A Vampires Tale |
Short Story ================================================================================ Lysander fuhr hoch, noch bevor
ihn der erste dieser Geschöpfe erreichte und schlug ihm seine Faust in
sein verwesendes Gesicht, wobei er ein Wort ausstieß, in der selben alten
Zaubersprache, die auch Justin schon verwendete. Seine Hand flammte in
blauem, eisigem Feuer auf und wenn es seine Kraft nicht erreichte, so die
Kraft seiner Magie, die den Gegner niederschlug und ihn hysterisch
kreischend auf allen Vieren davon kriechen ließ. Für Sekunden sah
Lysander, was ihn Angriff. Es waren wohl einst Menschen gewesen, aber sie
waren aufgedunsen und wesentlich zu groß, zu muskulös, als habe jemand
sie mit zuviel Luft aufgeblasen und anschließend mit Anabolika behandelt.
Ein Auge des Wesens... Lysander hatte keine Ahnung, ob es ein Mann oder
eine Frau gewesen war, wenigstens zu Lebzeiten, denn jetzt schien es
diesen Geschöpfen gleich - verschwand unter einem Wulst Eiter schwärendem
Fleisches, bei dem die Haut nur noch in feuchten, schimmligen Fetzen herab
hing. Das andere Auge war ein gewaltiger, verdreckter Pfropf aus rot geädertem,
gelb glühenden Gallert. Die Nase mußte schon vor langer Zeit abgerutscht
sein, denn nur noch der Wurzelstumpf und der blanke, bräunliche Knochen
sahen aus dem Ekzem bedeckten Fleisch. Die Mundwinkel waren ausgerissen
und zu einer Grimasse gefroren, die Zahnstümpfe freigab und einen Geruch,
als verwesten Innereien im Hochsommer. Knochen schienen mehrfach gebrochen
und falsch zusammengewachsen zu sein und der Körper besaß Fortsätze an
Rücken und Steiß, als wäre es im Wachstum von Schwanz und Flügeln
gestoppt worden. Das Geschöpf trug nichts am Leib. Und vielleicht machte
es das so schrecklich. Der Verfall und die Verwesung hatten es zur
Unkenntlichkeit verändert. Lysander zwang seinen Ekel
gerade noch weit genug herab, um seinen Zauber zu vollenden, der eine
Kugel aus Flammen bildete und mit einer gewaltigen, grellen Explosion
unter den restlichen Untoten detonierte und sie verbrannte. Um ihn herum
nahm der Geruch des Todes ab. Und hinter
den geschlossenen Fensterläden und Türen rumorte es. Licht fiel durch Türspalte
und Ritzen, aber niemand wagte es, hinaus zu treten oder einen Blick zu
riskieren. Lysander war froh darüber, denn er wollte nicht, daß ihn
jemand sah. Nicht in der Form, die er angenommen hatte. Eilig reinigte er
seine Hände in dem kalten Schnee und hob den besinnungslosen Vampir vom
Boden auf. Seine Schwingen schlossen sich schützend über Justin. Es tat
ihm weh, zu sehen, was sein Freund getan hatte, um die Menschen hier zu
schützen. Der Zauber, der positive Energie freisetzte, verwundete Justin
selbst und konnte ihn eines Tages vernichten. Zärtlich drückte er den
kalten Körper des Vampirs an seine und ging zurück, in die Sicherheit
des Hauses. Lysander konnte Justin nichts
von seinem Blut geben. Es hätte den Vampir mit der selben Sicherheit getötet
wie die Energie, hätte er sie verstärkt frei gesetzt. Behutsam legte er
ihn auf das Bett und zwang seine wahre Natur wieder in den Menschenkörper
zurück. Es tat ihm weh; ein kleiner Tod, unendliche Qual, ein Todeskampf,
der ihn immer ergriff, wenn er seine Form wechselte um zu dem zu werden,
was er wirklich war, aber auch ein Ausgleich dafür, daß er nicht starb,
sondern ewig lebte, vernichtete man nicht seinen Körper. Als er wieder
klar denken konnte, der Schmerz auf ein erträgliches Maß sank, hockte er
vor dem Bett auf dem Fußboden, verkrümmt wie ein Fötus und stumme Tränen
rannen über sein Gesicht, versickerten in seinem langen Haarmantel, der
