gelang es nicht, sich zu dem brennenden Haus vorzuarbeiten, was zu einem guten Teil daran lag, daß ihnen hunderte Menschen im Weg standen, aber auch die Tatsache, daß beide Gassen, weiter hinein in die Altstadt zu eng waren, um den Wagen durchzulassen.

Anjuli erinnerte sich an einen beiläufigen Kommentar eines Lehrers in der Schule. „Bis zum Beginn unseres Jahrhunderts brannten viele Häuser in den engen Gassen ab und die Feuerwehr mußte tatenlos zusehen, wie das Feuer auf andere Häuser übergriff und manchmal ganze Stadtteile abbrannten.“

Anjuli machte sich nicht die Mühe, zu sehen, wie weit sich das Feuer ausgebreitet hatte. Sie wollte nicht, daß sich die Vergangenheit so schlimm veränderte, nur, weil sie hier waren. Die Altstadt stand heute noch ziemlich von Katastrophen unberührt...

Weinende Kinder, jünger als Anjuli, in schmutzigen Nachthemden, hysterisch brüllende Frauen und Mädchen taumelten zum Brunnen. Sie alle sahen Ruß verschmiert aus.

Diese Nacht verwandelte sich in einen Hexenkessel, wie er schlimmer nicht sein konnte. Vielleicht blieb Gabriel deshalb unerkannt. Eine schlanke, schattenhafte Gestalt in huschenden Schatten. Er hielt seinen Mantel eng um die Schultern geschlungen, als er hinter Anjuli erschien, wieder ein ganz normaler Menschenmann, vielleicht ein wenig zarter, schöner und weicher als andere, aber eben nur ein Mensch.

Nun, wo er sich wieder auf dem Boden befand, fiel es ihm auch nicht schwer, den viel zu großen, häßlichen Mann als Calem zu identifizieren. Ein wenig verwundert, aber auch beruhigt, lächelte er. Wortlos nahm er den Platz zwischen den Beiden ein.

„Kannst du nichts dagegen machen?“ fragte Anjuli leise, was in dem Lärm unterzugehen drohte. Gabriel schüttelte den Kopf. „Ich kann vielleicht Drachen besiegen, aber einem Feuer befehlen, daß es aufhört zu brennen, liegt nicht in meiner Macht.“ Ein vielstimmiger Aufschrei ließ beide aufblicken. Das Dach des Hauses, in daß der Blitz einschlug, sank zusammen. Zur selben Zeit trafen mehrere berittene Polizeikräfte ein, um dem Spritzenwagen wenigstens Platz zu verschaffen.

„Jetzt sollten wir schleunigst verschwinden,“ flüsterte Gabriel. Wenige Meter von ihnen entfernt erschien ein Mann, der zwei weinende Kinder auf den Armen trug.

„Ich brauche Hilfe!!“ rief er. Aber die wenigsten nahmen Notiz von ihm. Einzig einer der Reiter in Uniform und Pickelhaube brachte sein bockendes Pferd dazu, in seine Richtung zu traben. Er sprang herab. Ein kleiner, nicht besonders schlanker Mann, aber noch keine zwanzig Jahre alt. „Was?“ rief er über den Lärm hinweg. Der etwas ältere Mann mit den beiden Kindern im Arm deutete auf das brennende Haus und die Flammen, die auf die nebenstehenden Häuser übergriffen. „In dem Haus sind noch Kinder...“ Fast Zeitgleich setzten sich Gabriel und Calem in Bewegung... und der junge Polizist.

Anjuli verdrehte die Augen. Wenn Gabriel eine Schwachstelle besaß, dann waren es Kinder. Sehr viel langsamer, und dafür unbemerkt, folgte sie den Männern.

 

Obgleich die Flammen für ihn den Tod bedeuten konnten, blieb er ihnen sehr nah. Er hörte sehr wohl das hilflose Schreien der Kinder, die scheinbar von den Flammen eingeschlossen waren. Es interessierte ihn nicht. Er wollte sehen was dieser seltsame, geflügelte Mann zu tun vor hatte. Neugierig und zugleich von dem rußigen Spiel und Tanz der Flammen fasziniert, stand er da, reglos, wie eine Statue, wie er es so oft tat.

 

Gabriel huschte lautlos durch jede sich ihm bietende Lücke und nutzte den Vorteil seiner schnellen Bewegungen und seines schmalen, geschmeidigen Körpers. Ihn bemerkten die Menschen kaum, die sich auf das Feuer und die Polizeikräfte konzentrierten. Calem hingegen hinterließ eine breite Schneise, während er durch die immer dichter werdenden Massen pflügte, auf der ihm der junge Polizist, zu Fuß und wesentlich langsamer folgte. Anjuli wählte den für sie einfachsten Weg... Durch die Innenhöfe. Niemand bemerkte sie, niemand sah oder hörte das Mädchen, was fast so schnell wie Gabriel über die Mauerkronen huschte und Vorsprünge und Zäune für sich nutzte, Vordächer und Balkone.

Gabriel wußte nichts davon, oder wenigstens tat er so, als wisse er nicht, daß sie sich innerhalb eines Jahres zu einer brauchbaren Fassadenklettrerin entwickelt hatte. Eigentlich hoffte sie auch, daß es so blieb. Denn im Moment fand sie an Abenteuern aller Art großen Spaß und ihr war ihre eigene Sicherheit völlig gleich. Vor allem, nun besaß sie noch Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit genug dazu. Wie es in vielleicht zehn Jahren werden würde, wußte sie nicht, aber sie ahnte es bereits...

Ein Schatten, noch tiefer und gestalthafter als die, die sie nutzte, streifte ihren Weg und zwang sie dazu, sich tief in die Dunkelheit einer Wandniesche zu drängen. Wieder war es nicht der Schatten, der sie zwang, den Schutz aufzusuchen, sondern das Gefühl von direkter, starker Bedrohung. Unter dem Lärm vernahm sie ein leises, weiches, und wenig belustigtes Lachen, sehr nah... So, daß eisiger, feuchter Atem ihre Wange zu streifen schien...

