Wishmaster

Kapitel 5: Midnight Carnival

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Megumi machte einen Schritt von der einen Welt in die andere hinein. Und es erschreckte sie nicht im Mindesten. Nein. Hier war es warm und sicher. Sie hörte fröhliche Musik. Irgendwo, hinter ihr hörte sie Gelächter, das Knarren von altem Holz. Eine Frauenstimme, die Laut schrie und jemanden anfeuerte... Tiere, Pferde, die Wieherten, Gesang, Leierkastenmusik... eine Geige... Der Duft gebrannter Mandeln und Zuckerwatte wehte zu ihr. Megumi drehte sich um und blinzelte verwirrt. Wo sie eben noch ihre dicke Jacke getragen hatte und Jeans und Pulli, trug sie nun ein weißes Spitzenkleid. Es war weit, und reichte bis zum Boden. Das Mieder war aus Seide und das Oberteil voller Rüschen und Spitzen und Bänder. Ihr Haar lag offen über ihren Schultern, in langen Locken. Sie hob das Kleid etwas an und betrachtete ihre Füße. Sie steckten in weißen, seidenen, bestickten Schuhen. Weiches Gras und Blumen umspielten ihre Beine...

Lächelnd hob sie den Kopf und sah sich um. Unter ihr erstreckte sich ein kleines Tal, umfriedet von einer Kniehohen Mauer. Im Inneren stand ein Jahrmarkt, der das Tal zur Gänze füllte. Kleine, bunte Karren und hölzerne Stände mit farbigen Planen, Fackellicht und Karusselle, die sich drehten. Sogar ein Riesenrad stand dort, ein Kettenkarusell und ein Platz, auf dem sich viele Leute versammelt hatten. Sie trugen bunte Gewänder, im Feuerschein glänzenden Schmuck... Frauen tanzten, sangen, zu der Musik eines einzelnen Geigers. In einem dichten Ring standen die Zuschauer umher, in weißen und gelben Kleider die Frauen, in grauen und schwarzen Gehröcken und Anzügen die Männer...

Irgendwie glaubte Megumi die wenigen Männer zu kennen und einige der Frauen kamen ihr auch wage bekannt vor, aber ihr wollte einfach nicht einfallen, woher. Ein winzig kleiner, verwachsener Mann lief mit einem speckigen, abgetragenen Hut im Kreis und lachte, riß Possen, während ihm die Leute Geld zuwarfen.

Dann erschien ein Mann auf den Trittstufen eines Wagens. Megumi war zu weit weg, um zu sagen, wer hinter der Maske steckte. Aber, was sie sah, war ein weißer Clown. Die Musik verstummte, als er beide Arme in einer majestätischen Geste hob und mit ruhiger, tiefer Stimme Stille gebot. Nun raffte Megumi ihre Röcke und rannte, so schnell sie konnte, den Hügel hinab. Sie wollte doch sehen, was dort vor sich ging. Es schien, als habe sie Flügel, als könne sie nicht ermüden, so einfach und schön ging es...Ihre Füße berührten kaum den Boden... Sie sprang über Steine und Äste... In Sekunden erreichte sie die Mauer und setzte hinüber, als wäre sie gar nicht da.

Erst auf dem Festplatz hielt Megumi an, zwischen den Marktständen und Karussellen. Kinder liefen um sie herum, kleine Mädchen in hellen Spitzenkleidern und kleine Jungen. Keines der Kinder war so alt wie Megumi. Dort, wo sie das Mädchen aber bemerkten, blieben sie stehen und betrachteten sie neugierig, ein wenig Argwöhnisch. Einige tuschelten miteinander, sahen sie dann an.

Megumi blieb stehen. Sie hatte ein ungutes Gefühl, beklemmend. Unsicher drehte sie sich einmal um sich selbst. Es schien ein wenig dunkler geworden zu sein. Und die Gesichter der Kinder... der Ausdruck darin war plötzlich hämisch, gehässig. Ihre Augen starrten aus unsäglich tiefen Schatten zu ihr hinauf. Böse, gierig...

Raubtieraugen, skrupellos, wild!