sich um seinen nackten Körper gewunden hatte. Er spürte die Anwesenheit
der alten Frau, ohne sie sehen zu müssen. Cecilia besaß eine ganz eigene
Präsenz, die er nicht einzuordnen vermochte. Noch nicht. „Was seid ihr?“ fragte ihre
Stimme. Sie klang brüchig und alt, nicht flüssig, wie noch vor wenigen
Stunden. Lysander richtete sich schwerfällig auf. Ihm taten die Muskeln
weh und die Knochen und der Rücken... Das Atmen fiel ihm schwer, weil
seine Lungen bis vor kurzem eine ganz andere Ausdehnung hatten und sein
Herz litt unter der ständigen Belastung zwischen den zwei Körpern, die
nicht einmal sehr verschieden waren, doch aber genügend, um ihm das
anzutun. Er wußte, daß er nicht viel mehr Farbe hatte als der Schnee
draußen und Schweiß und Tränen über seinen Körper rannen. „Ist das
wichtig?“ fragte er leise. Die alte Dame konnte sein
Gesicht nicht sehen, denn er stand noch immer mit dem Rücken zu ihr vor
seinem Freund. Traurig sah er auf Justin hinab, der wie tot da lag. Dann
setzte er sich zu ihm und flüsterte sanfte Worte in dieser uralten
Zaubersprache, wobei seine Hände Justins ergriffen. Noch während er die
Magie in eine Form brachte, die Formel aussprach, spürte er, wie seine
eigene Lebensenergie aus ihm herausfloß und in den Körper seines
Freundes tropfte. Diese Form von Lebenskraftübertragung hatte nicht den
gleichen heilenden Effekt, den Blut für Justin gehabt hätte, aber
Lysander besaß genug Leben in sich, um seinen Freund wenigstens zu stärken. Die alte Dame stand im Türrahmen,
sah Lysander dabei zu, ruhig, ohne den Hauch von Angst zu zeigen. „Nein,
wahrscheinlich ist es ohne Bedeutung,“ murmelte sie. Lysander brach den
Strom an Lebenskraft zu Justin ab und wischte ihm den geschmolzenen Schnee
von den Wangen. Der dichte Haarmantel gab Justins spitze Elfenohren frei.
Langsam, um nicht ihren Blick dorthin zu lenken, strich er die Locken darüber
und zog ihm anschließend die Stiefel aus. Dann deckte er ihn zu und küßte
seine Wange. „Ihr liebt ihn auf eure
Weise,“ flüsterte Cecilia und schlang ihr Tuch eng um die Schultern. Lysander sah sie lange
schweigend an. Er dachte über ihre Worte nach und das Gefühl, was sich
dabei manifestierte. Vielleicht war es eine Art von Liebe, die dieser
tiefen Freundschaft anhaftete. „Ich glaubte lang, ich könne nicht
lieben. Dann kam diese eine Frau und ich begriff mein Schicksal, nur
einmal zu lieben. Auf diese Art werde ich nie für einen anderen
empfinden können.“ Er wußte, daß das stimmte. Aber es war auch
nicht dieselbe Art von Zuneigung, die er Anjuli selbst jetzt noch entgegen
brachte, sondern eine andere, die vielleicht leichter zu sein schien, es
aber nicht war. „Ihr liebt ihn,“ sagte sie. „Ich kann es sehen.“ Lysanders Herz machte einen
harten Satz. Er wußte, daß es stimmte. Mit gesenktem Kopf nickte er. „Ihr seid Geschöpfe von großer
Macht,“ sagte sie. „Und doch unterscheiden sich eure Gefühle und euer
Verhalten nicht von dem eines Menschen.“ „Wir sind Fremde in einer
fremden, Magie armen Welt,“ entgegnete Lysander und erhob sich. Ihn störte
es nicht, daß die alte Dame seine Nacktheit sah. Aber es war ihm zu kalt
und er fror beständig, auch durch die Entkräftung. Aus seiner
Wandertasche nahm er sich den letzten Satz frischer Kleider, die nicht
zerrissen waren und zog sie an. „Diese Welt ist den Geschöpfen, die aus
der Finsternis und der Magie entstammen, hilflos ausgeliefert.“ „Und ihr...“ Sie hielt den
Blick gesenkt und dennoch bemerkte Lysander, daß sie rot wurde. Ihre Schamröte brachte ihn
dazu zu lächeln. „Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, diese Geschöpfe,
die sich nicht an die Regeln dieser Welt halten, zu jagen.“ Nachdem er sich Hosen und Hemd