Dann verschwand die Erscheinung.

 

Um die drei Häuser, die nun alle in Flammen standen, hatte sich ein völlig freier Halbkreis gebildet, der aber durch Menschen, die eng gedrängt standen, abgeschirmt wurde. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen zog sich Gabriel weiter in die Schatten zurück und murmelte einen leisen Verwandlungszauber. Er spürte, wie sich seine Gestalt dieses Mal völlig schmerzlos veränderte, zusammen krümmte, kleiner wurde, und er nun gezwungen war, auf allen Vieren zu laufen. Die Muskeln in seinen Beinen wurden stärker... seine Haut überzog eine feiner, dünner Pelz und sein Gesicht nahm die Form eines Hundeschädels an.

Gabriel verabscheute es, Tierformen anzunehmen. Dennoch blieb ihm hier wohl nicht viel mehr übrig, wollte er weiterhin unerkannt bleiben. Der schwarze Mantel glitt von seiner neuen Gestalt herab und blieb auf dem Pflaster liegen. Lautlos, wie ein Schatten huschte er an die Menschenmasse heran und glitt hindurch, als sei er Körperlos.

„Wem gehört der Hund?!“

„Die armen Kinder, holt die denn keiner?“

„Niemand wäre jetzt noch in der Lage sie zu retten...“

„So holt das Tier zurück!!“

„Laßt ihn! Es ist doch bloß ein Hund!“

Gabriel ignorierte die Rufe und verharrte kurz. Obgleich sein Körper nun der eines Tieres war, konnte er noch immer seine Magie anwenden. Seine Gestalt hüllte sich in eisige Flammen...

Wütendes Geheul lenkte die Menschen ab, worum Gabriel dankbar war. Calem stand am anderen Ende der Menschenbarriere und versuchte sich hindurch zu drängen.

Das wäre was, dachte Gabriel boshaft. Geisterhund rettet Kinder. Eine Schlagzeile, die schon Bildzeitungsqualitäten besaß. Aber er wußte, daß er Calems Hilfe unbedingt brauchte. Wie viele Kinder noch im Hause waren, wie schlimm die Situation drinnen war, das wußte Gabriel nicht. Allein konnte er die Kinder nur mit einem Zauber befreien und es war nicht gut, zu auffällig zu werden. Spätestens deshalb nicht, weil sein Alter Ego in dieser Zeit, ein wenig mehr im Licht der Öffentlichkeit lebte und das gerade in der Stadt, die jenseits des Flusses lag.

Gabriel vertraute Grundsätzlich nicht auf Götter und den Glauben in sie, sondern nur in seine Fähigkeiten. Dennoch hoffte er inständig, als er durch die Türe sprang, daß es für die Kinder noch nicht zu spät sei. Er hörte ihre Schreie, ihr Weinen, das erstickte Husten und sein Herz drückte sich zusammen vor Angst um einige Kinder , die er nicht kannte.

Das winzige, enge Treppenhaus loderte in rotem Licht, in hellsten Flammen. Die Türe im Erdgeschoß stand weit offen und eine gewaltige Feuerwolke brach daraus hervor. Gabriels Körper spürte die Hitze nicht wirklich, geschützt von dem Flammenschild, aber der beißende Qualm und die Rauchwolken, die ihm das Atmen unmöglich zu machen schienen verhinderten, daß er im Haus den Verwandlungszauber aufrecht erhalten konnte. Letzten Endes mußte er den Zauber ohnehin fallen lassen, um die Kinder zu holen. Sie würden nicht ernst genommen, wenn sie von ihm erzählten. Das beruhigte Gabriel ein wenig. Aber er spürte, wie der Qualm Tränen aus seinen Augen zwang. Der Magier richtete sich auf und sah besorgt, wie die Treppe zusammenbrach. Gerade in dieser Sekunde erschien Calem, Zornesrot, und zitternd. Seine Verletzung blutete wieder sehr stark und  auch ihn schreckte das Feuer und der Qualm.

Er sah, wie Gabriel mit viel Willensanstrengung einen weiteren Zauber wirkte und zu schweben begann. Lange würden sie beide nicht mehr durchhalten, das wußte Calem aus eigener leidvoller Erfahrung und Gabriel hatte alle Kräfte weit mehr ausgeschöpft, als er es können sollte...

 

Anjuli stand ein wenig Ratlos im Hinterhof des brennenden Hauses, als sie plötzlich durch Flammen und Qualm Calem sah, der etwas Ratlos an der Stelle stand, wo eben erst die Treppe zusammengebrochen war. „Calem!!“ rief sie. Obwohl ihre Stimme das Tosen des Brandes nicht zu übertönen vermochte, vernahm der Mantikor sie sehr wohl. Ein Teil der Vorderfront des Hauses brach in sich zusammen und verscheuchte schlagartig die Menschen davor.

„Bring die Kinder hier her!!“

Der Mantikor nickte kurz und machte etwas, daß Anjuli nie für möglich gehalten hätte. Er sprang in der menschlichen Gestalt, aus dem Stand und erreichte so die nächste Etage. Der Boden unter seinem Leib ächzte und drohte, durch das Feuer geschwächt, zu brechen, hielt aber.

 

Gabriel folgte den Schreien der Kinder durch Flammenexplosionen und Rauch. Und es brach ihm das Herz, jedes mal ein bißchen stärker, wenn er sah, daß er einem Menschen nicht mehr helfen konnte. Viele hatten hier gelebt, in diesem so winzigen, engen Haus. Einige waren im Schlaf erstickt, einige wurden von herabfallenden Balken und Steinen erschlagen, oder eingeklemmt und starben in den Flammen... Gabriels Tränen waren längst nicht mehr der Qualm. Aber er zog sehr oft seine Stärke aus seiner Verzweiflung und seinem Schmerz. Vielleicht war das der einzige Grund, aus dem er noch aufrecht zu gehen vermochte, Die Wut über das, was man Unschuldigen antat, oder die Ungerechtigkeit, Kindern das Recht zu leben zu nehmen. Aber ihn trieb auch die Hoffnung weiter, noch etwas tun zu können.