Panische Angst erwachte in Megumi! Sie fuhr herum und rannte, rannte um ihr Leben!

 

Anjuli wendete sich an Gabriel.

„Fahrt zu mir, ruht euch aus. Ich gehe allein.“

Gabriel stand auf. Es bereitete ihm sichtlich Mühe, die Stufen hinab zu gehen. „Ich lasse dich nicht allein, Anji,“ sagte er entschlossen. Der Tonfall ließ keinen Einspruch zu.

„Und was ist mit Natalie und Setsuna?“ fragte sie mit einem Blick zu den beiden. „Sie sind ziemlich fertig, und ich lasse sie nicht allein hier zurück. Du mußt sie in Sicherheit bringen. Gabriel packte sie an den Schultern. „Du gehst nicht ohne mich,“ wiederholte er eindringlich. Setsuna stand auf. „Ich will Megumi wieder haben. Ich komme auch mit.“

Natalie zuckte mit den Schultern. „Was soll‘s... Schlimmer kann‘s nicht werden.“

Sie kramte ihre Zigaretten aus der Manteltasche und zündete sich eine an. „Was ist? Sollen wir hier Schimmel ansetzen?“

 

Die Stände flogen an ihr vorüber. Die Kinder folgten ihr nicht, aber auf unheimliche Weise stellten sich ihr immer mehr dieser seltsamen unheimlichen Kinder in den Weg und ihre kleinen Hände griffen nach ihr, krallen in ihr Kleid und rissen die Spitzenrüschen kaputt. Nach Sekunden schon wußte sie schon nicht mehr, wo sie sich befand. Sie verlor jede Orientierung. Manchmal kamen ihr einige der bunten Planen bekannt vor, der eine oder andere Stand oder Karussell... Aber sie war sich nicht sicher! Die Kinder trieben sie.

Megumi konnte sich nicht die Zeit nehmen, sich zu orientieren. Ihre Hände und Arme hatten bereits tiefe und blutende Kratzer und die schmalen Gassen spien immer mehr Kinder aus.

Letzten Endes kam sie auf die Idee einzige, letzte, verzweifelte Idee, die ihr den Hals retten konnte. Als sie auf der Höhe eines prunkvollen, alten zweistöckigen Karussells war, stieß sie sich kraftvoll ab und sprang auf das Monstrum aus Holz, Glas und Farbe auf. Sie verfehlte die oberste Stufe der ersten Plattform, rutschte ab und griff verzweifelt nach oben. Mehr durch Glück fand sie Halt an dem gerissenen, alten Geländer.. Mit der Kraft, die aus ihrer Angst kam, zog sie sich hoch. Ein ekelhaft stechender Schmerz explodierte, raubte ihr fast die Sinne. Ihr Fußgelenk knickte unter ihrem vollen Gewicht ein. „Verdammt!“

Sie sah über die Schulter. Die Kinder hatten es aufgegeben, nur ein Hindernis zu sein. Ihre Augen schimmerten wie... Tieraugen in der Nacht...?!

Jetzt wußte sie, woher sie einige von ihnen kannte! Es waren die lebenden Leichen, die sie auf den Rängen des Atriums eingekreist hatten.

Megumi Biß die Zähne zusammen. Nicht gerade behutsam riß sie ihre Schuhe von den Füßen und warf sie den Kindern, die gerade ebenfalls zu dem Sprung auf das Karussell ansetzten, entgegen.  Zwei von den Kleinen strauchelten und fielen hinten über, einer verfehlte das Geländer und stürzte. Bald war von ihm nichts mehr zu sehen, denn eine Masse anderer, kleiner Körper begruben ihn unter sich. Entsetzt schloß Megumi die Augen und versuchte mit weiterzukommen. Die Schmerzen waren fast unerträglich, betäubend, aber allein der Gedanke an das Kind, das unter den Anderen verschwand, spornte sie an, ihre Schmerzen zu vergessen. Sie humpelte mit zusammengebissenen Zähnen weiter, stolperte um die Pferde und Schlitten, die Kutschen aus Holz, die sich gegen ihre Richtung bewegten. Das Mädchen eilte auf der anderen seite hinab, Sprang, strauchelte und fing sich rechtzeitig. Hinter ihr stürmen die Kinder heran. So konnte sie nicht gewinnen, das war Megumi klar. Dennoch versuchte sie es. Sie spornte sich zu neuer Kraft an. Sie mußte hier heraus, an den Ort zurück, von dem sie kam... Keuchend stolperte sie eine Gasse entlang, eine Gasse, in der noch keine Kinder waren. Irgendwie schien das Karussell sie ein wenig zu beschäftigen.