angezogen hatte und seine Kleider ein wenig ordnete, trat er zu ihr und
ergriff vorsichtig ihre knochige Hand. „Verzeiht mir mein ungehöriges
Verhalten, Madame Cecilia. Es liegt mir fern, euch beleidigen oder beschämen
zu wollen.“ Ihr Kopf neigte sich noch weiter, ein, zwei Sekunden, dann
sah sie ihm direkt in die Augen, ernst und sorgenvoll. „Wollt ihr mir
helfen zu erfahren, was meine Familie zerstörte, junger Freund?“ Lysanders Blick verschleierte
sich einen Herzschlag lang. Seine Erinnerung an das Geschöpf wurde wach,
an sein furchtbares Aussehen, seinen Gestank, das Gefühl, was er hatte,
als seine Faust in dem verwesenden Fleisch halb versank. „Ja,“ flüsterte er, und
Madame Cecilia konnte den eisigen Schrecken, den er noch immer spürte aus
dem Klang seiner Stimme heraushören. Justin erwachte während des späten
Vormittags erst und spürte das Gewicht von Lysanders Kopf, der auf seiner
Brust ruhte. Der Magier lag halb über ihm, halb saß er auf der
Bettkante. Vermutlich wachte
er den Morgen hindurch an seiner Seite und war irgendwann einfach
eingeschlafen. Es widerstrebte Justin, Lysander zu wecken, aber er wollte
sicher nicht den ganzen Tag hindurch in dem engen Zimmer liegen und
warten, bis der Magier erwachte. Sehr vorsichtig richtete er
sich auf, was bereits ausreichte, daß Lysander hochschreckte. Benommen
setzte sich der Magier hin und versuchte, zu sich zu kommen. Er fühlte
seinen Schädel pochen und glaubte, das Zimmer drehe sich um ihn. Noch
dazu schmerzte sein Nacken von der unbequemen Haltung. Sein Haar hing in
langen Strähnen in seinem Gesicht. Justin bekam den Eindruck, daß es ihm
wesentlich besser ging, als seinem Freund, dem offenbar noch jede
Orientierung fehlte. „Wie geht es dir?“ fragte er leise und schob sich
neben ihn. Lysander warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Durch die
Bewegung setzte das Schwindelgefühl doppelt stark ein. Hätte Justin
nicht sehr schnell zugegriffen, wäre Lysander hilflos von der Bettkante
gerutscht. Dieses Mal dauerte es Sekunden, bis er sich wieder
konzentrieren konnte. Sein Gehirn arbeitete lang noch nicht zuverlässig
genug, aber ganz langsam wurde ihm klar, auf welche Weise diese Geschöpfe
entstanden und was aus all den Männern und Frauen geschehen sein mußte,
die verschwanden und nie wieder kehrten. Vermutlich reichte die Berührung
aus, um selbst zu einem solchen Wesen zu werden. Er hatte einem solchen Untoten
einen Schlag versetzt. Er würde sich nicht in ein solches Wesen
verwandeln. Das war nicht möglich. Seine Art ließ es nicht zu. Aber
diese Berührung wirkte sich nun auf andere Weise aus, ähnlich wie wenn
er sich eine Vergiftung zugezogen hätte. Normales, tödliches Gift wirkte
ja auch nur wie ein Betäubungsgift. „Leg’ dich hin,“ bat
Justin. Lysander aber zwang sich, den Kopf zu heben und die
Gleichgewichtsschwankungen seines Körpers nieder zu zwingen. Minute um
Minute saß er einfach nur reglos da und mobilisierte seine geistigen Fähigkeiten
und seine Willenskraft. Justin kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß
Lysanders Dickkopf seine Ratschläge und seine Hilfe nicht annehmen würde.
Schließlich stand er auf und reinigte sich gründlich, kämmte seine
Haarpracht und kleidete sich sorgsam an. Fast eine halbe Stunde brauchte
er, in der Lysander meditierte. Wenig nachdem der Elf mit seiner
Morgentoilette fertig war, kehrte in Lysanders Augen Leben und er richtete
sich aus dem Wust aus Decken und Kissen auf. „Sie vermehren sich über
Berührung,“ sagte er. Es war eine ziemlich sichere Mutmaßung, aber
eben nicht mehr. „Dir auch einen guten Morgen,“ knurrte Justin.