Hinter ihm schleppten sich schwere Schritte. Calem folgte ihm und brach immer wieder ein. Gabriel hatte ihn nicht um Hilfe gebeten... Dennoch tat der Mantikor sein Bestes. Der Magier lächelte traurig.

Ein winziger Raum aus Stein beherbergte sieben Kinder, die bereits zu schwach waren zu schreien und die die Hoffnung auf Rettung aufgegeben hatten. Zwei von ihnen waren tot. Zwei Säuglinge, die in den Armen von zwei Kindern lagen, die höchstens fünf oder sechs Jahre alt sein konnten. Gabriels Anblick erfüllte ihre schwachen Stimmen und den verlöschenden Lebensfunken noch einmal mit Kraft. Calem wirkte wie der Weihnachtsmann auf sie. Eines der Älteren Kinder zog ein bewußtloses Mädchen von vielleicht zwölf Jahren aus dem Raum und wartete geduldig, bis Calem es in einen Arm genommen hatte.

Ein kurzer, harter Ruck ließ Calem aufheulen, denn er spürte, daß der Boden sein Gewicht nur noch einen winzigen Augenblick tragen würde.

„Nimm die Kinder mit den Babys im Arm,“ sagte der Mantikor kurz angebunden und nahm ein weiteres Kind auf den Arm. Der Junge, der ihm das bewußtlose Mädchen gegeben hatte, lief hinter Calem her zu der Bresche im Boden, durch die er hier hinauf gekommen war... Aber die Dielen trugen Calem nicht mehr. Er brach ein und konnte sich nur noch mühsam abfangen, mit den Kindern im Arm. Unten erwarteten ihn Flammen, die ihm Haar und Bart, Hemd und Hose entzündeten. Aber er gab nicht einfach auf. Mit all seiner Kraft arbeitete er sich, so, brennend, wie er war, auf den Hof hinaus.

Nun sah auch Gabriel seine letzte Chance darin, ein Fenster auf den Hinterhof hinaus zu finden und zu springen. Der Junge, der Calem gefolgt war, stand wie versteinert. „Komm!!“ brüllte Gabriel, aber der Junge hörte ihn nicht... auch nicht, als der Boden unter ihm zusammenbrach. Still, lautlos stürzte er hinab.

 

Gabriel blieb nicht genug Zeit zu reagieren. Ihm wurde nicht die Chance gewährt dieses Kind zu retten...

„Anjuli!!“ Die Stimme Calems ließ Gabriels Herz gefrieren. Er ahnte, daß Anjuli ihrer Neugier nachgegeben hatte und ihm folgte. Aber nun? Sie konnte doch nicht in dieses Flammenmeer gelaufen sein?!

Gabriel schien nun völlig gleich zu sein, auf welchem Weg er aus diesem Haus kam. Ihm fiel es nicht schwer, einen brennenden Teil der Wand einzutreten und sich einfach hindurch fallen zu lassen, hinaus, auf den Hof. Unsanft prallte er auf dem Pflaster auf und war doch sofort wieder auf den Beinen. Ihm war alles egal, selbst wenn alle Menschen nun sahen, was er war, wie unmenschlich schnell er zu handeln in der Lage war...

Niemand in dem Hinterhof sah, wie er wieder in das Haus zurück rannte. Und es war gut so, denn er spürte sehr wohl die schwäche und die damit einher gehende Rückverwandlung in den schwarzen Engel.

 

Anjuli stand auf der obersten von vier Stufen, die hinab zum Hinterhof führten, zitternd und Bleich. Sie schien nicht einmal zu Atmen. Die Flammen und Funken spiegelten sich auf dem nassen Stoff ihrer Jacke...

Gabriel riß sie an der Schulter herum und zog sie mit sich hinaus, in den Hof.

Hustend, weinend, blieb sie stehen, reglos. Auch Gabriels Atem ging schwer. Er hörte ein unangenehmes Pfeifen in seinen Lungen. Wut und Sorge ließen ihn nicht spüren, wie schmerzhaft seine Verwandlung in seine natürliche Gestalt war. Zornig, wie nie zuvor in seinem Leben, holte er aus und gab Anjuli eine Ohrfeige, die sie einige Meter weit zurückwarf und gegen eine Mauer prallen ließ. Im gleichen Moment brach das Haus endgültig in sich zusammen. Gabriel war im Bruchteil einer Sekunde an ihrer Seite und hielt sie in seinen Armen, schützend, daß ihr Steine, brennendes Holz und Funken nichts tun konnten.

Seine Schwingen hüllten sie ein. Ihr konnte nichts geschehen. Plötzlich fühlte er ihre Arme, die sich um seinen Hals schlangen. Fast als habe er das als einzigen Grund gebraucht, um seine Tränen nicht länger zurück zu halten, brachen sie nun wie ein Sturzbach hervor. „Mach so etwas bitte nie wieder,“ flüsterte er. „Ich liebe dich doch so sehr.“

„So sehr, wie ich dich,“ antwortete sie leise. Und für einen kurzen Moment klang sie nicht mehr wie ein Kind, sondern wie eine Frau.