Als sie sich umsah, stürzten zwei, drei von ihnen in die Gasse, wurden aber von der nachströmenden Menge nach unten gerissen. Megumi wendete sich um und rannte.

Aber in jede Gasse, in die Sie bog, fand sie keinen Weg hinaus. Noch hatte sie einigen Vorsprung, aber der würde bald schmelzen, denn Ihr Fuß schmerzte höllisch und sie spürte, wie mit jedem Schritt ihre Kräfte schmolzen. Dann sah sie eine Möglichkeit sich für einen Moment zu verbergen... Hinter einer Biegung stand eines dieser alten Geisterhäuser, durch die man durchlaufen konnte. Sie hetzte an dem leeren Kassenhäuschen vorbei in das Innere, das Glaslabyinth. Nervös sah sie nach unten, zu den Umfassungen der Glasplatten und orientierte sich. Sie wagte gar nicht, hinauszusehen. Was, wenn eines der Kinder sie hier sah? Wenn es schrie, oder... Sie wollte sich nicht ausmalen, was sie alles verraten konnte. Sie hörte sogar die Horde von Kindern vorbei rennen... Aber ihr schien das Glück beizustehen, denn sie erreichte den Ausgang des Labyrinthes schnell und ungesehen...

Fast ungesehen, denn eines der Kinder kam wohl zurück. „Hier, ich sehe ihr Kleid!“

Megumi verfluchte alle Götter des Glücks und sah sich nervös um. Der Raum war stockdunkel! Sie spürte rissiges Holz unter ihren Füßen. Vorsichtig, beide Hände vorgestreckt tastete sie sich nach vorne. Nach zwei kleinen Schritten stießen ihre nackten Zehen gegen das, was sie als Treppenstufe identifizierte. Sie hob einen Fuß und setzte ihn nieder, dann den anderen und so weiter. Neben ihr, in einem Glaskasten erscholl helles, meckerndes Gelächter und Licht ging an... Ihre Überreizten Nerven ließen sie zusammenzucken, leise aufschreien. Nun, wo sie ungefähr sehen konnte, wo sie war, eilte sie mit ausgreifenden Schritten eine enge, steile Holztreppe hinauf. Hinter ihr horte sie die Kinder, die sich durch das Glas schlugen.

Megumi rannte nun. Als sie den obersten Podest erreichte, ging das Licht wieder aus.

Welch eine Horrorvision! Dachte sie nur.

An die Treppe schloß sich ein beklemmend enger Gang an in dem irgendwas glitschig ekelhaftes von der Decke hing. Dann erinnerte sie sich. Es waren irgendwelche Gartenschläuche, die in einem Rahmen hingen... danach kamen Gitter, die sich verschieben ließen. Alles beide überwand sie. Hinter ihr rannten die ersten der Kinder die Stufen hinauf. Sie schob sich durch die Gitter auf einen breiten Balkon hinaus und sah den Hügel, von dem sie gekommen war. Das Mädchen neigte sich über die Brüstung. Unter ihr lag die Mauer... Aber warum? Diese Balkone gingen doch nie nach hinten raus, sondern nur immer nach vorne! Aber Megumi nahm diese Tatsache dankbar hin. Auch wenn ein Sprung aus drei Metern Höhe danebengehen konnte, so war es doch ihre bisher beste Chance.

Sie kletterte über die Brüstung und blieb einen Herzschlag lang noch sitzen, bevor sie sich, hinabstürzte...

Der Schmerz in ihrem Fuß explodierte, als sie unten aufkam und raubte ihr fast die Sinne... Aber zugleich spürte sie auch Kälte und hörte Stimmen... vertraute Stimmen.

 

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(c) Tanja Meurer, 2000