Lysanders Blick wurde verlegen. Er legte seine Arme um Justin und zog ihn
an sich. „Guten Morgen,“ flüsterte er und küßte seine Wange. Als er
Justin los ließ, lächelte dieser. „Ich fühle mich gut. Hast du mir
gestern Nacht geholfen?“ Lysander zog es vor, nicht zu
antworten. Er kannte Justin, der es nicht mochte, wenn Lysander ihn mit
seiner eigenen Lebenskraft versorgte. „Was genau ist gestern Nacht
geschehen?“ flüsterte Justin, der auch gar nicht auf eine Antwort auf
seine erste Frage hoffte. „Die meisten von ihnen, die
dir entgingen, habe ich vernichtet,“ erklärte er, während er sein
Gesicht wusch. „Aber ich glaube nicht, daß das von Wichtigkeit ist,
Justin,“ sagte er ernst und entkleidete sich vollständig. Das kalte
Wasser reinigte ihn nicht annähernd so, wie er es sich wünschte, aber es
gab ihm wenigstens die Befriedigung, wach zu werden durch das klare, kalte
Wasser. Zärtlich, träumerisch betrachtete Justin seinen Freund, den er
so sehr liebte. In seinen Gedanken zeichneten seine Finger jede Linie des
ihm so gut vertrauten Körpers nach. Er glaubte sekundenlang sogar die
weiche, weiße Haut zu spüren und die Wärme des lebendigen Mannes.
„Darf ich dein Haar kämmen?“ fragte er und wußte, daß er sich dabei
wie ein kleines, verliebtes Mädchen anhörte. Es störte Justin nicht.
Lysander kannte jede seiner Eigenheiten und wußte, daß der Vampir sich
nicht nur mehr zu seinem eigenen Geschlecht hingezogen fühlte, sondern
besonders zu ihm, dem Magier. Er gestattete Justin eine Nähe, die eher
die eines Paares war, als die enger Freunde. Wortlos reichte er ihm den
weißen Elfenbeinkamm, der ihn als alles andere, aber keinen armen,
wandernden Kunststudenten, auszeichnete. „Lysander, wir bleiben,“
sagte Justin, ganz leise, während er versuchte, so vorsichtig als möglich
das verwickelte Haar auseinander zu kämmen. „Das war auch meine Absicht,
zumal Madame Cecilia uns bat, nach dem Rechten zu sehen. Ich kann ihr
nichts abschlagen, Justin. Diese alte Dame hat es innerhalb eines Abends
geschafft, uns näher zu sein als ich es wollte.“ „Mitleid?“ fragte Justin
vorsichtig. „Nein, nur Sympathie. Und
vielleicht der Instinkt die schwächeren und jüngeren Wesen zu schützen.“
Obwohl er wußte, daß er es Justin nicht einfacher machte, wenn er sich
umdrehte, um ihn anzusehen, tat er es. „Machen wir uns sobald als möglich
auf den Weg.“ Cecilia saß unten, in der
ehemaligen Gaststube, als Justin und Lysander eintraten. Sie hatte die
Fensterläden geöffnet und kalte, klare Winterluft strömte in den Raum,
der jetzt, im grauen Tageslicht ein wenig von seiner Behaglichkeit
verloren hatte. Dennoch brannte im Kamin ein neues Feuer. Als sie Justins
überraschten Blick bemerkte, ließ sie ihr Buch sinken und lächelte
freundlich. „Der Küster war vorhin hier und half mir Holz herein zu
bringen. Er und der Pfarrer erzählen, daß in der Nacht ein helles Feuer
und ein Ball aus lebenden Flammen durch die Nacht gegangen sei. Die
Kreaturen die die Kinder stehlen wollten, sind, so denken sie, dank Gottes
Hilfe zurück geschlagen worden. Der Küster erzählte, er habe vom Turm
zwei Engel gesehen. Einen, ohne Flügel, gehüllt in gleißendes Licht,
ein anderer schwarz. Er sprach von dem Todesengel, der gekommen sei die
Stadt zu befreien und einem himmlischen Boten, der seinen Sieg verkündet.“
Ihr Tonfall war voller Ernst und Ruhe. Plötzlich Lachte sie, sehr hell,
fast wie ein Kind. „Ihr beiden wißt es besser.“ Lysander gefiel es gar nicht,
daß ein anderer sie beobachtet hatte. Im Gegenteil. Es machte ihm Sorgen.
Wieviel konnte der Mann mitbekommen haben? Auch seine und Justins Künste
waren begrenzt. Schließlich senkte er nur betrübt den Kopf und schob die
vorläufige Lösung des Problems auf einen besseren Zeitpunkt. Wenn die
Menschen hier glaubten, ihr Gott habe seine Boten geschickt, bitte. Besser
sie glaubten daran, als daß sie die Wahrheit erfuhren. „Madame, nennt uns den Ort,
an dem ihr die Fremden vermutet,“ bat Justin. Seine Stimme klang gepreßt,
genauso schwer, wie Lysanders Gedanken verliefen. Sie deutete ein Kopfschütteln
an. „Ich werde euch führen.“ Justin betrachtete sie besorgt.