 

Calems Haar und sein Bart, wie auch seine Kleider hatten unter dem Feuer schwer gelitten, ganz zu schweigen von der versengten Haut und den Brandwunden, die besonders seine Beine und seine Brust davongetragen hatten. Die Wunde in seiner Seite blutete erneut und diesmal schwächer, aber ohne wieder aufzuhören. Aber auch Gabriel sah elend und erschöpft aus. Obgleich ihn sein Zauber vor den Flammen beschützte, war sein Leib von Schürfwunden und Brandblasen bedeckt. Auch sein langer Haarmantel hatte leicht gelitten und sein Gefieder, obgleich es wieder mit seiner Gestalt verschmolz, nachdem er sich in seine menschliche Persona zurück zwang. Seine Haut glühte von dem inneren Fieber, daß die Verwandlung ausgelöst hatte. Ihm fehlte einfach die Kraft, noch lange diesen Körper beizubehalten. Anjuli blieb als einzige unverletzt. Und doch war auch sie sehr still und leicht apathisch. Wortlos ging sie neben Gabriel her, der, seit sie die Altstadt verlassen hatten, auch kein Wort mehr sprach. Alle drei froren erbärmlich. Irgendwann sank Calem einfach auf die Knie und blieb auf dem Straßenpflaster sitzen. Erschöpft drehte sich Gabriel zu ihm um. Er war, ohne es zu merken, selbst erst zwei, drei Schritte weiter gelaufen, bevor er merkte, daß der Mantikor an seiner Seite zurückblieb. Calem krümmte sich stumm, beide Hände gegen die Wunde gepreßt. Insgeheim war Gabriel dankbar, durch die engen, düsteren Straßen gewandert zu sein, immer noch auf dem Weg zu einem Ziel, daß scheinbar nur er kannte. Bisher waren sie stur Richtung Hafen gegangen, Richtung Fluß und Brücke und hatten sie eigentlich schon fast erreicht. Er ging die wenigen Schritte zurück und kniete neben dem Mantikor nieder. Seine Hände strichen über die muskulösen Arme Calems... Und wieder ging etwas von Gabriels Lebensenergie auf den Mantikor über. „Halte durch,“ flüsterte er sanft und strich durch das struppige Haar des Mantikors. Calem hob den Kopf, wieder etwas kräftiger als zuvor. Sein Blick klärte sich ein wenig. Fast schien es, als wecke ihn der Schmerz auf. Seine Augen begegneten denen Gabriels. Nichts war von dem leuchtenden Grün übrig geblieben. Gabriels Blick wirkte glasig und matt, geschwächt. Auch seine Wangen hatten einen leicht rötlichen Schimmer.

„Kannst du aufstehen?“ fragte der Magier. Calem nickte und versagte kläglich beim ersten Versuch. Wacklig erhob sich Gabriel und streckte ihm die Hand entgegen. Für einen Moment sah ihn Calem fragend an, doch schließlich ergriff er sie.

 

In den ersten Stunden des neuen Morgens erreichten sie eine große, helle Villa, ein prächtiges, wunderschönes Jugendstilgebäude, daß eingebettet in einen kleinen, etwas verwilderten Vorgarten eingebettet lag, still, dunkel, schlafend. Auf halbem Weg, nachdem sie die Rheinbrücke überquert und hinter sich gelassen hatten, war Anjuli so weit, während des Gehens einzuschlafen. Obgleich Gabriel selbst kaum noch gerade gehen konnte, trug er sie den Rest des Weges.

Nachdem Gabriel auf recht unorthodoxe Weise die Türe und das Türschloß überwand, und sie die letzten zwei Treppen zu einer gewaltigen Wohnung überwunden hatten, hielt sie alle nicht mehr viel davon ab, da einzuschlafen, wo sie sich niederließen.

 

Erst gegen Abend des folgenden Tages erwachte Gabriel wieder und spürte zu seiner Überraschung, das Gewicht des Mädchens in seinen Armen. Seiner Erinnerung nach hatte sie einen Platz, recht weit von ihm entfernt gesucht. Es gab in dem geräumigen Salon etliche Sessel und zwei Sofas, bezogen mit teurem Brokat, die in einem gemütlichen Halbkreis um den offenen, wenn auch kalten Kamin standen. Auf dem rot hölzernen Parkett lagen dicht gewebte Teppiche mit Persischen Ornamenten und wenig vor dem Kamin stand ein Tisch aus der selben Art von Holz, wie der Bodens war, mit dem Unterschied, daß ein äußerst Kunstfertiger Schreiner Elfenbeinerne Intarsien in Form von Rosenranken hineingearbeitet hatte. An einer der Wände, die eine Verbindungstüre zum angrenzenden Raum beinhaltete, flankten zwei feine Silberschränke mit geschliffenen Vitrinentüren, ebenfalls aus rotem Holz. Zwei schlanke Zwillingsfenster begrenzten den Raum zur Straße hin und dichte, Nachtblaue Samtvorhänge rafften sich in breiten Schärpen davor. Ein Sekretär, vermutlich das einzige Möbelstück, daß einen anderen Holzfarbton trug, befand sich zwischen den Fenstern. Ein wuchtiges, dennoch sehr schön beschnitztes Utensil... Fossil wohl eher. Ein Zeugnis vergangener Tage, rund dreihundert Jahre alt. Ein begonnener Brief lag da, und ein Strauß Rosen, Vertrocknet zwar, aber immer noch von unheimlich starkem Aroma. Gemälde unbekannter Maler hingen an den Wänden, Darstellungen besonders schöner Landschaften und Orte...

Gabriel neigte sich über Anjuli. Schweiß perlte auf ihrer Stirn und ihr Schlaf schien apathisch und tief, wie im Fieber. Seine Schuld, dachte er besorgt. Noch während er mit einer Hand über die Wangen streichelte erwachte sie. Dunkle, matte Augen, die ihn ansahen, verquollen durch den langen, unbequemen Schlaf und das Fieber, Feucht von Tränen eines stillen, unbekannten Alptraums und verwirrt durch die unwirklichen Geschehen der vergangenen Stunden.

Ihre Lippen klafften stumm auf, ohne einen Laut von sich zu geben und schlossen sich wieder. Gabriel neigte sich über das Mädchen und küßte zärtlich ihre Stirn und ihre Wangen.

Irgendwo, außerhalb seines Sichtfeldes räkelte sich Calem und Gähnte, ebenfalls aus tiefen, unbewußten Träumen erwachend.