„Nein, kommt nicht in Frage,“ rief Lysander. Abe bevor er auch nur ein
weiteres Wort sagen konnte, machte sie eine knappe Handbewegung, die ihm,
als eigentlich Jüngeren das Reden untersagte. „Ich begleite euch,“
sagte sie bestimmt. „Ich bin alt. An mir werden sie kein Interesse
haben. Und wenn ich sterbe, so ist das nicht schlimm. Ich will nur endlich
meinen Frieden finden. Und ich bin die Einzige hier, die weiß, wo sie
sich aufhalten.“ Cecilia stand schwer auf ihren Stock gestützt auf und
trat auf die beiden Männer zu. „Ihre Residenz ist nicht so weit von
hier.“ Sie nahm Justins Hand in die ihre und drückte die kalten Finger
des Vampirs. „Wenn ich noch leben sollte, nach dem allen...“ Sie sah
zwischen den beiden Männern hin und her. „Versprecht mir, meinen
Frieden zu geben.“ Fassungslos betrachtete der
Vampir sie, entsetzt über ihre Bitte. Lysander nickte sachte. „Ich
werde euren Wunsch respektieren, Madame.“ „Wie?“ fragte sie aus einem
Impuls heraus, der ihren Lebenswillen noch einmal zeigte. „Ihr werdet es nicht
bemerken,“ sagte Lysander leise, sanft lächelnd. Das Gefühl von
Zuneigung und Wärme umfing die alte Dame, als sie begriff, daß dieser
schlanke, zarte Mann wirklich der Todesengel war und er sich zur Aufgabe
machte, sie zu hüten und zu schützen um ihr ein würdiges und glückliches
Ende zu bereiten. Justins Blick hing an dem alten Gesicht, was soviel
ausdrückte, die hellen Augen und der wache, klare, wissende Blick und ihm
wurde bewußt, daß er diese zerbrechliche Frau, deren Körper unter der
Last eines Menschenlebens ächzte, unterschätzt hatte. Ihren Mut, ihre
Klugheit, ihre Sehnsucht nach Frieden, den sie erst fand, waren ihr
Geliebter, ihr Mann und ihre Kinder gerächt, oder in Frieden an ihrer
Seite. Er begann ihre Schönheit zu
sehen, das was jeder andere Ignorierte, ihre verletzliche Seele und das
Wissen über Dinge, die unaussprechlich waren. Hatte Lysander schon von
Anfang an tiefer geblickt, als er? Justin wußte es nicht. Aber selbst
wenn nicht, jetzt sahen sie beide Cecilia mit anderen Augen. „Wir
sollten vielleicht bald aufbrechen,“ sagte der Vampir leise. In den Augen Lysanders war es
nicht vertretbar, daß die alte Dame auch nur einen Schritt mehr lief, als
unbedingt notwendig. Seine Finger woben in der leeren Luft arkane Symbole,
während er eine lange, komplizierte Formel in dieser uralten Sprache
intonierte, die eigentlich nicht für die Ohren der Menschen dieser Welt
bestimmt war. Cecilia beobachtete Lysander schweigend. Sie konnte fühlen,
wie sich die Luft um sie herum auflud, wie sie Substanz zu gewinnen
schien. Hauch feiner Nebel flirrte in der Wintersonne. Es brauchte
Sekunden, bis sie begriff, daß dieser Nebel eben erst aufzog... Dann zog
er sich immer weiter zusammen und gerann zu einer durchscheinenden
Gestalt, die sich erst langsam zu füllen begann. Graue Schwaden wurden zu
einem Pferdekopf, zu einem muskulösen Rumpf und gewannen an
Stofflichkeit, bis das Geschöpf wirklich war. Einzig seine schwarz graue
Mähne und der Schweif, sowie die Hufe zerfaserten im Nebel. Schwarze
Augen, in denen tief unten ein rotes Feuer brannte, betrachteten abwartend
Lysander, der dem Blick der Kreatur aus den Schattenwelten stand hielt. Er
mußte nicht sprechen. Dieses Ding war kein Tier, sondern ein Konstrukt
der Magie, Material aus der Ebene der Schatten, das die Form eines Pferdes
besaß, weil Lysander es so wollte. Die vermeintliche Intelligenz in den
abgründigen Augen des Wesens, war Lysanders eigener Verstand. Das Pferd
war sein Geschöpf und damit mit ihm verbunden, Teil seiner Aufmerksamkeit