Um Gabriels Nacken schlangen sich die Arme Anjulis und er spürte, wie sie zitterte, wie sie langsam begriff, daß sie in einer anderen Zeit war, fern von ihrer verhaßten Schule und fern von ihrem geliebten Ziehvater Justin, allein mit Gabriel und Calem und einem unaussprechlich grauenhaften Wesen, dessen Nähe sie wohl spürte.

Aber sie weinte nicht und sie schrie nicht. Für einen kurzen Moment drängte sie sich ganz nah an Gabriel, als suche sie seinen Schutz, küßte aber auch zugleich seinen Hals und seine Wangen und zog sich dann zurück. Behutsam entfloh sie seiner Umarmung und richtete sich auf. „Gibt es hier ein Bad?“ fragte sie leise, ohne ihn anzusehen. „Ich fühle mich unwohl in meinen Kleidern.“

Gabriel nickte. „Ich lasse dir ein Bad ein,“ sagte er und lächelte. Vielleicht finde ich sogar Kleider von Charly hier.“

„Charly?“ fragte Anjuli und rieb sich die Augen.

Seufzend setzte sich Gabriel auf. „Ein Mädchen, daß ich Achtzehnhundertsiebzig ungefähr fand. Ein Streuner, ein Kind ohne Eltern. Ich habe sie aufgezogen und versorgt. Charlotte hätte dir sicher gut gefallen. Sie hatte genauso viel Mut und einen solchen Dickkopf wie du auch.“

Er setzte sich ebenfalls auf und erschrak. Sein Körper reagierte auf Anjuli, obgleich sie fast noch ein Kind war. Eilig wendete er sich von ihr ab und verließ den Raum. Verwirrt sah ihm das Mädchen hinterher. Calem, der sich wieder in seine ursprüngliche Gestalt zurück verwandelt hatte, blickte argwöhnisch von Gabriel zu Anjuli. Ihm war keineswegs die starke Erregung des Mannes entgangen. Dennoch stand er auf und trottete gemächlich zu Anjuli hinüber, um seinen mächtigen, häßlichen Schädel in ihren Armen zu vergraben. Offensichtlich ging es ihm besser. Seine Wunde blutete nicht mehr und er wirkte wesentlich kräftiger als am vergangenen Abend.

Fast automatisch begann Anjuli ihn zu kraulen, wie einen dicken, großen Bernhardiener, frei von aller Angst und allem Argwohn gegenüber dem Ungeheuer. Das Sofa ächzte, als sich Calem halb darüber legte und eine Pfote an den Leib zog. „Ich wußte gar nicht, wie schön das sein kann,“ lächelte er und kuschelte sich eng an sie.

Immer noch leicht benommen verpaßte sie ihm eine Kopfnuß und murmelte: „Vorurteile hast du auch keine, oder?“

 

Voll Faszination beobachtete der dunkle, geheimnisvolle Fremde durch eines der Fenster, das auf einen Balkon hinaus ging, wie sich das Mädchen entkleidete, benommen und blaß, bis auf die dunklen Schatten unter den Augen. Sie tat es so selbstverständlich von den Augen Gabriels, als wäre sie seine Tochter oder Schwester. Wußte sie nichts davon, daß er sie begehrte? Natürlich versuchte Gabriel nicht hin zu sehen. Verbissen suchte er in einem großen, ebenhölzernen Kleiderschrank nach passenden Sachen für sie.

Lächelnd bemerkte er, daß das Mädchen einen schönen, schlanken Körper besaß, muskulös und weiblich, reizvoll für einen lebendigen Mann, köstlich für einen, wie ihn. Sie würde sicher einmal eine wunderbare Frau werden. Die meisten ihrer körperlichen Attribute waren schon voll ausgeprägt und ihr langes, braunes Haar fiel in langen Locken über ihre Brüste.

Scheinbar aber schien sie nicht fiel von Ordnung zu halten. Im Gegenteil ließ sie ihre Kleider fallen, wo sie ging und stand. Zuerst die Jacke, dann den Pulli, das Polohemd, die Hose... Gabriel drehte sich um und schüttelte ärgerlich den Kopf. Wortlos hob er ihre Kleider auf und schüttelte sie glatt, um sie ordentlich zusammen zu legen. Fast schien es den Eindruck zu machen, als sei er diesen Zustand gewohnt und würde darin nichts ungewöhnliches, höchstens leicht störendes sehen.

Sie trat durch eine Rundbogentüre in einen warm erleuchteten Raum, einen hell gekachelten Raum mit teurem Marmorboden und edlen Ornamenten und Stuckarbeiten in der Decke. Dämpfe stiegen in die Höhe und erfüllten das Badezimmer mit Nebel. Er glaubte fast den Duft nach teuren Ölen und Cremeseifen zu riechen.

Lysander schloß die Schranktüren, den Kopf gesenkt und nachdenklich und setzte sich auf dem Bettrand nieder. Ja, das Bett war gewaltig, groß und der große, schlanke Mann wirkte darauf verloren. Fast liebevoll strich er über die Kleider des Mädchens, lächelte versonnen und blickte plötzlich auf...

Hatte er sich verraten? Der düstere Fremde fuhr zurück und huschte mit einem leichten, anmutigen Satz zur Balkonbrüstung. Aber Gabriel hatte sich erhoben und stand nun unter der Türe zum Bad. Seine Stimme klang leise und weich, zärtlich. Dann trat er zu ihr und schloß die Türe hinter sich.

 

Erst nachdem Anjuli gebadet und sich in seinem großen Bett verkrochen hatte, geschützt von Decken und einem seidenen Hemd, in dem sie fast ertrank, gestattete sich Gabriel selbst, frisches Wasser in die Wanne zu lassen und sich zu entspannen. Aber scheinbar fand das Mädchen, trotz ihrer Erkältung keinen Schlaf, keinen Frieden. Nach einer Weile erhob sie sich wieder und klopfte zaghaft an seine Türe.

„Gabriel?“

Der Magier, der sich, mit geschlossenen Lidern seinen Träumen und Phantasien hingegeben hatte, erschrak. Als er die Augen aufschlug, zerplatzten die Nebel, die die Gestalt einer schönen, jungen Frau angenommen hatten. Er tauchte kurz mit dem Kopf unter Wasser und drückte sich wieder hinauf, um sich die Nässe aus den Augen  zu reiben. „Kannst du nicht schlafen?“ fragte er.

„Darf ich eintreten?“ Gabriel durchfuhr ein leiser Schrecken. In der momentanen Stimmung wollte er sie lieber nicht so nah wissen. Sie war kein kleines Kind mehr, und sie ähnelte schon sehr der Frau, die sie werden würde, der Nebelgestalt, dem Portrait, daß noch vor einer Sekunde über dem schaumigen Wasser schwebte.

Dennoch nickte er, ganz gegen alle Vernunft. „Komm ruhig.“

 

Calem trottete durch die große Wohnung, hungrig, durstig, und immer noch viel zu schwach.

Er ahnte, daß Anjuli krank war und er wußte, oder vielmehr fühlte er, daß sie im Moment Gabriel brauchte. Ihm war nicht entgangen, wie nah sich diese Beiden standen, obgleich er glaubte, daß sie noch ein wenig zu jung für ihn war... Nicht an dem Ort, von dem er und Lysander... Gabriel her stammten. Eine Frau von dreizehn, vierzehn Jahren konnte sehr wohl bereits einen Mann haben, der mit ihr alle Ehelichen Pflichten beging.

Aber nicht in dieser Zeit und in dieser Welt.

Dennoch vermied er es, ihnen vorläufig unter die Augen zu treten. An sich fühlte er sich sicher und wohl. Und wenn er es wollte, konnte er sich in einen Menschen verwandeln und die Speisekammer, vorausgesetzt er fand sie, räubern, und sich anschließend damit beschäftigen, das Wissen in den Büchern in der Bibliothek niederschrieben, zu verschlingen.

Fast schon fühlte er sich zu sicher. Fast.

 

Als Gabriel sah, wie Anjuli auf dem Wannenrand hockte und zu ihm hinab sah, wußte er, daß sie nicht schlafen würde, gleich was er tat. Ihm wurde schmerzlich klar, daß er sie bei sich haben würde und schützen müßte, wenn er sich dem, wer immer es war, stellen würde. Seine Mundwinkel zuckten nervös, als sie sich zu ihm hinab neigte und vertraut ihre Arme um seinen Hals schlang. Es war ihr egal, daß sein nasser Körper ihr Hemd durchnäßte und es war ihr egal, daß ihr langes Haar auf dem Schaum schwamm, als sie sich herab neigte. Vielleicht war es ein Fehler, wenn er jetzt nachgab, vielleicht ein großer sogar, aber er zögerte keinen Moment, ihre Umarmung zu erwidern. Er zog sie ins Wasser zu sich und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Sie sank auf seinen Schoß und elektrisierte ihn. Spürte sie nicht, wie sehr sie ihn erregte?

Seine Arme schlangen sich fest um ihren Körper und drückten sie an sich. Ihr heißer, fiebriger Atem streifte seine nasse Haut, seinen Hals, seine Wange. Tränen füllten seine Augen, wie auch der stechende Schmerz sein Herz durchdrang und seine Leidenschaft seine Lenden entflammte. Er, der sich fast immer kontrollieren konnte, verfluchte sich für diesen Ausbruch. Aber er konnte nicht anders. Sein Griff lockerte sich etwas, genug, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich von ihm zu befreien. Aber Anjuli klammerte sich an ihn. Das dünne Seidenhemd bauschte sich bei jeder Bewegung im Wasser und legte sich wie eine glatte, lose Haut immer wieder über ihrer beiden Körper. Ihre Brüste hatten sich unter dem Stoff gespannt und verfestigt. Er spürte ihre harten Brustwarzen und die Hitze ihres Schoßes. Wie von selbst strichen seine Hände über schultern und Rücken, schoben das lange Haar zur Seite. Seine Lippen suchten ihren nackten Hals, die duftende Haut, deren Geschmack er so liebte und streichelten dabei über ihre glatten, weichen Wangen. Leise schrie er auf, als sich ihre Hand plötzlich zwischen seinen Beinen befand und sie ihn unbeholfen aber dennoch, in dem Zustand, in dem er sich befand, effektiv, liebkoste.

Ein Gedanke entglitt ihm. Er konnte ihn nicht greifen und ahnte doch, wie wichtig er war. Dann spürte er unter seinen Händen ihren Busen. Seine Welt versank in schmerzlicher Begierde und explodierte ungebremst, als sich ihre Schenkel um seine Lenden schlossen und er spürte, wie er ihren engen, jungen Schoß öffnete...

 

Wasser schoß in seinen Mund und seine Nase, heiß und völlig überraschend. In einer Sekunde spürte er noch Anjulis leidenschaftliche Umarmung und hörte ihren Schrei, spürte aber auch daß sie nicht mit ihm vereinigt war, während er kam...