und seines Bewußtseins, sonst nur eine leere Hülle. „Laß mich raten,
wir laufen?“ fragte Justin lächelnd, wobei seine Fangzähne sich
deutlich im Kontrast zu seinen roten Lippen abzeichneten. Lysander drehte
sich halb zu ihm um und verzog spöttisch die Lippen. „Du bist das
Faulste, was mir je von deiner Art über den Weg gelaufen ist.“ Fragend sah Cecilia zu den
beiden Männern hoch. Sie bemerkte sehr wohl die langen, schmalen, weißen
Zähne des Vampirs, der mitten in der Wintersonne, im Schnee, am Fuß des
Baches, den sie gerade überquert hatten, stand, die Hände in die Hüften
gestemmt und seinen Freund ärgerlich an funkelnd. In einer geschmeidigen,
schnellen Bewegung, die Cecilia nicht nachvollziehen konnte, Lysander sehr
wohl, griff sich Justin eine Hand voll Schnee und warf sie seinem Freund
ins Gesicht, der gerade noch schnell genug ausweichen konnte. „Ich habe
das Gefühl du brauchst eine kleine Abkühlung, liebster Freund,“ lächelte
Lysander und wurde mit einem Schneeball konfrontiert. Er aber war nicht
der einzige. Auch Justin spuckte Schnee. Unschuldig lächelnd stand die
alte Dame zwischen den beiden Männern. Justin blinzelte sich das
Wasser aus den Augen und grinste breit. „Ich wünschte, ich hätte euch
früher getroffen. Ihr seid eine ganz besondere Dame.“ Lysander schüttelte den Schnee
aus seinem Mantel und wischte sich das Gesicht trocken, bevor er ein
zweites Phantompferd erschuf, was dem ersten absolut glich. Einen
Unterschied aber gab es doch, dieses Geschöpf verband er nicht mit seinem
eigenen Geist, wenigstens nicht vollständig, sondern Justins. Fast
augenblicklich tollte das Konstrukt wie ein Kind, ausgelassen durch die
winterlich weißen Felder und die Weinreben und führte sich auf, wie sich
Justin gerade fühlte. „Rufe es zurück,“ sagte Lysander, die Brauen
ein wenig zusammengezogen. Justin nickte und gab seinem Pferd einen unhörbaren
Befehl, der es sofort zurückkehren ließ. „Darauf soll ich Reiten?“
fragte Cecilia beunruhigt und sah zu dem Geschöpf auf, was eigentlich auf
die Körpergröße Lysanders angepaßt war, nicht auf die ihre. „Es hat
weder Sattel noch Zaumzeug und irgendwie ist es unheimlich... Es geht doch
nicht in Stücke, wenn ich aufsteige?“ Lysander lächelte. „Nein.
Und wenn es euch beruhigt, ich werde mit euch reiten. Ihr werdet also
nicht herabfallen und ihr könnt mir vertrauen. Ich bin ein guter
Reiter.“ Sie sah ihn noch einige
Sekunden zu Lysander auf, nicht mißtrauisch, aber ein wenig Ängstlich. Er deutete zu Justin, der keine
Lust hatte, sich in irgendeiner Weise zusammen zu reißen. Er rannte neben
dem Geschöpf her und griff plötzlich nach der Mähne, um sich aus der
Bewegung heraus auf den Pferderücken zu schwingen. Sein dichter
Haarmantel, der seine Elfenohren verbarg, wehte auseinander und gab die
langen, schlanken Spitzen frei. Doch das störte Justin nicht. Er
galoppierte durch die Reben, wobei sein Mantel aufklaffte und die Laute
auf seinem Rücken darin einschlug. Deutlich ängstlich sah Cecilia zu
Lysander auf. „Ich sagte, ich bin ein guter Reiter, aber nicht von allen
guten Geistern verlassen,“ lachte dieser. „Justins Temperament leitet
sie beide gerade. Er wird sich bald wieder unter Kontrolle haben. Hoffe
ich wenigstens. Sonst werde ich ein wenig nachhelfen.“ Er betrachtete
die alte Dame, die immer noch Justin zusah. „Darf ich euch helfen?“
fragte Lysander leise. Cecilia drehte sich entschlossen um, das Abenteuer,
auf das sie sich eingelassen hatte, zu wagen und nickte.
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(c) Tanja Meurer, 1998 |