Es war ein Traum, ein furchtbarer, schöner Traum und zugleich nicht. Anjuli schrie tatsächlich, nur definitiv nicht vor Lust. Sie lag halb im Wasser, ihre Arme um seine Schultern Geschlungen, damit sie nicht in der großen Badewanne ertrank. Sie hatte vermutlich versucht ihn zu wecken. War es ein Traum? War es tatsächlich ein wirklicher Traum? Sicher, er war in der passenden Stimmung, mit jemandem zu schlafen, aber seine Selbstbeherrschung war innerhalb von eintausend dreihundert Jahren zu einem festen Bestandteil seiner Person avanciert. Er spürte den Hauch einen fremden, starken Wesens, daß sich enttäuscht, aber auch belustigt zurück zog. Er wußte, daß er sich hatte gehen lassen, bezaubert, erotisiert und er wußte, daß er sich furchtbar blamiert hatte, dem Menschen gegenüber eine Blöße gegeben hatte, den er über alles liebte. Er fuhr hoch und zog sie mit sich. Triefend naß und besudelt stand er da, blaß vor Zorn auf sich selbst und beschämt, verlegen. Anjuli hielt sich an ihm fest. Ihre Füße baumelten im Freien. Ihr Herz hämmerte. Er spürte ihren Schrecken, aber sie fürchtete ihn nicht und sie scheute nicht seine Entgleisung. Behutsam stellte er sie neben der Wanne auf die Füße und schob sie von sich.

„Verzeih mir bitte,“ flüsterte er niedergeschlagen. Sein Blick sank. Unwillkürlich starrte er sein Glied an, daß wieder völlig kraftlos herabhing. Tränen rannen über seine Wangen. Ihm war es unmöglich, sie anzusehen. Egal was sie einst für ihn war und was sie werden sollte, jetzt war sie ein Mädchen, ein vergleichsweise naives Kind. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich ihr Körper unter dem triefend nassen Stoff abzeichnete, wie weiblich und schön. Er wollte sie noch immer, er liebte sie, vom ersten Tag an, gleich ob sie ein Kind oder eine Frau war, aber jetzt besaß er wieder volle Kontrolle über seinen Körper und sein Handeln.

Wortlos setzte sich Anjuli auf den Wannenrand und ließ das Wasser ablaufen. Sie sah nachdenklich zu, wie sich ein Strudel bildete, wo sich der Ablauf befand. Nervös nagte sie an ihrer Unterlippe. „Sie war da,“ sagte sie plötzlich. „Eine Nebelgestalt, die du...“

Gabriel drehte den Wasserhahn auf und ließ heißes Wasser über seine Haut laufen. Vermutlich konnte er sich seine Haut vom Leib schrubben, ohne sich besser zu fühlen. „Sag mir ins Gesicht, was du über mich denkst,“ bat er sie ernst.

Das Mädchen wendete sich um und schwang dabei die Beine wieder über den Wannenrand, so daß das frische, heiße Wasser ihre Füße umspielte. Lange sah sie ihn an, ohne ein Wort zu sagen. Immer noch wagte er nicht, sie anzusehen. Seine Augen tränten, seine Blick hing an dem Wasserstrahl, der aus dem Messinghahn kam. Er hatte sich hingesetzt, die Beine fest an den Leib gezogen und die Arme fest darum geschlungen. Sein Kinn ruhte auf seinen Knien. Anjuli zog das nasse Hemd aus und ließ es vor der Wanne zu Boden gleiten. Ihm gegenüber setzte sie sich nieder, das Haar in nassen Locken über ihren Brüsten liegend, die Augen auf ihn gerichtet, aber rot gerändert, entzündet. Ihre Hände stützten sich auf ihre Oberschenkel. Plötzlich löste sich ihre Rechte und legte sich vertraut auf seinen linken Unterarm. „Was ich über dich denke?“ fragte sie leise. „Du bist immer noch Gabriel, mein Vater, mein Bruder, mein bester Freund und mein Vertrauter. Und daran kann nichts etwas ändern.“

Ärgerlich sah er auf. „Laß diese gespielte Nachsicht und diese dummen Poesiealbensprüche!“

Jetzt erst sah er ihr direkt in die Augen und erkannt verblüfft, daß sie zu lächeln schien. „Ich habe mich eben gehen lassen, auf eine Weise, wie ich es nie wollte.“

„Gabriel, ich bin vielleicht naiv, aber nicht dumm. Ich weiß, was Sex ist und ich habe es mir nicht anders vorgestellt. Sicher hast du mich verletzt. Was denkst du eigentlich?! Aber du lebst mit Justin und mir zusammen und nie, seit ich bei euch lebe, habe ich etwas davon mitbekommen, daß ihr eine Frau hattet. Ich weiß, daß ihr einmal ein Paar wart, daß ihr vermutlich auch jetzt noch Sex miteinander habt, aber ihr beide seid alles was ich habe und alles was ich liebe.“

„Seit dem Tag, an dem du bei uns ankamst und seit dem du bei uns lebst, habe ich keinen körperlichen Kontakt mehr zu irgendeinem Wesen gepflegt.“ Er schüttelte den Kopf, als wolle er den Verdacht abschütteln, ihr in seiner Liebe untreu zu sein. „Du warst mein ganzer Lebensinhalt.“ Tränen rannen ihm über die Wangen. „Ich habe jede Sekunde meines Lebens auf dich gewartet und lebe seit langem nur für dich...“ Erschrocken hielt er inne, bevor er ihr gestehen konnte, daß er sie liebte.

Sie richtete sich auf und wollte ihn in die Arme nehmen, aber er wich zurück, streckte sich von ihr fort. „Was hat sich zwischen uns geändert?“ fragte sie verletzt. Ihre Augen waren eine einzige Anklage. „Warum nimmst du mich nicht mehr einfach so in die Arme? Warum küßt du nur meine Stirn oder meine Wangen? Was habe ich dir getan?“

Gabriel setzte sich auf den Wannenrand und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. Aber er lächelte plötzlich, als habe sie ihm ihre Absolution erteilt.

„Komm, bitte.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen.

 

Reglos standen sie beide vor dem Mannshohen Spiegel im Ankleidezimmer, beide noch immer naß und ohne Kleidung. Feuchte Fußspuren gingen vom Bad, durch das Schlafzimmer in den kleinen Ankleideraum. Im Gaslicht schimmerten ihre blaßhäutigen Körper wie Perlmutt. Über Gabriels völlig haarlosem Torso hing ein leiser Schatten, geworfen von dem dichten, nassen Haarmantel, der den Fußboden volltropfte. Er stand halb hinter Anjuli, die verständnislos ihrer beider Spiegelbild betrachtete. Seine schlanken, langen Finger strichen ihr lockiges Haar nach hinten, so daß ihre vollen, runden Brüste frei wurden. Er erinnerte sich gut daran, wie es sich anfühlte, sie zu streicheln, sie zu berühren. Sie füllten seine Hände ziemlich genau. Auch er sah in den Spiegel, schweigend, ernst. Fast schien es ein wenig feierlich. Seine Augen, sein Blick streichelte ich Spiegelbild und liebkoste das dunkle Dreieck, die dunkelbraunen Locken, zwischen ihren Schenkeln. Ihre schmale Taille konnte er mit seinen Fingern umgreifen, spürte ihren Herzschlag, wenn er seine Hand leicht auf die leichte Wölbung ihres Bauches legte und bewunderte den muskulösen, knabenhaften Rücken und die sehnigen Oberarme. Er liebte es die Linie ihrer geschwungenen Hüften nachzuzeichnen, die geraden Schultern, den Schlanken Hals und die muskulösen Beine, die wie ihr Bauch, ihr Busen und ihr geschwungenen Gesäß, fest waren.

„Sieh dich an,“ flüsterte er. „Sieh dich ganz genau an.“

Ihr Kopf wendete sich zu ihm um, verständnislos. Aber er betrachtete einzig ihr Spiegelbild mit Sehnsucht und Zärtlichkeit. „Deine Gestalt ist die einer Frau. Weich verführerisch und begehrenswert. Das ist mein Grund, dich nicht mit meiner Nähe zu bedrängen.“

Noch immer sah sie ihn direkt an. Auch er blickte nun zu ihr hinab. „Ich will nicht, daß du denkst, ich will zuviel von dir.“ Ein bitteres Lächeln huschte über seine Lippen. „In ein paar Jahren wirst du erwachsen sein, eine Frau, die im Alter zu mir paßt. Es ziemt sich für mich nicht mehr, dich wie mein Kind zu behandeln.“ Seine Finger strichen über ihre Wangen, ihre Lippen und spürten erneut fiebrige Hitze. Sie glühte von innen heraus. Ihre Wangen schienen gerötet und ihre Lippen voller. Was war geschehen? Sie wirkte irgendwie... Verzaubert.

Gabriel wurde bewußt, daß er sie verlegen machte. War sie etwa verliebt?

Nun schoß ihm das Blut in die Wangen. Die Gesellschaft würde ein solches Paar nicht einfach akzeptieren. Das tat sie nie, nicht in dieser aufgeklärten Zeit.

In seinem Schädel dröhnten die Gedanken schrien. Von dem, was er sagen wollte, war nichts übrig. Er konnte sich nicht weiter darauf konzentrieren. Sein Herz raste. Was sollte er sagen? Sie auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten? Das war albern. Er wußte selbst zu gut, daß er nicht mehr zurück konnte.

Anjulis rechte Hand hob sich und strich ihm über die Wange. „Gefalle ich dir?“ fragte sie leise.

„Ja,“ entgegnete Gabriel leise. „Ich liebe es, dich zu betrachten und ich scheue es, dich zu berühren. Du hast mich gefangen, Anjuli. Jede Sekunde ohne dich verwundet mein Herz. Jeder Augenblick, den du mir nah bist quält mich. Ich bin glücklich und zugleich...“

Anjulis Wangen glühten noch heißer. Ihr Blick flackerte, aber sie konnte nicht aufhören ihn anzusehen. „Ich liebe dich!“ stieß sie hervor und wirbelte herum. Bevor sie fortlaufen konnte ergriff Gabriel ihre Hand und hielt sie fest. Sie verharrte reglos, zitternd vor Anspannung.

„Seit wann verhältst du dich wie ein kleines Mädchen?“ fragte er leise. „Fürchtest du so sehr, was ich dir sagen will? Oder schlummert in dir ein wahres Mädchen, was leidet, was liebt und geliebt werden will?“

Sie fuhr herum, die Wangen noch immer rot, aber nun vor verletztem Zorn. Bevor sie auch nur ein Wort hervorbrachte, hielt Gabriel sie wieder in seinen Armen, glitt vor ihr auf die Knie und seine Finger strichen über ihre Arme zu ihren Händen hinab. Eine schimmernde, aus goldenen Funken und Licht erschaffene Rose entstand vor ihr. „Du bist meine einzige wahre Liebe, auf die ich seit meiner Erschaffung warte. Und du wirst es immer bleiben. Nicht nur, weil du schön und temperamentvoll bist, mutig und romantisch. Du bist ein Teil meiner Seele. Und ohne dich und die Hoffnung, dich je wieder in meine Arme zu schließen kann ich nicht leben.“

Er lächelte zärtlich, als er die Tränen in ihren Augen sah. Du warst über eintausend Jahre mein Lebenselixier. Du hast mich davor bewahrt wahnsinnig zu werden und hast mir mein Herz zerrissen. Jedes Mal, wenn wir uns begegneten, wußte ich, daß ich nur dich je lieben könnte und verbrannte in deinem Feuer, jedesmal, wenn ich dich verlieren mußte, glaubte ich sterben zu müssen. Einzig die Hoffnung, dich wieder zu bekommen, hat mich nicht aufgeben lassen. Ich weiß, daß du mich so sehr brauchst, wie ich dich. Und für dich würde ich alles tun. Aber es wird immer von meiner Angst überschattet, daß du nicht mich lieben könntest, sondern einen anderen Mann fändest...“

Impulsiv schlang Anjuli ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich fest an ihn. „Ich würde mich immer für dich entscheiden. Ich kann gar nicht anders. Ich gehöre untrennbar zu dir, als wären wir irgendwann einmal eins gewesen.“

Gabriel erwiderte ihre Umarmung. Das waren wir... irgendwann einmal, dachte er.

 

 

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(c) Tanja Meurer